Zeit des Wandels

Heute kann es keinerlei Zweifel mehr darüber geben, daß die Sozialdemokratie diejenige Partei war, die in der Nachkriegszeit am entschiedensten und nachhaltigsten für die deutsche Einheit stritt. Ihre Deutschlandpolitik mit der klaren Zielsetzung einer möglichst raschen Wiederherstellung der Einheit und das weite Feld der Sozialpolitik bildeten die beiden großen politischen Themen, bei denen die Sozialdemokraten Profil zeigten. In nahezu allen Verträgen und Abkommen mit anderen Staaten sowie der gesamten Bündnispolitik der damaligen Bundesregierung prüfte die SPD zuerst, ob diese der Wiedervereinigung dienten oder ihr hinderlich waren. Das »Nein« der Sozialdemokraten stand so gut wie fest, wenn sie in den Verträgen einen triftigen Hindernisgrund auf dem Weg zur baldigen Erlangung der deutschen Einheit ausmachte.

Die Pariser Verträge z.B. lehnte die SPD am 27. Februar 1955 im Deutschen Bundestag mit der Begründung ab, »die Wiedervereinigung sei nur zu erlangen, wenn das wiedervereinigte Deutschland weder ›sowjetischer Satellit‹ noch ›amerikanischer Truppenübungsplatz‹ wird.«

Auch bei der Kabinettsumbildung im Herbst 1956 stellte die SPD mit großer Sorge fest, daß keinerlei Anzeichen für dringend notwendige Bemühungen um neue, realistische Verhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands in gesicherter Freiheit zu erkennen waren.

In der SPD gab es sogar prominente Stimmen, daß es wichtiger sei, für die Wiedervereinigung zielweisende Gedanken zu entwickeln, als die Resonanz dieser Politik in der Wählerschaft zu berücksichtigen. Carlo Schmid erklärte nach der Bundestagswahl 1957, eine Partei müsse, »was sie für richtig hält, auch dann vertreten, wenn sie weiß, daß ihr das von dem Wähler nicht abgenommen wird, wenn andere Vorstellungen oder Parolen oder Stimmungen eher die Gunst der Wählers gewinnen können«. (Carlo Schmid in: Vorwärts, Bonn 27.9.1957, S.4)

Im Mai 1958 stellte die SPD zum erstenmal den Zusammenhang zwischen massiver Abrüstung und der Wiederherstellung der Einheit Deutschlands her: Die Sozialdemokraten, in der Nachkriegszeit stark geprägt von Kurt Schumacher, hatten sich der Bundesrepublik gegenüber zwar loyal gezeigt, dennoch diesen Staat lediglich als Fragment Gesamtdeutschlands anerkannt – und so wiesen ihre politischen Vorstellungen denn auch konsequenterweise in vielen Fällen über die Bundesrepublik Deutschland hinaus und klar auf ein wiedervereinigtes Deutschland hin.

Die Sozialdemokraten befürchteten in den fünfziger Jahren am meisten eine Auseinanderentwicklung der beiden deutschen Staaten. Die Wiedervereinigung war ihrer Ansicht nach umso gefährdeter, je mehr sich beide Teilstaaten zu unabhängigen Gebilden mit ihren je spezifischen politischen Strukturen entwickelten. Der Einbindung in die beiden großen Blocksysteme wollte man daher zeitweise mit einem System kollektiver Sicherheit – vgl. den Ollenhauer-Plan vom 23. Mai 1957 (vgl. den Ollenhauer-Plan in: Tudyka 1965, S.127ff.) –, ab 1957 mit dem Gedanken eines militärischen Disengagements zwschen Ost und West – vgl. den Deutschlandplan der SPD vom 18. März 1959 (abgedruckt in: SODAPE-Rednerdienst o.J.) – entgegentreten. An diesen Plänen wurde bereits deutlich, daß die SPD hinsichtlich einer unmittelbar zu erlangenden Wiedervereinigung zu einer nüchterneren Einstellung als in den Jahren zuvor gefunden hatte. Erstes Ziel wurde es nun, zunächst die Voraussetzungen dafür zu schaffen, die dann die Lösung der deutschen Frage ermöglichen helfen sollten.

Der Deutschlandplan als letzte große Konzeption der Sozialdemokraten, als Alternative zur Adenauerschen Deutschlandpolitik, wurde schon bald von der eigenen Partei auf Eis gelegt, nachdem er heftige Reaktionen – nicht nur im Inland – ausgelöst hatte. Endgültig zu den Akten gelegt wurde dieser Plan von Herbert Wehner in seiner berühmt gewordenen Rede im Deutschen Bundestag vom 30. Juni 1960 (Plädoyer für eine gemeinsame Politik, in: Jahn 1981, S.232ff.): »Dieser Deutschlandplan«, so führte Wehner aus, »(...) hat sich während der Genfer Konferenz ungeachtet mancher Berührungspunkte, die sich hinsichtlich der Methode und hinsichtlich des Geistes boten, in dem man an die schwierig gewordene Problematik der Wiedervereinigung herangehen muß (...), nicht durchsetzen lassen. Damit ist er genau wie die Vorschläge, die wir zu anderen Außenministerkonferenzen gemacht haben, ein Vorschlag, der der Vergangenheit angehört«. (Jahn 1981, S.243f.)

Nach den Bundestagswahlen von 1953 und 1957, die für die SPD enttäuschend geendet und sie weiterhin auf die Oppositionsrolle fixiert hatten, setzte, zwar zögerlich aber dennoch bestimmt, ein Prozeß in der Sozialdemokratischen Partei ein, der sie über das Godesberger Programm bis hin zu Herbert Wehners »Plädoyer für eine gemeinsame Politik« auf den Weg zur Identifikation mit der westdeutschen Gesellschaft brachte. Zur Revision sozialdemokratischer Grundgedanken führten sowohl innen- wie außenpolitische Faktoren, die einen Lernprozeß auf den Weg brachten, der letztlich dazu führte, daß sich die Sozialdemokratie vollständig auf eine westdeutsche Gesellschaft einstellte.

Zu den innenpolitischen Faktoren gehört insbesondere der Wandel der SPD zu einer Volkspartei, wie er auf dem Außerordentlichen Parteitag in Bad Godesberg vom 13. bis zum 15. November 1959 radikal vollzogen wurde. Die Partei hatte erfahren müssen, daß es deutliche Unterschiede zwischen ihren deutschland- und außenpolitischen Ideen und denen der westdeutschen Bevölkerungsmehrheit gab. In der Wirtschaftspolitik vertrauten die Wähler ihr nicht so recht und in der Wiedervereinigungspolitik, in der sie sich am stärksten von den Regierungsparteien unterschied, konnte sie beim Wähler noch kein erkennbares Profil gewinnen. Tatsächlich zeigten Umfragen bereits 1956, daß Aspekte und Probleme der Wirtschaftspolitik in den Augen des Bürgers selbst vor allgemein bedeutenden Problemen wie der Wiedervereinigung rangierten.

