Wann haben Sie das das letz­te Mal Kunst ge­kauft? War das Kauf­mo­tiv ech­tes Ge­fal­len und In­ter­es­se an der Kunst oder waren spe­ku­la­ti­ve Mo­ti­ve aus­schlag­ge­bend? Also die An­nah­me, dass das Bild oder die Skulp­tur ir­gend­wann ein­mal mehr mo­ne­tä­ren Wert be­sitzt? Ganz ehr­lich?

Der Kunst­markt lebt haupt­säch­lich vom My­thos der Wert­stei­ge­rung des Kunst­ob­jekts, dies ist das Haupt­ver­spre­chen an den Käu­fer, ob­wohl es keine Ga­ran­tie für die­ses Ver­spre­chen gibt und gab. Über den Kunst­markt zu spre­chen ist für mich als Künst­ler eine am­bi­va­len­te Sache, bin ich doch par­ti­zi­pie­ren­der Teil des­sel­ben, auch wenn ich in einer an­de­ren Liga spie­le, als die, von denen hier im Fol­gen­den meist die Rede sein wird. Ich selbst habe er­lebt, dass ein Samm­ler mei­ner Kunst, eine Ar­beit nach 20 Jah­ren an mich zu­rück ver­kau­fen woll­te, weil sich sei­ner Mei­nung nach keine Wert­stei­ge­rung mei­ner Ar­beit im Kunst­markt er­ge­ben habe. Ein sol­ches Ver­hal­ten ist nicht die Regel und der Rück­nah­me-Deal kam nicht zu­stan­de.

Die Quint­es­senz mei­ner An­ek­do­te zeigt aber, dass es sich schon hier im ›klei­nen Kunst­markt‹ um spe­ku­la­ti­ve Ele­men­te han­delt, die, wie wir wis­sen, im gro­ßen Kunst­markt zu einer be­droh­li­chen, nicht nach­voll­zieh­ba­ren Blase ge­wach­sen sind. Jen­seits die­ser spe­ku­la­ti­ven Blase gibt es aber auch an­de­re Re­zi­pi­en­ten, Samm­ler und Men­schen, die den Zu­gang zur äs­the­ti­schen Er­fah­rung durch ein tie­fe­res In­ter­es­se an der Kunst prä­fe­rie­ren und prak­ti­zie­ren, über die hier auch zu spre­chen sein wird. Daher möch­te ich mit einem Blick auf die Ent­ste­hung und Ent­wick­lung des Kunst­mark­tes be­gin­nen und damit ver­bun­den auf die Ent­ste­hung von Ga­le­ri­en, Kunst­mes­sen und Auk­tio­nen heute. In­ner­halb die­ses Kom­ple­xes werde ich auch auf die Si­tua­ti­on des Künst­lers schau­en, der sich zwi­schen ide­el­lem An­spruch und ge­gen­tei­li­ger Wert­an­schau­ung be­wegt, wie wir sehen wer­den. Bei der fol­gen­den klei­nen His­to­rie be­zie­he mich teil­wei­se auf die Mas­ter­ar­beit von Su­san­na Hoff­mann-Os­ten­hof: Die Ge­schich­te der Kunst­mes­sen.

Kunst zählt zu den ar­chai­schen Be­dürf­nis­sen des Men­schen. Höh­len­ma­le­rei­en aus der Stein­zeit, ägyp­ti­sche, rö­mi­sche und grie­chi­sche Kunst der An­ti­ke bis zum Mit­tel­al­ter und bis in die Neu­zeit be­stä­ti­gen eine tie­fe­re Be­deu­tung der Kunst in der Ge­sell­schaft. Der Han­del mit Kunst lässt sich bis 800 Jahre vor Chris­tus zu­rück­ver­fol­gen. Schon im alten Rom wur­den mit Raub­gü­tern Kunst­schau­en ver­an­stal­tet, die man durch­aus als erste Aus­stel­lun­gen in­ter­pre­tie­ren könn­te. Auch Ver­stei­ge­run­gen wur­den ab­ge­hal­ten. Im Grun­de lie­fen rö­mi­sche Auk­tio­nen nach den glei­chen Re­geln ab, wie wir sie heute noch ken­nen. Es gab schrift­li­che Ver­laut­ba­run­gen, quasi erste Vor­läu­fer un­se­rer heu­ti­gen Ka­ta­lo­ge, es wur­den Auf­schlä­ge ver­rech­net, ver­gleich­bar un­se­ren Käu­fer- und Er­ste­her-Pro­vi­sio­nen, es wur­den Steu­ern er­ho­ben und Rech­nun­gen ge­stellt. Das Wort ›Auk­ti­on‹ lei­tet sich vom la­tei­ni­schen ›auc­tio‹ ab, was so viel wie Ver­meh­rung be­deu­tet. Im Mit­tel­al­ter wurde Kunst von kirch­li­chen und po­li­ti­schen Macht­ha­bern in Auf­trag ge­ge­ben. Mit Er­fin­dung des Buch­drucks in Eu­ro­pa im Jahre 1440, konn­te das Volk dann auch Hei­li­gen­bil­der kau­fen. Al­brecht Dürer druck­te seine Kup­fer­sti­che in Mas­sen­pro­duk­ti­on und ver­kauf­te so große Stück­zah­len sei­ner Ar­bei­ten.

