Renate Solbach: Sonnenaufgang

Zur kulturanalytischen Funktion des Konzepts ›rituelle Konstellation‹

Einleitung: Öffentliche Rituale als historisch-kulturelle Erfahrungssituationen

Die Bilder gleichen sich. Ob in Paris nach islamistischen Anschlägen gegen die Redaktion der Satirezeitung Charlie Hebdo im Januar 2015 und eine Veranstaltung im Konzertsaal ›Bataclan‹ im November desselben Jahres, in Brüssel am Morgen des 22. März 2016 nach islamistischen Anschlägen am Flughafen und in der Innenstadt am Eingang einer U-Bahn-Station, in Nizza auf der ›Promenade des Anglais‹ nach einem islamistischen Selbstmordanschlag mit einem Lastwagen am Abend des 14. Juli 2016, dem französischen Nationalfeiertag, in München am ›Olympia Einkaufszentrum‹ am 22. Juli 2016 nach der zunächst als Anschlag, später als Amoklauf erkannten Tat eines psychisch Kranken mit offenbar rechter Orientierung gegen Jugendliche mit Migrationshintergrund (vgl. Kampf/Stroh in SZ 04.10.2017), ob am Ufer der Dreisam in Freiburg im Dezember 2016 nach der Ermordung einer Joggerin durch einen Flüchtling, in Berlin nach einem islamistischen Anschlag mit einem Lastwagen auf einen Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016 durch einen Flüchtling, in London nach einem islamistischen Anschlag mit einem Mietwagen auf Fußgänger an der ›Westminster Bridge‹ am 22. März 2017, in St. Petersburg nach einem Selbstmordanschlag in der U-Bahn am 3. April 2017, in Stockholm nach einem islamistischen Anschlag mit einem Lastwagen in einer Fußgängerzone am 7. April 2017, in Ägypten nach Anschlägen auf zwei koptische Kirchen am 9. April 2017 (Palmsonntag), in Paris nach einem islamistischen Anschlag auf Polizisten am 20. April 2017, in Manchester nach einem islamistischen Selbstmordanschlag auf die überwiegend jugendlichen Besucher eines Popkonzerts am 22. Mai 2017, in London nach einem Anschlag mit einem Lieferwagen auf Passanten auf der London Bridge am 3. Juni 2017, in London nach dem Anschlag eines Islamophoben auf eine Gruppe Muslime am 19. Juni, in Barcelona nach einem islamistischen Anschlag mit einem Lieferwagen in der touristisch bedeutendsten Promenade ›la Rambla‹ am 17. Aug. 2017 sowie am selben Tag in Cambrils, um die unvollständige Aufzählung damit zu beenden: Spontan, ohne Aufforderung einer Institution finden sich Menschen, die ihren geplanten Alltagsablauf unterbrechen, in der Nähe des jeweiligen Tatorts ein, um dort Blumen und – für Kinder unter den Opfern – Spielzeuge niederzulegen, Kerzen anzuzünden und im Stehen schweigend zu verweilen, um als Trauergemeinschaft ihre Betroffenheit, ihr Mitgefühl, ihre Solidarität mit Opfern und Hinterbliebenen sichtbar auszudrücken. Trauernde Muslime versammeln sich stehend und kniend mit gesenkten Köpfen und vor der Brust verschränkten Armen und zusammengelegten Händen.

Zwar machen alle diese symbolischen Gesten das jeweilige Ereignis nicht ungeschehen, auch tragen sie nicht zur kriminalistischen Aufklärung der Verbrechen bei, wohl aber können sie die betroffenen Menschen dabei unterstützen, Angst, Verunsicherung und Desorientierung durch die Herstellung und Erfahrung von Gemeinschaft zu bearbeiten. Anschlagsorte im öffentlichen Raum werden als Zeichen für dessen »Missbrauch« (Därmann/Echterhölter 2013, 8) als kollektiv bedeutsame Erinnerungsorte in alltäglichen Umgebungen markiert und können die Transformation des öffentlichen Raums zum zeit- oder gegenwartsgeschichtlich geprägten Geschichtsraum intensivieren. Durch die islamistischen Anschläge auf die Sicherheit und freie Zugänglichkeit des öffentlichen Raums ist eine neue historische Situation entstanden: Unter den zufällig anwesenden Passanten sind viele Opfer zu beklagen, für die Hinterbliebene und Öffentlichkeit eine angemessene erinnerungspolitische Würdigung erwarten, wie sie z.B. für die Opfer von Amokläufen und Naturkatastrophen üblich ist.

Während es nicht sicher ist, ob materielle Reste zerstörter Einrichtungen als Erinnerungszeichen gesichert und ausgestellt werden, geht die Erfahrung von Ereignis und Ablauf des Anschlags in das »autobiographische Gedächtnis« (Markowitsch/Welzer 2005) der Zeugen ein und wird durch deren Erzählungen produktiv. Denn dass die ritualisierten Gesten öffentlicher Trauer tendenziell in der Form einer Ritualgemeinschaft sichtbar werden, weist auf die überindividuelle, gesellschaftliche Dimension des Trauerprozesses hin, der als Reaktion auf den vorhergehenden Anschlag stattfindet. Als Ausdruck individueller Betroffenheit machen öffentliche, spontane Trauerrituale auf das Leid der Opfer und Hinterbliebenen aufmerksam, zugleich verweisen sie auf dessen Anlass und Kontext, d.h. sie konnotieren auch die komplexe Situation der Täter, die – nach vorliegenden Befunden – z. B. psychisch krank sind oder die – vor allem bei islamophoben Anschlägen – rechtsextremen Gedanken folgen oder die womöglich als Flüchtlinge oder Migranten in das jeweilige Land gekommen sind. In diesen Fällen wird bei der Berichterstattung darauf geachtet, keine Beziehung zwischen den einzelnen Tätern und der Gesamtheit der Flüchtlinge herzustellen, die dann als Bedrohungspotential gelten könnte.

Weil ein oder mehrere Täter einen Anschlag verübt haben, weil sie damit nicht nur zufällig anwesende Menschen getötet und verletzt, sondern insgesamt auch das Vertrauen in die Ordnung und Sicherheit des öffentlichen Raums gestört haben, bilden Betroffene gerade in diesem öffentlichen Raum eine ritualisierte Trauergemeinschaft als Gegenzeichen. Wenn es zutrifft, dass die islamistischen Anschläge von Mitgliedern bestimmter Islamrichtungen gegen die westliche Kultur und Lebensform im Allgemeinen und deren jeweilige gesellschaftliche und politische Ordnung im Besonderen (»Radikale Islamisten halten Europa in Atem. Nach den jüngsten Anschlägen in Manchester und London wird erneut klar, dass religiöse Fanatiker nichts unversucht lassen, um die westliche Gesellschaft zu erschüttern«, Hanning in SZ 13.06.2017; »Der Krieg gegen den Westen«, Hermann in FAZ 19.08.2017) gerichtet sind, wenn es sich dabei um programmatisch gerahmte Taten handelt, dann erhält die ritualisierte Selbstverständigung im öffentlichen Raum die Bedeutung eines Bekenntnisses zur bedrohten Ordnung und wird zur programmatischen Handlung aufgeladen. Allerdings ist die Metapher Krieg für terroristische Anschläge unangemessen, weil sie z.B. eine nicht zu begründende Aufwertung der Täter und ihrer kriminellen Aktivitäten zu gleichberechtigten Verhandlungspartnern staatlicher Vertreter einschließt. Die durch einen Anschlag bedingte soziale Vergemeinschaftung im Gestus der Trauer stellt sich auch als Mahnung dar, solche Anschläge mit polizeilichen, sozialpolitischen und anderen geeigneten Mitteln in Zukunft zu verhindern. Damit eignet diesen öffentlichen Trauerritualen neben der erinnerungspolitischen auch eine Dimension politischer Gestaltung(sintention). In vielen Kulturen gelten Trauer- und Bestattungsrituale als Versicherung der eigenen kollektiven Vergangenheit (Bezug zu den Ahnen) und Kontinuität in der Zukunft.

Insgesamt scheinen die Anschläge gegen westliche Demokratien ein Szenario aus Bedrohung, Verunsicherung und Glaubwürdigkeitsdefiziten hinsichtlich des Selbstverständnisses liberaler Verfassungsstaaten zu verstärken. »Mit Trump im Weißen Haus, der Türkei auf dem Weg in die Autokratie und dem Erstarken populistischer Parteien in ganz Europa wirkt der proklamierte Siegeszug der liberalen Demokratie mittlerweile jedoch eher wie ein Rückzugsgefecht« (Bieber in FAZ 17.05.2017). Diese Diagnose eines Ungleichgewichts zwischen einer Vielzahl offener Probleme und einem Mangel an Antwortperspektiven und weiterführenden, lösungsorientierten Fragen nimmt Bieber mit seinem Hinweis auf den Oxforder Philosophen David Miller auf, der frage, »welches Recht auf Abgrenzung Gesellschaften haben und welche Pflichten gegenüber Migranten« (Bieber ebd.). Verfassungsgeschichtlich ergänzt wird diese Diagnose durch den Hinweis auf die »Paradoxie« der modernen Verfassungsstaaten, deren Ansatz auf der Verbindung von »Nationalstaatsprinzip« und dem Prinzip universaler »Menschenrechte« (Siehr 2001, 7) beruht (s. Kap. 3.3).

In diesen Zusammenhang, der die Begründung eines sozial- und kulturpolitischen Politikfelds ›Grenzpolitik‹ mit der Aktualisierung des Deutungsmusters ›offene Gesellschaft‹ (Karl Popper) nahelegen mag, gehört auch Julian Nida-Rümelins Studie Über Grenzen denken. Eine Ethik der Migration (Hamburg 2017), in der er die scheinbar einfache Alternative von Grenzöffnung und -schließung auf mögliche Folgen für die Menschen in den Gastländern und die in den Herkunftsländern Zurückbleibenden bezieht. So sind für Nida-Rümelin mindestens drei Gruppen direkt vom Phänomen Migration/Flucht betroffen: die Flüchtlinge, die Einheimischen in den Zielländern und die in den Herkunftsländern Bleibenden, deren Aufgabe Wiederaufbau und Sicherung der dortigen Strukturen sei. Daraus müsste folgen, dass die Politik der Zielländer nicht nur auf die Aufhebung der Gründe für Flucht und Migration orientiert sein sollte, sondern auch das Phänomen der Ungleichbehandlung der Zurückbleibenden gegenüber den anerkannten Asylbewerbern zumindest zu reflektieren hätte. Weiterhin wären auch Migrations- und Grenzpolitik (Interessen, Vor-, Nachteile in diversen Politikfeldern, nationale Migrationserfahrungen, wohl auch -verluste, Kultur und Gesellschaft) jener (EU-) Staaten zu analysieren, die sich weigern, Flüchtlinge in nennenswerter Zahl aufzunehmen.

Als Reaktionen auf Anschläge öffnen Trauer- und Gedenkrituale den Blick über je situative Trost- und Ordnungsbedürfnisse der einzelnen Ritualteilnehmer hinaus auf Ordnungsstrukturen und Befindlichkeiten sowie das Krisen- und Konfliktpotential der jeweiligen Bezugsgesellschaften. Formen ritualisierter öffentlicher Trauer scheinen mit der Intention aufgeführt zu werden, individuelle Betroffenheit sichtbar zu machen, aber auch das Bekenntnis zur eigenen Ordnung sowie die Bereitschaft zur Lösung akuter Konflikte wie auch zu deren künftiger Vermeidung auszudrücken. Demnach handelt es sich bei öffentlichen ritualisierten Trauerformen um abhängige (bedingt durch die von der sog. ›Terrormiliz Islamischer Staat‹, von Kranken und Islamophoben verantworteten Anschläge) und unabhängige Variablen (offenes Wirkungspotential), was forschungstheoretisch und -praktisch womöglich neue Zusammenhänge erschließt: zwischen dem scheinbar ›bloß‹ situativ begrenzten Ereignis und dessen – aufgrund der gegen unterschiedliche Gesellschaftsformen, Kulturen und Religionen weltweit verübten Serie der Anschläge mit geschichtsrevisionistischer Zielsetzung (z.B. Transformation der Iberischen Halbinsel zum ehemals maurischen Herrschaftsbereich al Anadalus) – impliziter weltgeschichtlicher Dimension. So setzen auf der Ereignisebene unmittelbar nach einem Anschlag globaler Informations- und Kommentaraustausch – Funktion: Deutungsangebote und -politik – z.B. über Messengerdienste ein, häufig dokumentiert jemand die Vorgänge mit dem Smartphone. Von Anfang an sind die Betroffenen mit dem Ereignis nicht allein, ihre Situation wird Gegenstand globaler Netzwerkkommunikationen. Auf der digitalen, kulturellen, politischen und rituellen Ebene der Anschläge scheint sich ein spezifisches Konzept von ›Weltgeschichte‹ abzuzeichnen.

Sowohl auf der Ereignis- als auch auf der Deutungsebene geht der Phänomenbereich von Flucht und Migration alle Menschen aller Staaten an. Dessen ungeachtet gelten jene Menschen in den Gastländern, die sich als Betreuer/Betreuerinnen für Flüchtlinge, gegen deren Abschiebungen auch mit Inanspruchnahme institutioneller Einrichtungen mit langer Geschichte wie das Kirchenasyl engagieren, als in besonderer Weise betroffen. »Die psychische Belastung der Betreuten wird zunehmend auch zur Belastung für die Helfer, die nach der spontanen Hilfe im Herbst 2015 nun vor ganz neuen Herausforderungen stehen. Und die zunehmend das Gefühl haben, vom Staat und der Politik immer weniger gehört und ernst genommen zu werden« (Mittler in SZ 10.07.2017; vgl. Joeres in NZZ 15.07.2017; s. Kap. 3.1). Als Konsequenz sind Gründung und regelmäßige Treffen von Helferkreisen auf regionaler, Landes- und Bundesebene im Gespräch, d.h. ritualisierte Formen der Zusammenarbeit.

Rituale sind nicht ohne Berücksichtigung ihres determinierenden Anlasses zu analysieren. Dieses Reiz-Reaktions-Schema von auslösendem Ereignis und ritualisierter Reaktion bezeichne ich als rituelle Konstellation, womit ritualwissenschaftlich sowohl ein Untersuchungsgegenstand als auch ein -verfahren gemeint ist. Empirisch zu untersuchen ist die Kausalbeziehung zwischen – zunächst – zwei Ereignissen: dem Ausgangsereignis (Faktum, hier Anschlag) und dem darauf reagierenden ritualisierten Deutungsereignis (Interpretum, hier ritualisierte Trauerformen), das dem Faktum die Funktion des Auslösers gibt und dadurch, dass es selbst Faktum ist, seinerseits Reaktionen (weitere, nun geplante, Trauerrituale, Themendebatten in politischen Gremien usw.) auslösen kann. Dabei gilt die Aufführung oder das in-Szene-Setzen eines Rituals aus emischer (Teilnehmer-) Perspektive als Deutung des Bezugsereignisses mit Anspruch auf – subjektive – Verbindlichkeit, was in der Regel – Beispiel ritualisierte Trauerformen – die Tendenz zu Verstetigung und Etablierung als Gedenkritual einschließt (s. Kap. 3.3). Wird auf Anschläge, die im öffentlichen Raum zumeist an Symbolorten als Einbrüche in die je kollektive Erinnerungskultur verübt werden, mit der Einrichtung von Gedenkorten und -ritualen reagiert, so scheint dies eine angemessene erinnerungspolitische Würdigung der Opfer darzustellen. Grundsätzlich kann das Ziel von Erinnerungs- und Gedenkkultur darin gesehen werden, »den Opfern ihr Gesicht wieder[zu]geben« (Stroh in SZ 05.09.2017). Wie die zunächst zeitgeschichtliche Bedeutung einer Serie ritueller Konstellationen letztlich historisch verortet wird, hängt wesentlich von der etischen Perspektive (Außensicht, Forscher) aufgrund von Theorieansätzen und verfügbaren Quellen ab (Deutungsangebot).

Allgemein gilt, dass Rituale kein Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck sind: Indem oder dadurch dass sie aufgeführt werden, soll ein bestimmtes Ziel – Konfliktlösung oder -vermeidung – erreicht werden (zum modalen Gestus rituellen Handelns s. Kap. 1.6). Wenn ritualisiertes und rituelles Handeln immer schon Teil einer rituellen Konstellation sind, dann sind von Analysen einzelner Ritualaufführungen Einsichten in übergreifende politische, soziale, kulturelle usw. Zusammenhänge zu erwarten.

In diesem ritualwissenschaftlich angelegten Beitrag geht es am Beispiel situativer, ritualisierter Trauerformen als Reaktionen auf islamistische Anschläge um die Funktion des Konzepts ritueller Konstellationen als Erinnerungsspeicher für die Erinnerung der jeweiligen Gegenwart als künftige Vergangenheit. Erinnern ist Gegenwartshandeln und betrifft daher die Gestaltung der Gegenwart, berührt gruppenspezifische Interessen und provoziert Anschlusshandlungen. Kann es über Partikularinteressen hinaus Maßstäbe für die Etablierung von Gegenwartsereignissen im kollektiven Gedächtnis geben? In diesem Zusammenhang ist – im Sinne vorbereitender Bemerkungen – die Möglichkeit einer ritualwissenschaftlichen und -geschichtlichen Perspektive auf Weltgeschichte zu erwägen.

Zunächst gebe ich einführende Informationen zum Handlungsfeld Rituale als Forschungsgegenstand (Kap. 1). Auf dieser Basis folgen die Analyse des Anschlags gegen einen Berliner Weihnachtsmarkt (Kap. 2) und Erläuterungen zur Funktion öffentlicher Trauer- und Gedenkrituale (Kap. 3). Gerahmt sind die Ausführungen von der Frage nach geschichtsbildenden Funktionen von Ritualaufführungen. Im Schlusskapitel (4) geht es darum, ob und inwieweit rituelle Erfahrungen Zugänge zu weltgeschichtlichen Dimensionen eröffnen können. Quellen für diesen Beitrag sind vor allem öffentlich zugängliche (Print-)Medien.

1. ›Rituelle Konstellation‹ als kulturanalytisches Forschungskonzept
1.1 Zum Begriff ›Rituale‹

›Rituale‹ ist kein patentierter Handlungsbegriff, er gehört mit hoher Verwendungsfrequenz sowohl zur Fachsprache zahlreicher Wissenschaften als auch zur – medial vermittelten – Alltagssprache. Seit der Antike ist die Wortfamilie Ritual bekannt und in zahlreichen europäischen Sprachen geläufig (Dücker 2007, 14-19). Beliebige Abläufe interessefundierter symbolischer Interaktionen können durch regelmäßige Wiederholung ritualisiert werden (vgl. Dücker 2013), um so zum Status einer programmatisch markierten, erwartbaren Situation gelenkt und schließlich als Ritual etabliert zu werden. Beliebige Handlungsdetails und Gesten können in rituelle Prozesse integriert werden und auf diese Weise eine zuvor nicht gekannte symbolische Bedeutung erhalten. So weist massenhaftes Hupen in der Regel auf ein Verkehrsproblem hin, anlässlich einer vereinbarten Trauer- oder Gedenkminute verweist es als Memorialzeichen auf die Opfer eines Anschlags und die Trauer der Hinterbliebenen.

Exkurs ›Ritualisierung‹

Als Ritualisierung (die ethologische Bedeutung des Begriffs wird hier nicht berücksichtigt) werden symbolische Handlungsabläufe bezeichnet, mit denen Individuen oder Institutionen versuchen, bestehende Strukturen sozialer Lebenspraxis intentional durch andere Strukturen zu ersetzen, die den je eigenen Interessen besser entsprechen. Insofern kann Ritualisierung die Infragestellung bestehender Institutionen und repräsentativer Personen markieren und ist zugleich ein Zeichen für Selbstbewusstsein und Perspektive der Akteure. Es geht um Prozesse neuer Gemeinschaftsbildung mit Elementen wie Binnenintegration und Außenabgrenzung, zugehörig und nicht zugehörig, das Eigene und das Fremde, Ordnung und Unordnung. Daher eignet sich der Begriff Ritualisierung zur Beschreibung und Analyse der Stufen, Schritte, Gesten, Details und Handlungsmittel (Paraphernalia) eines Prozesses der Ritualbildung, Ritualisierung kann Vorstufe der Ritualerfindung sein. Zu Ritualisierungen gehört die Dynamik von Grenzüberschreitungen, -veränderungen oder -verschiebungen. Wie Rituale sind auch Ritualisierungen keine Naturphänomene, sondern von bestimmten – auch anonymen – Personen vorgenommene historisch-soziale Konstruktionen. Als Ritualisierung wird die Entstehung einer sozialen Beziehung oder Formation durch spontane, nicht definitiv festgelegte Verhaltensformen bezeichnet, die die Bildung interessenfundierter dauerhafter Beziehungsformen bzw. Gruppen vorbereiten sollen. Aus diesem Grund scheint Ritualisierung als Prozess selbstreflexiv, veränderbar, korrektur- und lernfähig aufgrund der jeweiligen Gegebenheiten zu sein. Die angestrebte Standardisierung, die zukünftiges Verhalten in ähnlichen Situationen erleichtern, erwartbar und berechenbar machen soll, erscheint als Ergebnis von Wiederholungen. So zielen die stets wiederholten spontanen Äußerungen öffentlicher Trauer nach Anschlägen auf die Einrichtung eines formalisierten öffentlichen Gedenkrituals, d.h. als Ritualisierung werden nicht nur Intentionen der Veränderung individuellen oder öffentlichen Verhaltens bezeichnet, sondern der Begriff lässt auch die Verdichtung bestehender oder gegebener und angestrebter veränderter Situation zu. Begründet ist dies darin, dass der Bewegungsbegriff Ritualisierung einen auslösenden Impuls oder Reiz wie die Erfahrung einer realen Krise, eines Defizits usw. oder den Versuch von deren Vermeidung erfordert. Zu Ritualisierung als symbolischem Handeln gehört die Inszenierung, in vielen Fällen mag die Aufmerksamkeit für die Form (das Wie) die für die Sachreferenz (das Was) beeinträchtigen, in der Regel ist von einem Verhältnis wechselseitiger Ergänzung auszugehen.

Demnach sind Rituale außeralltägliche Handlungsmodi, die als alltagsbedingt und alltagsbezogen in alltägliche Kontexte eingebettet sind. Dieser offenen Situation trägt eine Vielzahl vor allem deskriptiv und empirisch fundierter Ritualdefinitionen Rechnung; eine allgemein anerkannte Ritualdefinition gibt es – noch – nicht. Gleichwohl wird die Bestimmung eines ritualwissenschaftlichen Gegenstandsbereichs intensiv betrieben, häufig über eine Arbeitsdefinition als offener Merkmalkatalog. Weitgehender Konsens besteht in der Forschung hinsichtlich folgender Merkmale, die nicht alle im Einzelfall nachweisbar sein müssen, während ein einzelnes Merkmal als Nachweis aber nicht ausreicht: Rituelles Handeln gilt als symbolisch, sequentiell, repetitiv, performativ, kommunikativ, emotionsbezogen, förmlich, gerahmt, intentional, es zeichnet sich aus durch Prozessualität, Überhöhung der Situation, Wirksamkeit, Dynamik vs. Statik und Unveränderlichkeit, inszenierte Körperlichkeit, Genese des Sozialen, Raum- und Zeitgestaltung. Daher ist wissenschaftlich angemessen nicht von dem Ritual und dem Ritualbegriff, sondern von Ritualbegriffen und Ritualen zu sprechen. Diese werden niemals ›an sich‹, sondern – wie schon angedeutet – zur Lösung oder Vermeidung bestimmter Konflikt-, Krisen- oder – allgemein – Defizitsituationen erfunden bzw. eingerichtet, wieder aktualisiert und aufgeführt. Daraus folgt, dass der Bedarf an bestimmten Ritualtypen proportional zum entsprechenden Krisen- und Konfliktpotential steigt.

Mit rituellem Handeln reagieren Individuen, Institutionen, die Öffentlichkeit auf bestimmte Auslöserreferenzen. Rituelle Konstellationen schließen das Bedrohungspotential einer Ordnung (deren Defizitbestände) und den Widerstand dagegen (Ritual) zusammen, was in ›die‹ allgemeine nationale Geschichte und/oder ein partiales Erinnerungssystem wie Literatur-, Kunst-, Stadt-, Institutionen-, Regional-, Landes-, Rechts-, Familien-, Festgeschichte (Weihnachtsmarkt) usw. eingehen kann (geschichtsbildende Funktion). Rituale haben die Funktion symbolischer Handlungsinstrumente, die dem Referenzereignis eine Deutung, einen Kommentar hinzufügen, nach deren Einsatz die Situation der beteiligten Personen (Akteure, Teilnehmer, Interessengruppen, direktes/indirektes – mediales – Publikum usw.) eine andere sein soll, als sie zuvor gewesen ist. Daraus folgt, dass Rituale – wie bestimmte Wörter – nicht ›böse‹, ›belastet‹ oder ›unrein‹ sind, sondern dazu gemacht werden können, indem sie für entsprechende Interessen eingesetzt werden. Durch ihre Verwendung erhalten Rituale ihre Wertung und Geltung. So werden durch die entsprechenden Rituale mit ihren transformativen Wirkungen Braut und Bräutigam zu Eheleuten, ein designierter Funktionsträger zum Amtsinhaber usw. Grundsätzlich dienen rituelle Handlungen dazu, Strukturen und Formen des Sozialen als Elemente von Erinnerung/Geschichte zu generieren, d.h. auch zu modifizieren (zu bekräftigen oder zu verändern). Öffentlich aufgeführte ritualisierte Trauerformen bewirken eine temporäre Gemeinschaft – auch – einander unbekannter Personen, um gemeinsam die je individuelle Betroffenheit zu verarbeiten.