Unleugbar war ebenfalls, daß die Bundesrepublik Deutschland bereits einen hohen Grad der Integration in den Westen erreicht hatte, der selbstverständlich, wegen der geschlossenen internationalen Vereinbarungen, den außenpolitischen Handlungsspielraum einengen mußte. Zu lange waren die Sozialdemokraten, wie zuletzt das Scheitern des Deutschlandplans aufzeigte, dieser Einengung nicht mit dem angebrachten Realismus begegnet. Als Katalysator für den deutschland- und außenpolitischen Kurswechsel der SPD, der gewissermaßen in einem »Abbau ihres deutschlandpolitischen Realismusdefizits« bestand, gilt die Moskaureise Fritz Erlers und Carlo Schmids im März 1959. Die seit 1949 entstandenen »unverrückbare(n) Realitäten« schlossen, so Schmid in seinen Erinnerungen die Ergebnisse der in Moskau geführten Gespräche resümierend, die Wahrscheinlichkeit aus, »in absehbarer Zeit auf internationalen oder nationalen Wegen zur Wiedervereinigung Deutschlands zu gelangen.«


Gemeinsamkeit als Handlungsmaxime

Herbert Wehner setzte am 30. Juni 1960 den Schlußpunkt unter die bisherige Deutschlandpolitik der Sozialdemokraten. Ausgehend davon, daß das Scheitern der Genfer und Pariser Gipfelkonferenzen gezeigt hatte, daß die Lösung der deutschen Frage in absehbarer Zeit nicht zu erreichen sei, daß wohl »eher Generationen nötig« seien (Jahn 1981, S.238), um die Wiedervereinigung zu verwirklichen, forderte Wehner, »unter dem Eindruck der Ereignisse den Vorsatz zu fassen, imstande (zu) sein, unser innenpolitisches Verhältnis in die Ordnung zu bringen, die uns (gemeint sind die im Bundestag vertretenen Parteien, Anm. des Verf.) befähigen könnte, den gesamtdeutschen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gerecht zu werden«.

Das »höchstmögliche Maß von Gemeinsamkeit in der Bewältigung der sich ergebenden Probleme zu erreichen – also vor allem gewissenhafte Prüfung der außenpolitischen Lage und all der Gegebenheiten, die für Deutschland sein oder werden können«, schlug Wehner vor.

Als Aktivposten einer außenpolitischen Bestandsaufnahme nannte er bereits erzielte Gemeinsamkeiten in den politischen Ansichten der verschiedenen Parteien: »Erstens: Berlin muß beim Bund bleiben. Aus einer Zweiteilung Deutschlands darf keine Dreiteilung werden. Zweitens: Das deutsche Volk und die Bundesrepublik haben sich gegen jede Diktatur und für die westliche Gemeinschaft entschieden, das heißt für eine enge Zusammenarbeit mit den westlichen Nachbarn und der freien Welt. Drittens: Die verantwortungsbewußten Kräfte Deutschlands haben sich gegen jede Form des Kommunismus und gegen die sowjetische Deutschlandpolitik entschieden. Viertens: Es muß alles getan werden, um das Leben und das Los der 17 Millionen Landsleute im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands zu erleichtern. Wir dürfen den Willen zur Selbstbestimmung in unserem Volk nicht erlahmen lassen und müssen uns ständig um neue Ansätze zur Lösung der deutschen Frage bemühen«.

Das Bekenntnis zur westlichen Gemeinschaft und die Absage an jede Form der Diktatur präzisierte Wehner im weiteren Verlauf seiner Rede, indem er für die SPD klar zum Ausdruck brachte, dass die Sozialdemokraten davon ausgingen, »daß das europäische und das atlantische Vertragssystem (...) Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik« sei, und daß die SPD sich »zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundrechte und der Grundordnung« bekenne und die Landesverteidigung bejahe. Konsequenterweise erteilte Wehner allen Disengagement-Plänen eine Absage, der Deutschlandplan wurde von ihm als der Vergangenheit zugehörig aus dem politischen Streit herausgenommen und für nichtig erklärt. (Jahn 1981, S.243)


Rezeption der Entspannungspolitik

Auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Hannover vom 21. bis zum 25. November 1960 bestätigte der Kanzlerkandidat Willy Brandt den außen- und sicherheitspolitischen – und damit auch deutschlandpolitischen – Wandel der Partei. Die Politik der Gemeinsamkeit bewertete er als »nichts Ungewöhnliches«, sondern es sei »das Normale, daß die Parteien auf einer Reihe von Gebieten ähnliche, sogar inhaltsgleiche Forderungen vertreten. Die Frage der Prioritäten, der Rangordnung der zu lösenden Aufgaben, die Methoden und Akzente, das wird immer mehr zum Inhalt der politischen Meinungsbildung«. Unter einer »deutschen Politik neuen Stils« wollte Brandt vor allem den »Sinn für die gemeinsame Verantwortung« verstanden wissen. (Krause et al. 1984)

Insgesamt konnte sich Brandt und mit ihm die SPD in Übereinstimmung mit der amerikanischen Regierung unter ihrem neuen Präsidenten John F. Kennedy sehen. Diese ging davon aus, daß unter den Bedingungen des nuklearen Patts die Rüstung eine Friedensfunktion erhalten habe. Dabei seien die Grundprobleme, vor denen die Welt heute steht, militärisch auf keinen Fall mehr zu lösen.

Mit einer »Strategie des Friedens« leitete John F. Kennedy für die amerikanische Seite die Phase der Entspannungspolitik ein, die zunächst davon geprägt war, daß die Probleme des Ost-West-Konflikts nur in einem langfristigen Prozeß auf friedliche Weise gelöst werden konnten. Für das geteilte Deutschland mußte dies bedeuten, daß die Wiedervereinigung auf einen fernliegenden Termin verschoben war, abhängig von einer in einzelnen Schritten »zur Verringerung der Spannungen« bestimmten Entwicklung. (zitiert nach: Czempiel/Schweitzer, S.264)

Die Rezeption der amerikanischen »Strategie des Friedens« erfolgte bei der SPD vor den anderen bundesdeutschen Parteien. Sozialdemokratische Politiker betonten im Parlament daher immer wieder den aktiven Beitrag, den die Bundesrepublik zu einer Politik der Entspannung zu leisten hätte. So war es beispielsweise Willy Brandt, der im Plenum des Deutschen Bundestages betonte, daß die bisherige Wiedervereinigungspolitik gescheitert sei. Gegen den Willen der Sowjetunion, so fuhr Brandt fort, sei die Wiedervereinigung nicht zu erreichen. Daher müsse sich die Bundesrepublik der Aufgabe stellen, »mit der Großmacht im Osten in ein Verhältnis zu kommen, das uns im vollen Einvernehmen mit unseren Verbündeten der Lösung der deutschen Frage auf dem Boden des Selbstbestimmungsrechtes näher führt und damit die im beiderseitigen Interesse liegende Normalisierung der Beziehungen ermöglicht«. Und weiter: »Die Bundesrepublik ist bereit und muß bereit sein, entsprechende eigene Beiträge zu leisten, die sich aus ihrer eigenen und der Friedensliebe ihrer Bevölkerung ergeben«. Dieses zuletztgenannte Postulat wurde zum Ansatzpunkt der neuen sozialdemokratischen Osteuropa- und Deutschlandpolitik. Angesichts der amerikanischen Entspannungspolitik gab es für die Sozialdemokraten keine grundsätzlich andere Möglichkeit zur Überwindung des Status quo, der im August 1961 in Berlin auf unmenschliche Weise von Ulbricht und Chruschtschow in Beton gegossen wurde, während die Westmächte offensichtlich nichts dagegen unternahmen.