Kunst in Ge­schäf­ten oder Läden gab es seit dem 16. Jahr­hun­dert. Im 17. Jahrun­d­ert ent­wi­ckelt sich ein blü­hen­der Markt mit Bil­dern haupt­säch­lich kle­ri­ka­ler Mo­ti­ve, die über Ga­le­ri­en und Ver­kaufs­aus­stel­lun­gen ver­trie­ben wur­den. Kunst bekam nun eine wirt­schaft­li­che Di­men­si­on, die über Gren­zen hin­weg be­trie­ben wurde. Die ent­ste­hen­den rei­chen Han­dels­dy­nas­ti­en über­nah­men zu­neh­mend die Funk­ti­on der Kunst­mä­ze­ne, die bis­her Adel und Kle­rus stell­ten. Diese neuen Klas­sen er­war­ben Kunst für ihre Pri­vat­samm­lun­gen und de­mons­trier­ten damit ihren Reich­tum und so­zia­len Auf­stieg. Ur­sprungs­ort die­ses le­ben­di­gen Kunst­mark­tes war Ant­wer­pen, wo es be­reits seit 1540 rund 100 Kunst­ga­le­ri­en gab, deren Han­dels­net­ze über ganz Eu­ro­pa reich­ten. An­fang des 17. Jahr­hun­derts kam es zu einem Hö­he­punkt des Kunst­han­dels vor allem in den Nie­der­lan­den, Frank­reich, Deutsch­land und Ita­li­en. Die Fa­mi­lie der Me­di­ci nahm schon Mitte des 16. Jahr­hun­derts durch Bank- und Han­dels­ge­schäf­te eine mäch­ti­ge Stel­lung ein und un­ter­strich diese Po­si­ti­on mit der För­de­rung und Samm­lung der Küns­te.

Der Maler Gior­gio Va­sa­ri (1511–1574), ita­lie­ni­scher Ar­chi­tekt und Hof­ma­ler der Me­di­cis, ver­öf­fent­lich­te mit sei­nem Buch Le­bens­be­schrei­bung be­rühm­ter Maler, Bild­hau­er und Ar­chi­tek­ten gleich­sam einen Leit­fa­den für Kunst­in­ter­es­sier­te. Er grün­de­te auch die erste Kunst­aka­de­mie in Flo­renz um 1563 und in den Uf­fi­zi­en wurde, auf sein Be­trei­ben hin, die Kunst­samm­lung der Me­di­cis einer brei­te­ren Öf­fent­lich­keit prä­sen­tiert.

Die neue Sam­mel­lei­den­schaft wurde von den eu­ro­päi­schen Fürs­ten- und Herr­scher­hö­fen über­nom­men. Diese fes­tig­ten zu­neh­mend ihre ge­sell­schaft­li­che Po­si­ti­on mit Kunst­samm­lun­gen. Zu nen­nen wären hier z.B. die Samm­lung von Ka­tha­ri­na in der Ere­mi­ta­ge in St. Pe­ters­burg oder die des Habs­bur­gers Kai­ser Ru­dolf II., des­sen Brueg­hel, Ma­nie­ris­mus- und Ar­chim­bol­do-Samm­lun­gen noch heute im Kunst­his­to­ri­schen Mu­se­um in Wien zu be­trach­ten sind.

Der Maler jener Zeit streif­te sein Image als Hand­wer­ker ab und wurde Künst­ler. Die Kun­den wur­den Samm­ler und er­teil­ten keine Auf­trä­ge mehr, son­dern kauf­ten Werke di­rekt aus der Werk­statt, die der Künst­ler frei­gab. Ein Bei­spiel: Kai­ser Karl V. oder auch König Phil­ipp II. von Spa­ni­en be­stell­ten bei Ti­zi­an in Ve­ne­dig nicht das Bild eines be­stimm­ten The­mas, son­dern er­ba­ten viel­mehr ein Werk aus der ak­tu­el­len Pro­duk­ti­on, das der Künst­ler be­reit stel­len möge.

