(62) Errungenschaften
So ist es. Wie ist es? Vieles im Yagir gilt als ›errungen‹, was andernorts als Selbstverständlichkeit gilt. Das hat einmal damit zu tun, dass hier ›Geltung‹ von den feineren Kreisen in Anspruch genommen wird, sie wollen nicht nur gelten, sondern verfügen, dass, was bei ihnen Geltung besitzt, überall obenan steht. Dabei weiß jedermann, dass überall etwas gilt, aber eben nur etwas, das eine hier, das andere dort. Selbst angenommen, etwas würde, wie das Gesetz, überall gelten, so entstünde daraus doch je nach Lage und Interessen der Beteiligten sofort etwas anderes. Die Kenntnis der zentralen Errungenschaften des Yagir ist daher auf einen kleinen Kreis von Magazinen beschränkt, deren Lektüre sich der einfache Yagirit, auch moralisch, erst einmal leisten können muss. Für die anderen sind sie, da ihre Wirkungen auf das ganze Yagir ausstrahlen, eine böse Bescherung, mit der zurechtkommt, wer will. Folgerichtig gilt in diesen Kreisen der Satz »Ich komme zurecht.«
Man kommt zurecht, der eine mehr, der andere weniger. Wer gar nicht zurechtkommt, darf ausscheiden, Papier findet sich zuhauf. Wer besser zurechtkommt, versteht sich nicht als Begünstigter des Systems, sondern hält es für grundschlecht, ja geradezu für erbärmlich, während jene, die mehr schlecht als recht ihren Weg schleichen, eine sonderbare Anhänglichkeit an seine Errungenschaften an den Tag legen, vielleicht, weil sie fürchten, sonst überhaupt nicht mehr über die Runden zu kommen. So stolpern die Errungenschaften dahin, bis der Zahltag ansteht. Schließlich muss für alles im Leben eine Gebühr entrichtet werden, wer über Gebühr gelebt hat, für den wird es schmerzlich. Im Yagir ist jeder dritte Wahltag Zahltag, das Wahlvolk findet, es reicht und es muss etwas Neues geschehen. Etwas Neues? Wohin mit den Errungenschaften? Da schlägt die Stunde der wahren Demokraten, derjenigen, die nicht mehr aufhören können. »Wählbar, nicht abwählbar« heißt ihre Parole, dazu jedem, der zögert, eins aufs Maul. Der politische Gegner? Nicht wählbar, aber besiegbar. »Gemeinsam schaffen wir es!«
Die Gemeinsamkeit endet abrupt vor den Lautsprechern, dort, wo die Leute sich vor Zuhören die Seiten halten. Viele wechseln sie auch, einige darunter täglich, sie wollen nicht erwischt werden und nennen die Errungenschaften, darunter die Tatsache, dass es keine Tatsachen gibt, es sei denn, die Partei weist auf sie hin, unumkehrbar: Jeder kehre vor seiner eigenen Tür. Wer ›unumkehrbar‹ sagt, hat begriffen, der wahre Feind des Volkes ist das Wahlvolk, dafür gibt’s überall im Yagir die berüchtigten Pluspunkte. Nach der Wahl geht die Hälfte des Yagir in Sonderkliniken. Sie hat Tränen in den Augen, der Muskeltonus ist gestört und sie neigt zu unkontrollierten Ausbrüchen von Regierungshass. Das muss schnell repariert werden.