Der Jaksch-Bericht

Die Bundestagsfraktion der SPD ging schließlich dazu über, im Rahmen der Politik der Gemeinsamkeit mit der Bundesregierung, die Diskussion außen- und deutschlandpolitischer Probleme in zunehmendem Maße in die entsprechenden Bundestagsausschüsse zu verweisen. Als erstes und bekanntestes Beispiel für diese Methode des »In-die-Ausschüsse-Verweisens« steht unbestritten der Bericht eines Unterausschusses des Bundestagsausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, der nach dem Berichterstatter, dem SPD-Vertriebenenpolitiker Wenzel Jaksch, benannte Jaksch-Bericht. (Jaksch 1963, S.9-41)

Dieses Dokument über die »Internationale Lage, die Sicherung Berlins und die Wiedervereinigung Deutschlands« wurde in der Bundestagssitzung vom 14. Juni 1961 einstimmig angenommen. Es bildete damit die Grundlage für die Politik der außenpolitischen Gemeinsamkeit.

Jaksch rühmte in seinem Vorwort zu dem Bericht, daß mit dessen einstimmiger Annahme durch den Deutschen Bundestag »eine überparteiliche Ausgangsbasis für eine künftige deutsche Osteuropapolitik geschaffen worden« sei. Eine deutsche Verweigerungshaltung hinsichtlich verschiedenartiger Kontakte mit den Staaten Osteuropas (Hallstein-Doktrin) berge »Gefahren der Selbstisolierung in sich«; vielmehr müsse die Politik der Amerikaner, die »Osteuropa als die ›weiche Stelle‹ des Ostblocks« betrachteten, unterstützt werden. Die aus dem Jaksch-Bericht hervorgegangenen Forderungen an die Bundesregierung wurden in handelspolitischer Hinsicht von Außenminister Schröder (CDU) verwaltet. Die von ihm mit Polen (7. März 196), mit Rumänien (17. Oktober 1963), mit Ungarn (9. November 1963) und mit Bulgarien (6. März 1964) abgeschlossenen Handelsabkommen stellten allerdings den Versuch dar, die DDR innerhalb der osteuropäischen Staatenwelt zu isolieren. Die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag konnte das Zustandekommen des Jaksch-Berichtes zuallererst als Beweis für die Aufrichtigkeit ihrer Politik der Gemeinsamkeit anführen. Gleichzeitig wertete er die Oppositionspartei aber auch insofern auf, indem er über die bisherige Ostpolitik der Bundesregierung hinauswies.

Auch sonst paßte das Verhalten der SPD-Redner im Parlament in das neue Bild der Gemeinsamkeit, gleichzeitig mit dem Drängen auf Fortschritte in der Ost- und Deutschlandpolitik. Mit Kritik an der Regierungspolitik hielten sie sich im Bereich der Außenpolitik deutlich zurück. Die offene Diskussion, vor allem deutschlandpolitischer Fragen, wurde selbst auf den Parteitagen bis 1964, wie Dittberner aufgezeigt hat (Dittberner 1969, S.54), nicht mehr sonderlich praktiziert. Es war auf diesen Foren Willy Brandt überlassen, neue Wege in der Deutschlandpolitik in programmatischen Reden aufzuzeigen.


Anfänge sozialdemokratischer Deutschlandpolitik in Berlin

Tatsächlich ging der Wandel der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der Ost- und Deutschlandpolitik von Berlin aus. Die grundlegenden Ideen und Konzepte für diese neue Politik, die den programmatischen Titel: »Wandel durch Annäherung« im Jahre 1963 erhalten sollte, und deren Praxis durch eine »Politik der kleinen Schritte« geprägt werden sollte, wurden in einem engen Beraterkreis um Willy Brandt entwickelt. In diesem nach amerikanischem Vorbild gebildeten brain-trust wurden die Faktoren erkannt, die zu einem Umdenken in der Deutschlandpolitik führen mußten, die ein Nachdenken auslösten über die Frage, »ob noch die Voraussetzungen jener Wiedervereinigungspolítik stimmten, die stets als die alleingültigen bezeichnet worden waren«. (Brandt 1976, S.25)

In Berlin, der prägnanten Schnittstelle der Blocksysteme, geprägt durch seine Insellage und mit dem Etikett »Frontstadt« versehen, lebten Menschen, die unmittelbar erleben und erfahren mußten, welche Bedeutung der Kalte Kgieg mit seinen Krisenhöhepunkten für eine Stadt haben konnte. Der Mauerbau am 13. August 1961 und der qualvolle Tod des Ostberliner Bauarbeiters Peter Fechter, der am 17. August 1962 zwischen Mauer und Stacheldraht verblutete, ohne daß Hilfe vom Westteil der Stadt aus möglich gewesen wäre, waren Stationen und Situationen, die in der Westberliner Bevölkerung von Panik und Verzweiflung geprägte Emotionen hervorriefen. Zwei Dinge wurden dabei deutlich, die geradezu nach einer neuen Lagebeurteilung durch die Politiker riefen: Erstens waren die Vorgänge für die meisten Berliner Beweise für die Unwahrhaftigkeit der Illusionen über eine verschönte Lage der Stadt. Zweitens war durch die endgültige Abschottung Berlins – und in der Folge der DDR – klar sichtbar, wie es um den Treueschwur der westlichen Alliierten in der Realität bestellt war: Die Garantien der drei Westmächte existierten lediglich für die Westsektoren der Stadt und implizierten somit das Anerkenntnis eines Status quo, wie er von Kennedy in seiner Rede über die »Strategie des Friedens« betont worden war. Diese beiden Faktoren, die in der Bevölkerung rasch zu einem neuen Realitätsbewußtsein führten, mußten in eine neue Berlin-Konzeption eingehen, sollte nicht das Vertrauen der Berliner in ihre politische Führung verlorengehen.

Willy Brandt erkannte, daß er zum einen über die wirkliche Lage Berlins aufklären mußte, was er »nur noch mit einer schonungslosen Aufzählung eiskalter Realitäten und möglichst überzeugender Ehrlichkeit« (Prowe 1976, S.252) erreichen konnte. Zum anderen mußte er sich an die osteuropa- und deutschlandpolitischen Leitlinien der USA anpassen, wollte er die Existenzgrundlage der Stadt nicht riskieren.

Wenn schon die Westmächte den Status quo zementierten, indem sie als Schutzmächte nur für die Westsektoren auftraten, den Ostsektor der Stadt und die DDR allerdings dem sowjetischen Einflußbereich zuwiesen, dann mußten dort, wo dem Westen ohnehin die Möglichkeiten zur Einflußnahme fehlten, unhaltbare Rechtspositionen abgebaut werden. Die Anerkennung dieser politischen Realitäten wurde zur Vorbedingung für 0st-West-Verhandlungen, die auch von den Westmächten gedeckt werden konnten.

