Sechster Stolperstein: Der Lafontainsche Doppelschlag – Anstacheln des westdeutschen Egoismus in Verbindung mit Klappe zu für die Ostdeutschen
<p/b>Just am 27. November 1989 (sic!) begann Lafontaines Mobilmachung gegen jegliche Einheitsbestrebungen der Deutschen im allgemeinen und der ostdeutschen Sozialdemokraten im speziellen. Zum gleichzeitigen Bekanntmachen der »Aufrufs für unser Land« passte dies wie ein Gullydeckel auf die dazu gehörige Kloake. Ein Schelm, wer Böses dabei dachte!
Die DDR-Erhalter wollten uns ein weiteres Sozialismusexperiment aufdrängen, Lafontaine wollte die kommende Bundestagwahl ohne Zonendödels erreichen. Machbar war beides nur, wenn es in der DDR keine parlamentarischen Mehrheiten für die Einheit geben würde und die Westdeutschen stärker auf ihren Egoismus als auf ihr Zusammengehörigkeitsgefühl hören würden. Zum Glück fielen die DDR-Erneuerer und Lafontaine gleichermaßen auf die Nase. Am 18. März 1990 erreichten die DDR-Erneuer nicht die Sperrminorität in der Volkskammer und eine riesige Mehrheit der Westdeutschen ließ sich nicht vor des Saarländers egoistischen Karren spannen.
Was ließ der Mann am 27. November 1989 ins gesamtdeutsche All ab? Er stellte ausgerechnet an dem Tage die gesamtdeutsche Staatsbürgerschaft erneut infrage und wollte damit die DDR-Deutschen zu Ausländern machen, thematisierte die Sozial- und Eingliederungsleistungen für die Ostdeutschen, kritisierte das Weggehen der DDR-Bürger in die Bundesrepublik im Sinne der DDR-Aufrufer als ein im-Stich-Lassen. Kurz, er zeigte den Ostdeutschen seine verschränkten Arme und sagte ihnen damit, lasst von der Einheit lieber ab, denn wir wollen euch nicht, es macht für euch überhaupt keine Sinn, in diese Richtung zu denken!
Den nächsten Axtschlag der Lafontainisten gegen die Deutsche Einheit im Gleichklang der DDR-Aufruf-Dramaturgie (?) hielt der Berliner Programmparteitag Ende Dezember 1989 bereit. Wieder lohnt ein Blick in Uneinig in die Einheit von Daniel Friedrich Sturm. Hier der Umgang mit Ollenhauers Rede von 1959 (S.243):
Zu Beginn des Parteitages wollte Anke Fuchs den Videoausschnitt einer Rede Erich Ollenhauers auf dem Godesberger Parteitag von 1959 zeigen. Darin hieß es: »Genossinnen und Genossen, ich möchte, ehe ich zum Programm selbst komme, noch eine weitere wesentliche Feststellung treffen. Das neue Grundsatzprogramm der Sozialdemokratie ist das Programm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der Bundesrepublik. Wir sind uns dieser tragischen Unzulänglichkeit bewusst, und wir möchten unseren Genossen und Freunden in die Zone die selbstverständliche und undiskutierbare Gewissheit geben, dass wir mit ihnen gemeinsam die programmatischen Grundlagen der deutschen Sozialdemokratie neu diskutieren werden, wenn die Stunde gekommen ist, in der wir alle als freie Menschen in einem freien und wiedervereinigten Deutschland die Positionen und die Aufgaben des demokratischen Sozialismus neu bestimmen können.« Dem Parteitag 1989 aber wurde dieser Redeausschnitt vorenthalten. Wieczorek-Zeul verhinderte als Tagungspräsidentin ein Abspielen der Rede Ollenhauers: »Das wird nicht gezeigt, das bedeutet dann ja, wir sind für die Wiedervereinigung. Das aber sind falsche Signale, das wollen wir nicht«, habe Wieczorek-Zeul ihr bedeutet, berichtet Fuchs. Zwar hätte sich Fuchs als ›Hausherrin‹ an diese Ansage nicht halten müssen. Fuchs und Vogel aber vermieden eine Auseinandersetzung, zumal Wieczorek-Zeul die Mehrheitsmeinung des Präsidiums verkörperte.