In Deutsch­land wäre Hans Fug­ger zu nen­nen als Auf­trag­ge­ber für ita­lie­ni­sche und nie­der­län­di­sche Ma­le­rei. Fug­ger hatte für das Bür­ger­tum in Deutsch­land und für die Ent­wick­lung des Kunst­han­dels eine Vor­bild­wir­kung. Kunst als In­vest­ment und An­la­ge­ob­jekt wurde sehr be­liebt und er­fass­te sogar brei­te­re Schich­ten. Kunst fand nun Ein­zug ins all­täg­li­che Leben des rei­chen Bür­ger­tums. Aber auch schon im 18 Jahr­hun­dert gab es Kri­ti­ker des Kunst­han­dels: Der ro­man­ti­sche Schrift­stel­ler Wil­helm Hein­rich Wa­cken­ro­der kri­ti­sier­te ve­he­ment die Ver­mark­tung von Kunst. Er be­klag­te, dass Bil­der­sä­le wie Jahr­märk­te ver­stan­den wür­den, »wo man neue Waren im Vor­über­ge­hen be­ur­teilt, lobt oder ver­ach­tet«. Aus­stel­lungs­räu­me soll­ten sei­ner An­sicht nach »Tem­pel sein, wo man in stil­ler und schwei­gen­der Demut [...] die gro­ßen Künst­ler [...] be­wun­dern und mit der lan­gen, un­ver­wand­ten Be­trach­tung ihrer Werke in dem Son­nen­glan­ze der ent­zü­ckends­ten Ge­dan­ken und Emp­fin­dun­gen sich er­wär­men möch­te«.

Ein we­sent­li­cher Schub für deut­sche Künst­ler und Ga­le­ri­en, war die Ent­ste­hung von Kunst­ver­ei­nen im 19. Jahr­hun­dert. Diese waren Aus­druck bür­ger­li­cher Eman­zi­pa­ti­ons­be­stre­bun­gen und ein ers­ter Schritt in Rich­tung einer de­mo­kra­ti­schen Ge­sell­schaft.

Wäh­rend sich Mu­se­en vor­wie­gend der Samm­lung von Kunst wid­me­ten, han­del­ten Ga­le­ri­en mit der Kunst. Ende des 19. Jahr­hun­derts, mit dem Be­ginn der Mo­der­ne (Vol­l­ard er­öff­ne­te im Jahr 1895 in sei­ner Pa­ri­ser Ga­le­rie die erste Ein­zel­aus­stel­lung von Ce­zan­ne) spal­te­te sich der Kunst­markt ei­ner­seits in Händ­ler, die kunst­his­to­ri­sche und sa­kra­le Werke an­bo­ten und an­de­rer­seits in Ga­le­ri­en, die sich der zeit­ge­nös­si­schen, um­strit­te­nen mo­der­nen Kunst wid­me­ten. Im Üb­ri­gen kor­re­spon­dier­te die Be­we­gung der Mo­der­ne mit der ers­ten gro­ßen Welle des glo­ba­len Ka­pi­ta­lis­mus. Die­sem Ein­fluss ver­dankt die Kunst der Mo­der­ne we­sent­li­che Frei­hei­ten. Im Rhein­land z.B., wo eine neue wohl­ha­ben­de In­dus­trie­ge­sell­schaft die öko­no­mi­schen Vor­aus­set­zun­gen für ein Samm­ler­pu­bli­kum bil­de­te, er­öff­ne­te 1918 die ehe­ma­li­ge Brot­ver­käu­fe­rin Jo­han­na Ey ihre erste Ga­le­rie in einem klei­nen La­den­lo­kal in Düs­sel­dorf. Clau­dia Her­statt schreibt dazu: »Ihre Ga­le­rie war das bro­deln­de Zen­trum im Auf­bruch gegen den eta­blier­ten Kunst­be­trieb. Dazu ge­hör­ten Otto Dix, Paul West­heim, Bruno Gol­ler, Jupp Rüb­sam und Max Ernst.« Unter dem Druck der Na­tio­nal­so­zia­lis­ten muss­te sie ihre Ga­le­rie 1934 schlie­ßen.

