Am 22. Juli 2014 jährt sich zum drit­ten Mal der Mas­sen­mord, den An­ders Brei­vik in Oslo und auf der Insel Utøya be­ging. Zu die­ser mons­trö­sen Tat und zum wir­ren Ma­ni­fest des Mas­sen­mör­ders möch­te ich ei­ni­ge Über­le­gun­gen vor­stel­len.

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Ein be­freun­de­ter Straf­recht­ler er­zähl­te mir, dass sich ein haupt­be­ruf­li­cher Dieb, der sich sonst nicht durch hohe Emo­tio­na­li­tät aus­zeich­ne­te, sicht­lich und sitt­lich em­pört mit einer Bitte an ihn wand­te. Was denn los sei? Er, der Pro­fi­dieb, sei nachts sei­ner har­ten Ar­beit nach­ge­gan­gen, die auch nicht leich­ter werde, er sei nicht mehr der Jüngs­te, über­all neue und schwer zu kna­cken­de Si­cher­heits­sys­te­me, das Leben werde immer här­ter, man habe es nicht leicht. Aber seine kom­pe­ten­te Ar­beit habe doch end­lich wie­der mal was ein­ge­bracht. Und als er am frü­hen Mor­gen nach Hause ge­kom­men sein, habe er ent­setzt fest­stel­len müs­sen, dass da so ein Schwein seine Woh­nung aus­ge­räumt habe – wäh­rend sei­ner durch harte Aus­wärts­ar­beit be­ding­ten Ab­we­sen­heit. Ob der An­walt mit sei­nen guten Kon­tak­ten nicht hel­fen könne, den Kerl zu stel­len und ding­fest zu ma­chen, so ginge das ja wohl nicht. Für den na­he­lie­gen­den Ein­wand, dem Be­rufs­kri­mi­nel­len sei doch nur das pas­siert, was er sys­te­ma­tisch an­de­ren antue, hatte die­ser nicht den An­satz von Ver­ständ­nis.

Der Fall ist von ko­mi­schen Ele­men­ten nicht frei. Es gab keine Toten, nur einen sich selbst be­mit­lei­den­den Kri­mi­nel­len, der sich um die Früch­te sei­ner har­ten Ar­beit ge­bracht sah. Dem ent­setz­li­chen Fall des rechts­ra­di­ka­len Mas­sen­mör­ders Brei­vik kommt man mit Ka­te­go­ri­en wie ›gro­tesk‹ nicht bei. Den­noch hat er – ins trost­los Un­er­träg­li­che ge­stei­gert – struk­tu­rel­le Ähn­lich­keit mit dem ge­schil­der­ten Fall. Und dies nicht nur wegen des völ­li­gen Man­gels an Em­pa­thie für die Opfer. Son­dern wegen der ge­spens­ti­schen Nähe zu denen, die er in einer ent­setz­li­chen Mi­schung von hei­ßem Hass und Kalt­blü­tig­keit mit allen Mit­teln be­kämpft. Brei­vik woll­te mit den is­la­mis­ti­schen Ter­ro­ris­ten gleich­zie­hen, ja sie über­bie­ten. Er hat die pa­ra­no­isch her­bei pro­je­zier­ten Le­bens­um­stän­de ge­schaf­fen, die er be­kämp­fen woll­te: eine Le­bens­sphä­re, in der ein gott­na­her, die reine und rech­te Kul­tur­tra­di­ti­on in­kar­nie­ren­der, das Au­then­ti­sche er­kannt ha­ben­der, in einem Ma­ni­fest sei­nen uni­ver­sel­len Durch­blick do­ku­men­tie­ren­der Mann (mit für Rechts­ra­di­ka­le und mi­li­tant From­me ty­pi­schen mi­so­gy­nen Zügen) über Leben und Tod von Mit­men­schen, Ver­rä­tern, Un­gläu­bi­gen, To­le­ran­ten ent­schei­den kann.

Es ver­schlägt einem den Atem und es wäre, wenn die Kon­tex­te nicht so mons­trös wären, ein An­lass für ho­me­ri­sches Ge­läch­ter, wenn man auf Seite 1394 von Brei­viks Ma­ni­fest die Sätze liest: »Oslo used to be a peace­ful city. Thanks to the Nor­we­gi­an cul­tu­ral Mar­xist / mul­ti­cul­tu­ra­list re­gime they have trans­for­med my bel­oved city into a bro­ken city, a bun­ke­red so­cie­ty, a mul­ti­cul­tu­ra­list shit hole where no one is safe any­mo­re, to use blunt lan­gua­ge.« Der rechts­ra­di­ka­le Mas­sen­mör­der ist selbst der Typus, vor dem er seine Mit­men­schen in apo­ka­lyp­ti­schen Tönen ge­warnt hat. Er und nicht eine is­la­mis­ti­sche Ter­ror­ban­de hat aus der fried­li­chen Stadt Oslo und der noch fried­li­che­ren Insel Utøya einen Ort des Grau­ens ge­macht. Brei­vik er­füllt mit die­sen Sät­zen ein rechts­ra­di­ka­les Dis­po­si­tiv: Rechts­ra­di­ka­le kom­pen­sie­ren mit ihrer ge­walt- und ter­ror­be­rei­ten Kalt­blü­tig­keit immer auch ihre Lä­cher­lich­keit, die ihnen sel­ten, ganz sel­ten selbst auf­blit­zen dürf­te. Es wäre zu schön, wenn man Rechts­ra­di­ka­le so weg­la­chen könn­te, wie Chap­lins Film Der große Dik­ta­tor es na­he­legt. Wie lä­cher­lich sind ein dun­kel­haa­ri­ger und dun­kel­äu­gi­ger ös­ter­rei­chi­scher Ge­frei­ter, ein adi­pö­ser Dro­gen­ab­hän­gi­ger und ein klump­fü­ßi­ger Gnom, die von der blon­den und blau­äu­gi­gen deut­schen Her­ren­ras­se, flin­ken Wind­hun­den und har­tem Krupp­stahl de­li­rie­ren – und wie trost­los be­reit sind sie, ihre Lä­cher­lich­keit durch Mas­sen­mord aus­zu­blen­den.

