Ulrich Schödlbauer

Josefines ideologischer Reifungsprozess ist gut dokumentiert, erst bei näherer Betrachtung tun sich Risse auf. Zum Beispiel reißt der wiederholte Aufenthalt im benachbarten Parteikindergarten während der für die Prägung der Mauspersönlichkeit so wichtigen Phase zwischen zweiter und fünfter Woche ein empfindliches Loch in die Rekonstruktion dieser bedeutenden Kindheit. Kein Foto, kein Akteneintrag, kein Erinnerungsvermerk, nichts scheint zu existieren, was den Informationshunger der Biografen auch nur entfernt zu lindern vermöchte – nichts oder … ein Schatten.

Das ist und bleibt ein Handicap. Wettgemacht wird es durch die anekdotische Fülle des aus Lehrer- und Schülerberichten für die Folgezeit zusammengetragenen Materials. Es ist schön, wenn sich alte Freunde erinnern. Hand aufs Herz: Wer sonst könnte der Mitwelt so liebevoll das Bild einer fleißigen, intelligenten, asexuellen und, vom mäuslichen Standpunkt aus gesehen, völlig unergiebigen Person ohne Ecken und Kanten vermitteln? Zugegeben, Ecken und Kanten sind nicht unbedingt das, was die noch immer männlich dominierte Umwelt einer im Entstehen begriffenen Mäusefrau freigiebig attestiert. Entsprechend sollten diese meistenteils von Eitelkeit und Wichtigtuerei diktierten Informationen nicht allzu hoch gehängt werden. Festzuhalten bleibt, dass der damals recht rigide gehandhabte Weltan­schauungs­unterricht in Josefine eine gelehrige und, wie es scheint, willfährige Schülerin fand.

Im Studium – ja sicher, wir befinden uns mit Josefine, ›dieser unglaublich jungen Frau‹, wie einer ihrer Hofbiografen sie nennt, bereits in der Studienphase und steuern zügig dem Abschluss zu –, im Studium scheinen sich bei ihr besonders zwei Fertigkeiten bewährt zu haben: das bereits erwähnte Plattenauflegen und die magische Fähigkeit, zum richtigen Zeitpunkt (sic!) im trauten Kommilitonenkreis Schnittchen zu reichen.

Bekanntlich ist die Fähigkeit, Schnitte zu setzen, wann immer es brenzlig wird, eine Kernkompetenz mäuslichen Lebens und Überlebens. Daher nimmt es nicht Wunder, dass sich schon bald ein Partner einfindet, um mit ›Sefi‹ Bett und Weltanschauung zu teilen. Nicht für lange: dann kommt es auch in dieser Beziehung zum Schnitt. Erstmals zeigt sich hier im Leben der kommenden Herrscherin der nachmals so durchschlagende Zug zur Vergesslichkeit. Erst das Bett, dann das Bewusstsein – nach dem heutzutage gern überhörten Motto jener Tage scheint ihr zunächst das Bett zum Opfer gefallen zu sein. Später, in einem anderen Dasein, folgt die einst unumschränkt herrschende Weltanschauung. Bewusstseinswandel ist die Trapezkunst des Möglichen.

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