Wir wis­sen, dass der Zwei­te Welt­krieg für die Kunst­ent­wick­lung eine große Ka­ta­stro­phe war, in Deutsch­land und ganz Eu­ro­pa. Die Grün­de ken­nen wir auch: Mit der Ver­trei­bung und Emi­gra­ti­on jü­di­scher Samm­ler, vor­wie­gend in die USA, ent­stand ein Va­ku­um, das bis heute nach­wirkt.

Die Nach­kriegs­zeit und der Wie­der­auf­bau lie­ßen zu­nächst kaum Platz für eine kon­zen­trier­te künst­le­ri­sche Pro­duk­ti­on und einen funk­tio­nie­ren­den Kunst­han­del. Einen wich­ti­gen Wen­de­punkt stell­te die erste Do­cu­men­ta im Jahre 1955 dar, die auf die In­itia­ti­ve von Ar­nold Bode zu­rück geht. Für viele Künst­ler und Kunst­händ­ler in Deutsch­land war die Do­cu­men­ta ein ers­ter Kon­takt mit zeit­ge­nös­si­scher Kunst und be­grün­de­te zahl­rei­che Kar­rie­ren, wie z.B. die des Kunst­händ­lers und Ga­le­ris­ten Ru­dolf Zwir­ner, Grün­der der ers­ten Kunst­mes­se in Deutsch­land, der ›Kunst­markt Köln‹, der uns seit 1984 als Art Co­lo­gne be­kannt ist.

Die ful­mi­nan­te Ex­plo­si­on der Kunst­mes­sen und Auk­tio­nen in den fol­gen­den Jahr­zehn­ten hat ihre Ur­sa­chen im Wan­del des Kunst­händ­lers zum Ga­le­ris­ten. An­de­rer­seits ist auch ein Zu­sam­men­hang mit der zu­neh­men­den Kon­kur­renz in­ter­na­tio­na­ler Auk­ti­ons­häu­ser im zeit­ge­nös­si­schen Seg­ment fest­zu­stel­len.

Hinzu kommt, dass sich neben Auk­tio­nen und Ga­le­ri­en seit den 90er Jah­ren der Typus des Kunst­be­ra­ters, als Ver­mitt­ler zwi­schen Kunst und Wirt­schaft, eta­bliert hat. Kunst­be­ra­ter ist kein an­er­kann­tes Be­rufs­bild und Kunst­be­ra­tung im his­to­ri­schen Sinn ist nicht neu: die Be­ra­tung von Fürs­ten, rei­chen Bür­gern und Po­li­ti­kern ist uns be­kannt: Georg Gsell war Kunst­be­ra­ter Pe­ters des Gro­ßen, Jo­hann Mar­tin von Wag­ner war Kunst­be­ra­ter von Lud­wig I., König von Bay­ern und Ernst Buch­ner und Karl Ha­ber­stock waren einst die Kunst­be­ra­ter Adolf Hit­lers, nur um ei­ni­ge zu nen­nen. Ak­tu­ell ist die­ser Be­rufstand durch den in Un­ter­su­chungs­haft sit­zen­den Helge Achen­bach in die Schlag­zei­len ge­kom­men. Achen­bach wird vor­ge­wor­fen, Kunst­wer­ke und Old­ti­mer mit ver­deck­ten Preis­auf­schlä­gen und ge­fälsch­ten Rech­nun­gen an den Al­di-Er­ben Bert­hold Al­brecht wei­ter­ver­kauft zu haben. Unter an­de­rem habe Achen­bach aus Dol­lar-Be­trä­gen Eu­ro-Sum­men ge­macht und die Rech­nun­gen so nach oben ma­ni­pu­liert. Ins­ge­samt soll den Me­di­en zu­fol­ge ein Scha­den von rund 60 Mil­lio­nen Euro ent­stan­den sein.

