Immo Sennewald

(Worte des Da Lao Hu 大老虎)

  1. »Rot ist die Liebe«. Wer in der Liebe Rechnungen aufmacht, landet tief in den roten Zahlen.

  2. »Dummheit und Stolz wachsen auf einem Holz.« Aber was für eine Welt, in der kein Stolz mehr zu brechen wäre.

  3. »Gewalt Macht Lust«. Nichts ist besser mit Argumenten bewaffnet als die Rechtfertigung von Gewalt.

  4. Nicht jeder, der ein Licht zu entzünden behauptet, kommt übers Spiel mit dem Feuer hinaus.

  5. Da vorn, wo alle ›die Zukunft‹ vermuten, ist die Welt seit je mit den Brettern vernagelt, die die Leute vor den Köpfen haben.

  6. Männer und Frauen passen perfekt nicht zueinander.

  7. Nichts verteidigen die Leute hartnäckiger als von Dorfritualen befestigte Wahnvorstellungen.

  8. Die Leute arbeiten fortwährend an einer Zukunft, in der – außer dem Lottogewinn – nichts Unvorhersehbares passieren soll. Dann wird ihnen langweilig. »Es muss etwas geschehen!« Aber es darf nichts passieren.

  9. Wer meint, sich seiner Anhänger (Wähler, Zuschauer, Leser…) unter Deppen versichern zu müssen, indem er sie mit simplen Worten ködert, wird am Ende von Deppen verprügelt.

  10. Es gibt erreichbare Ziele – und Ziele von denen einer träumt, nie erfährt, ob sie zu erreichen ihm nicht zum Alptraum wird. Andere, von denen er nicht zu träumen wagte, fallen ihm als Geschenke zu. Wem das Leben Weisheit schenkt, dem schenkt es auch Dankbarkeit und Demut.

  11. Sich Feinde zu machen, ist unvermeidlich. Will einer lohnende Ziele erreichen, hängt viel davon ab, wie er mit seinen Feinden umgeht, ehe sie ihm keine Wahl mehr lassen.

  12. Wer Rechnungen über Opferzahlen aufmacht, damit eigene Gewalttaten gegenüber denen anderer gering erscheinen, signalisiert anhaltende Bereitschaft, über Leichen zu gehen.

  13. Wer Verlierer demütigt, zeigt Begabung zum politischen Selbstmord. Er überschätzt seine Zukunftsaussichten.

  14. Wer durch die Pforte mit der Aufschrift »Tiefe Erkenntnis« dringt und den Weg durchs Labyrinth dahinter findet, erreicht das Tor mit der Aufschrift »Tiefe Verzweiflung«.

  15. Wer sich erfolgreich wehren will, muss eher einen Zwerg als Riesen ansprechen, denn einen Riesen als Zwerg verleumden.

  16. Wenn einen die Zeit einholt, wenn er ihr mit seinen Ideen nicht mehr voraus ist, darf er sich getrost in die Ewigkeit verabschieden

  17. Wen die Aussicht einschüchtert, nicht zu seinem Recht zu kommen, der hat schon verloren.

  18. Das Mittelmaß findet höchsten Gefallen daran, konkurrenzlos zu sein. Deshalb erstickt es, was überragt, und fördert das vermeintlich Schwächere, so lange es sich fügt. Die Dominanz des Mittelmäßigen nimmt jeder Gemeinschaft die Zukunft.

  19. Die Medienscharmützel aller möglichen Talkshows sind ein treffliches Augenpulver, von den eigentlichen Konflikten dieser Gesellschaft abzulenken. Freilich: sollte man sie dem Pöbel überlassen? Geben wir ihm die Fußballstadien, die Talkshows, die Internetforen. Das ist zwar immer noch teuer, aber nichts im Verhältnis zu den Kosten von Revolutionen und Kriegen.

  20. Wer Liebe empfangen durfte, hat zugleich die Erfahrung gemacht, dass, wer andere nicht leben lassen kann, das Recht auf zufriedenes Leben verwirkt.

  21. Wer Menschen zum Äußersten treiben will, der stelle in Frage, dass sie selbst über ihr Leben bestimmen, gebe ihnen das Gefühl der Ohnmacht, zeige ihnen einen Schuldigen und biete ihnen alsdann die Aussicht, sich mit Gewalt nehmen zu können, was ihnen vorenthalten wird: Zerstörung und Massaker erscheinen ihnen als Ticket in die Zukunft.

