Im Moritzkeller 2.0 herrscht heißer Betrieb. Josefine, mit dem absoluten Raumgefühl ausgestattet, stockt der Atem: So daheim (und gleichzeitig so fremd) fühlte sie sich früher hier nie. Als Jungtier hat sie an diesen Höhlen mitgebuddelt, sie sind ihr Werk, sozusagen, noch kennt sie jede Nische persönlich. Später hat sie die Stätte gemieden. Heute tanzt ihr alles entgegen: Maske an Maske, Kostüm an Kostüm.

Unverkleidet ist sie gekommen, das schert sie wenig, schließlich ist sie im Dienst, auch wenn die Umstände, alles zusammengenommen, konspirativ anmuten könnten. Der erste prüfende Blick, der sie trifft, verheißt Anerkennung: »Donnerwetter! Das ist aber echt.« Sie blickt an sich herunter und kann nichts Echtes erkennen. Selten fühlte sich sich so unpassend gekleidet. Zwei, drei Augenblicke später umringt sie eine Traube erwartungsvoll an ihren Lippen hängender… Sollte am Ende ich ?

Die Lippenhängerinnen, denen das Mausgrau durch allerlei Schlitze schimmert, sie wollen nur das eine – wissen, woher ihr Kostüm stammt: »Klasse. Das hol ich mir nächstes Mal auch.« Kein Statement zur Weltlage? Kein klitzekleines? Wie seltsam ist das denn? Schon schieben, das erste Dutzend zerteilend, die nächsten nach vorn: Josefininnen da, Josefinitinnen dort, Josefinen, wohin das Auge sich wendet, die Reihen durchsetzt mit (hier wankt ihr, der Ur-Josefine, Raumbewusstsein dann doch) Wladimiren, Wladimiresken, Wladimiroten, Wladimorosen, Wladi‑ … ach Sie wissen schon, die ganze Palette, rauf und runter, Wladimir, Josefine, Wladimir, Josefine, Wladimir, Josefine in sämtlichen Posen der Gesittung und der lasziven Verrenkung, vor allem in den hinteren Höhlungen, in die noch nie ein heller Lichtschein gedrungen ist, dort scheint sich allerlei zu tun. Also sie hätte jetzt nicht gedacht, dass… Ist das eine Falle?

Die Bodyguards geben Entwarnung: Alles in Ordnung. Auf die Jungs ist Verlass.

Mutiger werdend, nimmt sie ein Bad in der Menge. Lobt hier eine Maske, hebt dort einen Kleidzipfel auf, fühlt sich sicher in ihrer perfekten Verkleidung. Darunter die Unruhe: Wo bleibt Wladimir? Was hat er sich dabei eigentlich gedacht? Er wird sie doch angesichts dieser Vexierhölle am Ende nicht versetzt haben? Schwimmt er im Trubel mit? Ist er unter lauter Narren der echte? Wie närrisch ist das denn?

Wenn sie ehrlich, ganz ehrlich ist: als Christin – die sie nebenbei auch ist –, fühlt sie sich in diesem plötzlich aufgesprungenen und sie verschlingenden Spiegelkabinett, wie sie es bei sich nennt, gar nicht unwohl, gar nicht so unwohl… Wie war das nicht gleich? »Was ihr dem geringsten unter meinen Ebenbildern…« Darauf lässt sich doch bauen. Ein feste Burg. Punkt. Zwar kann sie sich nicht erinnern, dass sie Wladimir eine Gabe schuldet. Aber gut, was nicht ist, kann noch werden. »Wladi…« flüstert sie ihrem Idol ins Ohr, das sich vor Schreck fast ins Hemd macht: Es ist der apostolische Nuntius. Überall, wo es Mäuse gibt, ist Rom nicht weit. Beschwörend lüpft er die Klaue: »Finiatur et altera pars.« Das soll wohl heißen: Jeder Sack geht einmal leer aus. Kehrt er auch leer zurück? Er zuckt entschuldigend mit den Schultern. Sie lächelt, Zucker im Blick. »Als Feministin würde ich das bestreiten.«

Da fällt ihm die Maske vom Gesicht und rasch wendet sie sich ab.

»Fini, bist du’s?« brummt es zu ihrer Linken: Da stehen drei Wladis in Reihe. Doch wie sie sich umguckt, da stehen, von wem unter den dreien auch immer gemeint, die Finis zur Rechten und niemand schenkt ihr Beachtung. »Ich möchte, dass dieses Land vorwärts blickt…« – »Aber wohin?« – »Wohin wohl? Ins Tal der Lemminge, Dummkopf.« Hinter den Masken bleiben die Schnäuzchen verborgen, sie kichern und wispern und blubbern und bliffen bedrohlich. Nur weg hier. »Unsere Partner predigen Freiheit und verbreiten Chaos«: Hoppla, das klang seriös, aber nicht ganz reell, ein bisschen aufgesetzt… »Die Feinde der Freiheit«, da kennt sie sich aus, halleluja, lasset uns Hütten bauen im Tale, »… bedrohen, und ich sage das jetzt ganz klar, unsere Zukunft im gemeinsamen Raum, an dem wir alle künftig ver‑ … gemessen werden.« Nein, das war sie jetzt nicht, die erwartete Lautung, doch immerhin. »Wer immer dieses Revier –«, »Lernkurve«, »… das wäre dann nicht mehr…«, »auch sie, sie alle«, »Ich habe einen Traum, verrate ihn aber nicht.« Olala. Es scheint begabte Redenschreiberinnen unter den Masken… Wer weiß. – Vieles bleibt zu erlauschen in dieser Nacht der Nächte, in der die Stützen der Regierung, von einem unbekannten Bangen erfüllt, in ihren Bettchen seufzen.

»Ich möchte meiner Partnerin keinen Rat geben, sie weiß schon allein, was sie tut. Aber wenn ich ihr einen Tipp geben sollte, dann würde ich ihr sagen: spare deine Kräfte, es kommen andere Zeiten, ganz andere…«

Hat er das gesagt? Wer war’s? Wer unter all den … Köttelwichsern –…? Und erneut stürzt sie sich ins Gewühl.

Stunden später … aber was sind Stunden? Was Zeit? Was Maussein? Was Stärke? Sie liegt rücklings auf einer Bahre, es ist mollig warm, das kommt von der Transfusion, lässt sie sich fallen, so fällt es nicht auf, auffallen soll das hier nicht, also lässt sie sich fallen.