Die­ser Fall trägt wei­ter­hin zur Ver­un­si­che­rung in der Öf­fent­lich­keit bei, denn die Kunst von heute steht schein­bar nur noch für eines: ex­tre­me Auk­ti­ons­re­kor­de, die kei­ner ver­steht! Man kann den Zeit­punkt des Wech­sels alt­be­kann­ter Markt­re­geln für Kunst re­la­tiv genau da­tie­ren: 1999! In die­sem Jahr wurde eine Ke­ra­mik­plas­tik Pink Pan­ther von Jeff Koons für 1,6 Mil­lio­nen Dol­lar ver­stei­gert. Zuvor ge­horch­te die Preis­dy­na­mik noch den Kri­te­ri­en kunst­his­to­ri­scher Le­gi­ti­mie­rung: Re­nom­mee des Künst­lers oder die Sel­ten­heit sei­nes Wer­kes. Ver­stor­be­ne Künst­ler wur­den dabei höher be­wer­tet als le­ben­de. Die Kunst­be­ra­te­rin Thea West­reich kom­men­tiert diese Ent­wick­lung so: »In der Ver­gan­gen­heit kauf­ten Men­schen Kunst in der Hoff­nung, dass ihre Samm­lung ir­gend­wann für die Kunst­ge­schich­te wich­tig wer­den möge. Heute glau­ben sehr viele Samm­ler, dass Wert­stei­ge­rung am Markt au­to­ma­tisch kunst­ge­schicht­li­che Re­le­vanz be­deu­tet.«

In die­ser fal­schen An­nah­me ge­sche­hen schein­bar Wun­der, wie diese Nach­richt zeigt: Mit Nach­kriegs- und Ge­gen­warts­kunst wur­den 2013 bei Chris­tie's 782,4 Mill. Dol­lar und bei Sothe­by's 380,6 Mill. Dol­lar er­wirt­schaf­tet. Ein In­di­ka­tor dafür, dass trotz Fi­nanz­kri­se immer mehr Geld im Markt vor­han­den ist.

Das glo­ba­le Ka­rus­sell lädt uns heute zu schein­bar un­end­lich vie­len Kunst­mes­sen ein. 1970 gab es ge­ra­de mal drei Kunst­mes­sen: die Art Co­lo­gne, die Art Basel und die Brüs­se­ler Art Ac­tu­el. 2005 waren es 68 nen­nens­wer­te Mes­sen und 2011 be­reits 189.

Der deut­sche Maler Ger­hard Rich­ter ist einer Rang­lis­te zu­fol­ge unter Käu­fern von Ge­gen­warts­kunst der welt­weit be­lieb­tes­te Künst­ler. Bei Ver­stei­ge­rungs­er­lö­sen von um­ge­rech­net 558 Mill. Euro steht Rich­ter nach einer Auf­stel­lung der Kunst­da­ten­bank art­net an obers­ter Stel­le. Wie sich in sei­nem Werk die Ka­te­go­rie ›gute und vor­bild­li­che Kunst‹ und ›ide­el­ler Wert‹ ver­ein­ba­ren ist mir schlei­er­haft. Denn setzt man an sei­ner Kunst den Leit­spruch Max Ernsts an, der da sagte: »Der Maler, der sich fin­det ist ver­lo­ren«, dann muss man fest­stel­len, das sich Ger­hard Rich­ter schon lange ge­fun­den hat und nach Re­zept ar­bei­tet. Von die­sen An­sprü­chen weit ent­fernt agiert der Kunst­markt, für den auch das Alter der Künst­ler keine Rolle mehr spielt. Der ame­ri­ka­ni­sche Künst­ler Lu­ci­en Smith ist erst 24 Jahre alt und er­ziel­te schon Höchst­prei­se bei in­ter­na­tio­na­len Auk­tio­nen. Bei Chris­tie's und Sothe­by's wur­den kürz­lich drei Rain Pain­tings von ihm mit er­heb­li­chen Stei­ge­run­gen ver­mit­telt. Die drei Ge­mäl­de ent­stan­den im Jahr 2012 und klet­ter­ten von rund 40 000 auf 185 000 Pfund bei Sothe­by's, und auf 158 000 Pfund bei Chris­tie's.