Und hier zu Lafontaines Rede auf dem Parteitag (S. 251-253):
Wie weit Lafontaine mit seiner Rede und seinem Denken von der Wirklichkeit des Lebens der Menschen in der DDR entfernt war, zeigte ein Radiointerview, das er am 21. Dezember im Rückblick auf den Parteitag gab. Ausgerechnet in der »Stimme der DDR« nannte er »die stärkere Betonung des Internationalismus« als wichtigste Botschaft und warnte davor, sich »allzu sehr nationalistischer Übersteigerung … hinzugeben«. Die ökologische Zerstörung nannte er die »Hauptherausforderung unserer Zeit«. Zudem schwärmte Lafontaine, im neuen Programm der SPD finde sich ein »Arbeitsbegriff, der über Marx und Hegel hinausgeht«; Mit den Menschen in der DDR ›fremdelte‹ Lafontaine. Treffend analysierte Richard Schröder später: »Merkwürdig, dass diejenigen, die sich für besonders weltoffen hielten, von dem bisschen Fremdheit der Ostdeutschen schon überfordert waren.« Brandt zeigte sich von Lafontaines Rede entsetzt. Auf der Rückfahrt von dem Parteitag, berichtet seine Frau, habe er gescherzt: »Ach was, diese Saarländer sind ja gar keine richtigen Deutschen.« Lafontaines Realitätsverweigerung wurde von Günter Grass übertroffen. Grass wandte sich in seiner Rede mit einer harten Rhetorik gegen die staatliche Einheit. Er geißelte »den rücksichtslos herbeigeredeten Einheitswillen der Deutschen« und sprach vom »Volk der DDR«. Grass erinnerte an Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik, verwies auf die Affären um die Parteispenden des Großindustriellen Flick, die Vorgänge um die Baugesellschaft »Neue Heimat« und die Barschel-Affäre. Mit einer »Vereinigung als Einverleibung der DDR«, prognostizierte Grass, gehe Identität verloren. Und: Nach dem Bankrott des Kommunismus sei erkennbar, »dass der demokratische Sozialismus weltweit Zukunft hat«. Der Beifall zeigte, wie Grass die Stimmung unter den Delegierten getroffen hatte. Das Ausmaß der Widersprüche innerhalb der SPD zeigten drei weitere Wortmeldungen. Ganz wie Lafontaine äußerte sich einmal mehr Momper. Die SPD dürfe sich nicht an einer Wiedervereinigungskampagne beteiligen, warnte er. Diese mobilisiere allein nationalistische Gefühle, aber widme sich nicht dem, was den Menschen wichtig sei. Die deutsche Frage sei europäisch zu lösen… Kohl jedoch dominierte zum Ärger Lafontaines die Fernsehbilder am Abend und die Schlagzeilen des nächsten Tages. Das Medieninteresse an der SPD war begrenzt.
Kurzum: Der Parteitag erwies sich als Höhepunkt deutschlandpolitischer Verwirrungen. Brandt sprach euphorisch für die Einheit, Lafontaine wandte sich kämpferisch dagegen.Vogel schwieg.
Nachzutragen ist an dieser Stelle das Engagement meines Freundes Hans Büchler MdB 1972 – 1994 und deutschlandpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Er wollte dem SPD-Bundesparteitag im Gegensatz zu Lafontaine den Weg zur Einheit über den Artikel 23 des Grundgesetzes vorschlagen. Dieser Beitrag aus dem Munde des Fraktionssprechers für die Deutschlandfragen hätte diese SPD-Versammlung historisch werden lassen. Die Parteitagsregie wusste es zu verhindern. Noch im Februar 1990 machte Hans-Ulrich Klose denselben Vorschlag im Parteivorstand-West. Auch er fiel unter den entscheidenden Tisch und die SPD-Ost zog mit der Looserbotschaft GG 146 in den Volkskammerwahlkampf. Wir machten das Beste daraus und garantierten mit unseren Stimmen am 23. August 1990 den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland.