Gemeinsamkeit als Handlungsmaxime
Herbert Wehner setzte am 30. Juni 1960 den Schlußpunkt unter die bisherige Deutschlandpolitik der Sozialdemokraten. Ausgehend davon, daß das Scheitern der Genfer und Pariser Gipfelkonferenzen gezeigt hatte, daß die Lösung der deutschen Frage in absehbarer Zeit nicht zu erreichen sei, daß wohl »eher Generationen nötig« seien (Jahn 1981, S.238), um die Wiedervereinigung zu verwirklichen, forderte Wehner, »unter dem Eindruck der Ereignisse den Vorsatz zu fassen, imstande (zu) sein, unser innenpolitisches Verhältnis in die Ordnung zu bringen, die uns (gemeint sind die im Bundestag vertretenen Parteien, Anm. des Verf.) befähigen könnte, den gesamtdeutschen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland gerecht zu werden«.
Das »höchstmögliche Maß von Gemeinsamkeit in der Bewältigung der sich ergebenden Probleme zu erreichen – also vor allem gewissenhafte Prüfung der außenpolitischen Lage und all der Gegebenheiten, die für Deutschland sein oder werden können«, schlug Wehner vor.
Als Aktivposten einer außenpolitischen Bestandsaufnahme nannte er bereits erzielte Gemeinsamkeiten in den politischen Ansichten der verschiedenen Parteien: »Erstens: Berlin muß beim Bund bleiben. Aus einer Zweiteilung Deutschlands darf keine Dreiteilung werden. Zweitens: Das deutsche Volk und die Bundesrepublik haben sich gegen jede Diktatur und für die westliche Gemeinschaft entschieden, das heißt für eine enge Zusammenarbeit mit den westlichen Nachbarn und der freien Welt. Drittens: Die verantwortungsbewußten Kräfte Deutschlands haben sich gegen jede Form des Kommunismus und gegen die sowjetische Deutschlandpolitik entschieden. Viertens: Es muß alles getan werden, um das Leben und das Los der 17 Millionen Landsleute im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands zu erleichtern. Wir dürfen den Willen zur Selbstbestimmung in unserem Volk nicht erlahmen lassen und müssen uns ständig um neue Ansätze zur Lösung der deutschen Frage bemühen«.
Das Bekenntnis zur westlichen Gemeinschaft und die Absage an jede Form der Diktatur präzisierte Wehner im weiteren Verlauf seiner Rede, indem er für die SPD klar zum Ausdruck brachte, dass die Sozialdemokraten davon ausgingen, »daß das europäische und das atlantische Vertragssystem (...) Grundlage und Rahmen für alle Bemühungen der deutschen Außen- und Wiedervereinigungspolitik« sei, und daß die SPD sich »zur Verteidigung der freiheitlichen demokratischen Grundrechte und der Grundordnung« bekenne und die Landesverteidigung bejahe. Konsequenterweise erteilte Wehner allen Disengagement-Plänen eine Absage, der Deutschlandplan wurde von ihm als der Vergangenheit zugehörig aus dem politischen Streit herausgenommen und für nichtig erklärt. (Jahn 1981, S.243)