An­ders Beh­ring Brei­vik (geb. 1979, also zum Zeit­punkt sei­nes Mas­sen­mor­des 32 Jahre alt) war Kind eines Di­plo­ma­ten und einer Kran­ken­schwes­ter und wurde in einer der reichs­ten, fried­lichs­ten, freund­lichs­ten und gro­ßzü­gigs­ten Ecken der Welt groß. Am 22. Juli 2011 be­ging er eine mons­trö­se, zwei­tei­li­ge (bzw. sieb­zig­tei­li­ge) Tat. Die erste Tat­hälf­te ent­spricht dem üb­li­chen Mus­ter ter­ro­ris­ti­scher An­schlä­ge auf Re­gie­rungs­ein­rich­tun­gen, wie unter vie­len an­de­ren mehr die RAF, die IRA, bas­ki­sche Se­pa­ra­tis­ten, der Un­abom­ber, Ti­mo­thy Mc­Veigh in Okla­ho­ma-Ci­ty oder die Is­la­mis­ten von 9/11 sie zu be­ge­hen pfle­gen. Er zün­de­te im Re­gie­rungs­vier­tel von Oslo eine über­di­men­sio­na­le Au­to­bom­be; al­lein Pro­ble­men mit dem ti­ming ist es zu ver­dan­ken, dass die Ex­plo­si­on und die ge­wal­ti­gen Ge­bäu­de­schä­den »nur« acht Tote hin­ter­lie­ßen. Die zwei­te Tat weicht vom ter­ro­ris­ti­schen Stan­dard­sche­ma ab, das be­lie­bi­ge und je­weils mög­lichst viele »Bul­len­schwei­ne« (RAF), Kreuz­züg­ler, Im­pe­ria­lis­tenk­nech­te, Zio­nis­ten oder Un­gläu­bi­ge in den Tod rei­ßen soll. Brei­vik er­mor­de­te, sich an­fangs in schwer zu über­bie­ten­der Nie­der­tracht als hilfs­be­rei­ter Po­li­zist aus­ge­bend, auf der Oslo vor­ge­la­ger­ten idyl­li­schen Insel Utøya in 69 Ein­zel­ta­ten je einen Ju­gend­li­chen, der der so­zi­al­de­mo­kra­ti­schen Nach­wuchs­or­ga­ni­sa­ti­on Nor­we­gens an­ge­hör­te. 69mal nach­ein­an­der hat Brei­vik Aug in Aug mit sei­nem wehr­lo­sen Opfer ein jun­ges Leben aus­ge­löscht.

Das ist neu, es über­steigt ter­ro­ris­ti­sche Üb­lich­kei­ten. Un­ge­wöhn­lich ist auch, dass der Mas­sen­mör­der, der zu­gleich ein 69-fa­cher Ein­zel­mör­der ist, sei­nem Leben nicht selbst ein Ende setz­te, um sich da­durch einen Mär­ty­rer­sta­tus zu ver­schaf­fen. Neu ist über­dies der Um­fang des Ma­ni­fests, dem er durch seine Un­ta­ten Auf­merk­sam­keit ver­schaf­fen woll­te – das über­trifft al­lein durch die Buch­sta­ben­men­ge alles, was die RAF, Atta in sei­nem Tes­ta­ment oder der Un­abom­ber Theo­dor Kac­zyn­ski von sich gaben. Mit­hal­ten kann da nur Hit­lers Mein Kampf. Wer in Brei­viks 1518 Sei­ten star­ken Ma­ni­fest 2083: A Eu­ropean De­cla­ra­ti­on of In­de­pen­dence zu blät­tern be­ginnt, wird bald fest­stel­len, dass der in wei­ten Tei­len mit copy&pas­te-Tech­nik zu­sam­men­ge­wür­fel­te Text in­tel­lek­tu­ell nicht an­satz­wei­se sa­tis­fak­ti­ons­fä­hig ist. Wer in der Hoff­nung auf Durch­bli­cke, die eine sol­che grau­en­haf­te Tat künf­tig blo­ckie­ren kön­nen, den­noch die Lek­tü­re auf sich nimmt, wird unter vie­len an­de­ren As­pek­ten mehr drei Pro­ble­me be­den­ken müs­sen.

1. He­rostrat in der Me­di­en­ge­sell­schaft

Auf­merk­sam­keit ist ein knap­pes und daher wert­vol­les und um­kämpf­tes Gut. Das gilt be­son­ders in der Welt-, Me­di­en- und In­for­ma­ti­ons­ge­sell­schaft. Ter­ror­an­schlä­ge (und in un­end­lich klei­ne­rer Di­men­si­on wohl­fei­le Skan­dal­pro­duk­tio­nen um ihrer selbst wil­len) sind das Auf­merk­sam­keits­er­re­gungs­mit­tel der in­tel­lek­tu­ell und äs­the­tisch Armen, die nichts Neues, An­re­gen­des, Pro­duk­ti­ves, Ori­gi­nel­les zu sagen haben. Auf­merk­sam­keit hät­ten die Ideen – sit venia verbo – von Brei­vik nie und nim­mer ge­fun­den, wenn sie ohne die Mord­ta­ten vom 22. Juli 2011 im In­ter­net oder selbst­fi­nan­ziert in Buch­form er­schie­nen wären. Man bil­ligt einer schlecht­hin dis­kus­si­ons­un­wür­di­gen Figur wie Brei­vik zu­viel Ehre = Auf­merk­sam­keit zu, wenn man sich mit ihm be­schäf­tigt – wie die­ser Bei­trag es tut. Und man kri­ti­siert diese Figur über ihrem un­säg­li­chen Ni­veau, wenn man die Ein­zig­ar­tig­keit und Un­ver­gleich­lich­keit ihrer Tat her­aus­stellt. Den­noch kann man diese un­wer­te Auf­merk­sam­keit schlecht­hin nicht ver­mei­den. Brei­vik ist als Typus eben nicht un­ver­gleich­lich, er ist viel­mehr eine lang­wei­li­ge, weil kul­tur­his­to­risch bis zum Über­druss ein­ge­führ­te Figur. Steht er doch in der jahr­tau­sen­de­al­ten Tra­di­ti­on des He­rostra­ten­tums. He­rostrat hatte in einem in­tel­lek­tu­ell wie äs­the­tisch un­ge­mein pro­duk­ti­ven Um­feld nicht viel zu bie­ten, litt dar­un­ter nar­zi­ß­tisch ge­kränkt und zün­de­te des­halb im Jahr 356 v. Chr. eines der sie­ben klas­si­schen Welt­wun­der, den Ar­te­mis­tem­pel von Ephe­sus, an – nur um der Be­rühmt­heit sei­nes Na­mens wil­len. Die Stadt re­agier­te dar­auf klug und doch er­folg­los. Sie be­schloss eine dam­na­tio me­mo­riae; nie­mand durf­te, so das Ver­dikt, den Namen He­rostrat nen­nen. Doch schon die klas­si­sche An­ti­ke muss­te fast zwei­tau­send Jahre vor der Er­fin­dung des Buch­drucks und fast 2500 Jahre vor der Er­fin­dung des In­ter­nets die be­stür­zen­de Er­fah­rung ma­chen, dass Pro­gram­me nach dem Sche­ma »die­ser Name muss un­be­dingt ver­ges­sen wer­den« schlecht­hin pa­ra­dox sind und sein müs­sen. His­to­ri­ker wie Teo­pom­pos von Chios und wei­te­re an­ti­ke Au­to­ren haben den Wunsch He­rostrats er­füllt und sei­nen Namen mit Ab­scheu ge­nannt – aber eben ge­nannt.

Die Vor­stel­lung, die Me­di­en­ge­sell­schaft hätte mit einer Drei­zei­len­mel­dung den rechts­ra­di­ka­len Ter­ror­an­schlag mit 77 Toten ge­mel­det und kei­nen Tä­ter­na­men ge­nannt, ver­bie­tet sich. Hät­ten sich alle Me­di­en welt­weit am dam­na­tio-me­mo­riae-Sche­ma ori­en­tiert, so böten sie den Boden für eine blü­hen­de Mas­sen­pa­ra­noia – was soll da ver­schwie­gen wer­den? Man kann gegen He­rostra­ten nichts ma­chen – das ist die ein­zi­ge, nicht son­der­lich ori­gi­nel­le Ein­sicht, über die sie ver­fü­gen. Aber man kann ihnen, die has­sen, Ver­ach­tung si­gna­li­sie­ren, Ver­ach­tung dafür, dass sie Auf­merk­sam­keit nur um den Preis mons­trö­ser Taten ge­win­nen kön­nen und an­sons­ten nichts, aber auch gar nichts zu bie­ten haben – außer eben ihrer ul­ti­ma­ti­ven De­struk­ti­on.

2. Die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen

Brei­vik hat of­fen­bar ge­spürt, dass er nichts, aber auch gar nichts Re­le­van­tes und Be­den­kens­wer­tes zu sagen hatte. Und eben des­halb hat er lo­gor­r­hö­tisch alles sagen wol­len. Man kann die knapp be­mes­se­ne Le­bens- und also Le­se­zeit bes­ser ver­brin­gen als mit der Lek­tü­re von Brei­viks Ma­ni­fest. Zu den Cha­rak­te­ris­ti­ka die­ses trost­lo­sen Tex­tes ge­hört es, dass sein deut­lich rechts­ra­di­ka­ler und pa­ra­no­isch is­lam­feind­li­cher basso con­ti­nuo von un­end­lich vie­len Rausch­si­gna­len be­glei­tet wird. So als würde sein Autor selbst spü­ren, wie dumm der zu­sam­men­ko­pier­te Grund­text ist, schmückt er ihn mit Le­se­früch­ten aus Sphä­ren, die ihm of­fen­bar nicht ei­gent­lich zu­gäng­lich sind. Ein be­son­ders kras­ses Bei­spiel dafür ist, dass er Kant und Kafka als prä­gen­de Lieb­lings­au­to­ren an­führt. Im In­ter­view, das er mit sich selbst führ­te, nann­te Brei­vik, li­be­ra­len For­ma­ten und Me­di­en­üb­lich­kei­ten ent­spre­chend, seine Lieb­lings­din­ge, -künst­ler, -städ­te, etc. Das klingt dann so:

Q(ues­ti­on): Name your fa­vou­rite; a. music, b. de­sti­na­ti­on, c. pos­ses­si­on or item with high af­fec­tion value, d. clot­hing brand, e. au de toi­let­te, f. ball sport, g. foot­ball team, h.co­me­di­an, i. food, j. movie, k. type of ar­chi­tec­tu­re and in­te­ri­or de­sign di­rec­tion, l. beer, m. drink, n. books
A(nswer): a. (…)
I also app­re­cia­te clas­si­cal music.
Opera: Wag­ner, Verdi, Mo­zart
(…)
c. My Ipod + my Breit­ling Cross­wind, chro­no­graph.
(…)
d. La­Cos­te
e. Cha­nel Pla­ti­num Ego­is­te
f. Foot­ball or beach vol­ley
g. Oslo’s Lyn and Byg­doy Ball­klubb
h. Pat Con­dell
i. No fa­vou­rite. All cul­tu­res have ex­cel­lent dis­hes.
j. 300, Sci-fi, zom­bie, Lord of the Ring, Star Wars, Pas­si­on of the Christ
k. Fu­tu­ris­tic clas­si­cal mi­ni­ma­lism or pure ba­ro­que de­pen­ding on the de­si­gna­ted
room/struc­tu­re
l. Bud­wei­ser (the real Czech Bud, not the Ame­ri­can piss water:P)
m. Red Bull + Ab­so­lu­te
n. Ge­or­ge Or­well - Ni­n­e­teen Eigh­ty-Four, Tho­mas Hob­bes Le­via­than, John Stuart Mill - On Li­ber­ty, John Locke - Essay Con­cerning Human Un­der­stan­ding, Adam Smith - The Wealth of Na­ti­ons, Ed­mund Burke - Re­flec­tions on the Re­vo­lu­ti­on in Fran­ce, Ayn Rand – Atlas Shrug­ged, The Foun­tain­head, Wil­liam James Prag­ma­tism, Carl von Clau­se­witz - On War, Fjord­man – De­fea­ting Eura­bia
Other im­portant books I’ve read (in ran­dom order):
The Bible, Aves­ta, Quran, Ha­dith, Plato - The Re­pu­blic, Nic­co­lo Ma­chia­vel­li - The Prin­ce, Wil­liam Shake­speare - First Folio, Im­ma­nu­el Kant - Cri­tique of Pure Re­a­son, Homer - Iliad and Odys­sey, Dante Ali­ghie­ri - The Di­vi­ne Come­dy, Karl Marx & Fried­rich En­gels - Com­mu­nist Ma­ni­fes­to, Charles Dar­win - The Ori­gin of Spe­cies, Leo Tol­stoy - War and Peace, Franz Kafka - The Trial, Ar­nold Jo­seph Toyn­bee - A Study of His­to­ry. (1407)

Es ge­hört zu den ab­grün­di­gen Pa­ra­do­xi­en von Brei­viks Ma­ni­fest, dass er, der den Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus hasst, selbst auf ge­ra­de­zu ka­ri­ka­tur­haf­te Weise eine Mul­tiiden­ti­täts­per­son ist. Er mag alle Kü­chen der Welt (»All cul­tu­res have ex­cel­lent dis­hes«), kann aber auch star­ke ku­li­na­ri­sche Ak­zen­te set­zen: das ori­gi­na­le tsche­chi­sche Bud­wei­ser-Bier ist klas­se, das US-Imi­tat schmeckt wie Pisse. Spät­ka­pi­ta­lis­ti­scher Mar­ken­fe­ti­schis­mus ist ihm, dem Kri­ti­ker west­li­cher De­ka­denz, ver­traut; er liebt und braucht sein iPod und seine Breit­ling-Uhr, sein La­Cos­te-Tex­til und sein Cha­nel-Ego­ist-Par­fum. Sol­che Pas­sa­gen klin­gen, als wolle sich je­mand über einen Prot­ago­nis­ten eines Bo­tho-Strauss-Stü­ckes lus­tig ma­chen. Iro­nie ist aber de­fi­ni­tiv nicht die in­tel­lek­tu­el­le Sphä­re eines rechts­ra­di­ka­len Mas­sen­mör­ders. Ihm ist es ernst, ge­ra­de auch im Hin­blick auf As­pek­te, die ein­fach nur lä­cher­lich und lach­haft sind. Die sti­li­sier­ten Por­trät­fo­tos, die sein Ma­ni­fest be­schlie­ßen und die ihn als Tem­pel­rit­ter, Ge­heim­lo­gen­mit­glied, Kampf­ma­schi­ne und Schäd­lings­be­kämp­fer zei­gen, wir­ken wie Cas­ting-Fo­tos für einen Mon­ty-Py­thon-Film.

Wie man auf der­glei­chen re­agie­ren soll? Soll man Hit­lers Mein Kampf oder Brei­viks Ma­ni­fest ernst neh­men? Ei­ni­ge tun genau dies. Sie wei­sen z.B. dar­auf hin, dass Brei­vik ein ent­spann­tes Ver­hält­nis zum In­ter­net-Sur­fen und zum so­zia­len Netz­werk Face­book hat und schlie­ßen dar­aus mes­ser­scharf, wel­che Ge­fah­ren und Ver­füh­rungs­kräf­te die neuen Me­di­en mit sich brin­gen. Mit glei­chem Un/Recht könn­te man auf Hit­lers Mein Kampf hin­wei­sen, um vor Bü­chern zu war­nen. Die schlich­te Ein­sicht, dass so­wohl Gu­ten­bergs Me­di­en­tech­nik als auch die Post­gu­ten­berg-Ga­la­xis Chan­cen und Ri­si­ken ber­gen und es dar­auf an­kommt, was man mit ihnen an­stellt, geht dann schnell ver­lo­ren. Wer (und das sind nicht we­ni­ge) nun unter Ver­weis auf Brei­viks Ma­ni­fest seine je­wei­li­gen äs­the­ti­schen, theo­re­ti­schen, in­sti­tu­tio­nel­len oder kul­tu­rel­len An­ti­pa­thi­en be­stä­tigt sieht, fin­det rei­ches Ma­te­ri­al. Wer Wag­ners Musik ver­ach­tet, kann dar­auf hin­wei­sen, dass Brei­vik Wag­ner schätzt – aber eben auch Mo­zart. Wer Ed­mund Bur­kes Kri­tik der fran­zö­si­schen Re­vo­lu­ti­on für so gut wie alle rechts­ra­di­ka­len Un­ta­ten des 19. und 20. Jahr­hun­derts (mit-)ver­ant­wort­lich macht, kann dar­auf ver­wei­sen, dass Brei­vik Burke ge­le­sen hat – aber eben auch erz­li­be­ra­le Theo­re­ti­ker wie Mill und James. Wer Kafka als ni­hi­lis­ti­schen Autor ver­dammt, kann auf den Kaf­ka-Le­ser Brei­vik hin­wei­sen, wird dann aber zur Kennt­nis neh­men müs­sen, dass Dante bei ihm in der­sel­ben Ru­brik le­sens­wer­ter Bü­cher auf­taucht.

»Ver­haf­ten Sie die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen!« Das Wort des Po­li­zei­prä­si­den­ten Re­nault im Kult­film Ca­sa­blan­ca ist zum ge­flü­gel­ten Wort ge­wor­den (NB: warum nur tra­gen so­vie­le Men­schen in die­sem Film Auto- oder Rei­fen­mar­ken-Na­men: Re­nault, Fer­ra­ri, Pi­rel­li?). Zu den gar nicht lach­haf­ten, son­dern trost­los stim­men­den Ef­fek­ten des bi­zar­ren Ma­ni­fests, das der rechts­ra­di­ka­le Mas­sen­mör­der Brei­vik ins In­ter­net ge­stellt hat, ge­hört es, dass sich nun viele auf die Suche nach den üb­li­chen Ver­däch­ti­gen ma­chen, die Mit­schuld und Mit­ver­ant­wor­tung an der mons­trö­sen Tat haben sol­len. Und fast jeder, der die­sen oder jenen Autor schon immer ver­ab­scheu­te, wird fin­dig – d.h. fin­det die, die er immer schon nicht moch­te. Denn Brei­vik hat sich an pro­mi­nen­ter Stel­le auf den erz­li­be­ra­len Phi­lo­so­phen John St. Mill, aber auch auf Kafka, Hen­ryk M. Bro­der, das Chris­ten­tum und viele an­de­re Quel­len mehr be­ru­fen. Wer aus wel­chen Grün­den auch immer Mill oder Kafka oder die christ­li­che Re­li­gi­on oder Is­ra­el nicht schätzt, kann nun dar­auf ver­wei­sen, dass ein Mas­sen­mör­der diese Au­to­ren und jene Kon­fes­sio­nen ho­fier­te – und deren Werke und Ge­dan­ken des­halb ver­dam­mungs­wür­dig seien. Man muss sich al­ler­dings ar­gu­men­ta­tiv sehr schwach füh­len, wenn man sich ex ne­ga­tivo auf Brei­vik be­zieht, um Theo­ri­en, Kom­po­si­tio­nen oder Bel­le­tris­tik von xyz ab­zu­wer­ten.

Einer ähn­li­chen Logik bzw. einem ähn­li­chen Irr­sinn ist ver­pflich­tet, wer be­deu­tungs­schwer auf den Ve­ge­ta­ri­er und Schä­fer­hund­lieb­ha­ber Hit­ler ver­weist, weil er was gegen Ve­ge­ta­ri­er oder Schä­fer­hun­de hat. Nun gibt es aber keine ver­bind­li­chen Al­go­rith­men, die aus­wei­sen, dass Ve­ge­ta­ri­er Nazis wer­den oder zu­min­dest si­gni­fi­kant häu­fi­ger als der Rest der Be­völ­ke­rung rechts­ra­di­ka­lem Ge­dan­ken­gut an­hän­gen müs­sen. Ge­recht­fer­tigt ist al­len­falls der Um­kehr­schluss: es ist of­fen­sicht­lich nicht aus­zu­schlie­ßen, dass auch Ve­ge­ta­ri­er und Tier­freun­de Nazis wer­den und in­dus­tri­el­le Mas­sen­mor­de or­ga­ni­sie­ren. Preu­ßi­sche Gym­na­si­en, deut­sche Uni­ver­si­täts­kul­tur, die evan­ge­li­sche wie die ka­tho­li­sche Kir­che haben den Er­folg der Nazis nicht ver­hin­dert – das ist eine schwer zu be­strei­ten­de Aus­sa­ge; die ge­nann­ten Grö­ßen sind für die mons­trö­sen Taten der Nazis haupt­ver­an­wort­lich – das ist eine heik­le, schwer zu hal­ten­de Aus­sa­ge. An ihr fällt so­fort auf, dass sich fast jeder gerne auf die eine, ihm be­son­ders ver­däch­ti­ge Größe kon­zen­triert, die er eh nicht mag. Wer auch nur ein wenig näher hin­schaut, dem fällt auf, dass es ka­tho­li­sche und evan­ge­li­sche Nazis, aber eben auch ka­tho­li­sche, evan­ge­li­sche und athe­is­ti­sche Wi­der­stands­kämp­fer gab.

Ein ab­grün­di­ges Ge­dan­ken­ex­pe­ri­ment: was wäre, wenn der Mas­sen­mör­der von Oslo seine Tat be­gan­gen hätte, um (wie etwa der be­rüch­tig­te Una-Bom­ber) gegen den Kli­ma­wan­del, bru­ta­le Krie­ge, Atom­kraft­wer­ke und die Un­sen­si­bi­li­tät der ers­ten Welt für die üb­ri­ge Welt zu pro­tes­tie­ren, wenn er in einem Ma­ni­fest er­klärt hätte, er wolle mit sei­ner Tat auf­rüt­teln und dar­auf hin­wei­sen, wohin Re­li­gi­ons- und Ras­sen­hass füh­ren würde. Wäre seine Tat dann we­ni­ger ent­setz­lich und ver­ab­scheu­ungs­wür­dig? Kri­tik­be­dürf­tig ist das be­lieb­te Spiel »Ver­haf­ten Sie die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen«, weil es den Blick auf wirk­li­che Zu­sam­men­hän­ge zwi­schen Ge­dan­ken­gut und wi­der­wär­ti­ger Tat ver­stellt. Brei­vik ist eben kein So­zi­al­de­mo­krat und auch kein Li­be­ra­ler in der Tra­di­ti­on von Mill, son­dern ein Rechts­ra­di­ka­ler. Und der ist sich mit denen, die er hasst, etwa den Ter­ro­ris­ten von 9/11, in einem ent­schei­den­den Punkt (und vie­len wei­te­ren!) einig: dass man Hun­der­te, Tau­sen­de Men­schen, dar­un­ter Kin­der, Frau­en, Zu­fall­spas­san­ten mas­sa­krie­ren darf, soll, ja muss. Da­ge­gen hilft kein Hass, auch keine Suche nach Ver­däch­ti­gen im Mi­lieu derer, mit denen man immer schon eine Rech­nung offen hatte, wohl aber Auf­merk­sam­keit. Zum Bei­spiel für den Vor­schlag, die­je­ni­gen zu ver­haf­ten, die immer die üb­li­chen Ver­däch­ti­gen ver­haf­ten wol­len.