Was ver­an­lasst Men­schen, so viel Geld für Kunst aus­zu­ge­ben? Nach Mei­nung eines Samm­lers geht es ihm dabei we­ni­ger um die so irr­wit­zi­gen und obs­zö­nen Geld­sum­men, als viel­mehr um das Ge­heim­nis­vol­le als sym­bo­li­sche An­nä­he­rung an den un­schätz­ba­ren Wert des je­wei­li­gen Wer­kes. Georg Seess­len be­schreibt den Zu­stand ra­di­kal: »Art Fairs sind die Play­grounds der Su­per­rei­chen ge­wor­den in­klu­si­ve der Künst­ler­früh­stü­cke für die VIPs und die Samm­ler. Kunst ist eine der bes­ten Ka­pi­tal­an­la­gen und Steu­er-Ver­mei­dungs-Fel­der der Welt ge­wor­den. Mit Kunst kann man Geld wa­schen, Erb­schaft­steu­ern spa­ren und öf­fent­li­che An­er­ken­nung er­rin­gen und noch viel bes­ser spe­ku­lie­ren als mit Ak­ti­en. Die Kunst spricht fast nur noch durch die Spra­che des Gel­des zu uns. Aber das tut sie so laut wie nie zuvor. Es gibt eine sim­ple Öko­no­mie die­ses boo­men­den Kunst­mark­tes, der be­reits zu groß ist, als dass er schei­tern könn­te: Das über­schüs­si­ge Ka­pi­tal schafft sich ein Spiel­feld, auf dem es voll­kom­men los­ge­löst wal­ten kann. Eine klei­ne Cli­que von su­per­rei­chen Samm­lern treibt sich ge­gen­sei­tig die Prei­se in die Höhe. Davon pro­fi­tiert ein glo­bal ver­netz­tes und immer enger mit Ban­ken ver­floch­te­nes Kunst­busi­ness. Der Kunst­markt ist eine böse Ka­ri­ka­tur des Ka­pi­tal­markts ge­wor­den. Die Ban­ken wer­den Samm­ler, die Ban­ken or­ga­ni­sie­ren Kunst­an­lei­hen und lie­fern schlie­ß­lich die Ex­per­ti­sen dar­über, was Kunst­wer­ke wert sind.«

»Die Al­li­anz von Geld und Kunst ist uralt: Beide haben ihren Ur­sprung im Sa­kra­len, beide for­dern Opfer und schen­ken Leben, beide ver­bin­den Men­schen­le­ben, beide sind an­ge­wie­sen auf den Sinn des Se­hens. Das er­klärt die Funk­ti­on, die das Geld der Kunst zu­ge­wie­sen hat. Aber muss des­halb auch die Kunst für immer ins Ge­fäng­nis des Gel­des ein­ge­schlos­sen sein? Muss sie dran glau­ben, damit wir alle ans Geld glau­ben kön­nen? Viele zer­bre­chen sich den Kopf über Aus­we­ge aus der Fi­nanz­kri­se. Soll­ten wir uns nicht auch dar­über Ge­dan­ken ma­chen, wie wir die Kunst davor be­wah­ren, den Preis des Gel­des zu zah­len? Dass das Geld auch Blü­ten pro­du­ziert, be­deu­tet nicht zwin­gend eine Blüte der Kunst«; so die Kunst­his­to­ri­ke­rin Chris­ti­na von Braun.

Dass die Kunst auch echte Blü­ten, also Fäl­schun­gen pro­du­ziert, hat der Kunst­fäl­scher Wolf­gang Bel­trac­chi mit Er­folg und prä­zi­sen Me­tho­den be­wie­sen. Das war ein­deu­tig kri­mi­nell! In­ter­es­sant und fatal daran war die Tat­sa­che, dass er mit die­sem Skan­dal ein un­er­sätt­li­ches und kor­rup­tes Sys­tem offen legte. Denn Kunst scheint dem wirt­schaft­li­chen An­spruch und Ideal voll zu ent­spre­chen: mit einen Mi­ni­mum an Auf­wand, ein Ma­xi­mum an Er­trag zu er­zie­len. Dass der Markt die­sem Prin­zip folgt ist nicht ver­werf­lich. Ver­werf­lich ist, dass die Kunst, die in die­sem Ka­rus­sell in die Höhe ge­ho­ben wird, der Ka­te­go­rie ›gute und vor­bild­li­che Kunst‹ und ›ide­el­ler Wert‹ zu­ge­ord­net wird.

Der Preis von Kunst ist ir­ra­tio­nal und durch kei­nen ra­tio­na­len Grund zu recht­fer­ti­gen. Das hängt auch ganz dicht mit der be­lie­bi­gen Ur­teils­kraft von Kunst selbst zu­sam­men. Gäbe es diese, dann gäbe es auch ver­nünf­ti­ge Grün­de einer Preis­ge­stal­tung für Kunst.

