Renate Solbach: Der Bogen

II

Oskar Lafontaine ist seiner Parteivorsitzenden Gesine Lötzsch und ihren verunglückten Kommunismus-Sprüchen zur Seite gesprungen mit dem Argument: der Kommunismus kommt doch schon in der Bibel vor, warum also diese Aufregung? Was ist dran an diesem Argument?

In der Apostelgeschichte (2,44; 4,32) heißt es von der judenchristlichen Jerusalemer Urgemeinde:

Aber alle, die gläubig geworden waren, waren beieinander und hielten alle Dinge gemeinsam. Ihre Güter und Habe verkauften sie und teilten sie aus unter alle, nach dem jemandem not war.

›Communis‹ heißt gemeinsam. Eine Art von Kommunismus war das also durchaus. Allerdings ging es jenen Judenchristen weder um eine gerechte Gesellschaftsordnung noch um Wohlstandsmehrung, sondern um Nächstenliebe und – Weltverachtung. Sie verhielten sich wie Auswanderer, die mit ihrer Heimat brechen. Sie rechneten mit dem baldigen Weltende und deshalb nicht mehr ökonomisch. Denn auf Dauer übersteigt die Miete den Verkaufserlös eines Hauses und die jährliche Ernte den des Ackers. Der Maßstab der Verteilung war: das Lebensnotwendige, also sozusagen Hartz IV. Die Judenchristen der Jerusalemer Urgemeinde wurden deshalb »die Armen« (Ebioniten) genannt. Als sie Paulus grünes Licht gaben für die Mission unter den Heiden (Griechen), trugen sie ihm auf, bei ihnen eine Kollekte für die Jerusalemer zu sammeln. Auch dieser karitative oder Liebeskommunismus wurde also bereits mit »Westgeld« subventioniert und zwar von solchen Christen, die sich nicht mittellos gemacht hatten. »Soll ein Christ geben, so muss er zuvor haben« (Luther). Die biblische Reichtumskritik hat vor allem zwei Pointen. Die Propheten kritisieren den Reichtum auf Kosten und zu Lasten der Armen. Und im Neuen Testament wird kritisiert, dass Menschen ihr Herz an ihren Reichtum hängen. »Haben als hätten wir nicht« empfiehlt Paulus.

Der Verzicht auf Privateigentum kehrt wieder im klösterlichen Armutsideal. Die Klöster sind das größte Experiment mit der Abschaffung des Privateigentums. Aber effektives Wirtschaften durch Gemeineigentum war nicht das Ziel der Klöster, sondern die Absage an das weltliche Leben (vita activa) zugunsten eines Lebens der Gottesliebe und Nächstenliebe (vita contemplativa). Sehr bald erregten deshalb Klöster Anstoß, deren Mitglieder nur formell arm waren, da ihre Klöster selbst sehr reich geworden waren, mit Karpfenteichen für die Fastenzeit. Deshalb kam es zu Klosterreformbewegungen und Protestgründungen, die das Armutsideal auch für den Orden selbst praktizierten, wie die Zisterzienser und später die Bettelorden. Reich waren jene anderen Klöster aber nicht durch die Effektivität des gemeinsamen Wirtschaftens geworden, sondern durch Schenkungen und – durch Ausbeutung Abhängiger. Insofern war diese Ökonomie des Gemeineigentums parasitär, ermöglicht durch solche, die nicht zur Gemeinschaft gehörten. Auch deshalb haben die Reformatoren vehement bestritten, dass das Klosterleben besonders gottgefällig sei und stattdessen jeden weltlichen »Beruf« als Berufung zum Gottesdienst im Alltag der Welt verstanden.