3. Hass auf das so­zi­al­de­mo­kra­ti­sche Pro­jekt

Es ist ein eben­so sinn- wie aus­sichts­lo­ses Un­ter­fan­gen, Brei­viks Ma­ni­fest für die Stär­kung der je­weils ei­ge­nen Po­si­ti­on im Kampf um Dis­kur­s­ho­heit aus­schlach­ten zu wol­len. Auch wer (wie der Autor die­ser Zei­len) über viele, aber eben nicht alle Pu­bli­ka­tio­nen von Hen­ryk M. Bro­der den Kopf schüt­telt (und sich wun­dert, wie selbst­ge­wiss ein Pu­bli­zist auf­tritt, der so häu­fig sach­lich ekla­tant da­ne­ben­lag – etwa bei sei­ner Ein­schät­zung des Irak­krie­ges), macht einen ka­pi­ta­len Fehl­schluss, wenn er nun ar­gu­men­tiert, der sich selbst als Kreuz­rit­ter sti­li­sie­ren­de Brei­vik ent­stel­le den hei­ßen Kern west­li­cher Ein­stel­lun­gen ge­gen­über dem Islam zur Kennt­lich­keit oder zeige, wor­auf Kri­tik am ter­ro­ris­ti­schen Is­la­mis­mus ei­gent­lich her­aus­lau­fe. Auch hier ist in­tel­lek­tu­el­le Red­lich­keit drin­gend ge­bo­ten. Wer in den 30er und 40er Jah­ren einem Deut­schen be­geg­ne­te, hatte das Recht zu fra­gen und zu er­fah­ren, ob die­ser Nazi sei oder mit Nazis sym­pa­thi­sie­re – nicht aber das Recht zu un­ter­stel­len, alle Deut­schen seien per se fa­schis­ti­sche Mas­sen­mör­der. Wer mi­li­tan­ten Mus­li­men be­geg­net, macht sich auch nach Brei­viks Mas­sen­mord nicht un­mög­lich, wenn er sie nach ihrer Ein­stel­lung zu den Ter­ror­an­schlä­gen von 9/11 und vie­len wei­te­ren Mas­sen­mor­den fragt. Un­mög­lich macht er sich, wenn er un­ter­stellt, alle Mus­li­me hät­ten per se eine Nei­gung zum Töten von An­ders­gläu­bi­gen.

Ma­chen wir noch einen Test auf die Ver­su­chung, Brei­viks Ma­ni­fest für die Auf­rüs­tung der ei­ge­nen Dis­kur­se zu nut­zen. Nach guten Grün­den zur Kri­tik an der ka­tho­li­schen Kir­che muss man nach all den Miss­brauchs­fäl­len, Er­nen­nun­gen pein­li­cher Bi­schö­fe und Skan­da­le um die Pi­us-Brü­der­schaft nicht lange su­chen. Dass der nor­we­gi­sche Pro­tes­tant Brei­vik aber die ka­tho­li­sche Kir­che be­wun­dert, ist nun kein Ar­gu­ment gegen diese – so wenig seine Lust an Mo­zarts Musik gegen Mo­zart oder seine an­ti­is­la­mis­ti­sche und des­halb pro­is­rae­li­sche Op­ti­on gegen Is­ra­el spricht. Die li­be­ra­le Ver­su­chung etwa, die fol­gen­de Pas­sa­ge aus Brei­viks Ma­ni­fest gegen rechts­kon­ser­va­ti­ve Ka­tho­li­ken zu wen­den, mag groß sein, wäre aber eher ein Zei­chen der ar­gu­men­ta­ti­ven Schwä­che:

The Role of Tra­di­ti­on
A few im­portant fac­tors is the apos­to­lic suc­ces­si­on and to the an­ti­qui­ty of the Roman Ca­tho­lic Church. Howe­ver, Scrip­tu­re was never in­ten­ded to be the be­lie­ver's sole guide for all of faith and prac­tice; for all that he be­lie­ves and does. Scrip­tu­re and Tra­di­ti­on be­long to­ge­ther as well.
Scrip­tu­res lack of re­la­ti­on to Church
Christ left a church, not a book, and that the Pro­tes­tant doc­tri­ne of Sola Scrip­tu­ra (by scrip­tu­re alone) is il­lo­gi­cal be­cau­se the for­ma­ti­on of the canon (i.e. what we re­co­gnise as Scrip­tu­re) was its­elf a mo­nu­men­tal act of the church. Thus, the Bible re­qui­res an in­fal­li­b­le church.
Lack of guide to scrip­tu­re
The church is a ne­cessa­ry guide to the mea­ning of Scrip­tu­re. If the Con­sti­tu­ti­on, as a re­la­tive­ly sim­ple human text, needs the Su­pre­me Court as its in­ter­pre­ti­ve guide, then all the more does Scrip­tu­re need the Ca­tho­lic Church as its in­ter­pre­ti­ve guide. (1132)
Lack of in­ter­pre­ta­tio­nal aut­ho­ri­ty
The Pro­tes­tant doc­tri­ne of Sola Scrip­tu­ra leads to an "in­ci­pi­ent sub­jec­tivism" since wi­thout Tra­di­ti­on, each man be­co­mes his own aut­ho­ri­ty and in­ter­pre­ter of Scrip­tu­re. This has re­sul­ted in com­pe­ting in­ter­pre­ta­ti­ons in the Pro­tes­tant mar­ket­place re­sul­ting in va­rious di­rec­tions of Pro­tes­tan­tism.
Aut­ho­ri­ty and Aut­ho­ri­ta­tiven­ess
Aut­ho­ri­ty, in all of our daily ex­pe­ri­en­ces, means a per­son or in­sti­tu­ti­on em­power­ed to en­force a rule. Sola scrip­tu­ra is in a sense a phi­lo­so­phi­cal sleight of hand. A book by its na­tu­re can only be aut­ho­ri­ta­ti­ve, not an aut­ho­ri­ty. Iro­ni­cal­ly, it was the first pope, the apost­le Peter, who poin­ted out the ra­ther ob­vious fact that Scrip­tu­re is not ne­ces­sa­ri­ly self-ex­pla­na­to­ry; it can be twis­ted by the un­scru­pu­lous to sup­port any theo­lo­gi­cal po­si­ti­on (2 Peter 3:16).
Pro­tes­tan­tism leads to the dis­in­te­gra­ti­on of the Church
A li­be­ral Pro­tes­tant church with litt­le or no aut­ho­ri­ty re­sults in chaos and the­re­fo­re in­di­rect­ly cont­ri­bu­tes to spawn a multi­tu­de of sects/de­no­mi­na­ti­ons. There are now more than 25 000 Pro­tes­tant sects and the num­ber is gro­wing![1]
Lit­ur­gi­cal Lon­gings
High church lit­ur­gy (much more di­gni­fied ri­tu­als known to Pro­tes­tants as »ser­vice/com­mu­ni­on«), is a com­mon fea­ture of Roman Ca­tho­lic and Eas­tern Or­tho­dox church­es. The Re­for­med and Evan­ge­li­cal Pro­tes­tant church­es are mis­sing out on an es­sen­ti­al part, the full­ness and rich­ness of high church lit­ur­gy. The tra­di­tio­nal Chris­ti­an com­po­n­ents such as the Mass and the Eu­cha­rist are es­sen­ti­al.
To quote a Ca­tho­lic:
»The sple­ndour of Roman Ca­tho­lic lit­ur­gy or the »vi­si­on« of the Roman Ca­tho­lic Church is im­men­se. It is full of glory and di­gni­ty. It is un-sup­por­ted­ly bright. But not only this: it is pre­sent in the Mass. ... But it is only in the lit­ur­gy ... that the whole drama is unfur­led and the scrim of tem­po­ra­li­ty is pier­ced, and we begin to see both the abyss and the Sapphi­re Thro­ne. It is very hard to keep this vi­si­on alive in non-lit­ur­gi­cal wor­ship.« (1132 f.)