Rituale sind symbolische Handlungsprozesse, in denen etwas gezeigt und mit denen etwas getan wird, um etwas anderes zu bewirken. Sichtbar, körperlich anwesend stehen die Teilnehmer der ritualisierten Trauerformen schweigend um einen ›Altar‹ aus Blumen und Kerzen auf der Straße am Tatort, um ihre Trauer zu zeigen, um an die Opfer des Anschlags zu erinnern und an die Verantwortlichen zu appellieren, Wege zu finden, um weitere Anschläge auszuschließen. Symbolische Objekte, Gesten und Rituale machen etwas präsent, das real nicht da ist. Was bleibt? In Trauer- und Gedenkritualen wird die endgültige reale Abwesenheit einer Person in deren symbolische Präsenz für künftige Gegenwarten übersetzt, bis in ferner Zukunft schließlich niemand mehr da ist, der sich an die betreffende Person erinnert. Es sind die symbolisch verdichteten Darstellungen in Ritualisierungen und Ritualen, deren Bilder sich einprägen und die Erinnerung ausfüllen.

Dass Werte und Leitvorstellungen sozialer Formationen und damit diese selbst im Vollzug ihrer Rituale sichtbar werden, zeigt sich beispielhaft immer wieder bei Demonstrationen im öffentlichen Raum im Mitführen entsprechender Symbole und Transparente wie im Intonieren von Sprechchören. Durch die Inszenierung der Demonstration sollen erinnerungsprägende Bilder geschaffen werden. Wenn die Bestattung des ›Europa-Politikers‹ Helmut Kohl ein erstes ›Europäisches Trauerritual‹ bewirkt, dann scheint es um den Anspruch zu gehen, dass ›Europa‹ während des rituellen Trauerprozesses durch die dabei entstehenden Bilder symbolische Sichtbarkeit erhält. Anfang 2017 werden geheimrituelle Praktiken der ›Elitebildung‹ (übergriffige, erniedrigende Formen von Aufnahme- und Ausbildungsritualen) am Bundeswehr-Standort Pfullendorf bekannt und finden umfassende mediale Aufmerksamkeit. Es liegt in der Natur der Geheimrituale, dass keine Erinnerungsbilder veröffentlicht werden. Das ist ganz anders bei Ritualen der Gewalt, die von Gegnern des G-20-Gipfels in Hamburg (7./8. Juli 2017) aufgeführt werden: Die dabei produzierten Erinnerungsbilder zielen auf den Nachweis der Existenz einer internationalen Gipfel-Opposition, deren Sichtbarkeitsformen die Aufmerksamkeit für den Gipfel und damit auch für dessen Bedeutung übersteigen sollen. Auch für historische Ereignisse wie Krönungen – dargestellt in Gemälden – gilt diese rituelle Funktion der Sichtbarmachung und Beglaubigung des Referenzvorgangs. Daher kommt es auf die häufige Wiederholung ritueller Prozesse mit den gleichen Personen, Gesten, Symbolen und Räumlichkeiten an, um durch die Erinnerungsbilder (Wiedererkennungswert) den Anspruch auf Geschichtsmächtigkeit erheben zu können.

1.2 Ritualgeschichte

Regelmäßig werden Rituale in formalisiertem Ablauf, nicht aber in stets gleicher – statischer – Erscheinung aufgeführt und als singuläre historische Ereignisse einer bestimmten Serialität zugeordnet, das Merkmal der Wiedererkennbarkeit ihrer Zugehörigkeit zur jeweiligen ›Serie‹ muss gesichert sein. So haben institutionalisierte Rituale zumeist einen stets gleichen, markierten Anfang und einen darin angelegten, ebenso erkennbaren Abschluss. Seien dies Glockengeläut, Trommelsignale, Begrüßung/Verabschiedung, Öffnen/Schließen eines Vorhangs, Verdunkelung/ Beleuchtung des Ritualraums. Selbstverständlich gilt dies nicht für Gelegenheitsrituale wie ritualisierte Trauerformen nach einem Anschlag. Was jeder Teilnehmer miterlebt, nämlich der gestaltete Ritualprozess vom Anfang bis zum notwendig daraus folgenden Abschluss, kann mit der ›klassischen‹ Erzählform abgebildet werden, was den Teilnehmern die Erfahrung einer narrativen Sinnkonstitution vermittelt. Abläufe ritueller Aufführungen werden erzählt als geschlossene Handlungssequenzen, wobei die je vorhergehende Sequenz die folgende ermöglicht und motiviert, so dass durch dieses narrative Kontinuum ein bestimmtes Sinnangebot generiert wird. So macht die ritualisierte Handlung die Trauer der Teilnehmer sichtbar, die rituelle Narrativität fügt sie dem rituell fundierten kollektiven Gedächtnis der Trauergemeinschaft ein.

Bei ritualisierten Trauerformen im öffentlichen Raum als Reaktionen auf Anschläge bezieht sich die Erzählung der Teilnehmer auf die je miterlebte Phase des Ritualprozesses, so dass sich eine Vielzahl subjektiv verbindlicher (emischer) narrativer Sinnkonstitutionen ergibt, die die Funktion von Zeitzeugenberichten haben. Handlungslogisch geht das Ereignis seiner Erzählung voraus. Werden diese Erzählungen gesammelt, so entsteht ein multiperspektivisches Bild der Ritualaufführung als historisches Ereignis und Teil der Ritualgeschichte, die in der Regel wiederum Medium anderer Geschichten und deren Erinnerungshöfe ist. Auch wird die gemeinschaftsstiftende Funktion von Erzählen deutlich: Denn in die je subjektive Erzählung als Deutung der rituellen Konstellation gehen die anderen Teilnehmer als rituell generierte Gruppe ein, so dass sie an den Geschichten und der Geschichte teilhaben. Um zu prüfen, ob die Erzählungen das sozialintegrative Erlebnis rituellen Handelns markieren, sollten die Referenzwissenschaften entsprechende Interviews führen und die Erzählungen – wie auch Medienberichte – als Quellen sammeln. Im Magazin der SZ Nr. 4 (27.01.2017, 8-15) sind unter der Überschrift »Zur falschen Zeit am falschen Ort« acht Berichte von Überlebenden verschiedener Anschläge veröffentlicht (vgl. Uhlmann in SZ 11./12.02.2017). Die Sammlung subjektiver Ritualerzählungen mag an Walter Kempowskis Collage subjektiver Äußerungen in Das Echolot. Ein kollektives Tagebuch (1993-2005) zum Ganzen der Kriegserfahrung erinnern. Wenn Ritualteilnehmer ihre eigene Geschichte als geschlossene, sinnstiftende, lebensgeschichtliche Phase erzählen, dann gehören Ritualerzählungen grundsätzlich zur Textsorte autobiographischer Verlautbarungen und sind textanalytisch entsprechend auszuwerten.

Für das Format Ritualgeschichte folgt daraus, dass es als Geschichte einzelner Aufführungen – vor allem aus der Perspektive von Zeugen (z.B. Akteure, Publikum) – zu schreiben ist, wobei der implizite Bezug auf Kontext und Geschichte der Referenzereignisse prioritär aus der Perspektive von Forschern herzustellen ist. Wird Geschichte anhand der Aufführungsgeschichte öffentlicher Rituale geschrieben, kann dabei die geschichtsbildende Bedeutung des ›Manns von der Straße‹ als Repräsentant je unterschiedlicher sozialer Interessen – systematisch – berücksichtigt werden. Geschichtsschreibung ohne methodische und systematische Berücksichtigung der zugehörigen Rituale wird zur Orientierung an Akten.

Denis de Rougemont (1906-1985), der sich 1935/1936 als Lektor für Französisch in Frankfurt am Main aufhält, erzählt in seinem Tagebuch als Zeitzeuge von der Inszenierung eines Hitler-Auftritts als Prozess der ›Machung‹ einer Gemeinschaft, die offenbar auf einen ›Heilsbringer‹ wartet. Es handelt sich um eine Kombination aus Übergangs- (Einzelne zur Gemeinschaft) und Verehrungsritual (für den Stifter der Gemeinschaft). »Ich hatte gedacht, an einer Massenveranstaltung teilzunehmen, an einer politischen Kundgebung. Aber sie zelebrieren ihren Kult! Und dabei wird eine Liturgie abgehalten, die große sakrale Zeremonie einer Religion, der ich nicht angehöre und die mich überrollt und mich mit sehr viel mehr Kraft, sogar physischer Kraft zurückdrängt als all diese schrecklich strammen Körper. Ich bin allein, und sie sind eine Gemeinschaft« (de Rougemont 1998, 66).

Als symbolische Handlungen überhöhen oder transzendieren Rituale die jeweilige Situation, indem sie ihr etwas hinzufügen, das nur auf diese Weise Präsenz haben und erfahren werden kann (das Unverfügbare). Die Symbolizität des Handelns besteht erstens im Verweischarakter (Indexikalität) auf etwas, das nur durch diese speziell organisierte symbolische Repräsentation als präsent erfahrbar ist, zweitens in der dadurch wirklichkeitsverändernden Kraft (Dynamik). Fundiert sind diese Funktionen in der Struktur des Symbols, das aus der Bildseite (Ausführung, Handeln) und der Bedeutungsseite (Indexikalität, Dynamik) besteht, die eine expansive Öffnung nach außen impliziert. Rituale gelten als außeralltägliche, komplexitätsreduzierte, überindividuelle Handlungen mit weitem Diskursrahmen aufgrund ihrer komplexen Verweisungsstruktur, deren Dichte vom jeweiligen Ritualtypus abhängt. Religiöse Rituale können auf die Präsenzerfahrung des einen höchsten Wesens, Gottes, zielen, politische Rituale z.B. auf die des Europagedankens, des höchsten Wertes einer Verfassung oder Ideologie, Familienrituale (tägliche gemeinsame Mahlzeit) auf die Erfahrung der Zusammengehörigkeit, Literaturpreisverleihungen auf die Ehrung des Preisträgers, die Erinnerung an den Namenspatron und die Geltung der auszeichnenden Institution. Da bei alltäglichen Gewohnheiten wie Zähne putzen, Hund ausführen, Mittagsschlaf halten, in der Regel keine Überhöhung erfolgt, sind dies – entgegen häufiger Behauptung – keine Rituale. Weil der Begriff ›Rituale‹ bestimmte Handlungsvollzüge bezeichnet, sollte er von Begriffen mit ähnlicher Bedeutung wie Brauch, Gewohnheit, Sitte, Fest, Spiel, Zeremonie bzw. Zeremoniell, Event abgesetzt werden (Dücker 2007, 19-27). Ob eine Handlung als Ritual wahrgenommen und damit – zumeist – privilegiert wird, entscheidet über ihre soziale Anerkennung und öffentliche Geltung, ihre Konnotationen wie über die zu ihrem Verständnis zu berücksichtigenden Kontexte und Traditionen.

1.3 Aspekte einer Geschichte der Ritualforschung
1.3.1 Reflexivwerden von Traditionen in den 1960er Jahren

Um die kulturanalytische Funktion von Ritualen zu verstehen, mag ein Blick auf die Geschichte der Ritualforschung hilfreich sein. Seit ca. 1970 widmen sich weltweit immer mehr wissenschaftliche Disziplinen (Ägyptologie, Byzantinistik, Ethnologie, Geschichts-, Islam-, Literatur-, Musik-, Religions-, Sportwissenschaft, Indologie, Jura, Pädagogik, Soziologie, Theologie u.a.) häufig in interdisziplinären Projekten (z.B. Sonderforschungsbereichen) der Erforschung rituellen Handelns tendenziell in allen Lebensbereichen aller Kulturen und Gesellschaften. Wegen des von den beteiligten Fächern repräsentierten historischen, räumlichen und kulturellen Spektrums liegt die Annahme nahe, dass rituelles Handeln als universaler Handlungstyp in allen Kulturen und Zeiten nachweisbar sei. Wie kommt es zu dieser umfassenden wissenschaftlichen Aufmerksamkeit für rituelle Strukturen?

Dazu scheint das seit Mitte der 1960er Jahre vor allem in westlichen Gesellschaften produktive Reflexivwerden von Traditionen wesentlich beigetragen zu haben. ›Hinterfragt‹ werden Gültigkeit, Geltung und Nutzen jener Traditionen, Konventionen und Gewohnheiten, die den sozialen Alltag bestimmen. Könnte es nicht auch anders sein? Dies führt für jedermann sichtbar z.B. zu einer kulinarischen (Grenz-)Veränderung, d.h. Öffnung des gängigen Speisenangebots (Internationalisierung der Küche mit Pizza, Döner, mediterranen, asiatischen, afrikanischen Angeboten), der Musik- und Tanzformen, zu Reformen im Bildungswesen, in Erziehung, in der Einstellung zu Sexualität und Drogen sowie zur Herabsetzung des Volljährigkeitsalters. In ihrer Studie Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens (1967) thematisieren Alexander und Margarete Mitscherlich für die Bundesrepublik Verdrängung und Vergessen als dominante ›Bearbeitungsformen‹ der Erfahrungen von Schuld und Scham im Zusammenhang des Nationalsozialismus. Ihr Plädoyer für vorurteilsfreie und langfristige ›Trauerarbeit‹ geht in die Neuorientierung von Erinnerungs- und Gedenkpolitik ein. Gerade die Programmatik der Studentenbewegung macht sich in spektakulär inszenierter Kritik und Verweigerung eingespielter Ritualpraxis vor allem im politischen, gesellschaftlichen und akademischen Feld sichtbar. Die Benutzung des öffentlichen Raums als politische Bühne für Demonstrationen, Hausbesetzungen, Proteste jeder Art, ›Rote-Punkt-Aktionen‹ als Solidaritätssymbole gegen Preiserhöhungen im öffentlichen Nahverkehr (Hüfner/Peter/Schütt 1969) sind ebenso zu nennen wie die Ohrfeige, die Beate Klarsfeld Bundeskanzler Kiesinger am 7. Nov. 1968 beim CDU-Parteitag in der Berliner Kongresshalle gibt, um so auf dessen nationalsozialistische Vergangenheit hinzuweisen. Fritz Teufel ›entlarvt‹ das rituelle Segment des Aufstehens aller Anwesenden bei Eintritt des Gerichts in den Verhandlungssaal als sachlich unangemessen mit den Worten »Na ja, wenn’s der Wahrheitsfindung dient« (Schneider 2005, 19). Mit ähnlicher Intention entfalten Hamburger Studierende 1967 zum Semestereröffnungsritual vor den Talar tragenden Professoren das Spruchband »Unter den Talaren Muff von tausend Jahren«. Auch das akademische Ritual der Fackelzüge endet praktisch um 1970 (Dücker 2006).

›Entlarven‹ bedeutet hier, Machtstrukturen in symbolischen Abläufen aufzudecken. Im Rahmen der drei Frankfurter Auschwitzprozesse (1963-1968) gerät das nationalsozialistische Ritualsystem als Herrschaftsinstrument in den Blick. Die Beschlüsse des 2. Vatikanischen Konzils (1962-1965) zur Liturgiereform beeinflussen nachhaltig die Geltung katholischer Ritualtraditionen. Geht es in diesen Beispielen um die Überprüfung der Geltung ritueller Traditionen, so wirkt sich John L. Austins (1911-1960) Studie zur Sprechakttheorie How to do things with words? (1963) mit ihrem zentralen Konzept performativer Handlungen unmittelbar forschungstheoretisch und -praktisch aus. Sprachliche Möglichkeiten zur Durchsetzung von Macht werden untersucht, was auch rituelle Abläufe in den Blick rückt. Hinzu kommt seit ca. 1966 ein aktueller ethologischer Zugang zu Ritualen mit dem Begriff der Ritualisierung (Julian Huxley, Irenäus Eibl-Eibesfeld, Konrad Lorenz; vgl. Dücker 2013).

Traditionen und Rituale werden aber gerade nicht nur kritisiert, es wird auch nach ihren Funktionen für (Binnen-)Integration und (Außen-)Abgrenzung, Selbstpräsentation und Kontinuität von Gesellschaft und Institutionen gefragt. So richtet sich der studentische Ritualsturm gegen die herrschenden Rituale als Rituale der Herrschenden, keinesfalls gegen rituelles Handeln schlechthin. Traditionelle Formen sollen dekonstruiert, neue eingesetzt werden. Ritualkritik hat in der Regel Ritualdynamik und veränderte Ritualpraxis zur Folge. Mit der Suche nach neuen rituellen Orientierungen ist eine allgemeine Öffnung für entsprechende Formen anderer Kulturen, speziell für rituelle Praktiken asiatischer Religiosität verbunden. Parallel dazu kommt es zum Bedeutungsrückgang institutionell legitimierter Religiosität und entsprechend genormter Ritualformen. In der Folge entsteht das Tätigkeitsfeld von Ritualdesignern, die z.B. nach individuellen Vorgaben des Brautpaars Formen der Eheschließung entwerfen oder nach den Vorstellungen der Hinterbliebenen Bestattungen gestalten. Rituelle Praktiken werden weiterhin aus traditionellen Anlässen eingesetzt, aber gerade um sich anders als andere zu präsentieren. Was zählt, ist die Möglichkeit, sich individuell sichtbar zu machen, wobei institutionelle Ritualformen an Einfluss verlieren. Öffentliche Rituale für Minderheiten (z.B. Christopher-Street-Day) werden möglich. Diese Öffnung ritueller Gestaltungen bestätigt, dass angesichts der Kulturspezifik rituellen Handelns dieses nicht als richtig/wahr oder falsch, sondern als gelungen oder misslungen zu beurteilen ist.

Auch neue institutionell legitimierte Rituale werden eingeführt, wie die Verleihung des Adalbert von Chamisso-Literaturpreises (1985) zur Auszeichnung jener Autorinnen und Autoren, die deutsch schreiben, aber eine andere Muttersprache haben. So soll die – wie es damals hieß – Gastarbeiterliteratur, später Migrationsliteratur in die Kultur des Ziellandes integriert werden. 2016 wird die Einstellung des Preises für 2017 bekannt gegeben, weil er seine Funktion erfüllt habe. Insgesamt fördern diese Entwicklungen die Einsicht in Konstruktivität, Hybridität und Mischungscharakter von Kulturen, was Reinheits- und Ursprünglichkeitsrhetorik populistischer Formationen entgegen steht.

In diesen Jahren wird auch das rituelle Gedenken an deutsche Gefallene des Zweiten Weltkriegs und deutsche Opfer von Krieg und Nationalsozialismus anlässlich des Volkstrauertags (für das Folgende vgl. Kaiser 2010) sukzessive verändert. Seit 1961 ist das Segment der »Totenehrung« hinzugekommen, in dem immer neue Opfergruppen (z.B. Gefallene, Zivilisten, Opfer religiöser, sexueller, rassistischer Verfolgung) erwähnt werden, 1977 die ›Opfer des Terrorismus‹. Am 27. Jan. 1993 wird die Neue Wache in Berlin als ›nationale Mahn- und Gedenkstätte für alle Opfer‹ von Bundeskanzler Kohl eröffnet. Diese Formel wird von Verbänden der Verfolgten des Nationalsozialismus wie vom Zentralrat der Juden und dem Zentralrat der Sinti und Roma abgelehnt. Ein erinnerungspolitischer Konflikt entsteht darüber, welcher Opfergruppen gemeinsam gedacht werden könne. In der Folge wird der 27. Jan. als Tag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz (1945) zum Gedenktag für spezielle NS-Opfergruppen, der Volkstrauertag, an dem diese Opfergruppen nicht mehr repräsentiert sind, wird mehr und mehr zum Gedenktag für alle jene, derer am 27. Jan. nicht gedacht wird, und die unter die Formel vom ›ehrenden Gedenken für Opfer von Krieg, Gewalt und Terror‹ subsumiert werden. Gedenkrituale, das zeigt sich hier, können Aufschluss über politisch-kulturelle Einstellungen und Konflikte geben.

Obwohl Entwicklungen auf dem Gebiet der Ritualforschung seit 1970 durchaus die Einrichtung eines selbständigen Faches Ritualwissenschaft intendieren, ist dieses Projekt nicht realisiert worden. Neben Überlegungen zu Vor- und Nachteilen eines wissenschaftlich verbindlichen Ritualbegriffs könnte eine weitere Aufgabe eines Faches Ritualwissenschaft – analog zur Pluralität der Ritualbegriffe – die Entwicklung ritualtheoretischer Ansätze betreffen, die rituelles Handeln als Indikator und Faktor, als abhängige und unabhängige Variable zu begründen und Leerstellen für neue Rituale kultur- und systemspezifisch auszumachen vermögen.

Dass offenbar ein Bedarf an wissenschaftlichen Erkenntnissen über rituelle Strukturen in allen Lebensbereichen besteht, zeigt die beeindruckende Entwicklung der Ritualforschungen selbst. Während Mary Douglas 1970 besorgt feststellt: »Eines der ernstesten Probleme unserer Zeit ist das Schwinden des Verbundenseins durch gemeinsame Symbole. […] ›Ritual‹ ist ein anstößiges Wort geworden, ein Ausdruck für leeren Konformismus« (Douglas 1981, 11) und dann für die Verteidigung des Konzepts Rituale plädiert, diagnostiziert Jack Goody 1977 eine inflationäre Verwendung des Begriffs in der Alltagskommunikation und fordert, den Begriff moderat oder gar nicht zu benutzen, ähnlich wieder Philippe Buc (2001). Wiedenmann (1991, 11f.) erkennt für die 1980er Jahre den Trend, Gründungen kultureller Formationen durch spektakuläre Rituale prominent zu machen. 1987 wird das Journal of Ritual Studies gegründet. 1998 erscheint der einflussreiche Sammelband Ritualtheorien von Andréa Belliger und David J. Krieger mit wichtigen Beiträgen der neueren Ritualforschung. In der Mediävistik zeigen zahlreiche Studien Rituale mit inszenierter Körperlichkeit (Kniefall, Fuß-, Mundkuss, Handschlag) als rechtsverbindliche Handlungen. Sichtbar wird die staatliche Ordnung im Mittelalter in ihren Ritualen (Herrschereinzüge, -treffen, Krönungen, Trauer, Bestattungen). Pierre Bourdieus (1930-2002) Kulturtheorie mit der Unterscheidung der vier Kapitalsorten (symbolisches, soziales, kulturelles, ökonomisches) und der ›Magie des Rituals‹ in Les règles de l'art(1992) wird rezipiert.

1.3.2 Zur Ritualforschung um 1900 als Referenzphase

Als wegweisend für die Entwicklung ritualwissenschaftlicher Forschung nach 1970 erweist sich auch die Aktualisierung der Ergebnisse jener frühen Ritualforschungen, die um 1900 von Vertretern der neuen Disziplinen Soziologie, Ethnologie, Religionswissenschaft in außereuropäischen Kulturen und indigenen Ethnien durchgeführt wurden. Westliche Forscher haben Handlungen jener Kulturen wie Opfer- und Jagdrituale, Initiationen, Heilungen, Häuptlingseinführung, ›Geburt‹ des Schamanen u.a. als Rituale bezeichnet, obwohl ›Rituale‹ als Klassifikationsbegriff disparater Einzelhandlungen in zahlreichen Kulturen und Sprachen keine Entsprechung hatte. Diese haben je spezielle Bezeichnungen für ihre ›Rituale‹ ohne die Vorstellung eines einheitlichen Handlungstyps. Allgemein gilt, dass in den entsprechenden kulturspezifischen Forschungsfeldern Rituale nicht empirisch gegeben, sondern Produkte von Forschungstheorien sind.

Als aktuelles Beispiel sei eine (Foto-)Reportage (Signer/Ndao in NZZ 24.12.2016) aus einem Dorf im Senegal angeführt: Man sieht anhand einer Fotostrecke einen Handlungsablauf vom Anfang bis zum darin angelegten Schluss mit Handlungen, Gesten, Bewegungen, die zu beschreiben und deren Abfolge zu erzählen sind, man sieht aber kein Ritual. Auf dem Dorfplatz versammeln sich die Bewohner als Zeugen einer erwarteten Heilung, lassen die Mitte des Platzes frei, in die ein Zebu geführt und gebunden auf den Boden gelegt wird, eine kranke Frau – in früherer Zeit nackt – schmiegt sich an das Tier, um mit ihm symbolisch eins zu werden, über beide werden zahlreiche Decken gebreitet, dem Tier wird die Halsschlagader durchschnitten, zugleich stirbt die Patientin symbolisch, sie reibt sich mit dem Blut des Tieres ein, um so ihre symbolische Wiedergeburt als Heilung zu feiern, Teilnehmerinnen umschreiten den Platz, schließlich wird das Fleisch des Tieres gemeinsam gegessen, ein Teil davon wird für die Geister, die für die Krankheit als verantwortlich gelten, vergraben. Dieser Heilungsprozess heißt Ndepp, dass es ein Heilritual ist, ist Ergebnis des vorgängigen ritualtheoretischen Wissens, das diesen Prozess der Deutungsfolie Rituale zuschreibt und für mitteilenswert in einer europäischen Zeitung hält.

Die Deutung als Ritual stammt aus der Außenperspektive der Forscher, während die Beteiligten in der Regel am Gelingen, nicht an Theorien ihrer Rituale interessiert sind. Für interkulturelle und komparatistische Ritualforschungen sind daher entsprechende sprach- und kulturspezifische Voraussetzungen zu berücksichtigen, um den Anschein von Eurozentrismus und Kulturkolonialismus zu vermeiden.

