Ralf Willms: Phobos. Notate

 

Sie werden ihn im Zweifelsfall
wieder steinigen, egal mit welchen Mitteln, ein Kind wird das alles wegwischen
indem es sich auf die unschuldigste Weise Pommes wünscht
sie wird Liebe schwören u. ihn wegen der Stelle in Madrid
verlassen; es wird einer studieren, zu einer
„neuen“ Ethik kommen, während der Amtsbruder sie und ihn
mit seinen proletarischen Maßstäben, staatlich gedeckt, denunziert. Es
geht gar nicht anders …: sie werden ihr Leben
auf deinem Tod errichten, ohne es zu wissen
ohne es wissen zu wollen
ohne ein Zeichen zu senden; für wen auch – 

 

Phobos, oft mit Schaudern übersetzt, gelegentlich auch mit Furcht, entspricht jenem inneren Zittern, das Menschen befällt, die sich plötzlich einem Stück Welt gegenüber befinden statt, wie üblich, in Welt eingebunden zu sein durch Kontexte, die für sie die Wahrnehmungssteuerung übernehmen und ihr Handeln in geeigneten Bahnen verlaufen lassen. Das muss nichts landläufig Schreckliches sein. Die kleinste Wahrnehmung kann zum Auslöser werden, eine Email, eine Szene im Café oder der Anblick einer Ente im Park. Das seismographische Schreiben, das dieses Zittern aufzeichnet, folgt einer langen Tradition. Es kann also nicht so tun, als sei jede seiner Gebärden frisch und jede Vokabel neu. Die Kunst besteht darin, den Einsatz zu finden, Schnitte zu setzen und rechtzeitig auszusteigen, bevor das Bedürfnis, Zusammenhänge herzustellen, die Führung übernimmt. Am Ende ist das die einzige Opposition, die Willms gelten lässt: der vernutzten Welt stellt er nun nicht eine Welt ohne Nutzen gegenüber – wo wäre die zu finden? –, doch mit einer gewissen Entschlossenheit den Anflug der Unvernutztheit: unerwartet, unvermittelt, folgenlos, wenigstens in der Zeitfolge, dabei selbst eine Folge bildend, die vermutlich allem, was wahrnehmend lebt, den letzten Grund zur Empfindung gibt, da zu sein.
Ulrich Schödlbauer: Nachbemerkung

 

 

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