Nach dem Regierungswechsel
Der Regierungswechsel in Bonn von der SPD/FDP-Koaltion zur CDU/CSU-FDP-Koalition brachte vor allem für die Deutschlandpolitik der Unionsparteien enorme Veränderungen ihrer Positionen. Von Insidern war dies erwartet worden. Die gesamte Medienlandschaft und auch die breite Öffentlichkeit versetzte jedoch das Zurückdrängen der deutschlandpolitischen Hardliner in der CDU/CSU in Erstaunen. Immer mehr setzten sich die Kräfte durch, die die Feststellung von Franz-Josef Strauß des »pacta sunt servanda« voll akzeptierten, wenngleich Franz-Josef Strauß es in der Übergangsphase schwer fiel, einer deutschlandpolitischen Linie zu folgen, wie Richard von Weizsäcker als Regierender Bürgermeister von Berlin oder der neue Minister im Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen, Dr. Rainer Barzel, sie vorzeichneten. Deutliches Zeichen war z.B., daß der Bundeskanzler Kohl, der lange zur Deutschlandpolitik geschwiegen hatte, Mitte Juni 1983 den auf deutliche Distanz zur Opposition und zu Weizsäcker und Barzel angelegten Satz formulierte: »Es gibt Felder der Politik, wo ich keine Kontinuität von mir aus sehe oder anstrebe.«
Klar war, daß in dieser Phase die Deutschlandpolitik in der Regierungsfraktion der CDU/CSU zu heftigen Auseinandersetzungen führte, während zur gleichen Zeit innerhalb der SPD deutschlandpolitisch wenig diskutiert wurde. Der Grundlagenvertrag wurde von der SPD stets als Basis für die weitere Entwicklung der deutsch-deutschen Beziehungen angesehen. Der von der sozialliberalen Bundesregierung eingeschlagene Weg einer Vertragspolitik mit den Staaten Osteuropas und der DDR bot für die Sozialdemokraten auch nach dem Verlust der Regierung im Jahre 1982 vielfältige Formen der Zusammenarbeit zwischen den beiden deutschen Staaten an. Als kontinuierliche Fortsetzung ihrer bisherigen Deutschlandpolitik, was nichts anderes als die glaubwürdige Fortführung ihrer Entspannungspolitik bedeutete, sahen die Sozialdemokraten in folgenden Punkten die Perspektiven für jede Deutschlandpolitik: Fortsetzung des Prozesses der Entwicklung menschlicher Erleichterungen durch vielfältige Begegnungen; humanitäre Hilfe in Einzelfällen; Gesprächskontakte mit führenden DDR-Persönlichkeiten und Kontakte zwischen dem Deutschen Bundestag und der DDR-Volkskammer; Fortsetzung der Bemühungen um den Ausbau der Zusammenarbeit zwischen Bundesrepublik und DDR und um den Abschluß der in Artikel 7 des Grundlagenvertrages genannten Abkommen; Überprüfung bislang bestehender Positionen zu deutschlandpolitischen Fragen daraufhin, ob mehr Spielraum für Bewegung und Fortschritt zu erreichen seien; die Diskussion der Frage der deutschen Staatsbürgerschaft, orientiert am Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom 31. Juli 1973; Unterstreichung und Bekräftigung von Gemeinsamkeiten; Fortführung und Ausbau der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Förderung der ökonomischen Entwicklung.
Als Oppositionspartei wollte sich die SPD im Interesse der Menschen beider deutscher Staaten der Aufgabe stellen, Kontinuität in der Deutschlandpolitik sicherzustellen, Erreichtes zu bewahren und die Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen beiden deutschen Staaten auszuloten und durch Vorschläge weiterentwickeln.
Die Sicherung der Kontinuität der Deutschlandpolitik gelang im Wesentlichen. Der Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen war dafür wiederum das geeignete Gremium. Es wurde bald zur bewährten Praxis, daß alle deutschlandpolitischen Initiativen der einzelnen Fraktion im Ausschuß zunächst daraufhin geprüft wurden, ob man nicht zu Formulierungen gelangen könnte, die von einer breiten Mehrheit getragen würden. Ähnlich ging man vor, wenn das Plenum dem Ausschuß unterschiedliche Entschließungsentwürfe der Fraktionen zur Beratung überwies. Die Presse, auf die Darstellung von Gegensätzen zwischen den Fraktionen konzentriert, übersah manchmal diese Tendenz zur Gemeinsamkeit, so daß sie z.B. die am 9. Februar 1984 einstimmig vom Bundestag verabschiedete Grundsatzentscheidung zur Deutschlandpolitik erst als berichtenswert ansah, als diese Entschließung einige Tage später Gegenstand heftiger Polemiken in der SED-Zeitung »Neues Deutschland« war.