Personen und Handlung sind frei erfunden.
Boat people nannte man Bürger der ehemaligen Republik Vietnam und Kambodschas, die nach dem Sieg des kommunistischen Nordvietnam am dreißigsten April 1975 in hochseeuntauglichen Booten aufs Meer flohen, um in eines der Länder Südostasiens (und weiter in die USA) zu gelangen.
Die ›Organisation‹ hat es nie gegeben. – U.S.
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Jeder weiß, dass der siebzehnte Breitengrad für eine dramatische Reihe von Jahren die Grenze zwischen der Demokratischen Republik Vietnam (Việt Nam Dân Chủ Cộng Hòa, kurz DRV oder Nordvietnam) und der Republik Vietnam (Việt Nam Cộng Hòa oder Südvietnam) markierte. Kaum bekannt sein dürfte die Tatsache, dass Fac ten Chek nur wenige Kilometer nördlich der Demarkationslinie geboren wurde und dort, wie andere Kinder seines Alters, die Schule besuchte. Biographiefreunde könnten darin einen Mangel erblicken und Abhilfe verlangen – zu Unrecht: bis zur Übernahme eines bestimmten Postens ist Fac ten Cheks Leben und Wirken völlig bedeutungslos. Zweifellos liegt darin eine gewisse Herausforderung.
Fac ten Chek, Sohn eines Kleinfunktionärs, galt als hochbegabt.
Wer die Archive bemüht und genügend Parteichinesisch beherrscht, dem werden seine Studienjahre an der Parteihochschule auch ohne persönliche Zeugnisse schnell zu einem offenen Buch, in dem sich bequem vor- und zurückblättern lässt. Abgesehen vom Furor der Bombennächte, den Säuberungen, der Versorgungsmisere und einem notorischen Mangel an Wohnraum verlief das Leben in Hanoi monoton. Fac ten Chek muss über beide Ohren im Examen gesteckt haben, als ihn die Einberufung ereilte. Das war im Frühjahr ’75, als die Panzerarmee des Genossen Dung dem verhassten Regime des Südens den längst erwarteten Todesstoß versetzte.
Wir treffen hier erstmals auf das Paradox, dass für den Beteiligten gerade das Überraschende weitgehend überraschungsfrei ist, es sei denn, er lässt sich von Äußerlichkeiten blenden oder erliegt der alltäglichen Propaganda.
Inzwischen gilt der Sozialismus als eine Epoche der Wunder: animistische, selbst totemistische Praktiken waren an der Tagesordnung. Dank ihrer ging das Leben zwischen Machtkämpfen seinen Gang, die jeden jederzeit zermalmen konnten, gleichgültig, welche Verdienste er sich erworben hatte und welchen Rang er gerade bekleidete. Zu den verbreiteten Praktiken zählte der Reliquienkult. Zum Beispiel kursierten in den höheren Parteizirkeln kleine, handsignierte Mao-Bibeln in solcher Zahl, dass die Lebenszeit des Großes Steuermanns mehrfach in den dafür benötigten Signierstunden Platz gefunden hätte.
Eines dieser Exemplare steckte in Fac ten Cheks Tornister, als er gegen den südlichen Aggressor ins Feld zog. Er durfte es nicht sein eigen nennen, denn Eigentum bedeutete Parteiausschluss und in härteren Fällen die Todesstrafe.