Aus westlicher Wissenschafts- und Kulturperspektive werden die ›fremden Rituale‹ vor allem oraler Kulturen als sozialintegrative und kontinuitätssichernde Feste und Feiern kontextualisiert, als naturreligiös (animistisch) oder kultisch gedeutet. Ihre unverzichtbare Funktion als Medien der Erinnerung und Traditionssicherung wird für alle jene Wissensbestände erkannt, die für das Funktionieren der jeweiligen Ethnie konstitutiv sind. Für den westlichen Forschungsdiskurs legt dies die Unterscheidung von außeralltäglicher Ritualsituation (Funktion der sozialisations- und binnenintegrationsfördernden Wiederholung und Vermittlung der Werte und Normen für jüngere Generationen) und deren Anwendung im Alltag nahe, womöglich mit Konnotationen wie heilig und profan als Strukturmerkmalen von Ritualen. Obwohl der Begriff ›Rituale‹ als Forschungskonzept eine sozialgeschichtlich aufklärerische Wirkung entfaltet, überwiegt zunächst seine Ablehnung in der Öffentlichkeit.

Denn weil Ritualen Merkmale des Fremden und Exotischen, des Rauschhaften und Ekstatischen, des Ungeordneten und Vermischten zugeschrieben werden, gelten sie in der westlichen Öffentlichkeit um 1900 als Zeichen der ›Primitiven‹, d.h. Rituale haben nur ›die Anderen‹. Daraus wird als weiteres Strukturmerkmal von Ritualen die Differenzierung zwischen Inklusion und Exklusion abgeleitet. In diesem Zusammenhang sind die sog. ›Völkerschauen‹ zu erwähnen, die z.B. im Zoo Hagenbeck in Hamburg gezeigt wurden: Repräsentanten aus Kolonien leben für eine bestimmte Zeit in ›authentisch‹ inszenierten ›Dörfern‹ im Zoo neben Tierkäfigen und -gehegen. Obwohl das Fremde hinsichtlich seiner sozialen Gleichberechtigung abgelehnt wird, wird es als Gegenstand der Unterhaltung akzeptiert, wohl weil es bestimmte Sehnsüchte befriedigt (vgl. Zickgraf 2012). Indien und Bali gelten zu Anfang des 20. Jahrhunderts nicht zuletzt wegen ihrer eindeutigen rituellen Ordnungen als Sehnsuchtsorte, was zahlreiche Reisen, Reiseberichte und literarische Gestaltungen der ›anderen‹ Ordnungen belegen.

Um und nach 1970 werden jene Studien aus der Zeit um 1900 neu aufgelegt, die inzwischen den Status von Grundlagenwerken besitzen. Dazu gehört z.B. Le rite de passage (1909) des Ethnologen Arnold van Gennep (1873-1957), der das Dreiphasenmodell des Übergangsrituals (1. Trennungsphase – séparation, 2. Übergangsphase – marge, 3. Angliederungsphase – agrégation) entwickelt. Nach dem Ritual soll die Situation des Akteurs eine andere als vorher sein. Auch Arbeiten des Soziologen Emile Durkheim (1858-1917) wie Le Suicide (1897) und Les formes élémentaires de la vie religieuse (1912) werden berücksichtigt. Religionswissenschaftlich geht es Durkheim um die komplementäre Opposition profan – heilig und das Phänomen des Totemismus. Zu nennen ist auch William Robertson Smith (1846-1894): The Religion of the Semites. First Series: The Fundamental Institutions (1889), ein Grundwerk vergleichender Religionswissenschaft mit einer ausgeführten Opfertheorie. Von dem Religionswissenschaftler und Ethnologen James George Frazer (1854-1941) stammt die umfangreiche Untersuchung The Golden Bough (1890; dt. 1928), in der er religiöse und ethnologische Hintergründe und Zusammenhänge antiker Mythen im Verhältnis zu Ritualen erforscht. Als ebenso prägend wirkt die Studie Essai sur le don (1923/24) des Soziologen und Ethnologen Marcel Mauss (1872-1950), der den ›Gabentausch‹ mit den drei Sequenzen ›geben, nehmen, erwidern‹ als soziale Grundlage jeder Beziehung erklärt und ihn daher als ›soziales Totalphänomen‹ bezeichnet.

Gemeinsam ist diesen Studien, dass es jeweils um – häufig prioritär körperlich sichtbar gemachte – durch Traditionen legitimierte, rituell vollzogene, soziale Transformationen Einzelner mit fundamentaler Bedeutung für die Kontinuitätssicherung der Formation geht. Übergänge von Jugendlichen zu Erwachsenen oder Formen des Gabentauschs dienen z.B. der Binnenintegration der Gemeinschaft, der Vermeidung von Konflikten, der Herstellung von Ordnung, dem Aufbau von Beziehungen. Ritualaufführungen gelten als Medien normativen, den Alltag fundierenden Wissens, dessen Inhalte, Traditionen und Legitimationen erinnert und dessen Kontinuität gesichert werden. Wenn öffentliche Rituale sozial konstitutiv wirken (sollen), ist davon auszugehen, dass sie systemkompatibel oder oppositionell sind, nicht jedes Ritual wird in jeder Gesellschaft zugelassen sein, was zur Einführung von Geheimritualen (z.B. Freimaurerrituale im 18. Jh., le bizutage: verbotene Aufnahmerituale an französischen Universitäten) führen kann. So ergibt sich die Einsicht in die Beziehung von Ritualen und politisch-gesellschaftlichem System, ein Wandel des politischen Systems hat in der Regel einen Wandel des Ritualsystems zur Folge. Erinnert sei z.B. an den Wechsel von Flaggen, Hymnen, die Einführung und Abschaffung von Feiertagen usw. nach 1918, 1933, 1945, 1989/1990 in Deutschland.

Rituale können nicht mehr als Symptomatik der Anderen isoliert werden, vielmehr gilt die Einsicht, dass sie kulturspezifisch und in allen Kulturen, also auch der eigenen, nicht nur zu finden, sondern unverzichtbar sind. Sie gelten als konstitutiv für den durch Modernisierungsprozesse bewirkten Bedarf an Identitätsbildung, -präsentation und Konsensproklamation. Behauptet wird, es habe noch nie so viele Ritualaufführungen gegeben wie in der Gegenwart. Geradezu unverzichtbar für Alltagsgeschichte, Privatheit und das je ›Eigene‹ erweisen sich Serien von Ritualaufführungen.

Ausdifferenzierung partikularer Interessen, Fragmentierung, Subjektivierung und Entstehung einer Vielzahl von Konsensgruppen haben einen erhöhten Ritualbedarf zur Folge (Dücker 2007, 183f.), um die jeweiligen »Eigengeschichten« (Rehberg 2004) zu sichern. Jede Ritualaufführung ist Teil eines rituellen Systems, das wiederum zu einer gesellschaftlichen und politischen Ordnung gehört und den allgemeinen Gesetzen unterliegt. Ritualaufführungen dienen als Seismographen der soziopolitischen Ordnung oder Unordnung des Systems. So wurde mit Kriegsbeginn Hitlers Anwesenheit beim Ritual zum 9. November in München zum Gedenken der beim gescheiterten Hitler-Putsch ›Marsch auf die Feldherrnhalle‹ in München 1923 getöteten Anhänger kürzer, unregelmäßiger und nicht präzise angekündigt, um nach dem Bürgerbräu-Attentat Georg Elsers auf Hitler 1939 weiteren Anschlägen zu entgehen, unterblieb schließlich ganz, bis 1944 die Ritualaufführung ausgesetzt wurde. Von der Öffentlichkeit wurden diese Veränderungen als Krisensymptome gedeutet (vgl. Dücker 2008).

1.4 Zur Leistung von Ritualanalysen

Welche Erkenntnisse würden fehlen, wenn die Analyse ritueller Konstellationen nicht erfolgte, wenn der geschichtsbildende Zusammenhang von Anlass (Reiz) und symbolischer als ritueller Reaktion, der auf die Aufnahme beider Komponenten ins kollektive Erinnerungssystem angelegt ist, nicht berücksichtigt würde? Wenn es zutrifft, dass Rituale nicht sind, sondern immer erst durch einen Anlass bedingt und gemacht werden, gibt ihre Analyse Auskunft über den Vollzug von Geschichte. Durch rituelles Handeln werden z.B. Erinnerungsorte markiert, die beide Seiten, Anlass und Ritual, nicht nur narrativ zusammenschließen. Öffentliche Trauerrituale finden zumeist in der Nähe der Anschlagsorte statt.

Was aber wird untersucht, wenn rituelles Handeln erforscht wird? Weil dieses als reaktives oder präventives Handeln bedingt ist durch Ereignisse oder deren Vermeidung, um die Geltung privater, institutioneller und/oder öffentlicher Ordnungsdeutung zu erhalten, sollte der Konnex von Anlass und ritueller Reaktion im Zentrum ritualbezogener Kulturanalyse (Deskription, Analyse, Deutung ritueller Konstellationen) stehen. Durch welches Ereignis ist ein Ritual bedingt, wer ist für das Ereignis verantwortlich, wann, wo, in wessen Namen und Interesse, mit wessen Beteiligung und welcher Intention hat es stattgefunden? Wie und von wem werden Anschläge finanziert, die Täter angeworben und ausgebildet? Was bieten Organisationen wie der sog. ›IS‹ Anhängern, damit sie zum Selbstmordattentat bereit sind? Wer reagiert in ritualisierter Form wie, wo und wann? Gibt es rituelle Konkurrenzen zwischen rivalisierenden Gruppen? Welche Interessen stehen sich gegenüber, wird die Aushandlung einer Lösung versucht, kommt es zu rituellen und nichtrituellen Kontakten unterschiedlicher Gruppen? Welche Rolle spielt Sprache (Kommunikation) für die rituelle Konstellation? Kommt es zur von Akteuren und Teilnehmern erwarteten Wirkung im postrituellen Alltag? Am Ritualformat ›Demonstration‹ »gegen islamistischen Terror« am 17. Juni 2017 in Köln nehmen große Islamverbände nicht teil, einige deutsche Politiker sind dabei (Bielicke in SZ 19.06.2017). Dagegen führen 30 Imame aus europäischen Ländern das Ritualformat »Marsch der Muslime gegen den Terrorismus« durch und besuchen dabei auch den ›Tatort‹ Breitscheidplatz in Berlin, wo der aus Tunesien stammende abgelehnte Asylbewerber Anis Amri am 19.12.2016 einen Terroranschlag mit 12 Toten verübt hatte (vgl. DPA, EPD in SZ 10.07.2017).

Das ritualwissenschaftliche Erkenntnisinteresse richtet sich auf Konstitution, Ablauf und Funktionen symbolischer Handlungen jeder Art für die Erhaltung oder die Veränderung sozialer Formationen relational zur jeweiligen Anlassreferenz. Zusammenhänge zwischen symbolischer Handlung und alltäglichem Kontext sind zu beschreiben, zu analysieren und zu deuten. Dafür notwendige Daten können durch Formen teilnehmender Beobachtung, Interviews, die Interpretation von Texten, Bildwerken oder anderer Zeugnisse erfolgen; auf die Quellenfunktion öffentlicher Medien habe ich schon hingewiesen. Ritualanalysen im Rahmen des Konzepts rituelle Konstellation bewirken umfassende Datenerhebungen, Quellenerschließungen, -sicherungen und -sammlungen. Über die Zeit- oder Gegenwartsgeschichte fundieren Ritualanalysen die allgemeine Geschichte und Fachgeschichten.

1.5 Konzept der Rituotope

Mit dem Konzept der Rituotope habe ich versucht, auf jene soziokulturellen Orte aufmerksam zu machen, die als rituelle Handlungsanforderung erfahren werden und auf die von Individuen und/oder Institutionen in der Regel mittels rituellem Handeln reagiert wird. Es können reale Orte, aber auch soziale Deutungskonfigurationen wie z.B. Anfang (Eröffnung, Einschulung, Amtseinführung), Ende (Abdankung, Eintritt in den Ruhestand, Ausschulung), lebensgeschichtliche Übergänge (Taufe, Heirat, Scheidung, Umzug) Tod, Schenken, Konflikte (Rituale der Gewalt), Ordnungswechsel, Ehrung, Protest, Trauer sein. Private Fotoalben sind häufig nach dem Muster von Biografie als Serie außeralltäglicher Situationen aufgebaut mit Fotos von Taufe, Kommunion, Konfirmation, von Ein- und Ausschulung, Hochzeit, Urlaub, Auswanderung, Einbürgerung, Begrüßung als Neubürger bei kommunalen Neujahrsempfängen, Bestattungen, Prüfungen usw. Dass ein Register der Rituotope nur als offenes zu konzipieren ist, zeigt der Vorschlag des Schriftstellers Mario Fortunato, die EU durch Ritualpraxis zu stärken. »Jede Demokratie braucht Rituale« (Fortunato in SZ 30./31.10/01.11. 2017). Er schlägt ein Wahlritual zur direkten Wahl eines EU-Präsidenten in allen Mitgliedsstaaten am selben Wahltag vor. Dies würde »unsere kontinentale Demokratie zu ritualisieren beginnen« (Fortunato ebd.). Damit bestätigt er die transformative, prozessuale Bedeutung des Begriffs Ritualisierung.

Während Rituotope anthropologische Universalien zu bezeichnen scheinen, Orte, an denen die Sozialisation des Einzelnen stattfindet, die Programmatik der Kultur explizit den Einzelnen inkorporiert wird, sind Rituale deren historische und kulturspezifische Ausprägungen (vgl. Dücker 2007, 109-114), die die Bewältigung der jeweiligen Situation erleichtern, weil sie Strukturen dafür anbieten. Rituotope markieren als Bezugsorte ritueller Handlungen geschichtsmächtige Schnittstellen von Biographie und Institution(en). Welche Möglichkeiten bietet eine ›normale‹ Biografie, durch die Teilnahme an Ritualisierungen und Ritualen in die Geschichte oder Erinnerungssysteme spezieller Formationen zu kommen? Welche Chancen bieten Rituale, individuelles/soziales Konfliktpotential als öffentliche Ereignisse ›zu bewältigen‹?

Als forschungspraktische Aufgabe folgt daraus die Erstellung eines Registers sämtlicher zugelassener und sanktionierter Rituotope – wie auch jener nicht zugelassener, aber berücksichtigter – in einer Gesellschaft, um die Chancen rituell privilegierter und legitimierter Ereignisse in Lebens- und Institutionengeschichten einzuschätzen. So ist der Bestand jener Ereignisse annähernd zu erfassen, die aufgrund der zu erwartenden rituellen Reaktion und der möglichen Anschlusshandlungen erinnerungsprägend und geschichtsmächtig wirken werden. Wegen der nicht vorhersehbaren Anschlusshandlungen ist eine gewisse Eigendynamik der rituellen Konstellation nicht auszuschließen.

1.6 Zum modalen Gestus rituellen Handelns

Symbolisches als rituelles Handeln wird von Tradition(en) und Sprache(n), von Organisationen und Institutionen beeinflusst und von situativen, als Anforderung erfahrenen Ereignissen veranlasst. Als Grundzug rituellen Handelns gilt der modale Gestus, der die rituelle Genese des Sozialen ermöglicht und prägt. Wer rituell handelt, kann nicht allein sein, heißt es. (Vergemeinschaftung und Abwendung von Vereinzelung prägen besonders die Funktion von Trauer- und Gedenkritualen.) Ein einzelner oder – zumeist – eine Institution präsentieren sich als Repräsentanten einer Ordnung, deren Programmatik und Kontinuität sichtbar werden und zu sichern sind, indem das Ritual aufgeführt wird. Sie machen sich einen Namen als Förderer der Ordnung, indem sie anderen durch die Aufführung des Rituals dadurch einen Namen machen, dass sie sie an der Ritualgeschichte teilhaben lassen. Das Ritual wird zum Mittel, die Ordnung zu unterstützen, indem ›die Anderen‹ im Namen dieser Ordnung und ihres Erinnerungssystems soziale Anerkennung und Aufmerksamkeit erhalten. Die auf den Gewinn ›symbolischen Kapitals‹ (Pierre Bourdieu) angelegte Selbstmachung des Subjekts ist auf die entsprechende Machung Anderer angewiesen. Selbst- und Fremdmachung folgen nicht chronologisch (erst, dann) aufeinander, die Selbstmachung funktioniert nur, indem/dadurch dass sie als Fremdmachung vollzogen wird. Modal heißt, dass das Subjekt in der rituellen Situation den Anderen als Handlungspartner akzeptiert, der seinerseits die Rolle des Subjekts übernimmt, indem er dem transformativen Prozess zustimmt (Akzeptanz der Ernennung, Amtseinführung, Preisverleihung usw.) und damit die »strukturelle Dialogizität« (Felder 2017, 48) des Rituals bestätigt. Allerdings legt das rituelle Subjekt die Modalität, die Art und Weise der rituellen Transformation fest, denen der/die Andere zuzustimmen hat. Außerdem profitiert die Akteursseite von der Repetitivität der Ritualaufführung, während die Anderen in der Regel nur einmal beteiligt sind.

Im Gedenk- oder Trauerritual wird der Opfer gedacht, indem ihre Namen genannt und sie so symbolisch präsent werden, in Medien und (Ritual-)Geschichte gehen die Ritualakteure als jene ein, die sich gegen das Vergessen der Opfer und für die Ordnung körperlich im Ritual exponieren. Insofern bedeutet Teilnahme an einem Ritual auch ›ein Bekenntnis ablegen zu‹. Sich einen Namen machen, indem man anderen einen Namen macht, heißt auch, dass das eigene Handeln immer schon auf den oder am anderen orientiert ist, rituelles Handeln ist a priori soziales Handeln – im Sinne der Definition Max Webers – und wirkt als solches zurück auf das Handlungssubjekt.

›Handeln‹ soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äußeres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heißen, wenn und insofern als der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. ›Soziales‹ Handeln aber soll ein solches Handeln heißen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinn nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist (Weber 1972, 1).

Selbstbezüglichkeit rituellen Handelns besteht in der öffentlichen Anerkennung der Ritualakteure und -teilnehmer für die Aufführung des Trauerrituals und den damit verbundenen Einsatz für die Anschlagsopfer. Insgesamt zeigt der Blick auf Geschichte und Verfahren der Ritualforschung, dass es dieser auf die Erkenntnis sozialer, religiöser, politischer usw. Mechanismen bei ›den Anderen‹ und in der je eigenen Kultur ankommt. In der Regel bestätigen Trauerrituale als Reaktionen auf islamistische Anschläge, dass ein Integrationsversuch gescheitert ist. In diesem Zusammenhang wird die ›Integrationsbiografie‹ des Täters recherchiert, die dessen Abschiebung begründen soll(te) oder womöglich verhindern kann oder konnte. So ist nach dem tödlichen Angriff eines Flüchtlings auf andere Flüchtlinge in einem Heim das religiöse Institut der Konversion in die Debatte geraten. Schützt die formal korrekt vollzogene Konversion (Übergangsritual) vom Islam zu einer christlichen Konfession unter Hinweis auf die Bedrohung von Christen im Herkunftsland des Konvertiten diesen vor der Abschiebung oder muss zusätzlich eine christliche Praxis über einen gewissen Zeitraum nachgewiesen werden? Auch die Inanspruchnahme des Kirchenasyls, das Vorläufer und Parallelen in vielen Religionen mit der Schutzfunktion von heiligen Räumen und Tempelbezirken hat, hat wegen seiner – ›eigentlich‹ nur kurzfristig – aufschiebenden Wirkung einer Abschiebung neue Aktualität gewonnen. Unter dem Aspekt von Ritualen als Handlungsmittel, als Mittel zum Zweck, entsprechen der Vollzug der Konversion und die Inanspruchnahme des Kirchenasyls der Struktur rituellen Handelns. Bei einer Tagung in Frankfurt am Main im Juni 2017 zum Kirchenasyl als Möglichkeit für Flüchtlinge, ihrer Abschiebung zu entgehen, sind über 300 ›Fälle‹ bilanziert worden.

In die bayerische Landespolitik hat das Kirchenasyl als Konfliktthema Eingang gefunden. Während der Justizminister darin eine Unterstützung illegaler Einwanderung sieht, die zu unterbinden sei, versucht der Ministerpräsident mit dem Hinweis zu harmonisieren, dass in Bayern die ›Fälle‹ quantitativ überschaubar seien. Damit ist eine grundsätzliche Klärung des Umgangs mit der Institution Kirchenasyl zugunsten einer pragmatischen, – zumindest – temporär geltenden Lösung unterblieben.

Zum komplexen Verweisungszusammenhang der Trauerrituale gehört das rituelle Format der Verleihung des ersten ›Nationalen Integrationspreises‹ am 17. Mai 2017 durch die Bundeskanzlerin im Kanzleramt an die Stadt Altena für deren erfolgreiche Integrationsprojekte. Damit macht die Kanzlerin sich und ihrer Flüchtlingspolitik einen Namen, indem sie der Stadt Altena und Flüchtlingshilfeorganisationen dadurch einen Namen macht, dass sie sich und die Stadt in das ritualgeschichtliche Erinnerungssystem dieses Preises einschreibt.

Als weitere Verweisungsperspektive gehört zu den Trauerritualen, dass das Konzept der Flüchtlingspolitik der Kanzlerin Gegenstand eines literarischen Weltauslegungsangebots geworden ist. Gemeint ist Konstantin Richters Roman Die Kanzlerin: Eine Fiktion (2017), was ihr einen Platz im literaturgeschichtlichen Erinnerungssystem verschafft. Hinzu kommt, dass über ihre Qualifikation als mögliche »Romanfigur« diskutiert wird. Der Romanautor Richter hält sie »auf den ersten Blick [für] keine ideale Romanheldin, weil ihr das Charismatische ja völlig abgeht« (Richter in SZ 07.04.2017; vgl. Schmidt in Die Zeit 24.05.2017). Ähnlich dekretiert F.C. Delius: »Für mich ist Angela Merkel keine Romanfigur.« Er begründet: »Das Problem mit historischen Figuren ist nun aber, daß sie nicht erfunden sind und man relativ viel über sie weiß, daß sie in vielerlei Hinsicht schon definiert sind. [...] die satirische oder die biographische Lösung […] sind ja noch keine ausreichenden Romanlösungen« (Delius 2017, 378). Auch Robin Alexanders ›Report‹ Die Getriebenen (2017) ist zu nennen, in dem er Merkels Flüchtlingspolitik als für von Anfang an gescheitert erklärt (vgl. Brauns Rezension in SZ 18.04.2017). Auch ›das palästinensiche Flüchtlingsmädchen‹, das 2015 nach einer Begegnung mit Kanzlerin Merkel diese – angeblich – zur Änderung ihrer Flüchtlingspolitik im Sinne der allgemeinen Grenzöffnung (die vom EuGH am 16.07. 2017 trotz Gültigkeit der Dublin-Regelung – zuständig für Flüchtlinge ist der Ankunftsstaat – als solidarische Handlung für zulässig erklärt worden ist, vgl. Janitsch in SZ 27.07. 2017) und dem Satz »Wir schaffen das« am 31.08. 2015 veranlasst habe, hat ihre Biographie mit Hilfe einer Ghostwriterin vorgelegt (vgl. Adorjan in SZ 16.08.2017). Für ihr Jugendbuch Dazwischen: ich (2016) zum Thema Integration eines geflüchteten Mädchens erhält Julya Rabinowich den Kinder- und Jugendbuchpreis der Stadt Oldenburg 2017. Insgesamt werden Anschläge und Flüchtlingsphänomen kaum zum Anlass politischer, sozialer Visionen oder Utopien von Schriftstellern und Intellektuellen nach dem Muster des ›engagierten Schriftstellers‹.

2. Fallbeispiel: Ritualisierte Formen öffentlicher Trauer als Reaktion auf einen Anschlag in Berlin

Nachdem am 19. Dezember 2016 um 20.02 Uhr ein Anschlag – kein Selbstmordanschlag – mit einem Lastwagen – wie zuvor schon in Nizza – auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin verübt worden ist, für den die ›Terrormiliz Islamischer Staat‹ die Verantwortung auf der Basis ihrer terroristischen Programmatik übernimmt, reagieren zahlreiche Menschen spontan mit einer ritualisierten Handlung im öffentlichen Raum: In Abweichung vom vorgesehenen Ablauf ihres Alltags versammeln sie sich schweigend im Stehen in der Nähe des Anschlagsorts im Halbkreis um ein altarähnliches Zentrum aus brennenden Kerzen, Friedhofsleuchten, Blumen und Zetteln mit Mitteilungen persönlicher Betroffenheit. In der körperlichen Selbstpräsentation der Ritualakteure bzw. -teilnehmer wie auf einer Bühne ist die Rede von der Ritualaufführung als live-Veranstaltung (Nische direkter Kommunikation, face to face, Erfahrung direkter Gemeinschaft) begründet, was in dieser Form für Internetrituale natürlich nicht gilt. Jeder, der es möchte, kann ohne Vorbereitung, Anmeldung und Zugangskontrolle für beliebige Dauer teilnehmen, Bühne und Zuschauerraum sind nicht getrennt, eine Kleiderordnung besteht nicht, das äußere Erscheinungsbild ist ohne Bedeutung. Der – implizit verwendete – nicht genormte Ritualbegriff fördert Toleranz, Inklusion, Zugehörigkeit, Integration. Zu diesem Zeitpunkt ist nichts über die Identität des Täters bekannt, nichts über seine Motivation, Biografie und nichts über seine mögliche Inhaftierung. Zu diesem Zeitpunkt ist der Täter auf der Flucht.

