Aorta: Frontbild

Wer Gedichte liest kennt ja auch Majakowski, wenn nicht, dann

sollte man wenigstens seine Verszeile beachten:

                           Dichtung ist wie Uran gewinnen: Arbeit ein Jahr,

                                       Ausbeute ein Gramm.

 

Selbst wenn ich täglich drei Gedichte schreibe, weil es einfach so

aus mir herausquillt, dann bin ich den Augen fast aller

Zeitgenossen nur ein Spinner, Quacksalber, Angeber,

                                       aber kein Dichter.

 

Mein Gott, der hält sich wohl für’n Goethe, Schiller oder Heine?

              »Moment mal!« provoziere ich süffisant:

                             »Jedem das Seine!« – und schon geht es los: das Geschrei

                                            als müsste ich ein Nazi sein.

 

Wenn Idioten wenigstens wüssten, was die Nazis wirklich waren,

               nämlich Linke, die sie selber gerne sind,

                              dann käme es auch nicht mehr darauf an, ob sich

                                           meine Verse reimen würden.

 

Lackaffen können rot, braun oder grün sein, das wusste schon

               Kurt Schumacher oder auch der Dichter

                            Ringelputz oder wie der Matz auch hieß,

                                          aber dieses immer belehren Wollende, nee!

 

Was sich dem Zeitgeist nicht gut andient, was sich der »Elite« nicht

               unterwirft, der kann doch nichts taugen, der

                           kann doch hervorbringen, was er will, es bleibt Müll

                                          oder landet aufm Tisch des Staatsanwaltes.

 

  Tja, lenke ich schnell auf Vincent van Gogh über, weil den ja heute

                jeder zu kennen glaubt, aber als er noch lebte, wollte

                            ihm keiner ein Bild abkaufen, dafür muss man heute

                                          mindestens ein Millionär sein.

 

So ist das mit der Kunst, die nie vergehen will mit ihrem Tratsch und

Klatsch – Ping-pong! Und was bekomme ich zu hören? Sie! Sie sind ein

Scharlatan, ein Aufschneider! Und hinterm Rücken heißt

                                          es gar: »Ein Fall für den Psychiater!«

 

Aus dieser hoffnungsvollen Lage heraus zwingt mich die Notwendigkeit,

mich ein- oder zweimal jährlich an Poeten-Wettbewerben

                             zu beteiligen. Auch da wird die Freiheit oft eingeschränkt:

                                          an Vorgaben und Altersbeschränkungen.

          

Wenn man Glück hat, mal das eine oder andere Gedicht von sich

in einer Anthologie gedruckt zu sehen, dann steht

                            der ideelle Nutzen in keinem Verhältnis zur Lebenszeit

                                         die man dem Gedicht gewidmet hat.

 

In keinem Beruf dieser arbeitsgeteilten Gesellschaft muss man wohl so

viele nebenberufliche Jobs ausführen, um seinen Lebensunterhalt

                           mit Prosagedichten bestreiten zu können.

                                          Oh, Walt Witmann, sei gegrüßt!

 

Aber! und jetzt kommt das Eigentliche: der Begabte, der seine Gabe dankbar

entgegennimmt und sich äußert, ist glücklich.

                           Er empfängt etwas Göttliches und reicht es weiter:

                                        ein Gedicht, ein Lied, eine Sinfonie.

 

So sitze ich morgens gern auf dem Klo und presse mir mit verkniffenem

Großmaul in Dur oder Moll süßliche Gerüche ab,

die sich als lange Balladen oder philosophische

Traktate ausdrücken (wollen).

 

Und am Abend? Da glotzen wir zurück in die Tagesschau. Und ich

frage mich, ob meine lose Dichtung zu etwas nütze ist.

Ob nutzlose Anstrengung dem Leben einen Sinn verleiht,

gar die Explosion des planetaren Bankensystems?

 

 

(210517)

 

 

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