Ralf Willms

Ajahn Chah beschrieb als Beispiel die Geburt eines Menschen, der von Anfang an eine Schlinge um den Hals hat, an deren beiden Ende Dämonen ziehen. […] Jedenfalls ziehen die Dämonen ständig an den Enden der Schlinge, und da du nie etwas anderes gekannt hast als diese Enge und Beklemmung, erkennst du nicht, was da los ist. Du hältst es für normal, so ist das Leben nun mal. Dann kommst du eines Tages ganz hübsch in die Meditation hinein, kommst bis zum schönen Atem – und auf einmal lockert sich die Schlinge. Du atmest frei und denkst: «Donnerwetter, so was von Frieden, herrlich!« Später kommst du zur Nimitta-Stufe und die Schlinge löst sich fast ganz und du denkst: «Das ist ja wirklich höchst erstaunlich!«
Eine große Wahrheit des Buddhismus, vom Buddha selbst realisiert, geht dir auf, nämlich dass du glücklich bist, weil die ganze Riesenlast der Leiden weg ist. Die Dämonen haben das Seil losgelassen, endlich kannst du frei atmen. Das selbst zu erleben ist ganz wunderbar.
Ajahn Brahm (in: Jeder Lotus hat ein schönes Herz)

Ajahn Brahm vermittelt «Buddhismus« auf eine Weise, dass viele interessiert sind. Auffällig sind seine zutiefst menschliche Art verknüpft mit einem sehr ausgeprägten «gesunden Menschenverstand« sowie Humor und Entschiedenheit in allen Fragen. Wer seine Texte liest, kann schnell darauf kommen, worum es geht und wie es geht. Worum also und wie?

Es geht darum, still zu werden.
Weder an Vergangenheit, Zukunft noch Gegenwart zu denken.
Wenn ein Problem auftaucht, ist es zu sichten. Sind Ursachen festzustellen, so weit es möglich ist. Um den ganzen Komplex dann:
loszulassen.
Begleitet von immerwährendem, liebenden Mitgefühl
und immerwährender Achtsamkeit, die stetig zu verfeinern ist.
In dieser Grundhaltung offenbaren sich Glück und Glückseligkeit.

Das ist durchaus nicht zu einfach gesagt, wenn auch, wie genau genommen alles, lediglich höchst unvollständig.

Ajahn Brahm, einst Peter Betts, 1951 in London geboren, studierte theoretische Physik, reiste dann nach Thailand, um sich (unter widrigsten Bedingungen) als Mönch ausbilden zu lassen, und ist heute längst Vorsteher eines Klosters. Das bedeutet in seinem Fall unter anderem: Er besitzt kein Geld, verzichtet auf eine Beziehung und auf Sexualität, nimmt eine Mahlzeit am Tag zu sich. Und: ist in der oben angedeuteten Weise glücklich.

Brahm hat sich auch mit besonders schwierigen Dingen befasst, ja im Grunde mit allem, was einer wirklich guten Meditation als Lebenshaltung im Wege steht, so auch mit schweren Traumata. Seine Lösung ist: erkennen und vergessen. Nicht mehr hinzugehen, zu diesen Gedanken, zu diesen Gefühlen. Man brauche sie nicht. Solange . . . mit jedem Lebewesen einschließlich sich selbst zu fühlen, bis verziehen werden kann, dasjenige sozusagen von selbst abfällt.

Sich nicht klammern an den Schmerz, keine falschen Gewohnheiten annehmen. Das lässt sich auf eine Formel bringen: Abzulehnen ist alles, was begehrt wird, und jedwede Form von Übelnehmen.

Liegt in dieser Ausschließlichkeit nicht etwas «Unmenschliches«?

Wenn Brahm über Sexualität spricht, wird es m. E. «peinlich« beziehungsweise anders: Es wird spürbar, dass jemand wirklich Schönes diesbezüglich gar nicht erlebt zu haben scheint. Brahm versucht in seinen Schriften und Vorträgen immer wieder, Sexualität zu «disqualifizieren«, vielmehr ihre «Unterlegenheit« im Verhältnis zur Mediation herauszustellen.

Es geht auch hier – selbst wenn Sexualität wohlwollend behandelt wird, was vielfach vorkommt – um die Absolutheit eines Systems. Und es hat etwas für sich: Durch die «eiserne«, ausnahmslose Befolgung aller Regeln wird eine ebenso sanfte wie große Stärke aufgebaut.

Wo führt dies letztlich hin?
Gemäß Buddhismus, in Glückseligkeit und Verlöschung.

Es geht zunächst, wie eingangs zu lesen war, um das «Lockern der Schlinge«. Es geht darum, vom Leiden «alles« zu wissen, und letztlich darum, nichts mehr davon zu wissen.

Meines Erachtens liegt in dieser Ausschließlichkeit ein «Fehler«, eine fehlende Menschlichkeit. Genuss und Bindung und auch das Herunterkommen von einem solchen absoluten System gehören zu einem wirklich würdigen Dasein. Eine gute Kombination von all diesen Dingen halte ich selbst für anstrebenswert.

Aber «der« Buddhismus lehrt eindrücklich und praktikabel, und Ajahn Brahm besonders unterhaltsam und eingängig, dass es keinesfalls zwangsläufig ist, einem Leiden zu verfallen, was es auch ist. Dass ein Mensch sich dafür entscheiden kann, und zwar jeder, sich aufzumachen zu Glückseligkeit und Glückszuständen, einer Art von Glückseligkeit, die sich unabhängig zu machen sucht von Schwankungen.

Zu einfach gesagt?
Nein.
Wenn es gelebt wird:
existenziell, konsequent.

Wenigstens im Herzen der Vereinzelung, die sich mit allem verbunden weiß, fasst Ajahn Brahm eine beziehungsweise die Kernbotschaft in wenigen Worten zusammen, den Menschheitstraum, gänzlich angenommen zu werden:

«Meine liebste Ausdrucksform von Metta kleidet sich in die Worte: ›Die Tür meines Herzens steht dir weit offen, und zwar für immer, wer du auch sein oder was du getan haben magst.‹
Metta ist selbstlose Liebe, die aus der Inspiration entsteht, keine Gegenleistung erwartet und keinerlei Bedingungen stellt.«
(in: Öffne die Tür zu deinem Herzen)

 

 

 

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