Monika Schmitz-Emans: Enzyklopädische Phantasien. Wissenvermittelnde Darstellungsformen in der Literatur – Fallstudien und Poetiken. Hildesheim, Zürich, New York (Olms) 2019, 753 S. (Literatur, Wissen, Poetik, Bd. 8)
Die ausgewiesene Komparatistin Monika Schmitz-Emans legt einen, dem Thema angemessenen, schwergewichtigen und voluminösen Band vor. Der Titel lässt vor dem geistigen Auge des Lesers bereits ganze Bücherwände aufsteigen. Dazu passt das beziehungsreiche Bild auf dem vorderen Einbanddeckel: Zunächst meint man zwei gegenüberstehende Seiten einer Handschrift zu sehen, bei der zur Hervorhebung einzelne wichtige Worte in blauer oder roter Farbe markiert wurden. Bei näherer Betrachtung aber erkennt man, dass es sich um einen modernen Druck handelt: Der Text in der Gestaltung von Ines von Ketelhodt entstammt dem Band Zweite Enzyklopädie von Tlön aus dem 50bändigen Buchkunstprojekt von Ines von Ketelhodt und Peter Malutzki, das zwischen 1997-2006 entstand und inspiriert ist durch die Erzählung Tlön, Uqbar, Orbis Tertius des Dichters Jorge Luis Borges. Die vermeintlichen Rubrizierungen bestehen aus kleinen blauen Quadraten, Kreisen, Kreuzen oder Rechtecken, durch die der Text nicht ausgezeichnet, sondern ersetzt wird, sodass er nur noch in Fragmenten zu erkennen ist. (Allerdings hätte der Verlag sich zu einer größeren Abbildung entschließen sollen!) Besser kann das Umschlagbild für ein Werk über ›Enzyklopädische Phantasien‹ kaum gewählt werden, denn hier scheint bereits ein Grundelement der Darstellung auf: das Spiel mit den Erwartungen an die Gattung ›Enzyklopädie‹.
Umberto Eco, Der ewige Faschismus, mit einem Vorwort von Roberto Saviano, München (Hanser) 2020, 77 Seiten
Es kann doch nicht bloß der orgiastischen ›links-grünen‹ Italiensehnsucht geschuldet sein, dass aus der geliebten Landschaft ausgerechnet mit dem fascio, dem Rutenbündel (aus dem ein Beil herauslugt!) – einem antiken italischen Amtssymbol – heutzutage eine polit-rhetorische Devotionalie gegenwärtiger politischer Denunziation entdeckt wurde? – Nun, ›entdeckt‹ kann man diese heute referenzlose Floskel nicht wirklich nennen, es ist eigentlich Retroware. Und dadurch wandelt sich ›faschistisch‹ heute umso mehr, wie Eco schreibt, in ein Fuzzylogic-Wort (24). Diese Fuzzylogic war schon der ursprünglichen politischen Bewegung ›Fasci italiani di combattimento‹ eigen, sie gründet auf gar »keine monolithische Ideologie, sondern ist eher eine Collage« (24), die beliebige Zwecke illustrieren kann. – Diese neue Vokabel (›faschistisch‹), ursprünglich eine Selbstbezeichnung, wurde im Meinungs- und Straßenkampf seither dann auch multikulturell diversifiziert. Sie wurde als Kennzeichnung einer ersten totalitären, unspezifisch aktivistischen Denkungsart aufgegriffen, um die Ablösung des herkömmlich Politischen zugunsten der Auferstehung elementarer technischer Operativkräfte in der Polis (Massenmärsche, Massenmedien, Massenparteien, Milizen und Militär) zu beschreiben. Kurzum: »Wann immer ein Politiker die Legitimität des Parlaments in Zweifel zieht«, sei es aus Ärger über ›unpassende‹ Mehrheitsverhältnisse, sei es über die Anwesenheit einer ›unpassenden‹ parlamentarischen Fraktion, dann, so Eco, »riecht es nach Ur-Faschismus.« (38).
EDELBERT RICHTER: Für ein Ende der Halbwahrheiten. Korrekturen an unserem Bild von Judentum und Nationalsozialismus, Edition Sonderwege, Manuscriptum Verlagsbuchhandlung, Lüdinghausen und Berlin 2018, 448 Seiten
Wenn Edelbert Richter sich äußert, dann ist das ernst zu nehmen. Als ausgebildeter Theologe und gebildeter Philosoph, in der einstigen DDR-Opposition eher auf dem linken Flügel, und langjähriger SPD- Parlamentarier tut er das immer wieder in Buchform, um den Dingen auf den Grund zu gehen. Effekthascherei wird ihm niemand unterstellen, der ihn kennt. Nach einem Werk, das die Tradition »deutschen Vernunft«-Denkens dem »angelsächsischen Verstand« systematisch gegenüberstellt, ist vor einem Jahr Für ein Ende der Halbwahrheiten. Korrekturen an unserem Bild von Judentum und Nationalsozialismus erschienen.