  22. Ein Träumer muss vor allem lernen, Träume zu beerdigen, falls er überleben will.

  23. Der Teufel hat den Schnaps gemacht? Mag sein. Die erfolgreiche Perfidie seines Plans ist indessen, damit Branntweinsteuern und Entziehungskuren als Geldmaschinen zu etablieren.

  24. Gefällig sein ist das Gegenteil von Haltung. Den Mächtigen gefällig sein das Gegenteil von Gerechtigkeitssinn.

  25. Wer zur Klarheit gelangen will, muss die Angst vor Irrtümern und Fehlern ebenso abstreifen wie die Illusionen über den eigenen Anteil am Weltgeschehen.

  26. In Konflikten zeigt sich das Leben, im Eiapopeia die tödliche Verantwortungslosigkeit.

  27. Das Problem an Wahnvorstellungen ist, dass sie sich von noch so verständigen Argumenten nicht erschüttern lassen.

  28. Negatives Denken ist eine Weltmacht. Die Strategien des Lebens sind streng auf Erlangen und Vermeiden orientiert. Wer sich das Schlimmste nicht vorstellen kann, dem fehlt in der Regel auch die Phantasie fürs Glück, fürs Schöne und er kann so wenig schenken wie empfangen.

  29. Egal an welche Götter einer glaubt: Er sollte nicht wähnen, dass deren Geduld mit der Schwachsinnigkeit seiner Gemeinde unerschöpflich ist.

  30. Manchmal helfen Strohhalme. Vor allem, wenn einer versteht, dass er dem Strohhalm durch Strampeln helfen muss.

  31. Gott ist nicht tot. Er schweigt, verstummt vor Entsetzen, was seine Schöpfung aus seinem Wort macht.

  32. Ein Mensch lernt sein Leben lang. Wenn er Glück hat, sind die wichtigsten Lektionen die der Liebe und die des Leids.

  33. Glück ist das Unvergängliche im Vergehen.

  34. Viele Wunderwerke menschlicher Schöpferkraft sind Bedenkenträgern geschuldet: Andere Hindernisse wurden den Schöpfern hernach kinderleicht.

  35. Der Grat zwischen Selbstbewusstsein und Selbsttäuschung ist so schmal wie der zwischen Wirklichkeit und Realität.

  36. Kultur ist Menschenwerk vom Ausmaß eines Universums, abgerungen dem Chaos und der unheiligen Dreifaltigkeit von Gewalt – Macht – Lust.

  37. »Dabei sein ist alles«? Dabei sein ist – mit dem Blick auf die Bilanz eines Lebens – sehr wenig.

  38. Egal an welche Gottheit einer glaubt: Er sollte nicht wähnen, dass sie sich als Vollstrecker just seiner Vorstellungen einer besseren Welt in Dienst nehmen lässt.

  39. Jeder ist sich selbst Strafe genug – lange bevor er sich dessen bewusst wird. Aber es gibt immer Bewährung.

  40. Allen Ideologen, die selbstherrlich den Schöpfern der Zivilisation – Künstlern, Wissenschaftlern, politischen Reformern und Strategen – ihre Fehler vorrechneten, sprach die Realität ihr Urteil.

  41. Demut vor dem Reichtum der Natur und vor der kulturellen Schöpferkraft des Menschen hat nichts mit Unterwürfigkeit gegen dessen Institutionen zu tun.

  42. Wichtigeres als Glück? Die Geschichte des Menschen und seiner Kultur sagt: Wichtiger ist die Fähigkeit, das unvermeidliche Unglück zu bewältigen. Das Glück kommt von allein. Und auf Glück allein ist kein Verlass. So entstand Kultur. Wer sich darauf verlegt, sein Glück sicher-zu-stellen, macht sich zum Sklaven der Unberechenbarkeit.

  43. Gegen die Dummheit werden die meisten Schlachten verloren. Aber der Krieg gegen sie ist niemals entschieden.

  44. Wer sich im Besitz der Wahrheit wähnt, entschlägt sich des schmerzhaften und wollüstigen Lernens.

  45. Wenn das Elend durchs Handeln der Mächtigen unaufhaltsam wächst, sollte einer keinesfalls aufhören, sich das Leben zu versüßen. Er widerlegt das Prinzip von Gewalt-Macht-Lust. Um so mehr, wenn er überlebt.