Was zählt, ist die rituell generierte Gleichheit zwischen den Teilnehmern der temporären Trauergemeinschaft; welche Rollen sie im nichtrituellen Alltag spielen, welche religiöse, politische, kulturelle, sexuelle usw. Orientierung sie haben, ist unerheblich. Geht es um spontane Empathie und Solidarität mit Opfern, scheint der ökumenische Aspekt der Trauergemeinschaft keiner besonderen Erwähnung oder gar Problematisierung wert (vgl. auch Kranemann/Benz 2016). Denn die soziale Komplexität des vorweihnachtlichen, prärituellen Alltags ist für die Dauer des rituellen Prozesses auf die körperliche Sichtbarmachung von Trauer und Betroffenheit, von Mitgefühl und Solidarität mit Opfern und Hinterbliebenen reduziert, es ist eine »wertexplizite« (Dücker 2007, 125f.) Situation, d.h., das rituelle Handeln zeigt die Werte, die das alltägliche Handeln implizit fundieren und steuern sollen. Tendenziell geht es um die Markierung des Anschlags als Negation westlicher Werte (»die islamistische Gewalt […] als eine Gewalt der anderen«, Ahrens/Braselmann in Die Welt 09.11.2017) durch das Gegenüber ritualisierter bzw. ritueller Konsensproklamation (Trauerritual). Während der rituellen Handlung gibt es keine Konkurrenz unter den Teilnehmern, keine Vergleiche, kein Messen, Wiegen, Zählen, das im Alltag omnipräsente agonale Verhalten ist im sozialen Format des Trauerrituals still gestellt.

Durch die Inszenierung körperlicher Bewegungslosigkeit (kein Handy- oder Smartphonegebrauch) werden Innehalten, Trauer und Außeralltäglichkeit sichtbar, es passiert praktisch nichts, obwohl von starker Emotionalisierung der Beteiligten auszugehen ist. Auf Fotos sind ernste, erschütterte Gesichter zu sehen, aber entsprechend der verbreiteten Ritualtradition öffentlicher Trauer mit Körperdisziplin und Affektkontrolle nur wenige weinende Personen, die zudem Trost in der Anlehnung an andere oder in deren Umarmung suchen. So lässt die ritualisierte ›bürgerliche‹ Trauer im öffentlichen Raum die außeralltägliche Geste zu, die Distanz zwischen Körpern, d.h. zwischen einander im Alltag völlig fremden Menschen, aufzuheben. Für die rituell hergestellte Gemeinschaft ohne – markierte – soziale Differenzierung, in der niemand den Namen des Nachbarn kennt, bei der es gleichwohl auf den Ausdruck und die Erfahrung von Nähe und Zusammengehörigkeit ankommt, hat Victor Turner den Begriff ›communitas‹ geprägt, wozu Offenheit und Akzeptanzbereitschaft auch gegenüber dem und den Fremden gehören. Entsprechend gibt es bei diesen spontanen ›bürgerlichen‹ Trauerritualen im öffentlichen Raum keine Absperrungen, Zugangsbeschränkungen und Personenkontrollen. Symbolische Objekte (Paraphernalia) des Lichts (Kerzen) und des Lebens wie der Trauer (Blumen), bewegungsreduzierte Gesten wie Hände zum Gebet falten, den Kopf senken, sich bei den Händen halten (Menschenkette), deren symbolische Bedeutungen allgemein bekannt sind, machen diese Homogenität sichtbar. »Der Nutzen eines Rituals liegt in der ihm eigenen Förmlichkeit, in seiner Unbefangenheit, seiner Unpersönlichkeit« (Sennett in SZ 29.06.2007).

Als rituell generierte Konsensgemeinschaft treten die Menschen dem Angriff auf ihre Ordnung entgegen, um diese zu sichern. In der NZZ vom 24.12.2016 zieht Joachim Güntner folgende Bilanz:

Niedergelegte Blumen und brennende Kerzen verwandeln den Breitscheidplatz in eine Gedenkstätte des Mitgefühls mit den Opfern. Einheimische Bürger und Migranten versammeln sich dort zum gemeinschaftlichen tröstlichen Singen. Am Tag nach dem Anschlag bleiben zum Zeichen der Pietät die meisten Berliner Weihnachtsmärkte geschlossen. Gottesdienste laden zur solidarischen Andacht ein. Republikweit kommt es zu Momenten des Innehaltens. Vom panischen Schrecken aber, den Terror erzeugen will, zeigt sich niemand ergriffen. Der vorweihnachtliche Trubel nimmt nach kurzer Schockstarre seinen Gang wieder auf.

Dass dieser ritualisierte Handlungsprozess ohne den Anschlag nicht aufgeführt worden wäre, bestätigt das schon erwähnte fundamentale Strukturmerkmal rituellen Handelns: Dieses ist bedingt durch die zu bearbeitende Erfahrung oder die intendierte Vermeidung von Unordnung und stellt eine Reaktion zur Wiederherstellung oder Sicherung einer belastbaren Ordnung dar. Rituelles Handeln ist Teil eines kausalen Zusammenhangs (Ereignis als Reiz, Ritual als Reaktion mit Zielorientierung).

Eine alltägliche rituelle Geste zur Wiederherstellung von Ordnung ist die Entschuldigung. Dabei geht es um das Eingeständnis von Schuld und Scham und die dadurch womöglich erreichte Bereitschaft des Adressaten, die Situationsdeutung des Akteurs zu akzeptieren. Dieser exponiert sich mit dem Eingeständnis seines Fehlverhaltens dadurch, dass er dem Adressaten ebenfalls die Möglichkeit gibt, sich zu exponieren, indem dieser das Fehlverhalten entschuldigt, den Akteur – symbolisch – von Schuld freispricht. Gelingt das Ritual, ist die Perspektive für ein geordnetes Verhältnis zwischen beiden wieder hergestellt.

Die spontane Selbstverständigung der Bürger, sich zu ihrer Ordnung zu bekennen, ist durch islamistische terroristische Devianz veranlasst. Allgemein scheint deviantes Verhalten Deutungsmacht über die Ordnung zu besitzen und bei Betroffenen das Bedürfnis ritueller Gemeinschaftserfahrung zu bewirken. So ist das Trauerritual auch eine Reaktion darauf, dass der Weihnachtsmarkt, selbst eine rituelle Veranstaltung des Außeralltäglichen, von einem Augenblick auf den anderen ein fremder, unvertrauter Ort geworden ist und nun rituell ›gereinigt‹ werden muss. Während der öffentliche Raum im Allgemeinen und ein Weihnachtsmarkt im Besonderen als Orte definiert sind, die durch Gewährleistung von Sicherheit und Gleichheit aller Nutzer/Nutzerinnen dem friedlichen Austausch, der Geselligkeit aller Menschen zur Verfügung stehen, hat der Täter ihn durch seinen programmatisch basierten Anschlag zum Bedrohungsort für alle gemacht, die nicht seiner eigenen Gruppe angehören. »Im Zusammentreffen zwischen Räumen und Gebrauchsweisen, zwischen der räumlichen Präfiguration bestimmter Gebrauchsweisen und der Konfiguration des Raums durch seinen spezifischen Gebrauch, erhalten Räume erst ihre Bedeutung« (Därmann/Echterhölter 2013, 8). Die terroristische ›Umnutzung‹ des öffentlichen Raums muss durch die ritualisierten Trauerformen, die den Tatort als Einbruchsstelle des terroristischen Verbrechens markieren, nun als Erinnerungsort neu gedeutet werden. Auf Dauer gelingen kann dies wohl nur, wenn ein öffentlicher Gedenkort mit Angabe des Referenzereignisses, dessen Datum und der Opfernamen eingerichtet wird. Gedenkorte sind Umdeutungen von Schreckensorten, wobei der Schrecken und seine Folgen als Mahnung und Appell erinnert werden. Aus der Simultaneität von realem Tatort und ebenso realem rituellem Gedenkort, von – mit Begriffen Rudolf Ottos – ›tremendum‹ und ›faszinosum‹ mag eine spezielle Form des ›Heiligen‹ als außeralltäglicher, reflexiver Ort entstehen. Jede Wiederholung des öffentlichen Gedenkrituals generiert Erinnerungssituationen als narrative Gegenstände.

2.1 Rituale und öffentlicher Raum

Grundsätzlich dient der öffentliche Raum – in Weiterführung der Tradition von griechischer Agora und römischem Forum – zur Selbstdarstellung und -verständigung programmatischer Gruppen bzw. Positionen, zu Begegnungs- und Aushandlungsprozessen zwischen unterschiedlichen Positionen, Eigenem und Fremdem, selbstverständlich ist er kein rechtsfreier Raum, die Freiheit der Mitteilung von Weltauslegungsangeboten findet ihre Grenze an den allgemeinen Gesetzen. Zum öffentlichen Raum gehören alle Flächen, die nicht im Privatbesitz sind. Das sind in Städten oder urbanen Zentren vor allem Straßen, der Marktplatz, andere Plätze sowie Grünanlagen und Parks. Damit erfüllt der prinzipiell für jedermann zugängliche öffentliche Raum Verkehrs-, Kommunikations-, Informations- und Erholungsfunktionen. »Die öffentliche Straße und der Marktplatz haben somit über ihre verkehrstechnische Funktion hinaus auch eine paradigmatische Bedeutung als Versammlungsort, als Ort der Begegnung und Kommunikation, als Ort politischen Handelns und vielfältiger anderer grundrechtlich geschützter Aktivitäten von der Berufs- bis zur Bekenntnisfreiheit« (Siehr 2016, 207).

Ritualisierte/Rituelle Formen politischer Selbstdarstellung und -verständigung wie z.B. Demonstrationen, Mahnwachen, Menschenketten, Trauerrituale, Politikerbegegnungen (nach dem Muster von Herrschereinzügen – adventus – und -begegnungen), Ansprachen von Politikern sind häufige Kommunikationsformen im öffentlichen Raum. Da zur Öffentlichkeit des öffentlichen Raums nicht nur die Zugänglichkeit (Siehr diskutiert den »barriere- und diskriminierungsfreie[n] Zugang«, Siehr 2016, 218-237), sondern auch die Deutungsfreiheit gehört, ist bezüglich der möglichen Rituale mit Gegenritualen (zumeist gleiches rituelles Format, abweichende Programmatik) zu rechnen. Aufgabe der Sicherheitsorgane ist es, die friedliche Aufführung der Rituale zu gewährleisten und für die während der Ritualaufführungen zumeist beeinträchtigten Funktionen (Verkehr, individuelle Treffen, Zugänglichkeit zu bestimmten Orten usw.) im Benehmen mit Ordnungsämtern und zuständigen Dienststellen Ersatz anzubieten. Daher sind Rituale im öffentlichen Raum in aller Regel fristgerecht zu beantragen und nur mit vorliegender Genehmigung aufzuführen. Dies gilt nicht für Gelegenheits- oder spontane Rituale wie Trauerrituale als Reaktionen auf einen Anschlag. (Für die gewerbliche Nutzung des öffentlichen Raums z.B. durch Straßencafés sind Gebührenordnungen und Vorgaben der Ausdehnung – Bestuhlung auf Gehwegen – zu berücksichtigen.)

Finden auf bestimmten Plätzen regelmäßig Rituale statt oder sind sie als Erinnerungsorte privilegiert, handelt es sich um Symbolorte, die zumeist besonders intensiv auch touristisch genutzt werden und deren Namensnennung genügt, um ihre symbolische und historische Bedeutung zumindest ansatzweise präsent zu machen. So gehört zum öffentlichen Raum als andere Seite politischer Identitätsbildung auch die stets zu berücksichtigende Möglichkeit der Negation oder Zerstörung von Symbol- und Erinnerungsorten. Dass Anschläge am Breitscheidplatz in Berlin in unmittelbarer Nähe zur Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche oder auf der Promenade La Rambla in Barcelona möglich sind, zeigt nicht nur die Verletzlichkeit der Symbol- und Erinnerungsorte als andere Seite von deren freier Zugänglichkeit, sondern fügt deren Erinnerungshof ein neues Segment hinzu, das auch das Narrativ dieses Ortes verändert. Durch den Anschlag schreibt sich eine fremde Formation in die Geschichte dieses Ortes ein. Um so wichtiger sind Trauer- und Gedenkrituale als Reaktionen der Deutung des Anschlags. Islamistische Täter und ihre Formation profitieren für ihre Publizität vom öffentlichkeitswirksamen Funktionszusammenhang aus Anschlag, urbanem Zentrum, Symbol- und Erinnerungsort sowie globaler Aufmerksamkeit für Tat und Täter; spontane, temporäre, ritualisierte Trauerformen sowie dauerhafte Gedenkrituale korrigieren diese täterbezogene Deutung, indem sie die Täter als solche sichtbar machen, deren mögliche Anerkennung als Vorbilder für anzuwerbende Sympathisanten ›entlarven‹ und die traditionelle und neue Bedeutung des Symbolorts für Gegenwart und Zukunft bestätigen.

Dass der öffentliche Raum als prinzipiell deutungsneutral gilt, dass Deutungsangebote nur für begrenzte Zeit (z.B. während Ritualaufführungen) gemacht werden sollten, um dann anderen Platz zu machen, hebt der »Direktor des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medien (ZKM), Peter Weibel«, in seiner Kritik an den offenbar von bestimmten Interessengruppen und Institutionen gebilligten Plänen des Künstlers Markus Lüpertz hervor, der U-Bahnstationen mit von ihm gefertigten »Kachelbildern mit religiösen« Motiven schmücken will. Tendenzen zur Privatisierung des öffentlichen Raums als Krisenfaktor der Demokratie?

Wir sehen, wie öffentliche Räume ohne Beteiligung der demokratischen Öffentlichkeit mit christlichen Symbolen besetzt werden, in Karlsruhe oder auf der Kuppel des Berliner Humboldt-Forums, auf die ein privater Verein ein Kreuz setzen möchte. Das sind allergische Reaktionen auf die von Paranoikern gefürchtete, vermeintlich drohende Islamisierung des Abendlandes. […] Ich wende mich nicht gegen den Künstler, sondern gegen dieses übergriffige, undemokratische Verfahren, das leider kein Einzelfall ist. […] ,wird öffentlicher Raum von privaten Geldgebern nach Gutdünken okkupiert, […] Wer Geld und Einfluss hat, versucht, den öffentlichen Raum zu usurpieren, um seine Geschmacksvorlieben durchzusetzen. Das ist Plutokratie. (Weibel in SZ 11.08.2017)

Hier wäre die Frage einer – womöglich unvermeidlichen – politischen Funktion von Kunst im öffentlichen Raum zu diskutieren.

2.2 Erinnerungspolitische Notwendigkeit ritualisierter Reaktionen

Wäre nach dem Anschlag ausschließlich kriminaltechnisch Spurensicherung, Rekonstruktion des Tathergangs usw. betrieben worden, würde weder den direkt Betroffenen noch der Gesellschaft ein angemessener symbolischer Gedenkort zur Verfügung stehen. Fehlen würde die Möglichkeit gemeinschaftlichen Trauerns, Erinnerns und Erzählens, fehlen würden die Erzählungen der vielen Einzelnen (Opfer, Hinterbliebene, Ritualteilnehmer, Helfer, Polizei, Feuerwehr, je durch die Tat Betroffene, Justiz, Umfeld des Täters, Politiker u.a.), aus denen sich die große Erzählung des historischen Geschehens der jeweiligen rituellen Konstellation ergeben kann.

Wird kein dauerhafter öffentlicher Gedenkort geschaffen, bleiben die Betroffenen mit ihren Erinnerungen, Fragen und ihrer Trauer allein. So könnte der terroristische Anschlag zu einer privaten Trauererfahrung entpolitisiert und rituell verkürzt bzw. ›entdichtet‹ werden. Angesichts wiederholter Nachrichten, dass islamistischer Terror noch auf Jahre hinaus erhalten bleibe und ein Sieg der Demokratien in ihrer derzeitigen Form keineswegs sicher sei, erscheint das Unterlassen öffentlichen Gedenkens für die Anschlagsopfer problematisch, weil die gedenkpolitische Repräsentation die Zustimmung zum liberalen Verfassungsstaat stärken könnte. Auch stellen öffentliche Trauerrituale Appelle an die politisch Verantwortlichen dar, für den Schutz der Menschen im öffentlichen Raum zu sorgen. Ein Gedenkort kann Anlass zu regelmäßig wiederholten Trauer- und Gedenkveranstaltungen sein, z.B. im Rahmen internationaler und -religiöser Workshops, mit Beiträgen von Politikern, Repräsentanten der Opfer, Zeitzeugen, Vertretern religiöser und anderer Institutionen. In jedem Fall müsste die Form des Gedenkrituals mit den Betroffenen ausgehandelt werden, wobei deren Privatbereich nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit gehört. Dann hätte die rituelle Konstellation zu einem politisch-kulturellen Diskurs beigetragen, der sich positiv auf die Einstellung aller Beteiligten zum Konzept Integration auswirken könnte.

Würde dagegen über jene hinaus, die vom Anschlag betroffen sind, d.h. in der Öffentlichkeit, der Eindruck entstehen, im Spektrum gesellschaftlicher Repräsentation nicht angemessen vertreten zu sein, könnte dieses Defizit der Ordnung in bestimmten Bevölkerungsgruppen Populisten Chancen für einfache Fragestellungen und Antworten einräumen.

Nach der Theorie der Rituotope ergibt sich der Befund, dass für vorsätzlich herbeigeführte Ereignisse wie Anschläge, Attentate, Vergewaltigungen, Amokläufe, die das kulturelle Wertmuster und dessen Ordnung bedrohen, mit spontanen ritualisierten Reaktionen – Gelegenheitsritualen – zu rechnen ist. Mehrere islamistische Anschläge (z.B. in Nizza am französischen Nationalfeiertag, in Berlin gegen den Weihnachtsmarkt, in Ägypten gegen koptische Gottesdienste) waren gegen rituelle Handlungssituationen als Verdichtungen soziokultureller Wertmuster gerichtet. Auch Unfälle mit zahlreichen Opfern lösen ritualisierte bzw. rituelle Reaktionen aus. Damit wird rituelles Handeln als überindividuell bestätigt, aufgeführt im Namen eines – hinsichtlich spontaner Trauergemeinschaften – nicht vorab institutionell legitimierten Kollektivs und dessen konsensorientierter und -bereiter Programmatik. Das gilt in dieser Form nicht mehr für den 20. Dezember 2016, als sich politische Repräsentanten und Bürger am Tag nach dem Anschlag in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zum vorgegebenen Zeitpunkt versammeln, um ähnlich wie nach den Anschlägen in Paris und Nizza einen Gedenkgottesdienst abzuhalten.

Die besondere Bedeutung der ritualisierten Trauerformen, die die Wertschätzung der einzelnen Opfer und deren Hinterbliebenen durch den Gestus der Empathie der Teilnehmer an der öffentlichen und offenen Ritualgemeinschaft sichtbar machen, mag darin gesehen werden, dass den Anschlägen öffentlich eine programmatische Handlung entgegengesetzt wird, dass Gewalt und Täter im Rahmen und mit den Mitteln der durch den Anschlag angegriffenen Kultur verurteilt werden, dass aber nicht zu Gegengewalt aufgerufen, sondern Verständigung angeboten wird. Trauer bewirkt Vergemeinschaftung, das Bewusstsein kollektiver Handlungsfähigkeit als Folge kollektiver Betroffenheit. Indem die Ritualteilnehmer bereit sind, sich öffentlich zu exponieren, was grundsätzlich als Bekenntnis zu einer Programmatik wahrgenommen wird, machen sie die Opfer zu Repräsentanten dieser Programmatik. Vor allem durch öffentliche Trauer- und Gedenkrituale wird den zufälligen Opfern im nachhinein Wertrepräsentanz zugeschrieben, ihr Tod ›steht für‹ den durch das Ritual vermittelten Appell an Funktionsträger und Öffentlichkeit, Anschläge künftig im Gedenken an die Opfer zu verhindern. Bei Trauerritualen für politische Funktionsträger sind es deren Programmatik (›das, wofür sie stehen‹) und die damit erreichte Reputation oder das Image (symbolisches Kapital), was der – qualitativen, d.h. auf persönliche Einladung zugelassenen – Öffentlichkeit Anerkennung verschafft. Während für diese Staatsbegräbnisse der Satz gilt, hier wurde Geschichte gemacht und ich bin dabei gewesen, gilt für die spontanen, ritualisierten öffentlichen Trauerbekundungen, dass jeder einzelne Teilnehmer durch sein Dabeisein Geschichte macht.

2.3 Es gibt keine ›bloßen‹ oder ›leeren‹ Ritualaufführungen

Trotz Wiederholung der ritualisierten bzw. rituellen Formen markieren die einzelnen Aufführungen singuläre historische Ereignisse, weil sie auf entsprechende singuläre Referenzereignisse als Handlungsanforderungen bezogen werden. Auch ist rituelles Handeln kein Probehandeln, das beliebig variiert und quasi unverbindlich so oft wiederholt werden kann, bis es ›passt‹, als verbindlich gilt und ernst gemeint ist. Jede Wiederholung einer Ritualaufführung ist als Reaktion auf ein entsprechendes Auslöseereignis selbst auch ein einmaliges historisches Ereignis, auch das Abbild ist ritualtheoretisch ein Unikat oder Original (jede Aufführung der Nobelpreisverleihung ist Wiederholung und singuläres Ereignis zugleich). Damit sind pejorative Wendungen wie ›bloße‹, ›leere‹ oder ›hohle‹ Rituale gegenstandslos. Kaisers Hinweis in ihrer verdienstvollen Geschichte des Volkstrauertags auf den zweifelhaften Neuigkeitswert von Ritualen trifft nicht zu:

Während die Berichterstattung in den öffentlichen Medien im Allgemeinen darauf beruht, Informationen als Neuigkeiten zu vermitteln, funktioniert das Ritual, indem es jährlich wiederholt wird, nicht nach diesem Neuigkeitsprinzip. Das Ritual ist ja gerade ›nichts Neues‹, sondern immer wieder dasselbe – beziehungsweise wenigstens tendiert es stark dazu, sich als unveränderlich zu präsentieren. Diese (vorgebliche) Unveränderbarkeit ist neben dem performativen Charakter der Hauptgrund dafür, warum Medien im Blick auf das Ritual kaum eine informative, sondern vor allem eine affirmative Funktion erfüllen, und zwar, indem sie das Ritual möglichst realitätsnah wiedergeben beziehungsweise ›abbilden‹. (Kaiser 2010, 319)

Rituale haben ihre Funktionen auch darin, einen Zustand sichtbar zu machen und unterschiedliche Institutionen oder Personen zusammenzuführen. Dies gilt für die sogenannten ›Elefantenrunden‹ der Parteivorsitzenden nach einer Bundestagswahl oder für Gipfelkonferenzen, von denen kaum nachhaltige Ergebnisse erwartet werden. »Es ist schon gut, dass sie [G 20-Teilnehmer 2017] miteinander reden. Solange sie das nämlich tun, schießen sie nicht« (Eichel in Kurier 25.06.2017).

Anlässlich der Vorstellung des Buches Armut in Deutschland wird die Bundesministerin Andrea Nahles im Wirtschaftsteil der SZ unter der Überschrift »Falsche Rituale« mit den Worten zitiert: »Eine rituelle Skandalisierung, etwa wenn bestimmte Statistiken veröffentlicht werden, hilft keinem weiter« (TÖ in SZ, 24.09.2016). Immer wenn sie [die Ministerin] den jährlichen Armuts- und Reichtumsbericht vorstelle, gebe es »eine rituelle Skandalisierung«, die nichts Neues bringe, bloß sich selbst wiederhole und daher auch unterbleiben könne. Als bloßes oder leeres rituelles Handeln deutet sie jenes, das ihrer eigenen Position widerspricht. Sie reflektiert nicht, dass sie ihre Statistik auch ›immer wieder‹ vorstellt, ohne diese öffentliche Handlung als ›bloße‹ oder ›leere‹ Wiederholung abzuwerten. Ähnlich diagnostiziert ein Journalist »hohle Rituale und Gesten, die rückwärts weisen«, wenn er von der aufdringlichen Orientierung der konservativen französischen Präsidentschaftskandidaten François Fillon und Alain Juppé an Charles de Gaulle berichtet. Diesen zitiere der eine »in jeder Rede«, der andere »pilgerte […] zum Grab des Patriarchen, [wo] er um den Segen des Toten betete, […] um ein paar mehr Stimmen unter den Lebenden« (Wernicke in SZ, 28.11.2016).

Wegen ihrer spontanen Verfügbarkeit haben eingespielte Formen öffentlicher Trauer- und Gedenkrituale hohe identitätssichernde und ordnungspolitische Bedeutung, was in die Lebensgeschichte der Teilnehmer, die allgemeine politische Geschichte und alle partikularen Erinnerungssysteme eingeht. Daraus darf prinzipiell die Historizität jeder einzelnen Ritualaufführung als Mittel der Konfliktbewältigung oder -vermeidung abgeleitet werden. Aus dem Zusammenhang von auslösendem Ereignis und reaktivem Ritual wird Geschichte gemacht, indem die Ritualgemeinschaft durch die öffentliche Aufführung des Rituals ihre (subjektiv verbindliche) Deutung des Ereignisses sichtbar macht. Die Situation nach dem Trauerritual soll für die unmittelbar Betroffenen Erleichterung bringen durch die Erfahrung von Solidarität, Hilfe und Gemeinschaft. Wer ein Ritual aufführt oder daran teilnimmt, möchte, dass ›es‹ weiter geht, dass die durch das Ritual gemachten Erfahrungen die Zukunft des postrituellen Alltags sichern.