In der Adaption an westliche Positionen lag also die einzige Möglichkeit zur erfolgversprechenden Durchsetzung des zweiten Zieles, mit dem Osten in Gespräche über technische und menschliche Erleichterungen für die Bevölkerung und die geteilte Stadt zu kommen. In Berlin wurden so von Willy Brandt als erstem westdeutschen Politiker zentrale Positionen der amerikanischen Politik übernommen, während die CDU-geführte Koalition in Bonn auf zunehmende Distanz zu den Amerikanern ging. Gerade der Entspannungskurs Kennedys stieß bei den Unionsparteien, insbesondere bei Adenauer, auf schwerwiegende, die deutsch-amerikanischen Beziehungen belastende, Vorbehalte. Es waren, von Berlin ausgehend, erneut die Sozialdemokraten, die die amerikanische Entspannungspolitik vor allen anderen politischen Kräften rezipierten und sich so in Opposition zum Regierungslager als »Garanten einer pro-amerikanischen Außenpolitik« (Grabbe 1983, S.404) zu qualifizieren vermochten.

Die Übernahme der amerikanischen Politik der Entspannung durch die SPD bezeugte Brandt auf dem Parteitag der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Köln vom 26. bis zum 30. Mai 1962, indem er auf die deutliche Distanz hinwies, die die Regierung zu den USA geschaffen hatte: »Viele Mißverständnisse der letzten Monate sind das Ergebnis der Tatsache, daß bei uns vielfach die Konzeption unserer wirklichen Freunde jenseits des großen Wassers nicht verstanden worden ist. Sie bedeutet: stark sein und verhandeln. Hier gibt es keine Alternative mehr. Stärke ist kein Selbstzweck. Sie ist kein Mittel, den Gegner in die Knie zu zwingen. Sie ist die Basis, um den Ausgleich zu suchen, um zu überleben und im friedlichen Ringen die Position zu verbessern.«

Einen »raschen und einfachen Weg zur Wiederherstellung einer staatlichen Einheit« sah Brandt nicht, und eine »abschließende Lösung des Berlin-Problems« gebe »es erst im Zusammenhang mit einer Lösung der deutschen Frage«. Ich bin für einen modus vivendi, der den drei bekannten Garantien entspricht«; (diese waren von J.F. Kennedy am 25. Juli 1961 ausgesprochen worden: 1. Präsenz amerikanischer Truppen in Berlin; 2. Freier Zugang von der Bundesrepublik nach Berlin, und 3. Sicherung der Lebensfähigkeit der Stadt).

»Für die Einhaltung dieser ›essentials‹ sei das westliche Bündnis zum Risiko bereit und umfassendere Lösungen zu einem späteren Zeitpunkt nicht verbaut. Gerade wenn es sich um einen technischen modus vivendi handelt, müssten allerdings alle Einzelheiten genau beschrieben und festgelegt werden, denn der Teufel kann bekanntlich im Detail liegen«. (Krause et al. 1984, S.61ff.)

Tatsächlich hatte der Berliner Senat bereits im November 1961 durch das Rote Kreuz in Ostberlin vorfühlen lassen, ob nicht die Wiederaufnahme von Verkehrs- und Fernmeldeverbindungen zwischen den West- und Ostsektoren der Stadt möglich sei. Diese erste Initiative wurde von Ostberlin zwar abgelehnt. Sie zeichnete jedoch den Weg vor, auf dem vorläufig in Kontakt getreten werden konnte und sollte.


Der Weg in die Öffentlichkeit

Die Diskussionen über mögliche Ostkontakte blieben bis Ende 1962 auf Brandt und seinen aus den Sozialdemokraten Egon Bahr, Heinrich Albertz und Klaus Schütz bestehenden Beraterkreis beschränkt. Diese fast konspirative Züge annehmende Abgeschlossenheit der Erörterungen war auch notwendig geworden, weil gewissermaßen zwei Opponenten der von Brandt geführten Berlin-Politik mit im Spiel waren. Zum einen mußten im Hinblick auf Erleichterungen der Situation Berlins dem Osten Zugeständnisse abgetrotzt werden, zum anderen sollte aber auch im Rahmen der gemeinsamen Verantwortung aller im Bundestag vertretenen Parteien, vor allem der Bundesregierung, immer wieder versichert werden, daß es keine Zugeständnisse in der Frage der Anerkennung der DDR geben werde.

Nach dem tragischen Vorfall an der Mauer, der zum Tod von Peter Fechter geführt hatte, änderte sich der Stil der politischen Arbeit hin zu einem konsequenten Ausbruch an die Öffentlichkeit: »Der Augenblick tiefer Krise und politischer Verwirrung eröffnete (...) zugleich die Gelegenheit, eine politische Wende durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit im Volkswillen durchzusetzen«. (Prowe 1976, S.266) Dies soll hier hervorgehoben werden, weil Öffentlichkeitskampagnen auch im Falle der späteren, mit Willy Brandt identifizierten, Ostpolitik von Bonn aus »ein ganz charakteristischer Wesenszug« bleiben sollten. (Prowe 1976, S.266)


Die Politik der kleinen Schritte und der Wandel durch Annäherung

Zwei Reden, die eine von Willy Brandt als Regierungserklärung am 18. März 1963 vor dem Berliner Abgeordnetenhaus gehalten, die andere von seinem wohl engsten Mitarbeiter, Egon Bahr, am 15. Juli 1963 in der Evangelischen Akademie Tutzing referiert, dürfen als die Grunddokumente einer neuen ost- und deutschlandpolitischen Konzeption gelten, zu der sich auch die SPD parallel zur Rezeption der amerikanischen Entspannungspolitik bekannte, nicht zuletzt deshalb, weil »die Einsicht in das Unabänderliche überwog« (Grabbe 1983, S.395). Brandt plädierte im Landesparlament für eine Zwischenlösung in der Berlinfrage, die die aktuellen Gegensätze von Wiedervereinigung und Anerkennung der DDR und von Wiedervereinigung und Entspannung zwar nicht gänzlich aufheben konnte, die aber als ein von Brandt definierter »Status quo plus« die Wiedervereinigung erst einmal in die unbestimmte Zukunft verwies, während sie gleichzeitig die Möglichkeit für mehr Eigeninitiative auf dem Verhandlungswege schuf. Der Status quo plus bestand, so Brandt, aus der alliierten Präsenz, den Verbindungen Berlins zur Bundesrepublik und dem Selbstbestimmungsrecht der Bevölkerung. Als »plus« sollten in der Stadt menschliche Erleichterungen an der Mauer und eine größere Sicherheit auf den Zufahrtswegen nach Berlin erreicht werden. (Prowe 1976, S.272f.)