Im linken Flügel der Reformation hat jenes Wort aus der Apostelgeschichte noch einmal wörtliche Nachahmer gefunden, bei den Hutterern. Sie leben bis heute – größtenteils in Nordamerika - in kleinen landwirtschaftlichen Kommunen in Tracht und Technik nach der Väter Weise ohne Privateigentum, isoliert von ihrer Umgebung. Ihr Grundsatz lautet: »jedr gibt, wos’r konn und kriegt, wos ihm not ist«. Sie wurden übrigens im 17. Jahrhundert communistae genannt. Diese Kommunen sind nicht parasitär, weithin autark und ökonomisch stabil, dies aber unter der Voraussetzung einer kollektiv kontrollierten asketischen Lebensführung, die sich auf das Notwendige beschränkt, und das heißt Luxusverbot und Innovationsverbot. Zudem funktioniert diese Ökonomie nur in kleinen Gemeinschaften. Sobald eine dieser Kommunen diese Größe überschreitet, teilt sie sich.

Als dritter und jüngster Großversuch einer Gemeinschaft ohne Privateigentum an Produktionsmitteln sind die Kibbuzim der Einwanderer in Palästina/Israel zu nennen. Auch bei ihnen gehören zu den Bedingungen des Funktionierens eine gewisse asketische Grundeinstellung, der Gründer-Idealismus, der inzwischen stark zurückgegangen ist, und eine Limitierung der Größe. Heute sind viele hochverschuldet und erwarten Hilfe vom israelischen Staat. Die könnte er nicht leisten, wenn die gesamte israelische Gesellschaft ausschließlich in Kibbuzim organisiert wäre.

Wir sehen: wo die Idee des Gemeineigentums tatsächlich praktiziert worden ist, wurde sie nicht mit dem Ziel besonderer wirtschaftlicher Effizienz angestrebt, sondern als Minimalökonomie für eine Gemeinschaft, der es auf Wohlstand nicht ankommt. Und sie ist auf Gemeinschaften persönlicher Vertrautheit beschränkt. An jener asketischen Einstellung bleibt immer richtig, dass es im Leben Wichtigeres gibt als ökonomische Effizienz. Reichtum macht auch keineswegs immer glücklich. Aber damit ist noch nichts gesagt zu der anderen Frage, welche Art von Ökonomie, und also auch welche Eigentumsordnung denn die beste und wünschenswerte ist. Jeder kann ein ärmliches Leben wählen. Aber niemand sollte es anderen verordnen oder aufnötigen.

Unser Verhältnis zum Eigentum, also zu den Dingen, die wir zum Leben brauchen, wie Kleidung, Wohnung, Werkzeuge, Häuser, Straßen und Fabriken, ist wechselseitig. Sie dienen uns als Lebensmittel, aber auch wir müssen ihnen in gewissen Grenzen dienen, sie pflegen und erhalten, weil sie sonst verfallen und veralten. Das können aber nur Individuen oder definierte Gruppen leisten. Und so ist denn auch das »Volkseigentum« in Gestalt von Fabriken hoffnungslos veraltet und in Gestalt von Häusern verfallen.

Karl Marx hat bekanntlich für den Kommunismus die Formel gebraucht: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.« Geprägt hatte sie 1839 Etienne Cabet. Die Formel zeigt eine überraschende Ähnlichkeit zur hutterischen Devise, aber mit zwei markanten Unterschieden. Erstens: Statt Notdurft heißt es jetzt Bedürfnis. Das asketische Moment ist getilgt. Chruschtschow übrigens hat 1961 ein Programm des Aufbaus des Kommunismus in zwanzig Jahren verkündet, in dem es noch einmal hieß: »vollständige Befriedigung der wachsenden materiellen Bedürfnisse« – und: »Der Traum, hundert Jahre alt zu werden ohne zu altern wird Wirklichkeit«, also ab 1981. Das Existenzminimum ist einigermaßen definierbar, nicht aber die Bedürfnisse. Die sind plastisch und steigerbar. Wenn sie zum Verteilungsmaßstab werden sollen, entsteht eine Bedürfnisdefinitions- und -befriedigungs-Bürokratie.

Und zweitens: der Grundsatz soll nun für eine Großgesellschaft, also eine Volkswirtschaft praktiziert werden. Marx hat schlicht übersehen, dass auch dies gewaltige Bürokratisierung bewirken musste. Insofern ist es nicht richtig, dass diese ein Abfall von der reinen Lehre war. Sie ist die von Marx, wie es scheint, nicht bedachte unausweichliche Konsequenz seines Ansatzes.

 

Geschrieben: 1997

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