Auf ein situatives Ereignis – wie den Anschlag –, das als soziale Handlungsanforderung erfahren wird, wird mit symbolischem als rituellem Handeln reagiert, weil diese Handlungsform aufgrund ihrer situationsmodifizierenden, gemeinschaftsstiftenden, narrativen und auch geschichtsbildenden Funktion für die Aufgabe der Krisenintervention und -lösung als rational gilt. Ich habe dafür – in Anlehnung an Max Webers Begriffe der ›Zweck- und Wertrationalität‹ – den Begriff »Symbolrationalität« (Dücker 2007, 102-108) geprägt, weil die rituelle Handlung als kulturökonomisch günstigste Option zur Wiederherstellung oder Bestätigung der Ordnung erscheint. Als Mittel zum Zweck soll das Trauerritual die intendierte, – verglichen mit der prärituellen Situation – stets modifizierte Ordnung im postrituellen Alltag erhalten. Rituale sind Handlungsinstrumente, sie handeln nicht selbst, haben auch keine eigene Handlungsmacht (›agency‹), sondern werden zu programmatisch fundierten Selbstpräsentationen von Individuen und Institutionen (Kirche, Staat, Stiftung, Akademie usw.) als Reaktion auf Devianz- oder Defiziterfahrungen oder zu deren Vermeidung zugelassen oder auch veranlasst. So bleiben Anlass und intendierte Wirkung im Ritualvollzug präsent. Werden Rituale von Institutionen ›angestoßen‹, obliegt es diesen, die Teilnehmer angesichts möglicher negativer Folgen zu unterstützen.

2.4 Elemente der Ritualisierung öffentlicher Trauer

Begleitet, verstärkt und räumlich-geografisch expandiert wird die Deutung des Anschlags in spontan aufgeführten ritualisierten Trauerformen durch zahlreiche rituelle Elemente, die das Gedenken der Opfer einer stets größer werdenden, medial vermittelten Öffentlichkeit sinnlich wahrnehmbar machen. Hintergrund dafür scheinen die situationsüberschreitende nationale und globale Dimension der rituellen Konstellation zu sein. Zu den rituellen Elementen gehören:

– Fortsetzung der Aufführung der ritualisierten Trauerformen über mehrere Tage, prinzipiell zeitlich unbegrenzt
– weltweite Informationsvermittlung (soziale Dienste, Messengerdienste)
– ökumenische Trauergottesdienste
– Schweigeminuten in nationalen und EU-Gremien
– Anhalten des Verkehrs
– Flaggen auf Halbmast
– Erklärungen von Bundes- und Landespolitikern, von Repräsentanten gesellschaftlicher Institutionen wie Kirchen, Religionsverbänden, Gewerkschaften u.a.: Solidarität mit Opfern, Verurteilung des Anschlags, Differenzierung Täter – dessen Herkunftsgruppe
– Solidaritätserklärungen und Unterstützungsangebote ausländischer Politiker
– Besuche von Politikern am Tatort, am Krankenbett Verletzter
– Kondolenzbücher
– Trauer- und Protestdemonstration(en)
– Brandenburger Tor, Eiffelturm u.a. Symbole europäischer Hauptstädte: illuminiert in Landesfarben des je betroffenen Staates (Problem: nicht alle Staaten berücksichtigt, Eindruck einer politisch begründeten Hierarchie der Opfer, vgl. Weisbrod in Die Zeit 06.04.2017)
– Blumen vor den Botschaften des je betroffenen Staates niedergelegt
– Solidaritätsformeln (selten): Je suis Charlie; Nous allons Bruxelles.
– Gedenkminute im Verkehr durch Hupen markiert, öffentliche Diskussion zu Gedenkritualen anlässlich von Anschlägen

Längerfristige Perspektiven, Beispiel Brüssel zum 22. März 2017:

– Jahrestag mit Gedenkritualen: Skulptur Flight in Mind von Olivier Strebelle in der Nähe des Anschlagsorts Flughafen aufgestellt
– in der Nähe des Anschlagsorts U-Bahn-Station Kranzniederlegung durch das Königspaar, Gedenktafel mit handschriftlichen Nachrichten, Ansprachen, Gedichtvorträge Hinterbliebener

Beispiel 2. Jahrestag der Attentate in Paris, 13. Nov. 2017:

– Staatspräsident Macron legt an den diversen Tatorten Kränze in Nationalfarben nieder
– Teilnehmer am Gedenkritual legen Blumen nieder
– Verlesung der Namen aller Todesopfer
– Schweigeminuten anwesender Hinterbliebener und Politiker
– Opferorganisation lässt Luftballons aufsteigen
– Macron und seine Frau sprechen mit Hinterbliebenen

3. Kontextanalyse und Wirkungsaspekte
3.1 Ein Kommentar der Kanzlerin

Unmittelbar nach Bekanntwerden eines Anschlags kommen Politiker und Repräsentanten des öffentlichen Lebens zu Wort, um ihre Betroffenheit über den Anschlag und dessen Verurteilung in scheinbar stereotypen Formulierungen für die Medien mitzuteilen. »Die offiziellen Reaktionen auf den Selbstmordanschlag in Manchester ähnelten jenen, wie man sie nach Terrorattacken zuletzt immer wieder gehört hat. Was soll man auch sagen nach solch einer Tat?« (Menden in SZ 24./25.05.2017). Allerdings werden jene Politiker kritisiert, die auf solche Verlautbarungen verzichten oder diese nach Meinung der medial vermittelten Öffentlichkeit zu spät mitteilen. Auch scheinbar ergebnislose rituelle Gesten haben ihre unverzichtbare Funktion für die Kontinuität der Ordnung.

Die Situation der Opfer, Hinterbliebenen und Helfer sowie die kulturanalytische, erinnerungs- und gesellschaftspolitische Bedeutung der rituellen Reaktion erhalten bisher eher zurückhaltende systematische öffentliche Aufmerksamkeit. In diesem Kontext ist es interessant zu sehen, dass Kanzlerin Merkel unmittelbar nach dem Berliner Anschlag mit Worten zitiert wird, die weit über die erwartbare, formelhafte Verurteilung des Vorfalls hinausgehen:

Ich weiß, dass es für uns alle besonders schwer zu ertragen wäre, […] wenn sich bestätigen würde, dass ein Mensch diese Tat begangen hat, der in Deutschland um Schutz und Asyl gebeten hat. [Es wäre] besonders widerwärtig, gegenüber den vielen, vielen Deutschen, die tagtäglich in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, und gegenüber den vielen Menschen, die unseren Schutz tatsächlich brauchen und sich um Integration in unser Land bemühen (Braun u.a. in SZ 21.12.2016).

Auf der Bedeutungsebene ist Merkels Äußerung nicht normativ, sie setzt kein Fachwissen voraus und markiert auch keinen juristischen Tatbestand; vielmehr beruht sie auf alltagsweltlichem Erfahrungswissen über Betreuungs- und emotionale Näheverhältnisse. Demnach – so der konventionelle Ausgangspunkt – mache es einen Unterschied hinsichtlich des Grades persönlicher Betroffenheit, ob sich jemand unmittelbar und mit hohem persönlichem Einsatz für andere engagiere, von denen einer dann unerwartet einen verheerenden Anschlag verübe oder ob jemand als persönlich Unbeteiligter davon aus Medien erfahre und die Tat dann ebenso fraglos verurteile. Mit dem Intensivierungsadverb ›besonders‹ spricht Merkel den Helfern ihre Anerkennung und der Mehrheit der Flüchtlinge ihre Zusicherung weiteren Schutzes aus. Sie versetzt sich gleichsam in die vermutete Perspektive zweier ›besonders‹ betroffener Gruppen, deren Position sie hervorhebt. Daher ist »besonders« ein ›Reliefmarker‹, mit dem Anerkennung ausgedrückt wird, kein »Distanzierungsmarker« (Felder 2017, 44), wertet Merkel doch die nicht zu den beiden Gruppen gehörenden Menschen keineswegs ab. Vor allem zieht sie aus der Erwähnung der beiden Gruppen keinen politischen Vorteil für ihre eigene Position, sie macht sich nicht zum Sprachrohr von deren Perspektive.

Sprachlich (kommunikativ) generiert Merkel das potentielle »Bezugsobjekt« (Polenz 32008, 119) ›Flüchtling als Täter‹ mit besonderer Bedeutung für deutsche Helfer und schutzsuchende Flüchtlinge. Ihre Bezugnahme auf den Anschlag durch Klassifizierung eines Menschen als möglichen Täter, der in Deutschland um Schutz und Asyl gebeten hat, erfüllt das Merkmal »situationsabhängig« (Polenz 32008, 120), d.h. ihre Adressaten kennen die Situation und wissen, dass Merkel von einem Einzelfall spricht, keine Kollektivverurteilung vornimmt und auch niemandem unterstellt, eine solche Tat nicht als »widerwärtig« zu verurteilen. Verfährt Merkel doch nach dem sprachwissenschaftlich definierten Muster der Präsupposition, indem sie sich explizit auf die beiden Gruppen – deutsche Helfer, Flüchtlinge als Schutzsuchende – bezieht, dabei aber durch den Reliefmarker »besonders« voraussetzt, dass es daneben noch andere Gruppen gibt. »Eine Präsupposition ist eine nichtgeäußerte, aber mitgemeinte Nebenprädikation, deren WAHR-Sein nicht BEHAUPTET wird, sondern mit dem Äußern der Haupt-Aussage als selbstverständlich nur VORAUSGESETZT ist (oder wird)« (Polenz 32008, 308; Großschreibung i.O.).

Auch scheint Merkels Satz einen Diskurs über Folgen des von ihr nur als Möglichkeit (Konjunktiv) angesprochenen Ereignisses zu implizieren, der das Leid und die Trauer der Opfer mit den traumatischen Erfahrungen vieler Flüchtlinge verbinden könnte. Diese Allianz sieht August Hanning unter der Signatur »Sicherheitsarchitektur« gegeben: »Wir schulden es [das Bemühen um Sicherheit] unseren Bürgern, die zu Recht von der Politik ein Leben in Sicherheit fordern, wir schulden es aber auch all den Flüchtlingen, die ihr Leben aus den Schlachtfeldern von Syrien und Irak retten konnten und Sicherheit für sich und ihre Kinder in Deutschland suchen« (Hanning in SZ 13.06.2017). So wie hier aus der Parallelität der Interessen keine Konsequenzen für eine mögliche gemeinsame Abwehr der Terroristen gezogen werden, beschränkt sich Merkel letztlich darauf, aus der Perspektive der Helfer und der Mehrheit der Flüchtlinge die mögliche Beteiligung eines Asylbewerbers an der Tat als »besonders widerwärtig« zu bewerten, ohne dieses Werturteil in irgendeiner Weise inhaltlich zu füllen.

Am Tag nach der Veröffentlichung ihres Satzes wird dieser wegen (s)eines logisch zu begründenden Ausgrenzungsgestus kritisiert. Bedeute er in der Umkehrung doch, dass »die Tat eines Flüchtlings für die vielen Menschen, die nicht in der Flüchtlingshilfe engagiert sind, weniger widerwärtig« (Fried in SZ 22.12.2016) sei. Hätte Merkel – im Sinne Frieds? – formuliert, dass ›ein Flüchtling als Täter‹ für alle Menschen in gleicher Weise »besonders widerwärtig« sei, hätte angesichts dieser Harmonisierung der Betroffenheit das Engagement der Helfer als Bereitschaft zu persönlicher Nähe und daraus folgender ›besonderer‹ Betroffenheit nicht hervorgehoben werden können. Intensitätsunterschiede persönlicher Betroffenheiten wären nicht möglich. Merkel grenzt nicht aus, sondern differenziert. Überdies scheint eine Formulierung, die für alle Menschen einer Formation gelten soll, das Merkmal sprachlicher Anmaßung (»die unberechtigte Inanspruchnahme von Gültigkeitsbedingungen und das Überschreiten von Befugnissen«, Felder 2017, 45) zu erfüllen. »Die mit der Anmaßungsäußerung postulierte Wirklichkeitskonstitution setzt einen antipluralistischen Alleinvertretungsanspruch voraus und widerspricht damit demokratischen Aushandlungskonventionen« (Felder 2017, 46). Dass die Betroffenen durchaus zwischen dem islamistischen Täter und anderen muslimischen Migranten unterscheiden können und keinen Generalverdacht hegen, bestätigt ein Opfer, das unter explizitem Hinweis auf die tunesische Herkunft des Berliner Attentäters seinem aus Tunesien stammenden Arzt das Vertrauen ausspricht. »Ich wurde vom Personal gefragt, ob es mich stört, wenn mich ein tunesischer Arzt behandelt, weil der Attentäter aus Tunesien kommt, aber damit hab ich gar kein Problem« (René Köchel in: SZ Magazin wie FN 14, 8).

3.2 Zur politischen Bandbreite öffentlicher Aufmerksamkeit für islamistische Anschläge

Obwohl immer wieder islamistische Anschläge verhindert, potentielle Täter entlarvt und ihre Netzwerke aufgedeckt werden, obwohl die große Mehrheit der Flüchtlinge verhaltensunauffällig lebt, sind es nicht die ermittlungs- und fahndungstechnischen Erfolge der Sicherheitsorgane oder Erfolge der Integrationsarbeit von Initiativen, Institutionen und Kommunen, die die mediale Aufmerksamkeit für diese Thematik dominieren, sondern die ausgeführten islamistischen Anschläge, die Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte und gegen Flüchtlinge mit entsprechenden Artikeln zur allgemeinen Gefährdungslage sowie die Rechtsprechung des EuGH zur Flüchtlingspolitik der EU, die Weigerung bestimmter EU-Staaten, Flüchtlinge in vorgegebener Zahl und angemessener Behandlung aufzunehmen.

Wie im Fall des Berliner Anschlags werden in der Regel Opfer- und Verletztenzahlen angegeben, der Tathergang nachgezeichnet, Verwüstungen am Tatort fotografisch und filmisch dokumentiert, ein Täter präsentiert, wobei sich in Berlin schnell eine Fahndungspanne herausstellt, dann werden Biografie und Familiengeschichte des ›richtigen‹ Täters detailliert recherchiert und mitgeteilt, dessen Identitäten aufgedeckt, nach seinen Motiven geforscht, seine Reisen in Deutschland unter Beobachtung mehrerer Landeskriminalämter nachvollzogen (Amjahid u.a. in Die Zeit 06.04.2017), Kommunikations- und Informationsprobleme zwischen beteiligten Dienststellen offen gelegt und kommentiert (vgl. Schmidt in RNZ 19.05.2017), mögliche Entscheidungsfehler von Politikern thematisiert – diese haben sich mitunter vor Untersuchungsgremien zu verantworten –, Interviews mit Politikern u.a. kommen hinzu, in NRW und Berlin werden Untersuchungsausschüsse ›zum Fall Amri‹ eingerichtet, in Berlin wird ein Sonderermittler eingesetzt. Bis weit in die zweite Hälfte des Jahres 2017 werden Meldungen über Fehler in der Beurteilung von Ermittlungsergebnissen und ›Pannen‹ in der Zusammenarbeit von Ämtern und Verwaltungen ›im Fall Amri‹ mitgeteilt. Es bleiben die Fragen, wie ›es‹ passieren konnte und warum keine Festnahme des Täters erfolgte, obwohl dieser als ›Gefährder‹ eingestuft und ihm offenbar eine Reihe krimineller Taten im Drogenhandel nachzuweisen war. Insgesamt ist die Berichterstattung täterzentriert.

Von den Berliner Toten weiß man gar nichts. Man weiß nicht, ob sie vielleicht in Mitte, Spandau oder Marzahn zu Hause waren. Nicht einmal die genaue Zahl der Berliner nennt der Senat. Und beruft sich auf den Datenschutz, der für die Toten und ihre Angehörigen gelte. Natürlich möchte niemand diese einer sensationsheischenden Meute preisgeben. Aber die komplette Anonymität macht es der Öffentlichkeit schwer, um die Opfer zu trauern. Dabei will sie Anteil nehmen, wie auch die privaten Spenden für die Hinterbliebenen zeigen. (Kneist in Tagesspiegel 03.01.2017)

Die Ermittlungs- und Rechercheaktivitäten beziehen sich auf islamistische Anschläge als juristische Fälle und Tatbestände, als Morde, Mordversuche, Körperverletzung und Sachbeschädigungen u.a. Als Anschlusstexte in den Medien erscheinen Berichte über Perspektivlosigkeit, Bedrohung der Flüchtlinge durch Krieg in ihren Herkunftsländern, über lebensgefährliche Bedingungen der Fluchtrouten, traumatisierte Flüchtlinge und deren psychologische Behandlung in Deutschland, über unzureichende Ausstattungen der Unterkünfte, Beispiele gelungener Integration, die Bedeutung des Familiennachzugs für eine erfolgreiche Integration, Probleme bei der Stellensuche qualifizierter Flüchtlinge, die Notwendigkeit der Einstellung von Abschiebungen, das Angebot freiwilliger Rückreise mit finanzieller Unterstützung, die Problematik sicherer Herkunftsländer. Hinzu kommen Berichte von Prozessen gegen Asylbewerber wegen Vergewaltigung und anderer Straftaten. Auch von Rückführungen Jugendlicher und deren Eltern nach Deutschland aufgrund öffentlicher Proteste ihrer Mitschüler wird berichtet, obwohl »der Asylantrag der Eltern schon vor zehn Jahren abgelehnt worden« war und diese »die Behörden jahrelang mit falschen Identitäten getäuscht hatten« (Burger in FAZ 15.08.2017). Burger hebt hervor, dass es nicht um einen »Einzelfall«, sondern um einen »Fall« mit »Signalwirkung« gehe, denn er zeige, wie man Bleiberecht trotz Ablehnung erhalten könne. Zugleich mache er auf die Gefahr aufmerksam, die sich ergeben könne, – Burger zitiert den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Düsseldorf – »wenn eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung keine Wirkung mehr« (Burger ebd.) habe.

Diesen faktenbasierten (Einzel-)Fallbeschreibungen stehen eher wenige systematische Hintergrundbetrachtungen über Ursachen, Analysen und Einschätzungen dieser Phänomene als gesellschaftliche Probleme, über beteiligte politische, religiöse, wirtschaftliche usw. Interessen unterschiedlicher Seiten (Industrie des Ziellandes, dessen nationale Islamverbände, Anwerbung von ›Tätern‹ und deren Radikalisierung, Finanzierung, Herkunftsländer u.a.) gegenüber. Bezüge zwischen islamistischen Taten/Tätern auf der einen, den Flüchtlingen und dem Islam auf der anderen Seite werden in den seriösen öffentlichen Medien nicht ernsthaft hergestellt, allenfalls wie auch Kollektivverurteilungen und Generalverdacht gegen Flüchtlinge als Belege rechtsextremer Positionen mitgeteilt. Es geht darum, Nachteile für die Mehrheit integrationsbereiter Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik zu verhindern.

Aktuelle wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Phänomenbereich Flucht thematisieren die transitorische Lebensform der Migranten und Flüchtlinge – letzterer Begriff auch ersetzt durch den geschlechtsspezifisch verwendbaren Begriff Geflüchtete/r – zwischen Herkunfts- und Zielland ebenso wie die Ausbeutung der Erfahrungen der Migranten und deren Rettungsgeschichten durch Medien der Zielländer, wobei die Flüchtlinge als ›Fremde‹ häufig in den Rollen »Opfer – Bedrohung – Held« (Friese 2017) ›imaginiert‹ werden. Der Rettungsorganisation »Jugend Rettet« wird von der italienischen Justiz Unterstützung der »Menschenschmuggler« (Klingst in Die Zeit 14.09.2017) vorgeworfen. Am Beispiel der »Bootsflüchtlinge von Lampedusa« erkennt Friese (2014, 197) »einen gemeinsamen politischen Raum, der die ›Fremden‹ und die Einheimischen im gemeinsamen Dissens zusammenbrachte«, d.h. im gemeinsamen Protest gegen die »nationalstaatliche Politik[en]« der Abschiebung tunesischer Flüchtlinge in ihr Herkunftsland. Dagegen plädiert Körtner in seiner Schrift Für die Vernunft für die Betrachtung des Flüchtlingsphänomens auf der Basis »eine[r] verantwortungsethische[n] Position, dass ›gerade der offene Verfassungsstaat ohne Grenzen und Begrenzungen nicht bestehen kann‹« (Schmid in FAZ 13.10.2017). Beinahe durchgehend wird das Flüchtlingsphänomen in seiner Funktion als Katalysator latenter westlicher, europäischer Konfliktkonstellationen reflektiert. So ergibt sich aus der rituellen Konstellation von Anschlag, Trauer- und Gedenkritual das Narrativ aus Problem- und Problemlösungsgeschichte.

Zu den Themen einer breiten Feuilletondebatte um programmatische Dimensionen der Anschläge gehören das Verhältnis bestimmter Islamrichtungen zur christlich-jüdisch geprägten westlichen Kultur und Gesellschaft, die von diesen beiden Seiten je anerkannte Verbindlichkeit religiöser und sozialer Regeln für die Prägung des Lebensalltags, die Gleichberechtigung der Geschlechter, Konflikte zwischen Islamrichtungen.

Von muslimischer Seite werden Instrumentalisierungen des Islam zur Rechtfertigung islamistischen Terrors abgelehnt; auch wird Kritik an westlichen Diskursformen hinsichtlich des Islamismus geübt. Als Reaktion auf islamistische Anschläge und im Anschluss an die Weigerung von über hundert Imamen in London, den Attentätern das Totengebet zu sprechen, plädiert die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor dafür, »Terroristen« »gesellschaftlich« nicht als Muslime anzuerkennen.

Ich will sie außerhalb der Gemeinschaft der Muslime stellen, damit sie möglichst nicht von irgendwelchen anderen sich radikalisierenden Muslimen angehört werden. Und ja, es ist geradezu typisch für die Salafisten vom IS oder in Saudi-Arabien, dass sie ständig Takfir [Kritik, Aberkennung des Glaubens eines Muslims/einer Muslima durch andere Muslime] betreiben, eine Sünde. […] Der Islamismus hat natürlich etwas mit dem Islam zu tun. Wenn wir Muslime nicht wollen, dass alle auf unsere Religion zurückgreifen können, wenn sie Gewalt ausüben, dann müssen wir uns mit unseren zentralen religiösen Prinzipien neu befassen und diese wieder neu formulieren. […] Ich will eine breite, muslimisch getragene gesellschaftliche Ächtung dieser Extremisten erreichen. Ob sie weiterhin auf dem Papier als Muslime zu verstehen sind oder nicht, spielt da keine Rolle, und aus religiöser Sicht obliegt es eh Gott, darüber zu entscheiden. [Die Weigerung der britischen Imame] ist vor allem ein wichtiges Signal in die muslimische Community hinein. Und dann auch ein Signal an die Mehrheitsgesellschaft, um eine gewisse Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. (Kaddor in SZ 10./11.06 2017)

Kaddor definiert keinen ›wahren Islam‹, sondern versucht, die Weltreligion Islam vor ihrer Instrumentalisierung für terroristische Gewalttaten zu bewahren, indem sie entsprechende Reflexionsprozesse in muslimischen Kreisen verlangt und von einem produktiven Toleranzverhältnis, nicht von grundsätzlicher Feindschaft zwischen islamischer und westlich-christlicher Kultur ausgeht. Sie fordert die Beteiligung der Muslime an aktuellen Debatten über religiös motivierte Gewalt und über Möglichkeiten ihrer Vermeidung. Dazu gehört weiterhin auch die Offenlegung der Finanzierung der Islamisten (vgl. Steinke in SZ 12.06.2017).

Zum Spektrum der Reaktionen gehören auch die Äußerungen des »Generalsekretär[s] der größten Muslim-Vereinigung in Indonesien«, der in dezidierter Form für einen angemessen ›realistischen‹ Umgang des Westens mit dem Thema Islam und Terrorismus plädiert:

Westliche Politiker sollten aufhören, zu behaupten, Extremismus und Terrorismus hätten nichts mit dem Islam zu tun. Es gibt einen ganz klaren Zusammenhang zwischen Fundamentalismus, Terror und Grundannahmen der islamischen Orthodoxie. Solange wir darüber keinen Konsens erzielen, so lange werden wir keinen endgültigen Sieg über die fundamentalistische Gewalt im Islam erreichen. Radikalislamische Bewegungen sind doch nichts Neues. Auch in der indonesischen Geschichte gibt es sie immer wieder. Ich bin selbst gläubiger Muslim. Der Westen muss aufhören, das Nachdenken über diese Fragen für islamophob zu erklären. Oder will man mich, einen islamischen Gelehrten, auch islamophob nennen? […] Aber die westlichen Politiker sollten aufhören zu erzählen, dass Fundamentalismus und Gewalt nichts mit dem traditionellen Islam zu tun hätten. Das ist schlicht falsch. […] Wir leben in einer Zeit, in der man realistisch denken und handeln muss. […] Jetzt nimmt Europa, nimmt Deutschland massenhaft Flüchtlinge auf – verstehen Sie mich nicht falsch, natürlich darf man die Augen nicht vor Not verschließen. Aber man nimmt Flüchtlinge auf, über die man nichts weiß, die aus sehr problematischen Gegenden stammen. Extremisten sind nicht dumm. (Yahya Cholil Staquf in FAZ 19.08.2017)

Zu den problematischen Grundannahmen, von denen Yahya Cholil Staquf spricht, gehören »das Verhältnis von Muslimen zu Nichtmuslimen (klassische Tradition: Segregation und Feindschaft), das Verhältnis von Muslimen zum Staat (Einzelherrscher vereinigt die muslimische gegen die nichtmuslimische Welt), das muslimische Verhältnis zum Recht (islamische Gesetze, Scharia, religiöse Werte und soziale Realität müssen zueinander passen. Und es muss glasklar sein, dass die staatlichen Gesetze Vorrang haben)«. Problematisch seien diese Bereiche deshalb, weil sie »im Mittelalter« entstanden und daher in »der Tradition im Kontext ihrer Entstehungszeit verstanden werden müssen, aber bitte nicht als Handlungsanweisung für die Gegenwart« (Yahya Cholil Staquf ebd.).

