Ulrich Schödlbauer

Wir nähern uns der Zeit, in der Josefine, noch als passiv Lauschende, das innere Singen entdeckt. Es müssen berückende Tage – und Nächte – für sie gewesen sein, Stunden des vollendeten Einklangs mit sich selbst. Ihre Umgebung erfährt davon nichts. Selbst die Quellen der gerade damals überall im Einsatz befindlichen Wühlmäuse schweigen. Diese Basen und Vettern der normalen Systemmaus werden gern konsultiert, wenn es gilt, sich ein realistisches Bild jener Tage zu verschaffen. Leider, leider sind ihre Aussagen mit Vorsicht zu genießen, da den meisten von ihnen mit der Machtaffinität auch der Schlüssel zum Verständnis ihrer früheren Operationen abhanden kam. Entsprechend reden sie, wann immer sie sich einer der im Mäusestaat stets zu gewärtigenden roten Linien nähern, seit Jahr und Tag wirres Zeug. In dankenswerter Deutlichkeit schrieb ein Biograf: Man muss sich die Josefine jener Tage als schweigend nach innen gewölbtes Jungwesen vorstellen, mit einem ungebrochenen Sinn für das Kommende und seine Sendboten im Bewusstsein, vor allem im Bereich der hinteren Windungen, denn das Mäusebewusstsein ist, wie man seit langem weiß, ein äußerst gewindereiches, so dass sein relativ kleiner Frontquerschnitt kaum etwas über seine wahre Erstreckung verrät.

Ganz recht! Seine einzigartige Überlegenheit über andere intelligente Lebensformen beweist das schraubenförmige Mäusebewusstsein beim nicht bloß so genannten Bohren dicker Bretter. In diesen gegen das breite Publikum weitgehend abgeschirmten Gefilden sehen wir Josefine, angestiftet durch das innere Stimmengewirr, ein paar Monate lang echte Pionierarbeit leisten. Neider versichern zwar, sie habe sich damals zwischen Kantine und Freizeit an ganz gewöhnlichem Käse zu schaffen gemacht. Aber wie der Gelehrte zu sagen pflegt: Besser als Quark schmeckt er allemal. Auch kommt hier der eherne Mäuse-Grundsatz zum Einsatz: Es gibt keinen Käse, außer man bohrt ihn.

Einig sind sich die rückwärtsgewandten Profeten der Mäusenation in einer Hinsicht, allen sonstigen Zänkereien zum Trotz: Es hat eines mächtigen Impulses bedurft, um aus Tiefbohr-Josefine, so ihr Spitzname, die Sängerin hervorzukitzeln, der wir in ihrem zweiten Lebensabschnitt begegnen. Was mag da vorgefallen sein? Tief ist der Brunnen der Vergangenheit und jeder Pegelstand ungewiss. Was ist Gewissheit? Ein schnell verblassender roter Streif am Abendhimmel, gerade noch sinnlich wahrnehmbar und über jeden Zweifel erhaben, jetzt bereits eine Sage, ein ungläubiges Blinzeln und bald ein schallendes Gelächter.

Sollten der Welt einmal die Archive der Fledermaus-Burschenschaft offenstehen, dieser verschworenen internationalen Brigade, deren natürliche Tageszeit die Nacht und deren Firmament die Welt der Kellergewölbe darstellt, dann allerdings wäre es durchaus vorstellbar, dass Josefines Sängertum in einem anderen, mehr unter‑ als überirdischen Glanz erstrahlt und auch die Unhörbarkeit ihres unfassbar zarten und eingängigen Gepfeifes eine von den uns bekannten erheblich abweichende Erklärung findet. Die familiären Bindungen zwischen Haus‑ und Fledermaus sind seit altersher diffizil. Sie überragen das Dasein des um sein bisschen Leben bangenden Mäusewesens bei weitem und bisweilen bringen sie es zu erdrückender Präsenz.

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