2 Kunst ORT Nest
Wenn der Raum etwas ist, worin dann befindet er sich?
Zenon von Elea
Man meisselt Tür und Fenster aus, dort wo nichts ist, da ist des Hauses Brauchbarkeit.
Laotse,Tao te king
Bild der Kunst: Adolph Menzels Balkonzimmer
Wo Spinnen ihre Nester bauen (Italo Calvino), Wo Ariadnes roter Faden ins Labyr (André Thomkins) hinein und hinausführt, SPINdoktoren ihre Hirngespinnste auflösen, da werden Fäden gesponnen. Von der Zeit der Seidenstraße bis hin zu Ai Weiweis in China entstandenes Vogelnest-Stadion. Seidene Fäden werden gezogen, stählerne Seile gespannt. Die Webarten der Kunst, die Bauweisen der Architektur sind den Vorbildern der Natur entnommen. Spinnengewebe, Abend mit Goldrand (Arno Schmidt), Koralle, Perle..., gestickter Talar, Napoleons mit Bienen geschmückter Krönungsmantel. Naht des Schmerzes – »das nahlose Gewand des Universums« (Alfred Norten Whitehead).
Knüpfung, Knoten, Punkte, Stiche ins Blaue, Schichtung, Verknüpfung, Spinnerei, WEBarten, Verbindungen, kreuzende Fäden. Räume in Räumen der Erinnerung. Postkarten-Gaudi. Adern der Moderne, Datenwege. Lineament. Nulla dies sine linea. Kein Tag ohne Linie. Flöze. Tausendfachhorizonte. Stoffhimmel. Bewohnbarkeit der Mythen.
Erinnerung erschafft Museen dem Gedächtnis der Welt. Im Meer der Fruchtbarkeit (Yukio Mishima) entsteht ART, ATEM, REVIER, walltet Bewußtsein. Atman und Arie verknüpfter Adur- und MollAtome.
Die Pflanzenwelt, unterirdische Wasserparadiese, Landschaften der Erosion, der Verdichtung ... sind Wohnorte der jeweilig angepassten Lebewesen. Das Leben in der Vacuole, im Schalenreich, noch in der feinsten Schichtung einer Hülle oder Umhüllung beschützt, ist dem Wesen vor Ort Stätte des Erinnerns, der Heimkehr und des Bewohnens. Im Haus der Bienen, im Ameisenstaat geht es erbaulich zu.
Der Ort der Wohnung ist sozusagen Referenzsystem. Ein System der Geborgenheit, der genetischen Information, fester Grundmauern und Prinzipien oder sich fortwährend wandelnder Formation. Ausgehend von den Behausungen all der Arten, die nicht nomadisch, parasitär sind oder Nestflüchtler (Konrad Lorenz).
Auch den Nesthocker treibt es irgendwann hinaus in die Welt, wo er Zwischenreiche, Niederlassungen, temporäre Reiche, Duftnoten hinterlässt, architektonische Gebilde, Spinnenreiche, Panzerungen, Schalenreiche, Gedankengebilde. Renaissancen neuer Lebensräume des Sehens und Bewohnens der Phantasie und Illusion. Höhlen- und Höllengleichnis.
Camera obscura. Scopia. Schattenreich-Spiegelungen des Lichtes und der Tonalität. Hier beginnt der ewige Dialog von Natur und technologischer Zivilisation, wird den Emotionen und Sehnsüchten Hall & Halle, Fuge & Fügung zugefügt, Widerhall geboten – Bachs Komposition Air, C.F. Meyers Römischer Brunnen, Friedrich Händels Wassermusik, Melodien der Ankunft und des Wanderns.
Brancusis Unendliche Säule, diese in sich gestimmte Spirale des Wachstums (in der Sanxin Diu-Kultur durch den Heiligen Baum repräsentiert), ist wie die fließende Lebenskraft, die die Kapillare des Baumes in uns durchtönt, so wie das hemisphärische und metaphysische der Anschaulichkeit an Tilmann Riemenschneiders Heilig-Blut-Altar und dessen ausklingende Linien der Verästelung erinnert. Zuflucht. Mana. Ort.
Der Weg des Holzes verläuft durch die Wohnzimmer von Tier und Mensch. Die Geschichte des Holzes, der Beichtstuhl, Freitisch, Instrument und Buch gewordenen Bäume hat die Kultur des Sitzens und Verweilens verändert. Gut Holz, brennend Weg, Scheiterhaufen.
Dunkle Kammern bestimmten die Kultur der Aufbewahrung, der Erinnerung, der Speicherung (Schrank, Alkoven, Keller, Safe...), des Verschließens, des Sammelns. Die Bewohnbarkeit des Baumes, wie sie uns Italo Calvinos Baron auf den Bäumen empfiehlt, Octavio Paz’ In mir der Baum beschreibi, ist metaphorisch betrachtet eine Rückkehr zur Natur des Seins und zugleich Wanderung durch Die unendliche Bibliothek (Jorge Luis Borges). Schrift, Weg, Botschaft, Palmblattbibliotheken und PapyrusLyrismen, Orte der Weisagung, Sehnsüchte und Träume, dort also wohnt der Herr der Traumzeiten, der Herr über den Tau die Muttergottheit im Felsen, die lithografierte Abbildlichkeit, von der Haut der Träume beseelt – Blatt, Blüte, Krone. Fruchtsamkeit, Nestwärme. Ins Netz gehende Augen weiden sich. Komm, lasst uns lustwandeln. Der alte Garten der Dichterin Marie Luise Kaschnitz ruft uns.