In Tutzing erläuterte Egon Bahr inzwischen die Prinzipien der «Politik der kleinen Schritte«, die er allerdings als »Diskussionsbeitrag« verstanden wissen wollte. Bahr ging davon aus, daß nicht nur das Berlin-Problem nicht isoliert gelöst werden konnte, sondern auch das Deutschland-Problem Teil des Ost/West-Konfliktes war, und daß die Voraussetzungen zur Wiedervereinigung nur mit der Sowjetunion zu schaffen seien. Aus der amerikanischen »Strategie des Friedens« folgerte Bahr mit Blick auf die Wiedervereinigung, daß die »Politik des Alles oder Nichts« ausscheide. Die Auffassung von der Wiedervereinigung als einem »einmaligen Akt« müsse dem Verständnis für einen Prozeß mit vielen Schritten und vielen Stationen weichen. Die Ablehnung, »das Zonenregime anzuerkennen«, hielt er weiterhin für berechtigt, die Diskussion über eine Anerkennung der DDR erschien ihm allerdings insofern für zu eng und sogar für gefährlich, weil sie in eine Sackgasse führen und jegliche Politik verbauen könnte. Unterhalb der »juristischen Anerkennung« sei es aber gleichwohl denkbar und zu wünschen, Mittel und Wege der Kontaktaufnahme, die in gewissen akzeptierten Formen schon bestünden, »in einem für uns günstigen Sinne zu benützen«. Dabei habe »es zunächst um die Menschen zu gehen und um die Ausschöpfung jedes denkbaren und verantwortbaren Versuchs, ihre Situation zu erleichtern. Eine materielle Verbesserung müßte eine entspannende Wirkung in der Zone haben.« Im »Prozeß zur Wiedervereinigung« rückten für Bahr die Erleichterungen für die Menschen in den Mittelpunkt der Politik, die er auf die Formel »Wandel durch Annäherung« brachte. Sich selbst und die andere Seite zu öffnen, die bisherigen Befreiungsvorstellungen zurückzustellen, die Interessen der anderen Seite anerkennen und berücksichtigen und alle Möglichkeiten wahrnehmen, die die Auflockerung der Grenzen und der Mauer wahrscheinlich machten: Das waren die zentralen und wegweisenden Inhalte der Tutzinger Rede.


Sozialdemokratische Deutschlandpolitik: Die Alternative

Somit rückten aus der besonderen Lage Berlins heraus die menschlichen Aspekte der deutschen Frage in den Mittelpunkt einer politischen Konzeption, während die bislang immer wieder hervorgebrachten juristischen Bedenken eines Nebeneinander zweier deutscher Staaten sekundär wurden. Dem kleinen Berliner Planungsstab ging es nunmehr um konkrete und praktikable Schritte, die Erleichterungen auf beiden Seiten der Mauer bringen sollten. Diese deutschlandpolitische Neuorientierung provozierte Widersprüche, auch von der eigenen Seite her, da sie ohne Rücksicht auf eine Beteiligung der Bevölkerung bzw. der sozialdemokratischen Parteiorganisationen im kleinen Beraterkreis Brandts entwickelt worden war. Dennoch wuchs hieraus die sozialdemokratische Deutschlandpolitik als eine klare Alternative zur deutschlandpolitischen Passivität der Bundesregierung.

Schon auf dem Kölner Parteitag im Mai 1962 hatte Willy Brandt gefordert, »ein Minimum an Durchlässigkeit der Mauer zu erreichen« – die Partei war ihm mit einer Entschließung gefolgt, in der bekundet wurde, »daß alle Anstrengungen gemacht werden (sollten), um wenigstens die unmenschlichen Auswirkungen der Mauer zu überwinden und einen geregelten Personenverkehr innerhalb der widernatürlich geteilten Staaten wiederherzustellen«.

Diese keineswegs mit konkreten Maßnahmen verbundenen Forderungen wurden erstmalig mit dem »für die Entwicklung der neuen Deutschlandpolitik gewiß bahnbrechende(n) erste(n) Passierscheinabkommen« (Prowe 1976, S.279) in die Praxis umgesetzt. Mit einem Trick konnte Willy Brandt dem Osten gewissermaßen Zugeständnisse in deren »Dreistaatentheorie« machen, indem er als westlichen Verhandlungspartner einen politischen Beauftragten aufbot. Indem er sich allerdings demonstrativ in seinen Entscheidungen von der Bundesregierung abhängig machte, bewies er, daß er dennoch weiterhin zu dem Nicht-Anerkennungs-Prinzip stand.

Durch die außerordentliche Geschwindigkeit, mit der die Verhandlungen vom 13. – 17. Dezember 1963 geführt wurden, geriet die Bundesregierung jedoch unter enormen Zeitdruck. Die Kritiker im Regierungslager waren geteilter Meinung über das erzielte Passierscheinabkommen. Die Regierung hätte es aber wohl kaum unterbinden können, ohne sich, wie die Praxis der Regelung zwischen dem 18. Dezember 1963 und dem 5. Januar 1964 zeigte, dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, daß sie menschliche Erleichterungen im geteilten Berlin zu verhindern suchte.

Dieser erste Erfolg der »Politik der kleinen Schritte« stellte unter Beweis, daß die Berliner SPD nun auch in der Anwendung neuer deutschlandpolitischer Ansätze die Initiative übernommen hatte.

Fritz Erler lobte das Passierscheinabkommen im Deutschen Bundestag, weil in Berlin sichtbar geworden sei, »daß diese Stadt eine Stadt ist und daß die Deutschen ein Volk sind und ein Volk bleiben wollen.« Die Besuche der Westberliner »durch Stacheldraht und Gefängnistore hindurch, mit der Auflage, abends wieder zurücksein zu müssen«, habe »für viele den schrecklichen Charakter der Mauer, den sie nicht so ganz einsehen wollten, deutlicher als vorher hervortreten lassen.« Zusätzlich sah er in der Praxis des Abkommens auch »eine Ermutigung für unsere Landsleute.« Zu der neuen »Politik der kleinen Schritte« bekannte er sich, ohne diese beim Namen zu nennen: »Wir wissen, daß wir durchaus miteinander und mit der Bundesregierung bereit sind abzutasten, was geschehen kann, um unseren Landsleuten in Ost-Berlin und in der Zone ein Höchstmaß an Erleichterungen zu verschaffen.«

Die außenpolitische Gemeinsamkeit mit der Bundesregierung und allen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien wurde aber dennoch fortgesetzt.


Verdeckte Offensive und Gemeinsamkeitspolitik

Die »Politik der kleinen Schritte« hatte die SPD mit dem Passierscheinabkommen in die Offensive gebracht. Die deutschlandpolitische Neuorientierung ging also von der Opposition aus, während die Regierungskoalition durch den Kanzlerwechsel und die während Erhards Kanzlerschaft noch zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen »Gaullisten« und »Atlantikern« ein eher desolates, zumindest doch sehr passives Bild bot. Es war für die SPD allerdings geboten, die Kritik an der Regierungspolitik nicht eskalieren zu lassen, wollte sie ihre deutschlandpolitischen Alternativen auch in die offizielle Bonner Politik einbringen.

Zu dieser Taktik, die darin bestand, Auseinandersetzungen mit den Regierungsparteien zu vermeiden, um Zugang zum außenpolitischen Entscheidungsprozeß zu erhalten, zählten sicherlich auch Vorschläge, wie der Erich Ollenhauers: Er bat die Bundesregierung in einer Plenumsdebatte am 11. Oktober 1962, »einen kleinen Arbeitsausschuß« zu bilden, der »aus Vertretern der Bundesregierung und des Berliner Senats und aus Vertretern der drei Fraktionen des Bundestages« bestehen sollte. Diesem Ausschuß sollte der Auftrag gegeben werden, »den gesamten Fragenkomplex um Berlin zu untersuchen und fortgesetzt den Versuch zu machen, zu gemeinsamen Vorstellungen zu kommen«. (Stenographische Berichte der Verhandlungen des 4. Deutschen Bundestages, S.1886) Da das Berlin-Problem und auch die deutsche Frage von den Sozialdemokraten seit Wehners Plädoyer für eine gemeinsame Politik als Gemeinschaftsaufgabe aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien verstanden wurde, gliederte sich dieser Vorschlag Ollenhauers nahtlos in die Reihe jener Versuche ein – ohne öffentlich Alternativen zu proklamieren – › den Sozialdemokraten beim Wähler Profil zu verschaffen, indem sie sozusagen durch verdeckte Offensiven Verantwortung mit übernahmen.

Die deutschlandpolitischen Erfolge Brandts, zu denen im September 1964 beispielsweise ein weiteres Passierscheinabkommen zählte, das sich gleichzeitig auf mehrere Besuchsperioden erstreckte, steigerten selbstverständlich das Selbstbewußtsein der oppositionellen SPD.

Sie war allerdings darauf angewiesen, eine Gefährdung der Gemeinsamkeitspolitik auszuschließen. Aus ihrer Sicht kam es jetzt darauf an, den Konfrontationskurs der fünfziger Jahre völlig zu verlassen, mithin Alternativen zur Regierungspolitik im Sinne des alten Entweder-Oder zu vermeiden. Erst nach dem abermaligen Wahlverlust im Jahre 1965 kamen in der SPD wieder Stimmen auf, die nach einem geräuschvolleren Oppositionsstil verlangten. Herbert Wehner mahnte beispielsweise an, daß »die wohlabgewogenen Bemühungen um schrittweise Verbesserungen der innerdeutschen menschlichen und geschäftlichen Beziehungen« schon längst »eine gründliche Sachdiskussion erfordert hätten.«

Auch andere Aussagen bestätigten ein Umdenken innerhalb der SPD. Der Dortmunder Parteitag vom 1. bis zum 5. Juni 1966 stellte dann endgültig den Wandel des Oppositionsverhaltens als klar definierten Auftrag an die Bundestagsabgeordneten der SPD ins Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit. Herbert Wehner resümierte, die sozialdemokratische Opposition habe seit 1963 die Möglichkeiten zur unmittelbaren parlamentarischen Konfrontation nicht genutzt. Tatsächlich war die Partei aber auch schon auf Bundesebene im Sinne der »Politik der kleinen Schritte« weiter vorgeprescht, als selbst die gewollte Gemeinsamkeit mit der Bundesregierung dies wohl erlaubte. Der geplante Redneraustausch mit der SED war ein Schritt, den die SPD dazu nutzen wollte, die Bundesregierung zur Aufgabe ihrer deutschlandpolitischen Passivität zu zwingen. In ihrer Erwiderung auf den Brief der SED schlug die SPD eine Einbeziehung aller in Bundestag und Volkskammer vertretenen Parteien vor. Dies sollte nicht zuletzt die Bundesregierung veranlassen, deutschlandpolitisch Farbe zu bekennen. Die Antwort enthielt scharfe Angriffe auf die SED. Die SED beharrte auf Rednern ihrer eigenen Partei und der SPD, die in zwei ausgesuchten Städten Deutschlands öffentlich auftreten sollten. Von der SPD wurde ein solches Vorgehen nun begrüßt, sofern damit eine freie und umfassende Berichterstattung in beiden Teilen Deutschlands verbunden wäre.

Die Bundesregierung, die von der SPD um ihr Placet nachgesucht worden war, scheute sich zunächst vor einem deutlichen Bekenntnis zur Möglichkeit eines Redneraustausches. Für sie stand auf dem Spiel, eine Nebenaußenpolitik, bzw. Deutschlandpolitik zuzulassen, die die Opposition auf das gleiche Niveau gestellt hätte, auf dem sie sich selbst befand. Der öffentliche Druck wurde jedoch so stark, daß sie unter der Bedingung der Einhaltung der Prinzipien »Nichtanerkennung der DDR«, »Ablehnung einer Konföderation« und »Betonung des Alleinvertretungsanspruches der Bundesrepublik« zustimmte. Somit war wieder einmal das Prinzip der Gemeinsamkeit gewahrt, die SED sagte aber aus Beweggründen, denen eine Eindeutigkeit fehlte (Czerwick, S.193, Anm.940), den geplanten Austausch von Rednern ab. Dieser gescheiterte Dialog wurde sogar von Unionsseite aus als »Startzeichen für eine neue Politik« bezeichnet. (So z.B. Bergsdorf, Wolfgang, in: Deutschland Archiv, Czerwick, S.138) Letztlich aber war bewiesen worden, daß die Bundesregierung in deutschlandpolitischer Hinsicht das Steuer aus der Hand gegeben und die Sozialdemokraten es übernommen hatten.


Ende der Gemeinsamkeitspolitik?

Auf dem Dortmunder Parteitag der Sozialdemokraten vom 1. bis zum 5. Juni 1966 wurde dies besonders deutlich. Mitten in der Planung des Redneraustausches mit der SED trennten sich die Sozialdemokraten deutlich von der Deutschlandpolitik der Bundesregierung. Sie hatten an Selbstbewußtsein gewonnen und waren nun bereit, ihr politisches Kapital unabhängiger in die Waagschale deutschlandpolitischen Handelns zu werfen. Willy Brandt kritisierte die Bundesregierung in seiner Rede »Die Lage der Nation«, indem er ihr, ohne die Regierung beim Namen zu nennen, vorhielt, »unecht« gewordene Rechtspositionen beizubehalten. Ihre Außenpolitik charakterisierte er mit einem Zitat Arnold Brechts: »organisiertes Nichthandeln, organisierte Impotenz, die irrisierend und verführerisch sich als höhere Weisheit ausgibt«. (Krause et al. 1984, S.126f.)

Auf dem gleichen Parteitag war es Helmut Schmidt, der in seiner Grundsatzrede ein »Konzept einer aktiven Ost- und Entspannungspolitik, die mit der Deutschland-, West-, Sicherheits- und Rüstungsbegrenzungspolitik ein einheitliches Ganzes bildete« (Lehmann 1984, S.127), erläuterte.