Die französische Philosophin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva nimmt Stellung zur Wirkung islamistischer Anschläge in der Öffentlichkeit und zur Integration arabischstämmiger Jugendlicher:

Die erste Reaktion war beeindruckend. Das ganze Land versammelte sich gegen die Angst, für ein Miteinander. Aber das konnte nicht andauern. Man geht heim, ist wieder allein, hat Angst vor Arbeitslosigkeit, wurstelt weiter. Die kollektive Reaktion ist die Verdrängung. Alles gut, nichts passiert, weitermachen. Das ist überlebensnotwendig. Und gefährlich zugleich. […] [Arabischstämmige Jugendliche] bezeichnen das Arabische als »Sprache der Wahrheit«, der Familie, der Gefühle. Das Französische beherrschen sie oberflächlich wie einen Code. Sie wissen nichts über Frankreich, seine Kultur und Geschichte. Frankreich heißt irgendwie Republik und Freiheit. Aber Freiheit ist was Schlechtes, das sieht man ihrer Ansicht nach schon an ihren französischen Freunden, die in ihrer Freiheit respektlos mit ihren Eltern umgehen. […] weil diese jungen Leute unter einer Persönlichkeitsspaltung leiden. Sie sind nicht im Krieg gegen Frankreich, aber sie leiden, ohne ihr Leid ausdrücken zu können. Beim geringsten Anlass können sie dann abdriften. Da hat unser ganzes System versagt, diese Arbeit muss jetzt endlich gemacht werden. (Kristeva in SZ 27.06.2017)

Kristeva stellt fest, dass die Lebenspraxis für die arabischstämmigen Jugendlichen durch religiös und kulturell normative Orientierungsvorgaben geregelt ist, deren Verletzung Sanktionen nach sich zieht. Wenn die Jugendlichen dieses Schema aus Anforderungen und Akzeptanz bzw. Bestrafung nicht als Einschränkung ihrer Selbstbestimmung, sondern als Selbstbestätigung und Distinktionsmerkmal gegenüber der Lebenspraxis französischer Jugendlicher aufwerten, dann scheint diese Haltung durch »die sich von selbst verstehende Gewissheit, das wortlose Einverständnis« (Türcke in SZ 06.09.2017) mit der als vorbildhaft anerkannten eigenen Kultur gekennzeichnet zu sein. In dieser sozial integrativen Identifikationsmöglichkeit der Muslime sieht Türcke ein Problem für die »postheroische[n]«, aufgeklärte westliche Gesellschaft, die sich durch »Vorbildentzug« (Türcke in SZ 06.09.2017) definiere. Der (Selbst-)Ausgrenzung aus der Gesellschaft des Gastlandes mag ein elitäres Repräsentationsbewusstsein für die eigene Kultur entsprechen.

So wie Kaddor die Auseinandersetzung der Muslime mit islamistischen Terroristen und schließlich die Distanzierung von diesen verlangt und Kristeva sich dafür einsetzt, dass die französische Mehrheitsgesellschaft sich einen Namen macht, indem sie den arabischstämmigen Jugendlichen einen Namen in der französischen Kultur macht, plädieren deutsche Politiker und Intellektuelle für ein umfassendes Eingehen auf Fragen und Ängste der Bevölkerung im Zusammenhang mit Anschlägen und der Aufnahme von Flüchtlingen, ohne diese Bürger als rechtsorientiert oder fremdenfeindlich zu distanzieren. Der ehemalige Bundesminister und Erste Bürgermeister Hamburgs, Klaus von Dohnanyi, gibt mit Blick auf die Gewalteskalation anlässlich des G-20-Gipfels und des Anstiegs der Flüchtlingszahlen zu bedenken:

Ich sehe in all dem eine Entwicklung, die uns anzeigt, dass die Demokratie in ihrer heutigen Praxis ihre Akzeptanz verliert. Denn einerseits kann sie die Globalisierung nicht aufhalten, aber andererseits auch mit ihren Folgen nur sehr schwer umgehen. Einerseits beschränkt die Globalisierung die Gestaltungskräfte der Politik immer mehr, andererseits erwarten viele Bürger, dass nationale Politik ihre Verantwortung wie früher ausüben könnte – wenn sie doch nur wollte! Und so entwickelt die Gegenbewegung antidemokratische Züge. […] Man muss doch auch geduldig darüber reden können, was es bedeutet, so viele Menschen mit einer anderen Kultur aufzunehmen. Eine offene Gesellschaft kann solche Unterschiede verkraften. Sie sollte Leute, die anderer Ansicht sind oder sich Sorgen machen, nicht verteufeln oder als Nazis und Fremdenfeinde abstempeln. (von Dohnanyi in SZ 21.07.2017)

Zum politischen Spektrum der Islamismusdebatte gehören auch Positionen wie jene der Schriftstellerin Monika Maron, die sich einer diskussionsverweigernden Klassifizierung ausgesetzt sieht, weil sie Nachrichten von einzelnen Ereignissen und deren mediale Kommentierung im Zusammenhang wahrnimmt und daraus entsprechende Fragen ableitet. Sie gibt zu, dass sie »vor dem Islam wirklich Angst« habe. Selbstverständlich ist es nicht korrekt, von »dem Islam« zu sprechen, anstatt zwischen Islamrichtungen zu unterscheiden. Aus ähnlichen Gründen ist auch der Schriftsteller Michael Kleeberg mit seinen Frankfurter Poetikvorlesungen 2017 in die öffentliche Kritik geraten (vgl. Interview Kleeberg mit Andreas Platthaus in FAZ 05.07.2017). Marons »Angst«, die offenbar eine Folge von Desorientierung und – für sie – nicht ausreichenden Antworten auf widersprüchliche Nachrichten ist, werde durch Medien bewirkt, die »täglich von blutrünstigen Verbrechen [berichten], die im Namen dieser Religion begangen werden, wobei sie natürlich betonen, dass das nicht an der Religion, sondern nur an deren Missbrauch liegt. […] Ja, ich habe Angst vor dem reaktionären, frauenfeindlichen, nach weltlicher Macht strebenden und in unseren Alltag drängenden Islam. Aber warum ist das krank? Und warum ist das rechts?« (Maron in NZZ 01.07.2017). Ähnlich fragt Jörg Baberowski, Berliner Professor für die Geschichte Osteuropas, »ob durch die Einwanderung von Millionen der Überlieferungszusammenhang unterbrochen werde, der eine Gesellschaft zusammenhält. Und ob ein solcher Hinweis auf die Bindekräfte sozialer Gruppen rechtsradikal genannt werden dürfe« (Baberowski in NZZ 20.05. 2017; vgl. zum ›Fall‹ Baberowski Lau in Die Zeit 12.04.2017). Signifikant für das innenpolitische Klima scheint – nach den zitierten Äußerungen – die Verbindung von empirischer Beobachtung und analytischer Fragestellung mit einer gemutmaßten politischen Wertung zu sein, die bestimmte Fragen auszugrenzen scheint. Während der muslimische Gelehrte Yahya Cholil Staquf gerade die öffentliche Diskussion ähnlicher Fragen vom bzw. im Westen fordert, scheinen aus der Perspektive Dohnanyis, Marons und Baberowskis solche Fragen häufig zur politisch gewendeten Abwertung der Fragenden ohne argumentative Auseinandersetzung geführt zu haben.

Gesehen wird in den mitgeteilten Äußerungen der drei Repräsentanten die Möglichkeit einer zunehmenden Krise der Demokratie durch die Auflösung regionaler und nationaler sozialer Bindungen und Identitätsangebote zugunsten wachsenden Einflusses von Globalisierungseffekten sowie durch den Verzicht auf Errungenschaften der europäischen Aufklärung (z.B. Reflexivwerden und Analyse normativer Traditionsauffassungen, Erkenntnis ihrer Konstruktivität und Interessenabhängigkeit – the Invention of Tradition: Hobsbawm/Ranger –, Sanktionierung von Fragestellungen) im Zusammenhang mit der Aufnahme einer großen Zahl von Menschen anderer Kulturen und Religion(en).

Hierzulande beruht die Zugehörigkeit zu einer Religion auf einer individuellen Entscheidung, so wie auch die Hinwendung zum Atheismus ein Handeln aus Selbstbestimmung und Freiheit ist. Paradoxerweise pflegen aber besonders viele Muslime die Vorstellung kulturell determinierten Handelns und bestreiten, dass auch Traditionen ergriffen und bewahrt werden müssen: durch die selbstbestimmte Entscheidung freier Menschen. Sie projizieren ihre Auffassung auf die scheinbar haltlose Welt der Ungläubigen in ihrer Umgebung und behaupten dann, dass die westliche Kultur unheilbar verdorben sei. (Baberowski in NZZ 20.05.2017)

Im Gespräch mit dem niederländischen Soziologieprofessor und Migrationsforscher Ruud Koopmans fasst der Interviewer dessen Forschungsergebnisse von 2016 dahingehend zusammen, dass Probleme von Migranten mit dem Arbeitsmarkt »nicht der Diskriminierung durch die Mehrheitsgesellschaft geschuldet [seien], sondern fehlender kultureller Integration. Sie beklagten, dass dies kaum jemand hören wolle, weil es nicht dem politischen Mainstream entspreche«. Inzwischen sieht Koopmans eine Tendenz zur Versachlichung: »Die naiv-positive Grundstimmung aus dem Herbst 2015 ist gewichen, und die Betrachtung ist im Laufe der Zeit deutlich differenzierter und realistischer geworden. […] Wer sich kulturell integriert, wer also die Gepflogenheiten bei der Jobsuche kennt und Netzwerke knüpft, findet deutlich einfacher einen Arbeitsplatz.« Für Koopmans ist es wichtig, »die Vergabe von Rechten an die Zuwanderer stärker abhängig [zu] machen von Leistungen« (Koopmans in FAZ 14.07. 2017). Kristeva hat mit Blick auf arabischstämmige Jugendliche auf die Bedeutung eindeutiger und verbindlich einzuhaltender Regeln und Verpflichtungen in und von der französischen Gesellschaft hingewiesen. Fehlende Verantwortung und Konsequenz in der Anwendung von Regeln scheinen soziale Desorientierung und Unordnung zu unterstützen. Unter dem Titel »Verdrängen und wegsehen« sind im Leitartikel der NZZ vom 15. Juli 2017 folgende diagnostische Beobachtungen und kommentierende Äußerungen zu Deutschland zu lesen:

[Im] Herbst 2015 [sei] unter dem Andrang der Flüchtlinge die Grenzsicherung kollabiert[e]. Damals behauptete die Bundesregierung fatalistisch, Grenzen liessen sich heute nicht mehr schützen. Wenn es darauf ankommt, erklärt sich der deutsche Staat offenkundig gerne für handlungsunfähig. Zugrunde liegt dem ein Politikverständnis, wonach es keine Konflikte mehr gibt, die sich nicht im Diskurs auflösen lassen. Dazu gehört ein Jargon der Uneigentlichkeit, der alle Probleme kleinredet. […] Bei der inneren Sicherheit ist die Neigung zur Verdrängung besonders ausgeprägt. Häufig kapituliert der Rechtsstaat vor seinen Gegnern. Kriminelle können mit der Milde der Justiz rechnen, rechtsfreie Räume werden geduldet, bei muslimischen Parallelgesellschaften ebenso wie bei Linksextremisten. Ein Beispiel ist die »Rote Flora« in Hamburg, die Hochburg des schwarzen Blocks. […] Der Unwillen, Probleme ungeschminkt zu benennen, wird gerne mit politischer Korrektheit erklärt. (Gujer in NZZ 15.07.2017)

3.3 Menschenrechte und Bürgerrechte

Dass die große Zahl an Flüchtlingen und die rituellen Konstellationen aus Anschlägen und ritualisierten, öffentlichen Trauerformen binnengesellschaftliche Konfliktstrukturen in den westlichen Demokratien öffnen, scheint auf ein Gründungsproblem der Form des liberalen Verfassungsstaates zu verweisen, der sich »aus der Idee der Menschenrechte [und] dem Nationalstaatsprinzip, das den besonderen Pflichten des Staates gegenüber seinen eigenen Staatsangehörigen Rechnung trägt« (Siehr 2001, 7), legitimiert. In ihrer umfassenden Studie spricht Siehr einleitend von der »Paradoxie, daß mit den großen Revolutionen des ausgehenden 18. Jahrhunderts in Nordamerika und Frankreich die universellen Rechte des Menschen zur Legitimationsbasis partikulärer Staatsgründungen bestimmt worden sind. Die universellen Rechte des einzelnen können daher in praxi nur von einzelnen Staaten garantiert werden, die sich zugleich als politische Form souveräner Nationen begreifen« (Siehr 2001, 7; vgl. einen ähnlichen Ansatz bei Krastev 2017). Als grundsätzlich konstitutiv für diese Staatsform erweise sich damit die Problematik der Regelung der »Zugehörigkeit« und der Geltung der »Bürgerrechte« für Menschen, die im Vertrauen und unter Berufung auf die verfassungsrechtlich verankerten Menschenrechte in einen liberalen Verfassungsstaat kommen. In diesem Zusammenhang stellt Siehr – mit Blick auf Robert von Mohl – fest, dass »nicht ohne weiteres […] ein Menschenrecht ›auf Teilnahme am Staat‹, genauer: an einem ganz konkreten Staat unter den vielen anderen« (Siehr 2001, 307) zu begründen sei. »Und wenn die Zugehörigkeit zu diesem geschichtlich-konkreten Gemeinwesen selbst nicht als Menschenrecht eingefordert werden kann, so sind auch die dadurch begründeten Bürgerrechte als Mitgliedschaftsrechte keine Menschenrechte« (Siehr 2001, 309). Pragmatisch folgert Siehr (2001, 315): »Zwar gibt es […] kein Menschenrecht auf Verleihung der (deutschen oder einer anderen gewünschten) Staatsangehörigkeit, wohl aber besteht eine Verpflichtung derjenigen, die sich selbst menschenrechtlich gebunden haben, aus dieser Selbstbindung heraus zu prüfen, unter welchen Bedingungen sie neuen Mitgliedern Zugang gewähren können«.

Weil Universalismus und Menschenrechte nur aufgrund der Zugehörigkeit zu einem je einzelnen Staat geschützt und praktiziert werden können, aktualisieren die Flüchtlinge in der Gegenwart gerade die Idee nationaler Partikularität, indem sie sich auf die Geltung der Menschenrechte in dem von ihnen als Ziel gewünschten Staat berufen, was dann die Inanspruchnahme der Bürgerrechte ermöglichen sollte. Offenbar aufgrund der unterschiedlichen lebenspraktischen Umsetzung der Menschenrechte in verschiedenen Staaten werden von den Flüchtlingen bestimmte Ausformungen des Nationalen, d.h. bestimmte Staaten im Unterschied zu anderen, als Zielland bevorzugt. In welcher Form dabei zu berücksichtigen ist, dass das Prinzip des Nationalstaats, »dem Wohl gerade seines Volkes zu dienen […], sich nur auf Kosten des menschenrechtlichen Postulats der gleichen Freiheit aller realisieren« (Siehr 2001, 314f.) lässt, wird sich in der Zukunft zeigen. Auf jeden Fall bietet die menschenrechtlich begründete Aktualität und Aktualisierung des Nationalen im Vergleich mit und im Unterschied zu nationalstaatlichen Aktualisierungen des Nationalen ein Feld für neue interdisziplinäre Anschlussuntersuchungen. Kant gewinnt sein Konzept des »Weltbürgerrechts« (s.u.) im juristischen Raum zwischen ›Gast- und Besuchsrecht‹ (vgl. zu Kant ausführlich Siehr 2001, 137ff., auch Friese 2014, 81-85).

Es ist hier […] nicht von Philanthropie, sondern vom Recht die Rede, und da bedeutet Hospitalität (Wirthbarkeit) das Recht eines Fremdlings, seiner Ankunft auf dem Boden eines andern wegen von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. Dieser kann ihn abweisen, wenn es ohne seinen Untergang geschehen kann, so lange er aber auf seinem Platz sich friedlich verhält, ihm nicht feindlich begegnen. Es ist kein G a s t r e c h t, worauf diese Anspruch machen kann (wozu ein besonderer wohltätiger Vertrag erfordert werden würde, ihn auf eine gwisse Zeit zum Hausgenossen zu machen), sondern ein B e s u c h s r e c h t, welches allen Menschen zusteht, sich zur Gesellschaft anzubieten vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde, auf der als Kugelfläche sie sich nicht ins Unendliche zerstreuen können, sondern endlich sich doch neben einander dulden müssen, ursprünglich aber niemand an einem Orte der Erde zu sein mehr Recht hat, als der Andere. (Kant o.J. 748f.)

3.4 Von ritualisierter Trauer zum Gedenkritual

Entgegen der häufig verwendeten Argumentationsfigur, man müsse nach einem Anschlag so schnell wie möglich zur Normalität zurückkommen, um sich nicht von Terroristen den Alltagsablauf diktieren zu lassen, plädiert Carolin Emcke gerade für ein angemessenes Innehalten, um Opfern und Öffentlichkeit Zeit und Gelegenheit zum Trauern, Abschied nehmen und Gedenken zu geben. Erfahrungen ungezügelter Gewalt könnten nur allmählich bearbeitet werden. Wem Trauern kein Bedürfnis sei, der brauche die Normalität seines Alltags auch nicht zu unterbrechen.

Etwas ganz anderes ist es, wenn Normalität und Vertrauen im Angesicht von Terror von oben herab angeordnet werden. Diese ritualisierte Pflicht zur Kontinuität meint, den Schmerz der Opfer, der einer Gewalterfahrung folgt, einfach überspringen zu können. […] So als sei individuelle oder kollektive Trauer eine undemokratische Verweigerungshaltung. […] Eine Gewalt, die nicht mehr schockieren darf, eine Gewalt, die gewöhnlich zu sein hat, verliert auch ihren tabuisierten Status. […] Stattdessen braucht es mehr Vertrauen in die Stabilität der Demokratie: Sie verkraftet es auch, wenn sie sich verwundbar zeigt. Sich als Gesellschaft die Zeit zum Innehalten und Trauern zu nehmen, ist kein Zeichen von Ohnmacht, sondern von Zivilität. (Emcke in SZ 15./16./17.04.2017)

Dass öffentliches ritualisiertes Trauern unmittelbar Folgen für Gedenk- und Geschichtspolitik haben kann, zeigt sich daran, dass Opfer und Hinterbliebene des Berliner Anschlags sich gedenk- und geschichtspolitisch offenbar nicht angemessen repräsentiert sehen und eine würdige, institutionell legitimierte, rituelle Gedenkform verlangen. Der Trauergottesdienst am 20. Dezember 2016, Gedenkminuten am 12. Januar 2017 im Berliner Abgeordnetenhaus und am 19. Januar 2017, dem ersten Monatstag des Anschlags, im Bundestag, reichen offenbar nicht aus. »Bund, Land und Kirchen reden derzeit mit den Opfern, wie ein Staatsakt aussehen könnte. Was schwierig ist: Klare Regeln, wie ein solcher Akt aussieht und wer ihn wie veranstaltet, fehlen« (Dobrinski in SZ 12.01.2017; vgl. Röll in SZ Magazin 14.07.2017). Am 17.07. 2017 ist unter der Überschrift »Terroropfer besser betreuen« von der Erarbeitung eines »entsprechende[n] ›Handlungskonzept[s]‹« auf der Ebene der »Innenminister der Bundesländer« zu lesen. »Hintergrund ist, dass es nach dem Anschlag von Anis Amri an der Berliner Gedächtniskirche Kritik an der Betreuung von Opfern und Angehörigen gegeben hatte« (KNA in SZ 17.07.2017). In der SZ vom 21./22.10.2017 wird von Planungen für einen Gedenkort am Breitscheidplatz und von dessen Einweihung berichtet (s.u.); die folgenden Beispiele haben Vergleichsfunktion.

Als Orientierung für den Rahmen, den Ablauf und die Akteure eines Staatsakts für die Opfer des Anschlags könnte jene offizielle Trauer- und Gedenkfeier dienen, die am 23. Februar 2012 im repräsentativen Konzerthaus am Gendarmenmarkt in Berlin für die Mordopfer der NSU abgehalten wurde. (Die folgenden zusammenfassenden Hinweise stützen sich auf Caspari in Die Zeit online.) Berliner Schülerinnen und Schüler tragen 12 brennende Kerzen in den mit Blumenschmuck dekorierten Raum und stellen sie vorn auf, zehn Kerzen für die Opfer, eine für womöglich noch nicht gefundene weitere Opfer und eine für Hoffnung und Zukunftsperspektive. Als Hauptrednerin tritt Kanzlerin Angela Merkel auf (vorgesehen war Bundespräsident Christian Wulf, von dem der Satz stammt ›Der Islam gehört zu Deutschland‹, Wulf war allerdings kurz zuvor zurückgetreten). So sitzen Merkel und der designierte Nachfolger Wulfs als Bundespräsident, Joachim Gauck, in der ersten Reihe. Neben ihnen haben Vertreter der Opferfamilien Platz genommen. Anwesend sind zahlreiche Politiker und Repräsentanten von Parteien und Institutionen. Schwarze Trauerkleidung bestimmt das Bild. In ihrer Rede stellt Merkel jedes Mordopfer mit Namen, Alter, Familiensituation und geplanter Perspektive für die Zukunft vor. Sie bittet um ›Verzeihung‹ für Fahndungspannen, falsche Verdächtigungen und davon bewirkte Ängste, Enttäuschungen und Krisen in den Familien der Opfer. Zugleich weist sie indirekt auf die erwartete Wirkung des Trauerrituals hin, wenn sie von Trauergemeinschaft und verlässlicher Solidarität mit den Hinterbliebenen spricht. Mehrere Vertreter der Opferfamilien sprechen über die Verluste und die dadurch bedingten Lebenskrisen, auch sie plädieren für eine Zukunft, in der solche Taten nicht mehr möglich sind. Vertreter von Islam-Verbänden haben Kommentare veröffentlicht. Um 12.00 Uhr findet bundesweit eine Schweigeminute statt.
Am 21. März 2013 wird eine öffentliche Gedenktafel mit den Namen aller Mordopfer in Nürnberg feierlich eingeweiht.
Aber auch die offizielle Gedenkfeier mit Einweihung eines Gedenkorts in der Nähe des Tatorts anlässlich des ersten Jahrestags (22.07.2017, 10.00 Uhr) des Amoklaufs am Olympia Einkaufszentrum (OEZ) in München (22.07.2016) mit neun überwiegend jugendlichen Opfern mit Migrationshintergrund könnte zur Orientierung herangezogen werden. (Die folgenden Hinweise stützen sich auf ein zweiseitiges Spezial in der SZ Nr. 167, 22./23.07.2007, 40-41 und auf einen Bericht vom Ablauf der Gedenkfeier: Siebert in SZ 24.07.2017.) Zentrum des Gedenkorts ist ein Denkmal als Mahnmal, das von der Künstlerin Elke Härtel geschaffen und dessen Gestaltung auch unter Berücksichtigung von Vorstellungen der Hinterbliebenen entwickelt wurde. Es besteht aus einem großen Ring, der einen Gingkobaum umschließt und in den neun Metallplatten wie große Bilder mit den Porträtfotos und Namen aller Opfer eingearbeitet sind. Umgeben ist dieses Zentrum von brennenden Kerzen, Friedhofsleuchten und Blumen sowie von schriftlichen Beileidsbekundungen. Geistliche verschiedener Religionen wirken mit. Als offizielle Redner treten der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer und der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter auf, neben denen in der ersten Reihe Vertreter der Opferfamilien sitzen, Mitglieder der Landesregierung und des Landtags sowie Vertreter von Institutionen sind anwesend. In den offiziellen Reden werden die Opfer namentlich vorgestellt, Vorgänge der Tat erwähnt, im Mittelpunkt stehen die Versicherung von tätiger Solidarität mit den Opfern und des Einsatzes dafür, dass fremdenfeindliche Taten nicht mehr stattfinden können. Auch Angehörige der Opfer ergreifen das Wort und sprechen über die emotionalen Anforderungen an die Familien nach den Morden an ihren Kindern. Spontan tritt die Mutter eines Opfers auf und verliest eine bewegende Rede über ihre durch Wut und Enttäuschung geprägte Befindlichkeit ein Jahr nach dem Verlust ihres Sohnes (abgedruckt in SZ 24.07.2017). Nach der Feier am Vormittag versammeln sich am Abend Trauernde um das Mahnmal, bilden eine Menschenkette, Beteiligte tragen Bändchen mit der Aufschrift ›Wir stehen zusammen‹. Am Gedenktag erscheint in der SZ auf zwei Seiten ein Rückblick auf die Ereignisse des Tattags, ein Überblick über beteiligte Helfer und deren Institutionen, über die Situationen in Opferfamilien. Vorgestellt wird die Künstlerin und es wird über Konsequenzen berichtet, die die Sicherheitsorgane aus diesem Ereignis gezogen haben.

Bei der seit langem eingespielten Praxis der z.T. gesetzlich fundierten Gedenkkultur in Deutschland geht es z.B. um Opfer nationalsozialistischer Vernichtungspolitik (Gedenkstätten, Stolpersteine, Museen, Tag der Befreiung von Auschwitz u.a.), den Völkermord an den Hereros in den Jahren 1904-1908 in der Kolonie ›Deutsch-Südwestafrika‹, heute Namibia, die Opfer der NSU-Morde und des Amoklaufs in München. Während Deutsche dabei fast ausschließlich als Täter beteiligt sind, ist durch den islamistischen Anschlag in Berlin insofern eine neue historische Situation entstanden, als nun die meisten Opfer Deutsche sind, während der islamistische Täter Ausländer, Angehöriger einer anderen Kultur und Religion ist, der sich als Flüchtling lange Zeit in Deutschland aufgehalten hat, ohne dass seine Pläne erkannt worden wären, was innenpolitisch zu Verwerfungen geführt hat (Versäumnisse und Fehler von Behörden und Ministern, neue Strategie im Umgang mit Gefährdern, Änderungen in der Flüchtlingspolitik). Wie es heißt, habe er Deutschland verlassen wollen, ohne einen Anschlag auszuführen, sei aber vom sog. ›IS‹ dazu aufgefordert worden (vgl. Mascolo in SZ 01.06.2017). So bezieht sich die mögliche Einrichtung eines Erinnerungsorts für die Opfer des Berliner Anschlags mit regelmäßigen Trauer- und Gedenkritualen vor allem auf Deutsche als Opfer.

Weil der Anschlag im öffentlichen Raum verübt und als öffentliches Ereignis wahrgenommen wurde, mag der Kreis jener, die eine repräsentative öffentliche Form des Gedenkens und der Trauer im institutionellen Rahmen eines öffentlichen Gedenkorts verlangen, an dem regelmäßig Gedenkrituale, z.B. am Jahrestag des Anschlags, aufgeführt werden, über den Kreis der Opfer und Hinterbliebenen hinausgehen. Für die politische Kultur zu bedenken ist, dass es um Erwartungen ›von unten‹ geht mit dem Ziel, die Zufallsopfer für die westliche Kultur in deren öffentlicher Gedenkkultur repräsentiert zu sehen, womöglich spielen Vorstellungen kultureller Teilhabe eine Rolle.

Während das auf Täter bezogene Wissen auf Dauer in Computern, Akten, Archiven der Sicherheitsorgane und Gerichte für die Öffentlichkeit weitgehend unzugänglich gespeichert wird, nachdem es zumeist unmittelbar nach einem Anschlag umfassend über die Medien vermittelt worden ist, während die Produktion dieses Wissens nicht nur die Beherrschung der technisch neuesten Version digitaler Kommunikation, sondern auch eine zeitaufwändige Beschäftigung mit den Tätern und deren Netzwerken verlangt (noch am 07.08.2017 erscheint in SZ die kurze dpa Nachricht von der Bestattung der Leiche Amris), scheint sich die Institutionalisierung des Gedenkens der Opfer dieses Anschlags als schwierig zu gestalten. »Ein weiteres offizielles Gedenken [nach dem Gottesdienst in der Gedächtniskirche am 20.12.2016] in einem würdevollen Rahmen ist nicht geplant. Anders war es in Polen. Die Beisetzung des [von Amri] ermordeten Lastwagenfahrers glich einer nationalen Trauerfeier. Hier in Berlin ist Leere« (Kneist in Tagesspiegel 03.01.2017). Nach dem Vorbild vieler Gedenkorte wäre es vorstellbar, die Tat, deren Datum und die Namen der Getöteten auf einer Gedenktafel zu verzeichnen; als aktuelle Beispiele für die Einrichtung von Gedenkorten sind der 2017 in Berlin errichtete Gedenkstein für das Opfer eines ›Ehrenmords‹ mit der Inschrift »Weil sie sich Zwang und Unterdrückung ihrer Familie nicht unterwarf« (Szymanski in SZ 31.05.2017), die – schon erwähnte – Einrichtung des Gedenkorts für die Opfer des Münchner Amoklaufs und die Eröffnung des Erinnerungsorts am 06.09.2017 für die Opfer des Münchner Olympia Attentats von 1972 zu nennen. Ergänzt werden könnte das Informationsangebot der Gedenkorte durch eine je spezielle Dokumentation (Chronik der Ereignisse, Erzählungen von und Interviews mit Opfern und Hinterbliebenen, Medienberichte und Verlautbarungen von Politikern usw. zu Situation und Hilfsaktionen für die Opfer). Diese gedenkpolitische Aufwertung der individuellen Erfahrungen könnte deren Geschichtswirksamkeit fördern.

Ebenso ist die Einrichtung von Selbsthilfegruppen der Anschlagsopfer (regelmäßige Treffen) mit professioneller psychologischer Begleitung denkbar. Dafür könnten spezielle Rituale erfunden werden. Auch könnten Interessengruppen zur Vertretung der besonderen Anliegen der Opfer (z.B. öffentlicher Gedenkort, Entschädigungen, Therapieformen und -finanzierung) gegründet werden. Daraus könnte sich dann eine internationale Kooperation solcher Gruppen ergeben.

Weil Rituale durch ihren Typus und ihre Aufführung ein Bild der jeweiligen Ordnung geben, sei es entscheidend, so die Hinterbliebenen, wer wie von wem öffentlich erinnert werde. »Nüchtern betrachtet, könnte der Vorwurf an Politik und Gesellschaft eigentlich nur lauten: Es gab zu wenige Gedenkveranstaltungen, zu wenig politische und mediale Aufmerksamkeit für die Opfer, und überhaupt fehlt es an öffentlichen Trauerritualen nach terroristischen Anschlägen« (Güntner in NZZ 21.01.2017). Während der Anschlag auf politischer Ebene – zumindest zeitweise – Diskussionen über eine Veränderung der deutschen Tunesienpolitik wegen mangelnder Kooperation des Landes bei der Bereitstellung von Personalpapieren für eine Rückführung des Täters angestoßen hat, scheint sich in der medial vermittelten Öffentlichkeit eine Veränderung in Wahrnehmung und erinnerungspolitischem Umgang mit eigenen Opfern erst abzuzeichnen. Über Monate findet sich auf der dem Kurfürstendamm abgewandten Seite eine eher unauffällige Gedenkecke mit wenigen Blumen und Kerzen, mit einem Poster, das Gesichter und Namen ausländischer Opfer zeigt, während die für deutsche Opfer vorgesehenen Felder leer bleiben. Als Ort für die Trauer der Hinterbliebenen erscheint diese Inszenierung nicht angemessen. Ein Opfer – Mitarbeiter eines zerstörten Glühweinstands – erzählt:

Die Kunden haben mich im Krankenhaus besucht, das hat mich gefreut, es sind auch Wildfremde zu mir gekommen, haben Blumen gebracht und sich mit mir unterhalten. Ich hätte mir gewünscht, dass sich auch jemand Offizielles bei uns Opfern meldet, fragt, wie es uns geht – aber nur von der Kirche kam etwas, die Gedächtniskirche hat mir eine Weihnachtskarte geschickt. Von der Stadt Berlin kam gar nichts. Aber der Adventsmarkt am Breitscheidplatz wurde nach drei Tagen schon wieder eröffnet. Ich finde, man hätte wenigstens die Gasse, durch die der Attentäter gefahren ist, geschlossen lassen können.« (René Köchel in: SZ Magazin wie FN 14, 8).

Während spontan aufgeführte, temporäre, ritualisierte Trauerformen in der Regel an jedem Tatort möglich sind und sich jedesmal hoher sozialer Aufmerksamkeit sicher sein können, scheinen die Rahmenbedingungen für die Einrichtung öffentlicher Gedenkorte für Opfer islamistischer Anschläge mit regelmäßigen Gedenkritualen noch auszuhandeln zu sein. Wichtig zu berücksichtigen scheint dabei zu sein, dass es um einen dauerhaften Deutungseingriff in den – grundsätzlich als neutral definierten – öffentlichen Raum geht.

Am 21./22.10.2017 berichtet die SZ von Planungen zur Einrichtung eines Gedenkorts am Breitscheidplatz, deren fortgeschrittener Stand auf eine längere Vorbereitungsphase mit den für öffentliche Bauvorhaben üblichen Schritten (öffentliche Ausschreibung, Architektenwettbewerb, Aushandlung der Gestaltungsdetails mit Opfern und Hinterbliebenen, Berücksichtigung der Zugänglichkeit, Sicherheit, Dekoration der Installation usw.) schließen lässt. Die Materialien (Texte – Ausschreibung, Antworten, Gutachten usw. – Zeichnungen, Entwürfe, Fotos, Medienberichte usw.) aller dieser Vorgänge könnten Gegenstand einer umfassenden historischen und ritualwissenschaftlichen Analyse sein. Der offenbar gewählte Entwurf sieht vor, dass durch einen Teil des Breitscheidplatzes ein Riss gelegt wird, der dann mit einer goldfarbig kolorierten Masse zwar wieder geschlossen werden, aber sichtbar bleiben soll. Wohl – wie üblich – in Abstimmung und mit Zustimmung der Hinterbliebenen sollen Namen und Herkunftsländer (Deutschland, Israel, Italien, Polen, Tschechien, Ukraine) der Todesopfer verzeichnet werden. Dazu ist – wohl auch mit Zustimmung der Hinterbliebenen – folgende Inschrift vorgesehen: »Zur Erinnerung an die Opfer des Terroranschlags. Für ein friedliches Miteinander aller Menschen« (SZ 21./22.10.2017). Als Einweihungstermin für diesen Gedenk- und Mahnort ist der erste Jahrestag des Anschlags, der 19.12.2017, vorgesehen. Aus diesem Anlass soll der Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz an diesem Tag nicht geöffnet sein. Über dem Riss soll kein Stand aufgebaut werden, so dass die Sichtbarkeit des Gedenk- und Mahnzeichens nicht beeinträchtigt wird. Wie die SZ weiter berichtet, seien eine Feier für die Hinterbliebenen, eine öffentliche Gedenkveranstaltung, eine Andacht in der Gedächtniskirche und eine Gedenkstunde im Berliner Abgeordnetenhaus geplant. Auf rege Beteiligung von Politikern und Prominenten werde gehofft. »Von der CDU in Berlin und ebenfalls von der AfD« (SZ 21./22.10.2017) werde kritisiert, dass der Anschlag nicht als »islamistisch« motiviert auf der Gedenktafel bezeichnet werden soll. In einem Kommentar weist Matthias Drobinski daraufhin, dass es an Gedenkorten für Anschlagsopfer keineswegs üblich sei, die programmatische Orientierung der Täter mitzuteilen. »Es wäre ein später Triumph für den untergehenden IS, würden nun die Berliner dieser Ideologie ein paradoxes Denkmal setzen. Und es wäre ein Schlag für die Angehörigen der Getöteten: Wieder einmal gehörte die öffentliche Aufmerksamkeit dem Täter. Die Opfer wären zweitrangig« (Drobinski in SZ 21./22.10.2017). Ohne Hinweis auf den islamistischen Hintergrund scheint eine Instrumentalisierung des Anschlags und des Gedenkorts für bestimmte politische Ziele nicht ohne weiteres möglich zu sein. Ob aber damit Fragen nach Tätern, ihren Motiven und nach zeitgeschichtlichen Zusammenhängen stillgestellt sein werden, bleibt abzuwarten. Immerhin wird dieser gedenkpolitische Streit um die Markierung der Täter, der aktuelle politische Positionen widerspiegelt, in die Erinnerungsgeschichte des Gedenkorts eingehen.

Mit seinem eindeutigen Vorschlag, Journalisten sollten in Bezug auf Anschläge »gezieltes Desinteresse« zeigen und keine Berichte darüber schreiben, greift Bastian Berbner in die Diskussion um die öffentliche Markierung der Täter ein. Auch ein Überlebender der Pariser Anschläge vom 13.11.2015 stellt anlässlich des zweiten Jahrestags dieser Tat Überlegungen in dieser Richtung an. »Que se passerait-il si, à la prochaine barbarie, nous nous interdisions de donner le nom et le visage des exécutants? Agir ainsi nuirait-il à notre combat contre ces gens? Passer en boucle sur les écrans le visage des tueurs constitue l'une des raisons de ces attaques car, tout le monde le sait, ces attaques sont des messages« (Reibenberg in Le Monde 14.11.2017). Aber nicht nur fordert dieses Opfer »gezieltes Desinteresse« für die Person des Täters und die Tat als politische Botschaft, sondern er setzt der Tat die Leistung der Erinnerung und die Vision einer besseren Zukunft entgegen: »Nous devons dire que nous nous souvenons davantage de nos morts que de nos bourreaux, que chaque acte de terreur nous cimente au lieu de nous diviser. Nous devons dire que le destin dont nous rêvons pour nos enfants, c'est qu'ils deviennent des bombes d'humanité diffusant de l'amour, de la tolérance et du respect« (Reibenberg in Le Monde 14.11.2017).

Würden – laut Berbner – detaillierte Informationen mit entsprechenden Fotos vom Tatort – wie Studien belegten – doch auf der einen Seite Verunsicherung in der Öffentlichkeit bewirken und auf der anderen Seite Nachahmungstäter motivieren. Berbner fasst seine Kritik an der gängigen Form der Berichterstattung in einem Modell des Terrorismus zusammen, das aus fünf Schritten besteht: »Eins, es gibt einen Anschlag. Zwei, es wird viel darüber berichtet. Drei, das führt zu Angst. Die wiederum, vier, zu einer Überreaktion und schließlich fünf, zu neuem Terrorismus« (Berbner in Die Zeit 24.08.2017). Dass die spontanen, ritualisierten Trauerformen als Vorstufe institutionalisierter Gedenkorte und -rituale nicht erwähnt werden und wohl kaum dem vierten Schritt »Überreaktion« zugerechnet werden können, scheint nicht nur insgesamt auf ein erinnerungspolitisch verkürztes Verständnis von Anschlagsopfern im öffentlichen Raum zu verweisen, sondern auch einen neuen Umgang mit historischen Ereignissen und Zusammenhängen zu implizieren. »Gezieltes Desinteresse« an bzw. »Abstumpfung« gegenüber dem Anschlag würde auch deren Opfer betreffen. »Das mag im ersten Moment zynisch klingen, vor allem für die Opfer von Terroranschlägen und ihre Angehörigen« (Berbner in Die Zeit 24.08.2017). Aber es könnte, so die Position Berbners, zu einem Rückgang der Anschläge führen, weil die Täter keine mediale Aufmerksamkeit mehr für sich und ihre ›Botschaft‹ erhielten, weil sie so keine Angst mehr verbreiten könnten. Ist der Preis das Vergessen der Opfer? Denn es gäbe dann wohl auch kein öffentliches Gedenken der Opfer mehr, diese würden in der kollektiven Gedenk- und Erinnerungskultur keinen Ort haben. Sie würden von ihren Familien betrauert. Welche Folgen hätte »gezieltes Desinteresse« für die zeitgeschichtliche Forschung? Würden auch Journalisten nichts von Terroranschlägen erfahren?

Selbstverständlich kann »gezieltes Desinteresses«, d.h. wohl bewusstes Zurückhalten von Informationen, dann auch für andere Nachrichten gefordert werden. Wer entscheidet aber über das Recht der Öffentlichkeit auf welche Informationen? Grundsätzlich sollten Voyeurismus ausgeschlossen, die Privatsphäre der Opfer und Hinterbliebenen gesichert sein und die Täter und ihre Netzwerke nicht im Zentrum einer vielmonatigen werbewirksamen Aufmerksamkeit für die jeweilige ›Botschaft‹ stehen. Kann es aber tatsächlich möglich sein, »Selbstzensur als Waffe« (zu Berbner: Leserbriefe, in Die Zeit 07.09.2017) zu benutzen oder eröffnet diese Möglichkeit letztlich medialer Interessenpolitik Tür und Tor? Wie in anderen Bereichen der Gedenkpolitik und -kultur könnte auch der Serie islamistischer Anschläge mit intensiven erinnerungs- und gedenkpolitischen Ritualhandlungen zugunsten der Opfer begegnet werden, über die dann ausführlich zu berichten wäre. Die Anschläge sind keineswegs isolierte Taten, sondern stehen – ausgeführt an gezielt gewählten symbolischen Plätzen im öffentlichen Raum – im globalen Kontext z.B. von Kriegen, Furcht vor vermeintlichen Islamisierungstendenzen in westlichen Gesellschaften, Migrations- und Fluchtbewegungen, politisch-religiöser Programmatik, populistischen Parteien. Es sind gerade die Trauer- und Gedenkrituale, die – wie ausgeführt – den Opfern Gesicht und Stimme in der historischen Überlieferung geben, den Hinterbliebenen die Erfahrung von Vergemeinschaftung und Solidarität vermitteln sowie diesen und der Öffentlichkeit durch die deutende und sinnstiftende Leistung des Symbolischen in der Form des Rituellen immer wieder eine Phase der Abstandsgewinnung von der Tat, des Innehaltens und der Reflexion auf und über das Erlebte verschaffen und damit zur gewaltfreien Reaktion auf Terroranschläge beitragen können.

Anlässlich des zweiten Jahrestags der Pariser Anschläge vom 13.11.2015 widmet Le Monde mehrere Artikel unterschiedlicher Formate exemplarisch ausgewählten Lebensverläufen von Opfern, deren Traumata und – vor allem – persönlichen und beruflichen Problemen. Viele haben ihre bisherige Berufstätigkeit aufgegeben zugunsten anderer, »qui ont plus de sens«, viele sind auch im November 2017 noch arbeitslos. »Le rapport au travail, ›donc à la vie‹, ne serait plus jamais le même. ›C'est le propre de tout événement traumatique: il y a un avant et un après« (Bouanchaud in Le Monde 14.11.2017). Der von ›Fremden‹ verübte Anschlag greift nicht nur in individuelle Biographien ein, er wird zur lebensgeschichtlichen Zäsur, zum Biographiebruch und ruft das Gefühl kollektiver Bedrohung hervor. Unter der Sinnfrage wird das Vorher in Frage gestellt, wobei vieles ›vorher‹ Selbstverständliches durch den Sinnfilter fällt, was das Finden eines neuen, dauerhaft tragfähigen Lebenssinns z.T. fast aussichtslos macht. Hinzu kommt, dass angesichts der z.T. in westlicher Kultur sozialisierten Täter und der auf die Anschläge veränderten Gesetzgebung davon auszugehen ist, dass – wie es im Éditorial von Le Monde heißt – : »le terrorisme n'est plus étranger, mais endogène. […] Il fait désormais partie de nos vies. Au quotidien, avec une organisation de la sécurité omniprésente«. Aber auch das Éditorial schließt mit einer hoffnungsvollen Zukunftsperspektive, gestützt auf die Leistung von Erinnerung und öffentlichem Gedenken:

Depuis le 13-Novembre, des proches des victimes dont la vie a été bouleversée ont entrepris avec talent – par leur engagement civique ou leur témoignage – un combat courageux pour que la mémoire de ces disparus serve une cause plus grande qu'eux: celle de la liberté et de la dignité. Ils méritent toute notre admiration. Notre attention. Notre solidarité. (Éditorial in Le monde 14.11.2017, 23)

Islamistische Anschläge und die Forderung der Hinterbliebenen nach angemessenem Gedenken für die Opfer sorgen dafür, dass in öffentlichen Diskursen entsprechende Fragehorizonte und Wahrnehmungsperspektiven aufgebaut werden. Dass die Anschläge gegen beliebige Menschen – Zufallsopfer – (Amri: »›Alle Europäer sind gottlos‹«, »die Muslime würden kommen und ›die Schweine‹ abschlachten«, vgl. Amjahid in Die Zeit 06.04.2017, 14/15) ausgeführt werden, scheint hinsichtlich des programmatischen Rahmens dieser Anschläge die Deutung zuzulassen, dass die Terroristen, die im Namen des sog. ›IS‹ handeln, von der Vorstellung ausgehen, ihre eigene geschlossene und statische, von ihnen als vollkommen und mit dem Anspruch auf Letztbegründung angesehene und daher keiner historischen Entwicklung ausgesetzte religiöse Richtung, deren Kultur und Lebensform, stehe im Kampf gegen eine offene, veränderbare Kultur und Gesellschaft (Anerkennung von Pluralität, Offenheit, Dynamik, Konsumfreiheit), deren mögliche Attraktivität auch für junge Muslime offenbar als erheblich bewertet wird. Ohne Differenzierung gelten dieser binaristischen Weltauslegung alle Menschen überall auf der Welt als ›Feinde‹, die nicht zur eigenen Gruppe zählen wie auch jene, die deren Regeln in ihrem Lebensalltag nicht ›absolut‹ einhalten (Konflikte zwischen Islamrichtungen). Von islamistischer Täterseite wird die Erhaltung der scheinbar unhistorischen Reinheit des Eigenen verlangt, während Normen, Werte, Regeln der Anderen nicht zu respektieren seien. So begründen die Täter ihre Anschläge aus ihrer religiösen Orientierung, deren Lebenspraxis sie weltweit durch ihre Anschläge durchsetzen wollen.

Angesichts der westlichen Kultur als undifferenziertes Feindbild des sog. ›Islamischen Staats‹ verlieren Fragen nach Ausformungen der jeweiligen Verfassungen jener Staaten, gegen deren Bevölkerung Anschläge verübt werden, für mögliche Täter an Bedeutung. Was zählt, ist die Ablehnung westlicher Orientierungsbegriffe wie Moderne, Dynamik, Fortschritt, Historizität, Wachstum, Pluralismus, Kompromiss, Individualität, Gleichberechtigung, Menschenrechte aus der Perspektive der Behauptung absoluter Wahrheit für die eigene Position.

4. Weltgeschichtliche Dimension

Dass die rituelle Konstellation aus islamistischem Anschlag als Auslöser und spontanen, kulturspezifischen, ritualisierten Trauerformen als Reaktion eine weltgeschichtliche Dimension einschließt, für die die technischen Möglichkeiten digitaler Kommunikation konstitutiv scheinen, dafür sprechen immer wieder bestätigte Abläufe nach den einzelnen Anschlägen: Überwachungskameras zeichnen Anschläge oder Täterbewegungen auf, Passanten dokumentieren – wie schon erwähnt – die Vorgänge mit ihren Smartphones und versenden sie quasi in Echtzeit weltweit über Messengerdienste und soziale Netzwerke, Blogs und traditionelle, adressatenunspezifische Medien kommen hinzu. Nicht wie in Theorien von Weltgeschichte und ihrer Praxis (vgl. Osterhammel 1994) geht es um einen Vergleich der Systeme oder Kulturen hinsichtlich der Verbreitung bestimmter Techniken und der Partizipation der Bevölkerungen daran; vielmehr generieren die Geräte digitaler Kommunikation, die zur Grundausstattung fast jedes Menschen in allen Kulturen gehören, eine spezielle Form weltgeschichtlicher Präsenz als ununterbrochener Austausch von Erfahrungen und Erlebnissen. Diese technisch ermöglichte je individuelle Präsenz im Kommunikations- und Gestaltungsrahmen einer tendenziell visualisierten Weltgeschichte ist kulturunspezifisch und nicht an bestimmte soziale Schichten gebunden.

Mit dem Konzept der rituellen Konstellation aus islamistischen Anschlägen, Trauer- und Gedenkritualen für deren Opfer werden weltweit Erfahrungs- und Reaktionsähnlichkeit bei den Hinterbliebenen sichtbar. Dabei stehen im Zentrum dieser weltgeschichtlichen Perspektive keine ›großen‹ Männer oder Frauen, keine militärischen Sieger oder Eroberer, gegenüber den Stimmen dieser großen Einzelnen haben die einzelnen Stimmen der zufälligen Opfer, Hinterbliebenen, Zeugen, Helfer usw. Gewicht, dem zumeist von ihnen selbst über die digitalen Multiplikatoren Ausdruck verliehen wird. Weltgeschichte, wie sie hier gemeint ist, ist kein person- oder nationbezogenes Auszeichnungs- oder Anerkennungsetikett für Einzelne, die ›Weltgeschichte gemacht‹ haben. Vielmehr gehört im vorliegenden Zusammenhang ›weltgeschichtliche Dimension‹ gleichsam aus einer Perspektive von unten einerseits zu alltagsdestruktiven Ereignissen, die praktisch an jedem Ort aktuell werden können, andererseits zu konstruktiven Gestaltungsversuchen einer Weltgemeinschaft aufgrund wechselseitiger Solidarität und Empathie. Ob islamistische Anschläge gegen Zufallsopfer in Europa, Afghanistan, Pakistan, Syrien, Irak, Russland, Iran oder wo auch immer stattfinden, ge- und betroffen sind die Lebensbedingungen aller Menschen aller Regionen. Daher verdient jeder Anschlag die gleiche kommemorative Aufmerksamkeit.

Als Bewohner der einen Welt sind alle Menschen verantwortlich für deren Erhaltung, d.h. auch für angemessene Lebensmöglichkeiten der ganzen Menschheit. Daher trifft jeder einzelne Anschlag irgendwo auf dieser Welt die gesamte Weltgemeinschaft. Deren Leitlinien hat Immanuel Kant (o.J. 751) in seiner Schrift Zum ewigen Frieden (1795) formuliert. Daraus scheint ein Globalisierungsnarrativ abgeleitet werden zu können, das eine Verbindung aus individuellen Zeugenberichten und methodisch geleiteter wissenschaftlicher Perspektive darstellt.

Da es nun mit der unter den Völkern der Erde einmal durchgängig überhand genommenen (engeren oder weiteren) Gemeinschaft so weit gekommen ist, daß die Rechtsverletzung an e i n e m Platz der Erde an a l l e n gefühlt wird: so ist die Idee eines Weltbürgerrechts keine phantastische oder überspannte Vorstellungsart des Rechts, sondern eine nothwendige Ergänzung des ungeschriebenen Codex sowohl des Staats- als Völkerrechts zum öffentlichen Menschenrechte überhaupt und so zum ewigen Frieden, zu dem man sich in der continuirlichen Annäherung zu befinden nur unter dieser Bedingung schmeicheln darf.

Mit dem Ansatz des kulturanalytischen Konzepts der rituellen Konstellation können Opfer, Hinterbliebene und Zeugen in ihrer historischen Bedeutung gewürdigt, Täter als solche beurteilt werden. Wenn Jürgen Osterhammel in seiner großen Studie zur Weltgeschichte feststellt, »nur privilegierte Minderheiten denken und agieren ›global‹« (Osterhammel 2010, 13), dann scheint dies aufgrund der Diagnose, dass leidvolle Erfahrungen in weltgeschichtlicher Dimension für immer mehr Menschen weltweit zur alltäglichen Lebensmöglichkeit werden, ergänzungsbedürftig zu sein.