  46. Wer Künstler zu sein erheischt, degradiert sich zum Erfüllungsgehilfen der Dummheit, wenn er sich unter »Kulturschaffende« für politische Ziele einreiht und so die Kunst erniedrigt.

  47. Woran wir sterben? An einem Witz, der immer wieder erzählt, aber niemals verstanden wird.

  48. Sich selbst gern öffentlich als schöne Seele zu präsentieren, geht mit dem Risiko einher, als besonders einfältig dazustehen.

  49. Nichts währt ewig, auch wenn es sich noch so oft an rituellen Wiederholungen ergötzt.

  50. Wer Dankbarkeit erfährt, darf sich glücklich schätzen. Wer sie erwartet, ist ein Schwachkopf, wer sie einfordert, ein Despot.

  51. Egal wie klug und stark einer sein mag – er muss sich lebenslang mit Krankheit, Altern, Dummheit und Tod auseinandersetzen. Letztere zeugten einst unsterbliche Töchter: Schadenfreude und Heuchelei.

  52. Kunst ertüchtigt die selbstbestimmte Freiheit des Individuums. Kitsch ermächtigt die Schwarmdummheit.

  53. Das Gute am Schlechten: Es bietet keine Überraschungen, denn es ist so alt wie die Welt. Das Schwierige am Guten: Es muss sich immer neu erfinden und behaupten – nichts ist vergänglicher. Aber es hat die Schönheit für sich. Wer mag sich mit Lüge, Kitsch und Hässlichkeit zufrieden geben – außer den letzten Menschen?

  54. Fröhliche Wissenschaft bindet sich nicht an Zwecke. Sie nimmt sich selbst zum Ziel – ist also recht eigentlich Philosophie in der ausschließlichen Bindung an Sein und Zeit. Sie reicht selten für den Unterhalt, aber sie kann unterhalten.

  55. Im Ozean des Gesinnungskitschs gibt es Inseln des Realismus. Glücklich, wer dort Zuflucht findet. Dass er es bequem haben wird, ist freilich nicht vorgesehen.

  56. Das einzig Tröstliche an Gottesstaaten ist ihr unvermeidlicher Untergang. Für ihre Opfer ist das freilich kein Trost. Alle Menschheitsbeglücker beschreiben deren Schicksal mit »Wo gehobelt wird, fallen Späne.« Aber der Tod ist auch ihr Hobel.

  57. Die Fähigkeit, Dinge geräuschlos zu erledigen, ist Basis jeder einigermaßen dauerhaften Beziehung zu einer Frau.

  58. Das Universum schützt bisweilen Menschen vor sich selbst, indem es ihnen Weisheit verleiht. Vor Zerstörung, Gewalt und Tod bewahrt es niemand, nicht einmal vor Impulsen, sie selbst herbeizuführen.

  59. Die Leistungen beinahe jeder Kultur versetzen in Erstaunen und verdienen, bewundert zu werden. Vorausgesetzt, Kenntnisse der historischen und sozialen Bedingungen ihrer Entstehung und Rezeption ergänzen bloße Neu- oder Sensationsgier. Letzter Beweis ihrer Qualität ist ihr Überleben unabhängig von politischer Herrschaft, Märkten und Medien.

  60. Was immer Mächtige tun oder denken: die Ohnmächtigen werden nicht ruhen, es ihnen gleichtun zu können. Früher oder später, mittels zäher Arbeit oder Gewalt. Ersteres verteilt Reichtum und Wissen, letzteres Dummheit und Tod.

  61. Wer’s verdient – zu dem kommt das Glück. Wer’s nicht verdient hat, zu dem kommt nur, was er dafür hält

  62. Jedem Menschen ist der andere eine Zumutung. Falls er darüber nachzudenken bereit ist, inwiefern er sich selbst und anderen eine Zumutung ist, vermag er sich das Leben zu erleichtern, ohne Konflikten aus dem Weg zu gehen.

  63. »Vom Ich zum Wir!« ist bevorzugter Schlachtruf mitleidloser Parasiten. Sie finden jederzeit Anhänger, die sich kollektive Teilhabe am Gewinn erhoffen, ohne für ihr Handeln verantwortlich zu sein. Sie gehören ja zu den Guten: im Dienste sozialer Gerechtigkeit, einer ultimativen Moral, bei der die Verlierer jedenfalls die Bösen sind.

 

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