Da­mi­en Hirsts Dia­man­ten­schä­del wurde im Au­gust 2007 für den irr­wit­zi­gen Preis von 100 Mil­lio­nen Dol­lar ver­kauft. Ein mit 8601 Bril­lan­ten be­setz­ter, in Pla­tin ab­ge­gos­se­ner mensch­li­cher Schä­del mit dem Titel: For the Love of God. Sein Ga­le­rist Jay Jo­p­ling ver­kün­de­te, al­lein die Ma­te­ri­al­kos­ten hät­ten 28 Mil­lio­nen Dol­lar be­tra­gen. Die ge­for­der­ten 100 Mil­lio­nen Dol­lar schien al­ler­dings lange nie­mand zah­len zu wol­len für das glit­zern­de Sym­bol. Erst Ende Au­gust hieß es dann, das Geld sei tat­säch­lich ge­flos­sen – von einem an­ony­men Samm­ler­kon­sor­ti­um, in bar und ohne Quit­tung, so­dass nie­mand den an­geb­li­chen Preis über­prü­fen konn­te. Umso grö­ßer war die Bla­ma­ge, als we­ni­ge Tage spä­ter ver­kün­det wer­den muss­te, Hirst der Künst­ler selbst – einer der reichs­ten Künst­ler der bri­ti­schen Insel – sei Teil der Käu­fer­grup­pe ge­we­sen. Hier zeigt sich, dass auch der Künst­ler selbst ›krea­tiv‹ in den Markt ein­wir­ken und den Kunst-Wert be­ein­flus­sen kann.

Aber was ist der wahre Wert von Kunst? Die Kunst galt ein­mal als eines der her­vor­ra­gen­den Mit­tel zur Be­frei­ung des Men­schen. Sie spiel­te mit den schöp­fe­ri­schen Mög­lich­kei­ten des au­to­no­men Sub­jekts, sie zeig­te mo­dell­haft, was Frei­heit sein kann. Kunst war Aus­druck der Frei­heit, selbst oder ge­ra­de dort, wo sie sich von dem Zwang be­frei­te, etwas Be­stimm­tes aus­drü­cken zu müs­sen. Kunst war das In­stru­ment, die Frei­heit, die sich der in­di­vi­du­el­le Künst­ler nahm, um auf den Adres­sa­ten zu über­tra­gen, in der Ga­le­rie, im öf­fent­li­chen Raum, im Mu­se­um und, ge­wiss doch, auch im Salon des ›Be­sitz­bür­gers‹, der sich mit sei­nem Kom­pli­zen, dem ›Bil­dungs­bür­ger‹, zum an­ge­neh­men Kunst­ge­spräch traf. Gleich­zei­tig war Kunst immer ab­hän­gig von der Öko­no­mie und von der Macht, da mache man sich nichts vor – we­nigs­tens äu­ßer­lich. Aber es ge­hör­te zu ihrem Wesen, dass der­je­ni­ge, der sie sich leis­ten konn­te, sich damit auch eine Ver­ant­wor­tung ein­han­del­te, und dass die Kunst immer sehr viel mehr war als der Pri­vat­be­sitz der öko­no­mi­schen und po­li­ti­schen Elite.

Diese Elite hat sich nun aber nicht nur die Kunst an­ge­eig­net, son­dern auch den Dis­kurs über sie. Kunst­wis­sen­schaft, Kunst­kri­tik, Kunst­pu­bli­zis­tik sind so hörig und von ihren Gna­den ab­hän­gig, dass sie ihnen genau das als Kunst de­fi­nie­ren, was sie als Kunst ge­brau­chen kön­nen. Weil also in­zwi­schen alles Kunst ge­wor­den ist, wie die letz­te do­cu­men­ta Che­fin Car­o­lyn Chris­tov-Bakar­giev uns klar zu ma­chen ver­such­te, indem sie der Welt­öf­fent­lich­keit zu Er­öff­nung mit­teil­te, »...​der Un­ter­schied zwi­schen dem was Kunst ist und was nicht, wird immer un­wich­ti­ger«, brau­chen sich die Künst­ler auch nicht mehr dar­über zu strei­ten, was denn Kunst sei. Die Öff­nung der Künst­ler hin zum Markt hat den Kunst­be­griff be­lie­big wer­den las­sen, denn ideo­lo­gi­sche Kämp­fe dar­über las­sen sich in einen wach­sen­den Markt schlecht in­te­grie­ren. Das alles hat na­tür­lich Fol­gen für den Künst­ler und den Re­zi­pi­en­ten.