Mit dieser Konzeption ging Helmut Schmidt am 23. September 1966 an die Öffentlichkeit. Im Deutschen Bundestag führte er zur Begründung der Großen Anfrage der SPD-Fraktion – »Vorschläge zur Rüstungsbegrenzung und Sicherung des Friedens« – aus: »Wir wollen dazu helfen, daß aus den bisherigen einzelnen Schritten der Bundesregierung eine Gesamtvorstellung für die neue Lage wird, welche die deutsche Politik der in Bewegung geratenen Weltpolitik anpaßt und aus dieser Bewegung Nutzen zieht.« Die damalige Bundesregierung aus CDU/CSU und FDP hatte keine Antwort auf die weltpolitischen Entwicklungen, die durch die Kuba-Krise und das atomare Patt entstanden waren. Die Gefahr war groß, daß die auch für Europa einsetzende Entspannungspolitik über die Deutschen hinweg gehen könnte. Diese Entspannungsphase der sechziger Jahre brachte mehr Bewegungsfreiheit. Theoretisch war es deshalb bereits zu dieser Zeit denkbar, daß am Ende eines langen und komplizierten Prozesses der Entspannung und Versöhnung die Wiedervereinigung möglich werde. Helmut Schmidts Konzeption zeichnete sich dadurch aus, daß die Osteuropa- und Entspannungspolitik nun als ein eigener Wert – als Rückgrat – für deutschlandpolitische Fortschritte eingesetzt werden konnte.

Die von Schmidt aufgeführten Teilgebiete seiner außenpolitischen Konzeption sollten als eigenständige Faktoren in den Dienst der Deutschlandpolitik gestellt werden. Dem Konzept hatten die Sozialdemokraten auf dem Dortmunder Parteitag zugestimmt. Es war damit nicht das Produkt der Überlegungen eines Einzelgängers, sondern Wille der Gesamtpartei.


Die SPD-Deutschlandpolitik in der Großen Koalition

Mit dem Eintritt in die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD erhielten die Sozialdemokraten erstmals seit 1949 die Gelegenheit, Regierungsverantwortung zu übernehmen und die Außenpolitik aktiv zu gestalten. Sie hatten damit das Ziel der Gemeinsamkeitspolitik erreicht, nämlich regierungs- und koalitionsfähig zu werden. Willy Brandt avancierte zum Außenminister, Herbert Wehner übernahm das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen, während Helmut Schmidt, seit dem 6. Dezember 1966 amtierender Fraktionsvorsitzender für den erkrankten Fritz Erler, am 14. März 1967 auch nomineller Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion wurde.

Die Regierung der Großen Koalition nahm eine aktive Entspannungspolitik, auf die die Sozialdemokraten so lange gedrängt hatten, in ihr Programm auf. Kiesingers Regierungserklärung als Bundeskanzler enthielt allerdings sowohl Elemente der politischen Linie, die immer noch vom Kalten Krieg geprägt war, wie auch Ansätze des Dortmunder Parteitages, die der sozialdemokratischen »Entschließung zur Deutschlandpolitik unter den sich ändernden weltpolitischen Bedingungen« entstammten. Die Aufrechterhaltung der Hallstein-Doktrin, die sich bei Kiesinger darin ausdrückte, daß diplomatische Beziehungen nur aufgenommen werden sollten, »wo immer dies nach den Umständen möglich ist«, barg permanenten Zündstoff in sich. Eine solche Einschränkung konnte nicht zusammengehen mit sozialdemokratischen Forderungen nach ebensolchen außenpolitischen Schritten.

Christlich-Demokratische und Christlich-Soziale Vorstellungen standen gleichberechtigt neben sozialdemokratischen Zielperspektiven. Dabei waren in das außenpolitische Konzept zuviele Schlagwörter eingegangen, die nach außen hin zwar die Gemeinsamkeiten der Regierungspartner betonten, bei einer genaueren Untersuchung aber die Widersprüche und Konflikte, die in ihnen angelegt waren, kaum zu verbergen vermochten.

In der Deutschlandpolitik ging Kiesinger auf die von Brandt und Bahr schon längst praktizierte Politik »zum Wohl der Menschen im gespaltenen Deutschland« ein, indem er zum ersten Male sogar »die Aufnahme von Kontakten zwischen Behörden der Bundesrepublik und solchen im anderen Teil Deutschlands« in Aussicht stellte. Von höherer Priorität war für ihn jedoch die Aufrechterhaltung des Alleinvertretungsanspruches, so daß Helmut Schmidt in der Aussprache über die Regierungserklärung es für wichtig erachtete, die Hoffnung auszudrücken, »daß die angekündigten organisatorischen Maßnahmen zur Verstärkung innerdeutscher Kontakte demnächst konkrete Gestalt annehmen können.«

Die Aufgabe, die Kiesinger seiner Osteuropapolitik vorangestellt hatte, Deutschland möge wieder »Brücke zwischen West- und Osteuropa« sein, erfüllte die Große Koalition zuerst mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Rumänien. Daß Rumänien die DDR bereits diplomatisch anerkannt hatte, wurde so ausgelegt, daß dies aus Zwang heraus erfolgt wäre, während es jetzt eher zu den Dissidenten im Ostblock gehöre. (Lehmann 1984, S.140) In dieses Dissidenten-Denken gehörte auch die Äußerung Kiesingers, er strebe diplomatische Beziehungen mit Jugoslawien an. Entgegen ihrer friedenspolitischen Absichten zeigte sich nun für die Große Koalition der gegenteilige Effekt.

Die Staaten des Warschauer Pakts stellten sich geschlossen hinter Ulbricht, indem sie die sogenannte Ulbricht-Doktrin für ihre Länder übernahmen, die besagte, daß kein sozialistischer Staat in diplomatische Beziehungen zur Bundesrepublik treten dürfe, sofern diese nicht mindestens auf den Alleinvertretungsanspruch verzichte. Die Ostpolitik der Großen Koalition befand sich in der Krise.

Zwar hatten die Sozialdemokraten, gerade auch in der Oppositionszeit, nie gegen diesen Anspruch operiert, aber die Isolierung der DDR stand bei ihr nicht so im Vordergrund, wie dies in der Union der Fall war. Zudem schlossen sich Isolierungs- und Entspannungsbemühungen nach sozialdemokratischer Sicht gegenseitig aus. Tatsächlich, und so hatte Schmidt es auch vor der Partei und dem Deutschen Bundestag zum Ausdruck gebracht, könne man die DDR nur über die Staaten Osteuropas erreichen. So aber lag die bundesdeutsche Ostpolitik nunmehr im Konfliktfeld zwischen Hallstein- und Ulbricht-Doktrin.

Erhard Eppler trat im Deutschen Bundestag in Opposition zu Kiesingers Betonung der Aufrechterhaltung des Alleinvertretungsanspruchs. Nicht »Anerkennung oder nicht« sei die Frage, sondern die praktische Ausgestaltung der Kooperation und Kommunikation zwischen beiden Teilen Deutschlands, die Ermöglichung des Friedens in Europa und damit die Möglichkeiten zur Überwindung der Spaltung seien die Faktoren, die untersucht werden müßten.

