NASSIM NICHOLAS TALEB: Skin in the Game. Hidden Asymmetries in Daily Life, (Penguin Random House) 2018
1.
Angenommen, Sie gehörten zur Klasse höherer, im Verwaltungsbereich tätiger Beamter oder Sie verdienten Ihren Lebensunterhalt, sagen wir, als Professor der obersten Gehaltsstufe, also als jemand, den man bis vor wenigen Jahren in Deutschland als Ordinarius angesprochen hätte, oder Sie wären Politiker*in mit jenem Sternchen, das Ihre Korrektheit in allen beruflichen Lebenslagen zum Ausdruck bringt, oder Sie wären als leitender Angestellter in einer jener Firmen tätig, die aus jedem Börsencrash mehr oder minder gestärkt hervorgehen, und Ihnen gegenüber säße jemand mit einer Pistole in der Hand, der Ihnen mit wenigen Worten erklärt, dass es Ihnen nun an den Kragen gehe – und dann lehnte sich Ihr unheimlicher Gast im Sessel zurück und käme ins Plaudern, während er vor Ihren Augen das gute Stück entsichert, sichert, zerlegt, mit Kennermiene Stück für Stück erläutert, wieder zusammensetzt, auf Sie richtet, ein wenig herumfuchtelt, es schließlich weglegt, um Ihnen zu versichern, er habe gegen Sie persönlich nichts, er kenne Sie nicht einmal, er kenne nur Ihresgleichen und – da ist er wieder, der stählerne Blick! – Ihresgleichen, das seien nun eben – entschuldigen Sie den Ausdruck! – bull***ers, Intellectuals Yet Idiots (IYI): Leute, die es nur deshalb gebe, weil, nun, weil es Hierarchien und Diplome gebe, Dinge also, über die richtige Menschen wie er und ein paar andere, echt coole Typen nur lachen könnten, denn die Wirklichkeit, nun ja, die Wirklichkeit, kümmere sich einen Sch*** um Hierarchien und Diplome.
Wie würden Sie sich während dieser Zeit fühlen?
Doch angenommen, Sie gehörten zu jener Sorte echter Geschäftsleute, die ein Geschäft auf fünf Kilometer riechen und, einmal auf der Fährte, nicht auslassen können, auch wenn Sie dabei ihre Ehe und ihr Eigenheim aufs Spiel setzen, oder Sie wären einer jener Spezialisten mit gewöhnungsbedürftigem Vokabular, musikalischem Mundgeruch und den Manieren eines abgesägten Gewehrlaufs, mit deren Hilfe die großen Geldhäuser ihre Spekulationsgewinne fabrizieren, oder Sie stapften, ausgerüstet mit Explorationspapieren, die Sie ebenso gut reich machen oder ins Gefängnis bringen können, Tausende von Kilometern entfernt von Ihrem heimatlichen Finanzamt durch unwirtliches Gelände, oder Sie hätten sich nach verpatztem Examen zum Multimillionär hochgearbeitet und möchten sich nach einem angeregten Golfwochenende ein wenig fortbilden, oder, oder, oder … und vor Ihnen säße ein eloquenter Herr, Harvard-Typ, Erfolgsautor, wie er zu betonen nicht müde wird, Inhaber soundso vieler akademischer Auszeichnungen und erzählte Ihnen unaufgefordert, warum Sie alles richtig gemacht haben in Ihrem Leben, während all die feinen bull***ers von Barack Obama bis zu den IYIs (siehe oben) in ihren klimatisierten Büros Ihnen nicht das Wasser reichen könnten –
Was würden Sie tun? Lachen? Geschmeichelt sein? Heimlich auf die Uhr sehen und hoffen, dass der Langweiler bald verschwindet? Ihn hinauswerfen? Ihm Geld geben (es könnte ja sein, dass er sich die Mühe für einen guten Zweck macht und das hier nur die Einleitung darstellt)? Ihm aufmerksam zuhören, sich Notizen machen und Ihren Sprösslingen davon berichten, denen Sie den Aufenthalt in den heiligen Bezirken der Gender Studies und der Governance-Kurse bezahlen, damit sie es einmal gesellschaftlich mit ihren Freunden aufnehmen können? Warum? Damit sie darüber lachen und respektlose Witze reißen können?
2.
Skin in the Game ist kein Buch, sondern, seine Fans mögen nicht böse sein, ein Sammelsurium unterschiedlichster Gedanken, deren roter Faden in der ungebremsten Risikofreude aufleuchtet, mit welcher der Autor sie um die Welt schickt: no risk no fun, no risk no book, no risk no reader, no risk no science, no risk no freedom, no risk no money – hoppla: no real money, denn das erschlichene Einkommen all derer, die im Trockenen sitzen und es meisterlich verstehen, das Unheil, das sie auf ihren Posten anrichten, auf andere Menschen abzuwälzen, während sie selbst im Ernstfall auch noch davon profitieren, ist, Sie erwarten das Wort bereits, ehrlos. Gibt es solche Leute? Sicher gibt es sie, jeder kennt sie, jeder hat Erfahrungen mit ihnen gemacht, denn sie sitzen überall, keiner kann sich vorstellen, persönlich einer von ihnen zu sein, jeder kann mit dem Autor lachen, sich auf die Schenkel klatschen oder an die Brust klopfen: Nicht mit mir!
