Ulrich Schödlbauer

In einem Land, in dem gut und gerne

die Hälfte der Bevölkerung einen anderen Staat will, die andere
Hälfte nicht weiß, was sie will und daher
eine Regierung wählt, von deren Unfähigkeit sie überzeugt ist,
deren baldiges Abscheiden sie freudig begrüßen würde –

drei Viertel aller Gesetze von Menschen ersonnen, verordnet, auf
den Weg gebracht werden, die weder Bürger des Landes
noch den Bürgern des Landes bekannt sind,
ausgebrütet an verschwiegenen Orten abseits der großen Tribünen,
beschlossen von fügsamen Parlamentariern,
kaum vertraut mit den Inhalten, geschweige denn
mit Folgen und Folgenfolgen –

vierzig Prozent der verfügbaren Einkommen an den Staat fließen,
verteilt von Parteien, die eine Erhöhung der Staatsquote
für dringend erforderlich halten,
um eine Zukunft abzuwenden,
deren Bild von Scharlatanen entworfen,
von Kindern auf die Straße getragen,
von den Verwaltern leerer Kirchen, leerer Gehirne, leerer Kassen
den Glaubenswilligen, aber Glaubensschwachen,
eines Heilszeichen Bedürftigen auf die Stirn gepresst wird –

ein nicht weiter ruchbarer, nur im Überschlag zu beziffernder Großteil
aller Gebäude, Fahrzeuge, Straßen, Brücken, Kanäle,
Strom-, Gas-, Wasser- und Abwasserleitungen,
Theater, Kinos, Museen und öffentlichen Toiletten,
Müllkippen, schulischen Einrichtungen, Pflegeeinrichtungen,
Universitäten, Frauenhäuser und Altenheime
nicht den gültigen Verordnungen entspricht
oder gravierende Funktionsmängel aufweist
oder aus anderweitigen, im Einzelfall zu dokumentierenden Gründen
einen Sanierungsbedarf aufweist –

die Armut im Geiste sich rascher ausbreitet als die Armut von Leuten,
die im Produktionsprozess keinen angemessenen Platz finden
oder aus Rücksicht auf Gesundheit, Religion, Sitte
es vorziehen, ihm den Rücken zu kehren,
zügig befördert von Leuten, die ihren angemessenen Platz
oberhalb der Produktionsprozesse angestrebt und gefunden,
weil die Produktion ihrer nicht bedurfte und sie als
zu umtriebig galten, um mit Hartz IV ruhiggestellt zu werden,
Karrieristen also, Opfern der Kleinfamilie, belastet
mit dem Makel der falschen Herkunft oder der späten Geburt
oder der falsch verstandenen Treue zum falschen System –

es als ausgemacht gilt (wie gerne, weiß niemand genau, weil,
aus durchschaubaren Gründen, es an Statistiken fehlt)
dass keinen Statistiken mehr vertraut wird,
da sie, durchschaut als Handreichungen zur Sedierung
des Volksempfindens schon vor dem Erscheinen,
mit derselben Grandezza von den Adressaten entsorgt
wie von den Besorgern des gemeinen Wesens bestellt
wie von den Schwätzern der Republik verabreicht werden
all denen, die guten Glaubens sind und eine Hostie
nicht von einem Laib Brot unterscheiden können,
über die Theke geschoben, auf dass sie sich
eine Scheibe abschneiden, während
das Messer in ihrer Hand fremde Gedanken eingibt, während
die Polizei Straßen und Plätze abriegelt, während
die Politik mit fliegenden Händen Verordnungen bastelt,
weil, wie man hört, die Zahl der Gefährder steigt –

die gefühlte Hälfte der Wissenschaftler korrupt ist,
eingespannt in Programme, die sie verachtet,
sich Rechenschaft ablegend nur im Verborgenen,
überzeugt davon, dass alles nur eine Frage der Zeit sei
und des kommenden Zusammenbruchs aller Programme,
der eingespeisten und der noch einzuspeisenden,
der Systeme und der Wiederkehr des Geleugneten,
am Nasenring durch die Manege gezogen,
ein Gespött den Lebenden und ein Schrecken den Kommenden,
einverstanden wie es nie Einverstandene gab,
mit sicherem Gefühl für das Rechte den Spaten tretend,
ergeben in die Praktiken ihrer Geldbeschaffer,
Leihwissende auf einem Berg voller Zweifel –

die Kunst, belehrt durch die öffentliche Kürzung von Köpfen,
die, wie man hörte, sich zu weit vorgewagt haben und damit
auffällig geworden sind, ganz ohne Zwang willfährig wurde,
angespornt durch die Kraft
des besseren Arguments in den Händen
der Geldgeber und Raumzuteiler,
der Eingabenschreiber und Sprachregulierer,
der Hilflosen und ihrer Anstifter,
der Fassadenschmierer und Netzterroristen,
der vermummten und unvermummten Gewalt
über die freiesten aller Gedanken und ihre Gestaltung –

die Literatur vor den Augen der Menschen versank,
nachdem sie nichts weiter zu sagen verstand
von den Nöten der Menschen und ihren verlorenen Wünschen,
von ihrer Vergangenheit und ihrer Zukunft,
vom Glück und Unglück geboren zu sein
in einem All ohne Ausgang
auf dem Weg in die große Zerstörung,
Platz greifend in den Köpfen weit vor ihrer Zeit,
von der Angst vor dem Dasein, dem Fortsein, dem Nichtsein,
von der Angst vor allem, was alle befremdet,
von der Angst, die durch die Ärmel kriecht, weil sie
das Tageslicht scheut und die falschen Beschwichtigungen,
die falschen Belehrungen und die falschen Bärte,
die falschen Rechtgläubigen und die falschen Empörer,
die Verdreher der Worte und die Vernichter der Existenzen,
vor allem, was noch gesagt werden müsste, bevor
einer abtritt auf immer –

die Zahl der Analphabeten steigt und steigt, die niemals ein Buch
– Sagten Sie Buch, sagten Sie wirklich Buch? –
aber die Hand an der Gurgel des Nächsten
der Meinung wegen, irgendeiner, nicht meiner, nicht deiner,
aufgeschossen aus dem Bauch der inexistenten Gesellschaft,
diese Gier, fertig zu machen…:
irgendwen, irgendwas –
Fratze
Konstruktion des Bösen
angstklamm
notfalsch
umzingelt von roten Linien
besoffen von irgendeiner Aussicht
das Ganze zu wenden
das Ganze

in einem solchen Land
in einem solchen Land
in einem solchen Land

 

wehret den Anfängen jetzt
da ihr sie hinter euch habt
und niemanden vor euch
außer euch selbst

 

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