Helmut Schmidt übernahm innerhalb der SPD die Rolle des Wortführers einer neuen Außenpolitik – Brandt und Wehner konnten sich nicht so frei äußern, ohne damit eine Koalitionskrise zu riskieren –, die hartnäckig versuchte, die bereits bekannten Mängel und Erschwernisse zu beheben. In einer Rede am 20. März 1967 vor dem Hamburger Überseeclub drohte er der Großen Koalition, sie werde ihre »geschichtliche Legitimation verfehlen«, wenn sie nicht imstande sei, »unbrauchbar gewordene, ausgefahrene Gleise zu verlassen und neue Wege zu finden.« (Vorstand der SPD, Tatsachen-Argumente 1967, S.16/24) Die Hallstein-Doktrin wollte Schmidt so nicht mehr stehen lassen, da die Länder des Warschauer Pakts keine andere Wahl gehabt hätten als die der Anerkennung der DDR. Er befürwortete hinsichtlich der DDR das Brandtsche Konzept der zeitlich begrenzten und geregelten Koexistenz.

Am 12. April 1967 verkündete Kiesinger eine Reihe von Maßnahmen, die dazu beitragen sollten, »die Not der Spaltung unseres Volkes zu erleichtern und dadurch die Voraussetzungen für eine Entspannung Deutschlands zu schaffen«: Die »Maßnahmen zur Er leichterung des täglichen Lebens für die Menschen in beiden Teilen Deutschlands«, »Maßnahmen zur verstärkten wirtschaftlichen und verkehrspolitischen Zusammenarbeit« und die angestrebten »Rahmenvereinbarungen für den wissenschaftlichen, technischen und kulturellen Austausch« enthielten in ihren einzelnen Punkten zum großen Teil Anregungen, die Schmidt so bereits am 20. März des Jahres formuliert hatte. Tatsächlich bewog Kiesingers Maßnahmenkatalog den DDR-Ministerratsvorsitzenden Stoph zu dem Vorschlag eines »Vertrags über die Herstellung und Pflege normaler Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland«. Herbert Wehner, Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, brachte den Gedanken auf, einen Beauftragten für Gespräche mit der DDR zu ernennen. Dies sei ein Weg, »auf dem die beiderseitigen Interessen in sachliche Erörterungen gebracht werden können, wenn beide Seiten es wollen.« Eine Bundesregierung hatte zum ersten Male überhaupt auf Briefe aus Ostberlin geantwortet und damit einem deutsch-deutschen Dialog zugestimmt, der allerdings an unüberbrückbaren Positionen beider Seiten scheiterte. Zum ersten Male aber auch waren nicht nur Beauftragte miteinander ins Gespräch gekommen, sondern Staatsorgane im Sinne der jeweiligen Verfassungen.

Die deutsch-deutsche Entspannung kam aber dennoch nicht weiter. Die SPD spielte weiterhin den offensiven Part in der Deutschlandpolitik. Wiederum war es Helmut Schmidt als Fraktionsvorsitzender, der im Bundestag neue sozialdemokratische Ideen einbrachte. In der Aussprache über den von der SPD seit 1965 geforderten »Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland« betonte er die Kontinuität zum Beschluß des Dortmunder Parteitages der Sozialdemokraten. Da die Deutschlandpolitik aber in eine neue Phase eingetreten sei und die »osteuropäischen und innerdeutschen Bemühungen (...) bisher nur teilweise, nur zu einem kleinen Teil Erfolg gehabt« hätten (Stenographische Berichte der Verhandlungen des 5. Deutschen Bundestages, S.8306), äußerte Schmidt weiterführende Gedanken, die das »Resultat von 17 Jahren Deutschlandpolitik, die eben keinen Erfolg hatte in der Deutschlandfrage«, doch noch verbessern sollten. Schmidt schlug vor, mit der DDR zu »einem geregelten und vernünftigen Nebeneinander zu kommen«. Dies könne dann Abkommen mit der DDR nach sich führen, »in denen alles, was nicht dem Friedensvertrag vorzubehalten ist, wirklich auch zwischen den beiden Teilen Deutschlands geregelt werden kann.« Mit einem weiteren Vorschlag, den er als sein eigenes Gedankengut kennzeichnete, obwohl auch Herbert Wehner in diese Richtung vorgestoßen war (vgl. oben), ging er weit über die bisherigen Regierungsvorstellungen hinaus. Zu einem Abkommen mit der DDR sollte auch die Ernennung von Generalbevollmächtigten gehören, die »im Auftrag und in Vollmacht der jeweiligen Regierungen handeln und den Regierungschef unmittelbar unterstehen«. Dies wies schon deutlich auf den im Dezember 1972 unterzeichneten Grundlagenvertrag hin.

Die »Anerkennung bzw. Respektierung der Oder-Neiße-Linie«, von Helmut Schmidt vorgeschlagen, wurde von Willy Brandt aufgegriffen und dem Parteitag der SPD in Nürnberg vom 17. bis zum 21. März 1968 zur Beschlußfassung vorgelegt. Damit war die SPD für Christdemokraten und Christsoziale über das Maß des Erträglichen hinausgeschossen. Den Bruch der Vertriebenenverbände mit der SPD vollzog der BdV-Präsident Rehs: »Er verließ nach Brandts Rede auf dem Nürnberger Parteitag protestierend den Saal, wechselte am 10. Mai 1969 zur CDU und forderte zum Wahlboykott gegen die ›Verzichtspolitiker‹ auf.« (Lehmann 1984, S.154) Bundeskanzler Kiesinger ging dazu über, von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch zu. machen, und beschränkte beispielsweise die Kompetenzen seines Außenministers Brandt. (vgl. dazu das Interview mit Willy Brandt in: DER SPIEGEL, Hamburg 15. September 1969)

Die Intervention der Truppen der Warschauer Vertrags-0rganisation (Warschauer Pakt) in der Tschechoslowakei im August 1968 trennte die Koalitionspartner endgültig in ihren ost-, deutschland- und entspannungspolitischen Grundauffassungen. Am Status quo in Europa hatte die Intervention letztendlich nichts geändert. Nun aber führte ebendieser Status quo, der ja seit Kennedys Rede über die »Strategie des Friedens« grundlegend für die Entspannungspolitik gewesen war, zum Zerwürfnis in der Koalition. Selbst Schmidts Vorschlag der Ernennung von Generalbevollmächtigten der Bundesrepublik Deutschland und der DDR erteilte Kiesinger eine Absage. Der Vorrat an deutschlandpolitischen Gemeinsamkeiten in der Großen Koalition war aufgebraucht.

Baring ist in seinem Werk über den »Machtwechsel« von der Großen zur Sozialliberalen Koalition zum folgenden Fazit der tatsächlichen Schwierigkeit der Regierung Kiesinger gekommen: »Wenn es am Ende der CDU/CSU-SPD-Koalition irgendwo haperte, dann bei der Entspannungspolitik. Das hatte viel mit Moskaus Maximalismus zu tun; auf deutscher Seite lag es nicht zuletzt am Konflikt zwischen Kiesinger und Brandt. (...) Die gegenseitige, anhaltende Verbiesterung zweier Hauptbeteiligter wurde zu einer wesentlichen Ursache des Scheiterns«. (Baring 1982, S.136f.) Daran mag viel Wahres sein. Fest stand, daß die CDU/CSU ihre deutschlandpolitischen Positionen in Wirklichkeit seit den 50er Jahren nicht geändert hatte. Sie war nicht bereit, grundsätzlich neue Wege zu gehen. Der Wechsel in Bonn mußte kommen, um nicht zuletzt die Deutschlandpolitik voranzubringen.

 

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