So etwa sagt es Mar­tin Mo­se­bach auch, nur mit ein wenig an­de­ren, ele­gan­te­ren Wor­ten. Aber nein, noch ein­mal: Be­wun­de­rer der klas­si­schen Mes­se­li­t­ur­gie sind nicht des­halb dis­kre­diert, weil auch Brei­vik sich eine Re­ka­tho­li­sie­rung Eu­ro­pas wünscht (aus an­de­ren Grün­den sind sie durch­aus kri­tik­be­dürf­tig). Halt­bar ist al­lein die um­ge­kehr­te Fest­stel­lung: die Hoch­schät­zung der alten Lit­ur­gie und die Ori­en­tie­rung an rechts­ka­tho­li­schen Mus­tern schlie­ßt (wie die Op­ti­on für ve­ge­ta­ri­sches Essen) nicht aus, dass einer Mas­sen­mör­der wird.

Kurz­um: es kommt dar­auf an, aus all dem wir­ren Rau­schen von Brei­viks Ma­ni­fest die Bot­schaft her­aus­zu­de­stil­lie­ren. Und die ist von fa­schis­ti­scher Klar­heit. Brei­vik hat nicht die Zen­tra­le einer links­ra­di­ka­len Par­tei oder die Mo­schee eines Hass­pre­di­gers (wenn es die in Oslo geben soll­te) in Schutt und Asche ge­legt; er hat die Ge­bäu­de einer de­mo­kra­tisch ge­wähl­ten Re­gie­rung zer­bombt. Und er hat je ein­zeln 69 so­zi­al­de­mo­kra­tisch ori­en­tier­te Ju­gend­li­che (und nicht etwa Links­ra­di­ka­le oder mi­li­tan­te Is­la­mis­ten) er­mor­det. Also genau die Köpfe, die so herr­lich aus­ge­gli­chen, sach­lich, um­sich­tig und li­be­ral auf die Er­re­gungs­dis­kur­se un­se­rer Zeit re­agie­ren. Leute also, die z.B. is­la­mo­pho­be Af­fek­te und Dis­po­si­tio­nen sou­ve­rän ver­ach­ten, aber sich des­halb nicht gleich den Blick auf Pro­ble­me ver­stel­len las­sen, die ver­stärk­te Im­mi­gra­ti­on nun ein­mal mit sich bringt. Men­schen, die schon in jun­gen Jah­ren so reif sind, es nicht für eine Schwä­che zu hal­ten, ent­we­der-oder-Dis­kur­se zu ver­mei­den und so­wohl-als-auch zu sagen. Köpfe, die sogar be­reit sind, eine un­säg­li­che Figur zu be­schä­men, indem sie auch ihm ein rechts­staat­lich un­ta­de­li­ges Ver­fah­ren und einen kom­pe­ten­ten Pflicht­ver­tei­di­ger zu­bil­li­gen. Nicht aus­zu­schlie­ßen, ja plau­si­bel zu hof­fen ist, dass Brei­viks mons­trö­se Taten im Ver­bund mit sei­nem lach­haf­ten Ma­ni­fest und sei­ner lä­cher­li­chen Kos­tüm­po­li­tik dem Pro­jekt einer so­zi­al-de­mo­kra­ti­schen Po­li­tik dies- und jen­seits aller Mi­li­tanz neue At­trak­ti­vi­tät ver­lei­hen.

 

13. Jahrgang 2014

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