In den vier Wänden seines Daseins ist jeder ein risk taker. Niemandem wurde etwas geschenkt. Jeder Mensch weiß, was er tagtäglich wagt, sobald er die Deckung seines Schlafzimmers verlässt. Die Scheinaktiven, die Pseudointellektuellen, die Wissenschaftsschwätzer, die Unberührbaren der Geschäftswelt und des Betriebs samt ihren Speichelleckern sind immer die anderen. Das ist kein Fehler in der Selbstwahrnehmung, sondern ein konstitutives Element eines jeden Einzelnen, der morgens vor dem Spiegel steht und sich für den Tag rüstet. Denn dieser Tag ist sein Tag, sein Abenteuer, sein Feuerwerk aus Unvorhergesehenem, anders lohnte es sich nicht, den Fuß vors Haus zu setzen. Das lässt man sich gern von einem Risikoexperten erklären, vor allem, wenn er den Mund so voll nimmt, dass man unwillkürlich lachen muss, denkt man dabei an die Gesichter der Kollegen und die gesammelte Belanglosigkeit, die einen aus ihnen anblickt. Hier spricht ein Mann, der etwas von der Sache versteht. Man müsste sich bei Gelegenheit länger mit ihm unterhalten. Eine Bootsfahrt, ja sicher, eine gemeinsame Bootsfahrt wäre das Richtige.
Das klingt wie eine Warnung, mit der Lektüre dieses Werkes nicht seine Zeit zu verschwenden. Das Gegenteil ist der Fall. Jedem, den die verborgene Linie, die von Hammurabi über Paris – New York – Saudi Arabien und die Panama Papers zu Obama, Hillary Clinton, Monsanto und Donald Trump, The Real Donald, führt, schon immer faszinierte, sei sie ausdrücklich ans Herz gelegt. Man erfährt mancherlei über Gerechtigkeit, Symmetrie, Risiko, Statistik und Risikoanalyse, darf nebenbei seine Kenntnis der antiken Geschichts- und Fabelwelt aufbessern und sieht bestätigt, was man in seinem Innersten schon immer wusste: dass die edlen Wissensproduktionsstätten der Ivy League kaum mehr sind als eine Kloake übelriechender Fake Science-Absonderungen, überteuerte Agenturen zur Herstellung von sozialer Distanz und viel viel bull***t. Andererseits wäre Amerika nicht, was es nun einmal ist, böte der gesunde angelsächsische Unternehmersinn nicht auch dagegen Remedur. Wäre Amerika nicht Amerika, spielte es vermutlich, intellektuell und überhaupt, in einer Liga mit dem zerrütteten Frankreich, dem die Meisterdenker vom linken Seineufer den letzten Tropfen aussaugen und, vermutlich von Ekel geschüttelt, irgendwo in das zentralistische Kanalsystem spucken. Das wäre nicht gut, hoffen wir, dass alles so bleibt, wie es ist.
Dieses Buch ist eine Belohnung, die zu Hause auf dem Nachttisch wartet, ein Muntermacher für zwischendurch, wenn die Bürozeit sich hinzieht, ein Stern am Nachthimmel, wenn die genaue Kenntnis der Dinge zu träumen beginnt und sich über Gefilde ausbreitet, von denen sie sich tagsüber fernhält. Gewiss wäre es beckmesserisch, gleich zu Beginn gegen die etwas skurrile Interpretation des Kantischen Imperativs Einspruch zu erheben – wer ist schon Kant? Wer ist schon Kant-Kenner? Ein bull***er, keine Frage. Anders steht es schon, wenn Taleb Karl Popper, den Popper, Sie wissen schon, den Falsifikations-Popper auffährt, um sein etwas eitles Theorem abzusichern, dass wahre Wissenschaft nicht als Wissenschaft auftritt und nichts von Standards und Methoden weiß. Ein Missverständnis, eines von den kleineren, aber verräterisch, wie alles Theorie-Hopping, dem es an einem wirklichen Gegner fehlt. Ähnlich leger geht es dort zu, wo es dem Ökonomen Piketty an die allerwerteste Halskrause geht. Hier prallen, versteckt unter wissenschaftskritischem Gehabe und einer guten Portion Angeberei, Gerechtigkeitsmodelle aufeinander, die sich nicht leicht gegeneinander abgleichen lassen. Das sind so Eindrücke unter vielen, die kommen und vergehen. Am Ende geht es, wie fast immer unter Kritikern der Schulweisheit und ihrer ›Systeme‹, ums Überleben und seine Regeln.
3.
Wirklichkeit, dieses Riesending, steckt wirklich in dem Buch, ansonsten wäre es bloß eitel Geschwätz. Sie rüttelt an den Gitterstäben der Theoreme und will heraus, aber sie gelangt nur bis ins Vorzimmer, dort sitzen die Wärter und führen sie zurück. Gäbe es nicht die Abgehobenheit der Eliten, es gäbe sie nicht. Abgehobenheit ist kein Prädikat für Götter, die sich nicht um die menschlichen Dinge kümmern. Das Gegenteil ist der Fall. Sie ist die Voraussetzung für die großen Würfe der Menschenmeister und ihre Durchsetzung.
Wie setzt man etwas durch?
»First, you show pictures of starving children to elicit sympathy and prevent further discussion – anyone who argues in the presence of dying children is a heartless a**hole. Second, you make it look like any critic of your method is arguing against saving the children. Third, you propose some scientific-looking technique that is lucrative to you and, should it cause a catastrophe or blight, insulates you from the long-term effects. Fourth, you enlist journalists and useful idiots… Fifth, you create a smear campaign to harm the reputations of researchers who, not having f*** you money, are very vulnerable to the slightest blemish to their reputations.«
Noch Fragen?