Wohl um möglichst viele Zufallsopfer zu treffen, um damit propagandistisch einsetzbare Bilder und rituelle Inszenierungen zu provozieren, stellen sich die islamistischen Täter nicht in die Tradition des politischen Attentats, das gezielt gegen einzelne Repräsentanten vor allem aus Staat, Militär, Wirtschaft, Kultur, dem Medienbereich eingesetzt wird, sondern setzen das Format Anschlag im öffentlichen Raum an spektakulären, touristisch genutzten Symbolorten in Hauptstädten und Metropolen ein. Bisher sind Führungspersonen von islamistischen Anschlägen eher selten betroffen. Auch konkretisiert sich in vielen Anschlägen die Erfahrung alltäglicher Globalisierung durch Tourismus. So stammen die Opfer des Anschlags in Barcelona aus über 30 Ländern. Dieser Gegebenheit trägt die Schlagzeile der SZ (19./20.08. 2017) Rechnung, wenn sie vom »Anschlag auf die ganze Welt« spricht.

Hinzu kommen die erwähnten programmatischen Positionen des ›Islamischen Staats‹, die einheitlich an allen Orten dieser Welt gelten sollen. Aktualisiert wurde anlässlich des Anschlags in Barcelona das Ziel, seit Jahrhunderten bestehende territoriale Gegebenheiten in einen früheren historischen Zustand zurückzuführen. Die Iberische Halbinsel, die unter der Bezeichnung ›al-Andalus‹ in der Zeit von 711 bis 1492 zum muslimischen Herrschaftsbereich gehörte, soll bis 2020 wieder muslimisch werden (vgl. Ramadan in SZ 19./20.08.2017). Zahlreiche bedeutende Bauwerke wie die ›Mezquita‹ in Cordoba oder die ›Giralda‹ in Sevilla zeugen von der maurischen Zeit Spaniens. Auch wenn diese geschichtsrevisionistische Propaganda wirklichkeitsfremd erscheint, bleibt für die Menschen der betroffenen Regionen das Bedrohungsszenario durch mögliche islamistische Anschläge sehr präsent.

(Dieser Beitrag ist die stark erweiterte Fassung meines Vortrags Zur Funktion von Ritualbegriffen für Forschungstheorie und -praxis, den ich am 28. Jan. 2017 im Deutschen Auswandererhaus Bremerhaven anlässlich der Tagung ›Rituale in der Einwanderungsgesellschaft‹ (27./28. Jan. 2017) gehalten habe.)

Literatur

ADORJÁN, JOHANNA: Ein Tag im Leben. Reem Sahwil, Flüchtlingsmädchen, traf vor zwei Jahren die Kanzlerin, weinte – und veränderte damit vielleicht den Lauf der Dinge. Jetzt hat die Sechzehnjährige ihre Biografie geschrieben. In: SZ Nr. 187, 16. 08. 2017, 3.
AHRENS, JÖRN/ SILKE BRASELMANN: Amok und Terror. Lange galt das akribisch geplante Erschießen ganzer Menschengruppen als verstörendes Gewaltphänomen im Inneren unserer westlichen Gesellschaften. Warum spricht niemand mehr davon? In: Die Welt 09.11.2017, 2.
ALEXANDER, ROBIN: Die Getriebenen. Merkel und die Flüchtlingspolitik: Report aus dem Innern der Macht. München 2017.
AMJAHID, MOHAMED/DAMIEL MÜLLER/YASSIN MUSHARBASH/HOLGER STARK/FRITZ ZIMMERMANN: »Ein Anschlag ist zu erwarten« Die deutschen Behörden wussten sehr viel über den Tunesier Anis Amri. Eigentlich fast alles. Trotzdem konnte er kurz vor Weihnachten in Berlin einen Lastwagen in seine Gewalt bringen und zwölf Menschen töten. Rekonstruktion eines Staatsversagens. In: Die Zeit Nr. 15, 06. 04. 2017, 13-15 (Dossier).
BABEROWSKI, JÖRG: »Die Linke macht den Menschen wieder zum Gefangenen seines Stands«. Jörg Baberowski ist ein Verfechter des freien Disputs. Linken Intellektuellen hält er vor, voraufklärerische Zustände zu zementieren. Dabei kämpft er selbst um seine Ehre. René Scheu hat den deutschen Historiker zum Gespräch getroffen. In: NZZ Nr. 116, 20.05.2017, 28-29.
BERBNER, BASTIAN: Wir Terrorhelfer. Bei jedem Anschlag lassen sich Journalisten aufs Neue von den Attentätern benutzen. Genau wie ihre Leser und Zuschauer. Warum nur? In: Die Zeit Nr. 35, 21.08.2017, Dossier, 13-15.
SELBSTZENSUR ALS WAFFE? Leserbriefe zu Bastian Berbner: Wir Terrorhelfer. In: Die Zeit Nr. 37, 07.09.2017, 20. Bieber, Friedemann: Das Ende der Geschichte, vertagt. Während weltweit Kriege und Konflikte ausbrechen, geht der Politische Liberalismus vom vernünftigen Konsens freier Bürger aus. Ist die Politische Theorie sprachlos vor den Krisen der Gegenwart? In: FAZ Nr. 114, 17. 05. 2017, N 4.
BIELICKI, JAN: Nur ein kleines Zeichen. Viel weniger Muslime als erwartet kamen zur Demo gegen Terror. In: SZ Nr. 138, 19. 06. 2017, 5.
BOUANCHAUD, CÉCILE: La lente et difficile reconstruction des victimes du 13-Novembre. Deux ans après les attentat à Paris et à Saint-Denis, près d'un tiers des rescapés n'ont pas repris le chemin du travail ou choisissent des metiers »qui ont plus de sens«. In: Le Monde 14.11.2017, 10-11.
BRAUN, STEFAN: Gefühl und Verstand. Ein zorniger Robin Alexander analysiert das Fluchtjahr 2015. [Rezension zu R. Alexander: Die Getriebenen] In: SZ Nr. 89, 18. 04. 2017, 13.
BRAUN, STEFAN/NICO FRIED/CERSTIN GAMMELIN/WOLFGANG WITTL: Konjunktiv einer Katastrophe. Der Anschlag von Berlin zementiert, obwohl er noch nicht aufgeklärt ist, das neue deutsche Lagerdenken in der Politik. Im Zentrum, natürlich: die Kanzlerin. In: SZ Nr. 295, 21. 12. 2016, 3.
BUC, PHILIPPE: The Dangers of Ritual. Between early Medieval Texts and Social Scientific Theory. Princeton/Oxford 2001.
BURGER, REINER: Aktenberge ohne Obergrenze. Zeitversetzt, aber mit voller Wucht hat die Flüchtlingswelle die Verwaltungsgerichte erreicht – die ächzen unter der Masse von Asylklagen. In: FAZ Nr. 188, 15. 08. 2017, 3. Caspari, Lisa: Elf Kerzen für die Trauer, eine für die Zuversicht. Bei einem bewegenden Staatsakt gedenkt Berlin der Opfer des Rechtsterrorismus. Angehörige und die Politik hoffen nun auf mehr Sensibilität für das Thema. In: www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2012-02/staatsakt-neonazi-opfer-gedenkveranstaltung (letzter Zugriff 23. 08.2017)
DÄRMANN, IRIS/ANNA ECHTERHÖLTER: Gebrauchsweisen des Raums. Eine Einführung. In: dies. (Hg.): Konfigurationen. Gebrauchsweisen des Raums. Zürich/Berlin 2013, 7-30.
DELIUS, FRIEDRICH CHRISTIAN: Kann Angela Merkel eine Romanfigur werden? In: Sinn und Form, 69. Jg., 2017, H. 3, 377-386.
DOBRINSKI, MATTHIAS: Ein Trauerfall. Berlin tut sich schwer, der Terroropfer angemessen zu gedenken. In: SZ Nr. 9, 12. Jan. 2017, 1.
DOHNANYI, KLAUS VON: »Unkultur des gewalttätigen Protests« Nach G 20: Der frühere Erste Bürgermeister von Dohnanyi mahnt eine ehrliche Debatte über Ursachen des Krawalls an. In: SZ Nr. 166, 21. 07. 2017, 5.
DOUGLAS, MARY: Ritual, Tabu und Körpersymbolik. Sozialanthropologische Studien in Industriegesellschaft und Stammeskultur [1970]. Frankfurt a.M. 1981.
DPA: Leiche von Amri beerdigt. In: SZ Nr. 180, 07. 08. 2017, 5.
DPA/EPD: Muslimische Friedenstour. Eine Gruppe Imame fährt durch Europa und betet für Terroropfer. In: SZ Nr. 156, 10. 07. 2017, 6.
DROBINSKI, MATTHIAS: Der Riss. In: SZ Nr. 243, 21./22.10.2017, 4.
DÜCKER, BURCKHARD: Ritualisierung. In: Brosius, Christiane/ Axel Michaels/ Paula Schrode (Hg.): Ritual und Ritualdynamik. Schlüsselbegriffe, Theorien, Diskussionen. Göttingen 2013, 151-158.
DÜCKER, BURCKHARD: Politische Rituale als Bewegungen im öffentlichen Raum. ›Der Marsch auf die Feldherrnhalle‹ (1923) - ›Der Marsch durch Moskau‹ (1944). In: Gengnagel, Jörg/ Monika Horstmann/ Gerald Schwedler (Hg.): Prozessionen, Wallfahrten, Aufmärsche. Bewegung zwischen Religion und Politik in Europa und Asien seit dem Mittelalter. Menschen und Kulturen. Beihefte zum Saeculum Jahrbuch für Universalgeschichte, Bd. 4. Köln/Weimar/Wien 2008, 361-376.
DÜCKER, BURCKHARD: Rituale. Formen -Funktionen -Geschichte. Eine Einführung in die Ritualwissenschaft. Stuttgart 2007.
DÜCKER, BURCKHARD: Fackelzüge als akademische Rituale. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Jg. 36, Dez. 2006, H. 144 (Ritual und Literatur), 105-128.
DURKHEIM, EMILE: Die elementaren Formen des religiösen Lebens. Frankfurt am Main/Leipzig 2007.
ÉDITORIAL: L'esprit du 13-Novembre. In: Le Monde 14.11.2017, 23.
EICHEL, HANS: »Es ist wichtig, dass sie reden«. Interview mit Hans-Ulrich Brandt. In: Kurier am Sonntag. Weser-Kurier/Bremer Nachrichten/Verdener Nachrichten Nr. 25, 25. 06. 2017, 4-5.
EMCKE, CAROLIN: Verstörung. Warum wurde das Spiel von Borussia Dortmund am Tag nach dem Terroranschlag nachgeholt? Ausgerechnet von Opfern verlangte man damit, ihre schrecklichen Erfahrungen zu leugnen. In: SZ Nr. 88, 15./16./17. 04. 2017, 5.
FELDER, EKKEHARD: Anmassung in der politischen Sprache – Nicht nur ein Merkmal sogenannter Populisten. In: IDS Sprachreport 2/2017, 44- 49.
FORTUNATO, MARIO: Ein echter Präsident für Europa. Jede Demokratie braucht Rituale. Für eine Stärkung der EU wäre es also gut, wenn sie einen Kapitän hätte. In: SZ Nr. 250, 3./31.10., 01. 11. 2017, 2.
FRAZER, JAMES GEORGE: Der goldene Zweig. Eine Studie über Magie und Reform. Köln/Berlin 1968.
FRIED, NICO: Ein Satz, der es in sich hat. In: SZ Nr. 296, 22. 12. 2016, 4.
FRIESE, HEIDRUM: Flüchtlinge. Opfer – Bedrohung – Helden. Zur politischen Imagination des Fremden. Bielefeld 2017.
FRIESE, HEIDRUM: Grenzen der Freundschaft. Die Boostflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage. Bielefeld 2014.
GENNEP, ARNOLD VAN: Übergangsriten. Aus dem Französischen von Klaus Schomburg und Sylvia M. Schomburg-Scherff. Mit einem Nachwort von Sylvia M. Schomburg-Scherff. Frankfurt a. M./ New York 1999.
GOODY, JACK: Against ›Ritual‹: Loosely Structured Thoughts on a Loosely Defined Topic. In: Moore, Sally F./Myerhoff, Barbara G. (Hg.): Secular Ritual. Assen/Amsterdam 1977, 25-35.
GÜNTNER, JOACHIM: Gefasstheit statt German Angst. Nach dem bisher schwersten Terroranschlag in Deutschland überwiegt die Sorge um den inneren Frieden die Furcht. In: NZZ, 24. 12. 2016, 21.
GÜNTNER, JOACHIM: Das »Tätervolk« trauert schlecht. Die Gelassenheit der Deutschen nach dem Terroranschlag in Berlin ist nun als emotionales Versagen in die Kritik geraten. In: NZZ 21. 01. 2017, 21.
GUJER, ERIC: Verdrängen und wegsehen. Nach den Hamburger Strassenschlachten herrscht Ratlosigkeit. Wie konnte dies nur geschehen? Erneut war der deutsche Politikbetrieb einer sicherheitspolitischen Herausforderung nicht gewachsen. In: NZZ Nr. 162, 15. 07. 2017, 1.
HANNING, AUGUST: Wir gegen sie. Um dem Terror vorzubeugen, muss die Finanzierung radikaler Moscheen aus dem Ausland unterbunden werden. In: SZ Nr. 134, 13. 06. 2017, 2.
HERMANN, RAINER: Der Krieg gegen den Westen. In: FAZ Nr. 192, 19. 08. 2017, 1.
Hüfner, Agnes/ Gerd Peter/ Peter Schütt: Aktion Roter Punkt. Hanoveraner Chronik. Interviews, Analysen, Dokumente. (kürbiskern-reihe) München 1969.
JOERES, ANNIKA: Die Schreckensnacht von Nizza. Die Notfallpläne funktionieren am 14. Juli 2016 – aber viele Retter tragen ein Trauma davon. In: NZZ 15. 07. 2017, 7.
KADDOR, LAMYA: »Terroristen sind keine Muslime« Die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor organisiert eine Demonstration von Muslimen gegen Extremismus. Ein Gespräch über Religion und religiös verbrämte Gewalt. Interview: Ronen Steinke. In: SZ Nr. 132, 10./11. 06. 2017, 49.
KAISER, ALEXANDRA: Von Helden und Opfern. Eine Geschichte des Volkstrauertags. Frankfurt am Main/New York 2010.
KAMPF, LENA/KASSIAN STROH: Die Tat eines »echten Deutschen«. Drei Gutachter werten den Münchner Amoklauf als rechtsradikale Tat – anders als die Ermittlungsbehörden. In: SZ Nr. 228, 04.10.2017, 26.
KANT, IMMANUEL: Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf. In: ders.: Werke in drei Bänden, hg. und eingel. von August Messer. Bd. III, Berlin/Leipzig o.J., 733-778.
KLEEBERG, MICHAEL: Wenn Alarmlampen aufblinken. Gespräch mit Michael Kleeberg von Andreas Platthaus. In: FAZ 05. 07. 2017. www.faz.net/aktuell/feuilleton/forschung-und-lehre/michael-kleeberg-spricht-ueber-die-poetikvorlesung.
KLINGST, MARTIN: Wanzen an Bord. Mit gigantischem Aufwand ermittelt die italienische Justiz gegen die deutsche Organisation »Jugend Rettet«. Die Beweise sind dünn, doch sie will ein Exempel statuieren. In: Die Zeit Nr. 38, 14.09.2017, 9.
KNA: Terroropfer besser betreuen. In: SZ Nr. 162, 17. 07. 2017, 6.
KNEIST, SIGRID: Mehr Reflex als Trauerritual. Gedenken an die Terroropfer in Berlin. In: Der Tagesspiegel 03. 01. 2017. http://www.tagesspiegel.de/berlin/gedenken-an-die-terroropfer-in-berlin-mehr-reflex-als-trauerritual/19206426.html.
KOOPMANNS, RUUD: »Wer sich kulturell integriert, findet schneller einen Arbeitsplatz«. Im Gespräch: Ruud Koopmans, Migrationsforscher und Soziologieprofessor. Das Gespräch führte Sven Astheimer. In: FAZ Nr. 136, 14. 06. 2017, 19.
KRANEMANN, BENEDIKT/ BRIGITTE BENZ (HG.): Trauerfeiern nach Großkatastrophen. Theologische und sozialwissenschaftliche Zugänge. Würzburg 2016
KRASTEV, IVAN: Europadämmerung. Ein Essay. Aus dem Englischen von Michael Bischoff. Berlin 2017.
KRISTEVA, JULIA: Land auf der Couch. Lieber engagierte Pessimistin als naive Optimistin: Die Psychoanalytikerin und Philosophin Julia Kristeva analysiert die französische Depression – und die Heilungschancen. In: SZ Nr. 145, 27. 06. 2017, 11.
LAU, MARIAM: Diese radikalen Studenten. Im Streit um den Historiker Jörg Baberowski spiegelt sich die Geschichte der Bundesrepublik. Über die erstaunliche Begegnung mit einem Gejagten. In: Die Zeit Nr. 16, 12. 04. 2017, 37.
MARKOWITSCH, HANS J./HARALD WELZER: Das autobiographische Gedächtnis. Hirnorganische Grundlagen und biosoziale Entwicklung. Stuttgart 2005.
MARON, MONIKA: Links bin ich schon lange nicht mehr. Über Alternativlosigkeit im Jahr der deutschen Bundestagswahl. In: NZZ Nr. 149, 01. 07. 2017, 21.
MASCOLO, GEORG: Betreutes Morden. Anis Amri wollte offenbar nicht in Deutschland zuschlagen. Doch dann ließ er sich von Dschihadisten fernsteuern. In: SZ Nr. 125, 01. 06. 2017, 2.
MENDEN, ALEXANDER: Wut, Schmerz und Tränen. Der Anschlag trifft ein vom Wahlkampf aufgewühltes Land. In: SZ Nr.119, 24./25. 05. 2017, 2.
MITTLER, DIETRICH: Koalititon der Menschlichkeit. Flüchtlingshilfe wird immer schwieriger: Ehrenamtliche müssen sich oft mit komplizierter Bürokratie und psychischen Problemen ihrer Betreuten auseinandersetzen. Ziel ist jetzt eine bessere Vernetzung der Helferkreise. In: SZ Nr. 156, 10. 07. 2017, 32.
OSTERHAMMEL, JÜRGEN: Raumerfassung und Universalgeschichte im 20. Jahrhundert. In: Hübinger, Gangolf/ ders./ Erich Pelzer (Hg.): Universalgeschichte und Nationalgeschichten. Freiburg 1994, 51-72.
OSTERHAMMEL, JÜRGEN: Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts. München 52010.
POLENZ, PETER VON: Deutsche Satzsemantik. 3. Aufl., Berlin u.a. 2008.
REHBERG, KARL-SIEGBERT: Zur Konstruktion kollektiver »Lebensläufe«. Eigengeschichte als institutioneller Mechanismus. In: Melville, Gert/Karl-Siegbert Rehberg (Hg.): Gründungsmythen Genealogien Memorialzeichen. Beiträge zur institutionellen Konstruktion und Kontinuität. Köln/Weimar/Wien 2004, 3-18.
REIBENBERG, GRÉGORY: Retrouvons l'esprit du 11 janvier 2015. Deux ans après les attentats du 13-Novembre, Grégory Reibenberg, patron de La Belle Equipe, qui a été l'une des cibles des terroristes, appelle au sursaut national et à l'union sacrée contre le terrorisme. In: Le Monde 14.11.2017, 22 (Débats & Analyses).
RICHTER, KONSTANTIN: Dieser rätselhafte Sommer. In einem Roman spürt der Journalist und Schriftsteller Konstantin Richter Angela Merkels Motiven für ihr ›Wir schaffen das‹ nach. Interview: Johanna Adorján, in: SZ Nr. 82, 07. 04. 2017, 12.
RÖLL, EVELYN: Trauerordnung. Schweigeminuten, Fahnen auf Halbmast, das angestrahlte Brandenburger Tor: Wonach richtet sich, wie der deutsche Staat nach Terroranschlägen seine Betroffenheit zeigt? In: SZ Magazin Nr. 28, 14. 07.2017, 14-17.
ROUGEMONT, DENIS DE: Journal aus Deutschland 1935-1936. Mit einem Nachwort von Jürg Altwegg. Aus dem Französischen von Tobias Scheffel. Wien 1998. [Journal d'Allemagne 1938, 1968]
SCHMID, RAPHAELA: Willkommenskultur ist noch nicht der Weg ins Himmelreich. Mehr klare Vernunft, stat zu viel Gefühl: Der Theologe Ulrich Körtner plädiert für weniger moralische Selbstheiligung in Politik und Kirche. In: FAZ Nr. 238, 13.10.2017, 10.
SCHMIDT, THOMAS E.: Die Morgenrunde bockt und buckelt. Kann Angela Merkel einen Roman ausfüllen?
KONSTANTIN RICHTER hat es mit Die Kanzlerin versucht. In: Die Zeit Nr. 22, 24. 05. 2017, 41.
SCHMIDT, TOBIAS: »Jeden Stein umdrehen« Bundestagsabgeordnete Mihalic: Untersuchungsausschuss notwendig – Neue Dimension im Fall Amri. (Interview) In: RNZ Nr. 115, 19. 05. 2017, 2.
SCHNEIDER, MANFRED: Der Ritualironiker. Fünf Szenen über den Achtundsechziger und die Institutionen. In: Kursbuch 160 Die neuen Rituale, Juni 2005, 19-33.
SENNETT, RICHARD: Der zerbrochene Stab. Vom Ritual zum Drama: Wie Kunst und Gesellschaft das Zeremoniell und das Neue verschmelzen. In: SZ Nr. 147, 29. 06. 2007, 14.
SIEBERT, JASMIN: Zusammenstehen. Die Familien der Opfer stehen im Mittelpunkt der Gedenkfeiern zum Jahrestag des Amoklaufs am Olympia-Einkaufszentrum. Tausende Münchner zeigen ihre Solidarität, Ministerpräsident und Oberbürgermeister nehmen sich viel Zeit für Gespräche mit den Angehörigen. In: SZ Nr. 168, 24. 07. 2017, 28.
SIEHR, ANGELIKA: Das Recht am öffentlichen Raum. Theorie des öffentlichen Raumes und die räumliche Dimension von Freiheit. Tübingen 2016.
SIEHR, ANGELIKA: Die Deutschenrechte des Grundgesetzes. Bürgerrechte im Spannungsfeld von Menschenrechten und Staatsmitgliedschaft. Berlin 2001.
SIGNER, DAVID/DENI BIRAM NDAO: Die letzten Zuckungen des Heidentums. Trance, Besessenheit und ein geopfertes Rind bei einem Heilritual in Senegal. In: NZZ 24. Dez. 2016, 7.
SMITH, WILLIAM ROBERTSON: Die Religion der Semiten. Autorisierte deutsche Uebersetzung aus dem Englischen nach der zweiten Auflage der ›Lectures on the Religion of the Semites‹ [1899]. Freiburg i.Br./Leipzig/Tübingen 1899.
STEINKE, RONEN: Auswüchse. Über unscheinbare Vereine oder Firmen finanzieren arabische Staaten salafistische Missionstätigkeiten in Europa – auch in Deutschland. Die Behörden sind alarmiert. In: SZ Nr. 133, 12. 06. 2017, 5.
STROH, KASSIAN: Den Opfern ihr Gesicht wiedergeben. Der neue Erinnerungsort an das Olympia-Attentat dokumentiert Lebensläufe und Geschehnisse. In: SZ Nr. 204, 05. 09. 2017, 31.
SZ: Debatte über Berliner Gedenkort. In: SZ Nr. 243, 21./22.10.2017, 6.
SZYMANSKI, MIKE: Unsere Schwester. Hatun Sürücü führte ein freies, selbstbestimmtes Leben. Dann wurde sie 2005 in Berlin von ihrem jüngeren Bruder erschossen. In Istanbul wurden nun die beiden älteren Brüder freigesprochen. In: SZ Nr. 124, 31. 05. 2017, 8.
TÜRCKE, CHRISTOPH: Die Wunde der postheroischen Gesellschaft. Der islamistische Terror wird zur Dauerbedrohung – und führt uns brutal vor, dass wir eben doch Helden und Vorbilder brauchen. In: SZ Nr. 205, 06. 09. 2017, 13.
UHLMANN, BERIT: Eine andere Welt. Zwei Monate nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt: Wie eine traumatisierte Ersthelferin die schwierigsten Wochen ihres Lebens überstanden hat. In: SZ Nr. 35, 11./12. 02. 2017, 37.
WEBER, MAX: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie. 5. revid. Aufl., Tübingen 1972, 1.
WEIBEL, PETER: Der alte Mann will mehr. Peter Weibel kritisiert Lüpertz-Schenkung. Interview mit Peter Laudenbach. In: SZ Nr. 184, 11. 08. 2017, 10.
WEISBROD, LARS: Leitfaden zum korrekten Trauern. Nach dem Anschlag in St. Petersburg wird das Brandenburger Tor nicht in den russischen Nationalfarben angeleuchtet. Das ist falsch, aber Mitgefühl kann man nicht verordnen. In: Die Zeit Nr. 15, 06. 04. 2017, 10.
WIEDENMANN, RAINER E.: Ritual und Sinntransformation. Ein Beitrag zur Semiotik soziokultureller Interpretationsprozesse. Berlin 1991.
YAHYA CHOLIL STAQUF, KYAI HAJI: Terrorismus und Islam hängen zusammen. Ein Gespräch mit Kyai Haji Yahya Cholil Staquf, dem Generalsekretär der größten Muslim-Vereinigung in Indonesien. Das Gespräch führte Marco Stahlhut. In: FAZ Nr. 192, 19. 08. 2017, 11.
ZICKGRAF, PEER: Völkerschau und Totentanz. Deutsches (Körper-) Weltentheater zwischen 1905 und heute. Marburg 2012.

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Sie sind essenziell für den Betrieb der Seite (keine Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.