Rudolf Borchard: Weltpuff Berlin, Reinbek 2018
Thilo Sarrazin: Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht, München 2018

Rudolf Borchardts Weltpuff Berlin – eine Überraschung für alle, die sich in seinem Nachlass nicht auskannten und daher nicht schlecht staunten, aus der Feder des Kulturzauberers einen saftigen Porno serviert zu bekommen, mit einem jungen Mann aus gutem Haus als Mittelpunktsfigur plus Erzähler, dazu einem sich zügig drehenden Karussell junger und reiferer Damen, allesamt erpicht darauf, auf der Stelle die Vorzüge seines Geschlechtsinstruments zu erproben – als hätten sie jahrelang nur auf den idealen Liebhaber gewartet und seien ganz schnell ganz sicher, ihn soeben gefunden zu haben. Der Mix aus ›Casanovas Lebensbeichte‹ und ›Proust-unter-den-Röcken‹ wirkt gewöhnungsbedürftig, vor allem deshalb, weil sich weder Absicht noch Ziel der Recherche beim ersten Lesen erschließen. Möglicherweise auch nicht beim zweiten, aber wer will es darauf ankommen lassen? Jedenfalls wächst der Erzähler an seinen Aufgaben. Der Stil ist glänzend und der Sinn bleibt dunkel – es sei denn, alles ist gewollter Un-Sinn und Spiegel-Protzerei. Entstanden in den dreißiger Jahren, in denen die Erforschung der Lust sich in manchen Köpfen der kulturellen Avantgarde zur Raserei verdichtete – kann B. mithalten? Will er überhaupt … mithalten? Zweifellos reiht er sich mit diesem Buch unter die Ahnherren des Fu-Projekts ein.

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Alte Männer lesen gern Statistiken: Sie werden ihnen zum Buch der Welt und sie werden nicht müde sie auszulegen. Anders Menschen mittleren Alters, die Statistiken erstellen, um ihnen die eine oder andere Tendenz zu entnehmen oder sich ihre vorgefassten Ideen bestätigen zu lassen. Dass diese oft mit Gereiztheit und Geringschätzung auf die Exerzitien der Alten reagieren, liegt nicht zuletzt daran, dass diese Zeit haben und sie nicht. Aber es liegt nicht an der Zeit allein, wenn sie zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Die Jungen sind eingespannt in Interessen, während in den Alten das Interesse der Gattung oder des Gemeinwesens sich stärker regt – gelegentlich kräftiger als das an der eigenen ›Reputation‹. Wie der Fall Sarrazin zeigt, erweisen sich ihre Bücher mitunter gerade deshalb als Goldesel.

Nüchternheit schützt nicht vor Hass – auch dafür liefert Sarrazin Anschauungsmaterial. Seine Bücher sind umfangreiche Informationsbroschüren für politisch Handelnde – von der Regierung bis zum einfachen Wähler. Das missfällt naturgemäß Regierungen, deren Politik seinen Statistiken nicht standhält. Und es missfällt den Profiteuren der Politik, auf deren fatale Konsequenzen er aufmerksam macht. Kein Wunder also, dass man ihn in Talkshows mit allerlei Parfums der frommen Denkungsart bestäubte und Ansteckungsangst verbreitete … Ingredienzien einer Popularität, die unter dem Zauberwort »Populismus« wieder einkassiert wird. Welche Unkosten! Statt es laufen zu lassen…

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