Ulrich Schödlbauer

Die dritte Geschichte begibt sich, als die Fledermaus-Phobie gerade ihren Siedepunkt erreicht hat und tausende Frettchen frenetisch den Abgang des Nach-Nachfolgers von Reißwolf fordern. (Frettchen fressen ihre Anführer nach einiger Zeit auf.) In dieser aufgeputschten Atmosphäre, in der die CO2-Frage höchste Priorität erlangt, da der Ausstoß der erregten Frettchen-Massen jedes tolerierbare Maß überschreitet, treffen sich Josefine und Wladimir Prochowow III. am Rande einer vom Nach-Nachfolger des Reißwolfs boykottierten Klimakonferenz, um gemeinsam über das Schicksal des größeren gemeinsamen Hauses und ihrer beider Zukunft zu streiten.

Josefine liebt das gemeinsame Streiten. Meist bietet es Gelegenheit, sich von der fordernden Öffentlichkeit zurückzuziehen und im Dunkeln zu munkeln, was das Zeug hält. Dabei sind zwar professionelle Übersetzer anwesend, aber deren Fähigkeit, wie Pharaonengräber zu schweigen, ist über jeden Verdacht erhaben. Zwischen Josefine und Wladimir Prochowow III. bedarf es keines Übersetzers, bestenfalls einer Barcarole. Sie haben die Noten im Kopf und tauschen sie aus, ganz wie und wonach ihnen gerade der Sinn steht. Vor ihrem Rückzug hinter die aufgespannte Wand aus Fledermausträumen und Mäuseillusionen, auf offener Bühne also, kommt es zu einer berückenden Szene. In den Annalen der Mäusegeschichte markiert sie den Höhe‑ und Endpunkt einer langen Geschichte heftiger bilateraler Verwerfungen und geheimer Verbindungen.

Wir sehen Wladimir Prochowow III. im eleganten Fledermaushabit (das auch langgewachsene männliche Mausexemplare, tall boys oder tolle Jungs genannt, bisweilen anlegen, um bei den Mäusinnen, an denen die Arbeit hängenbleibt, Eindruck zu schinden) die Bretter betreten, welche die Welt bedeuten. Wir sehen Wladimir Prochowow III. mit einem Blumenstrauß in der Rechten (und wundern uns, wie eine Fledermaus dazu kommt, so ein Bündel widerstreitend harmonierender Düfte ›in die Hand‹ zu nehmen), wir hören seine Gelenke knacken (leise, sehr leise, eigentlich spüren wir es mehr, als dass wir es hörten), wir sehen ihn elastisch Josefine entgegengleiten und ihr mit großer Geste den Strauß überreichen. Wir sehen auch Josefine, die seinen Slapstick-Auftritt mit gewohnt ausdruckslosem Gesicht zur Kenntnis nimmt, angetan mit einem bunt bestickten Mausjäckchen, das knapp das Nötigste umhüllt und das Wichtigste freilässt, wir sehen sie den Strauß in Empfang nehmen (ja, sie nimmt ihn in Empfang, so wie sie Spitzi in Empfang nimmt, wenn er vom Anisschnaps gesüffelt hat und Gefühl zeigt) und wir gewahren (denn es ist wahr und aufzuheben für alle Zeit), dass unversehens ihr freies Patschhändchen nach vorn schnellt und Wladimir (dem tollen Wladimir) über die zum Präsentieren abgeknickten Flügelspitzen streicht, hin und her, her und –

Es stimmt, dass Fledermäuse, vor allem gut gebaute, Hausmäuse leicht in Trance zu versetzen wissen. Aber das hier… Dabei ist Josefine, wir deuteten es bereits an, keine gemeine Hausmaus, sondern etwas Besseres, zumindest Eigeneres. Also sehen wir mit dem inneren Auge, dem der geringste Fingerzeig genügt, selbst wenn kein Beweis beigebracht werden kann, wie aus Wladimirs schwarzem Fledermausärmel ein Papierchen hervorschwimmt und rasch unter ihrer ruhig weiterstreichelnden Hand verschwindet, als sei es so abgesprochen gewesen, wofür aber jeder Verdacht fehlt.

Während Reißwolfs Nach-Nachfolger öffentlich von seinen Untertanen gejagt wird, weil hinterlistige Kreise ihm irrer‑ und irrigerweise Geheimkontakte zu Wladimir Prochowow III. unterstellen, glättet Josefine, zur Ruhe gekommen, im Kämmerchen gleich neben dem Brotkasten den Zettel und entziffert mit einiger Mühe die hingekritzelten Worte: »Moritzkeller 2.0, Samstag um Mitternacht«.

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