Für die Re­zi­pi­en­ten als ›nor­ma­le‹ Men­schen, die sich ›für Kunst in­ter­es­sie­ren‹, be­deu­tet die Öko­no­mi­sie­rung und Pri­va­ti­sie­rung der zeit­ge­nös­si­schen Kunst eine Form von Ent­zug oder Un­ter­schla­gung. Nicht nur durch den Ent­zug der Sicht­bar­keit be­stimm­ter Wer­ken, die in Tre­so­ren, pri­va­ten Samm­lun­gen oder Zoll­frei­la­gern ge­hor­tet wer­den. Die Kunst­wer­ke ver­lie­ren ihren ei­gent­li­chen Adres­sa­ten, den nach Frei­heit, Schön­heit und Fan­ta­sie ver­lan­gen­den Men­schen, eine Ge­sell­schaft, die sich traut, äs­the­ti­sche Ex­pe­ri­men­te zu trei­ben. Auch ist der Ver­lust zu­letzt jener Räume zu be­kla­gen, in denen Kunst und Bür­ger mit­ein­an­der kom­mu­ni­zier­ten, ohne von öko­no­mi­schen und po­li­ti­schen In­ter­es­sen ge­stört und miss­braucht zu wer­den.

Wäh­rend es dem Kunst­markt so gut geht wie noch nie, geht es der Kunst-Kul­tur so schlecht wie nie zuvor. Den meis­ten Künst­le­rin­nen und Künst­lern auch. Für die Künst­ler, die sich die­sen Markt­stra­te­gi­en ver­wei­gern oder die nicht in­te­griert wer­den, zei­gen der Markt und die Ge­sell­schaft keine Ak­zep­tanz, da die Werke dem Wer­te­ka­non markt­hö­ri­ger Kunst­wis­sen­schaft, Kunst­kri­tik und Kunst­pu­bli­zis­tik nicht ent­spre­chen. Hinzu kommt, dass se­riö­se Ga­le­ri­en hier­zu­lan­de eben­so sel­ten zu fin­den sind wie Per­len in einer Mu­schel.

Die Folge ist Ver­ar­mung. Unter die­sen Be­din­gun­gen leben und ar­bei­ten die meis­ten Künst­ler in der Bun­des­re­pu­blik. Die Zahl der bei der Künst­ler­so­zi­al­kas­se ge­mel­de­ten bil­den­den Künst­ler hat sich von 18.732 im Jahr 1991 auf 51.732 im Jahr 2004 er­höht. Ge­gen­wär­tig sind es 177.000 selbst­stän­di­ge Künst­ler und Pu­bli­zis­ten die bei der Künst­ler­so­zi­al­kas­se ge­mel­det sind. Und noch diese In­for­ma­ti­on: Das mo­nat­li­che Durch­schnitts­ein­kom­men der Bil­den­den Künst­ler/innen in Deutsch­land be­trägt ca. 900 €.

Diese pre­kä­re Si­tua­ti­on ist nur eine Seite der Me­dail­le. Die an­de­re ist, dass die ver­fas­sungs­mä­ßig ga­ran­tier­te Frei­heit der Kunst be­schnit­ten wird. Staat und Ge­sell­schaft for­dern, dass Kunst sich ›rech­nen‹ müsse. Ge­for­der­te Quote und Ren­ta­bi­li­tät ver­lan­gen aber nichts an­de­res, als sich dem Mas­sen­ge­schmack un­ter­zu­ord­nen und das Kunst so sein soll, wie es die Leute gerne hät­ten: Leicht kon­su­mier­bar und ver­traut. Die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Frei­heit von Kunst soll­te ei­gent­lich auch be­deu­ten, dass Geld zur Ver­fü­gung ge­stellt wird um künst­le­ri­sche Pro­duk­ti­on zu er­mög­li­chen. Aus die­ser Ver­ant­wor­tung soll­ten wir den Staat nicht ent­las­sen, denn damit wür­den wir den neo­li­be­ra­len Hand­lungs-Ma­xi­men in die Hand spie­len.

»Der Künst­ler kann so viele Ideen haben wie er will, so viele Bil­der hor­ten wie es ihm ge­fällt, und egal wie gut das ist, was er sich aus­ge­dacht hat: Zur Kunst wird es erst, wenn es in die Öf­fent­lich­keit ge­ho­ben wird, wenn es eine Aus­ein­an­der­set­zung darum gibt.«, so Hans Otto Ress­ler. An­ge­sichts die­ser Tat­sa­chen kann man sich die Frage stel­len: Wieso wird je­mand Künst­ler?

Die ty­pi­sche Ent­schei­dung Künst­ler zu wer­den be­ruht nicht auf Über­le­gun­gen, die den fi­nan­zi­el­len Er­folg im Auge haben, son­dern auf Vor­stel­lun­gen, die mit per­sön­li­cher Be­ru­fung, frei­heit­li­chem Quer­den­ken und In­no­va­ti­ons­stre­ben ver­knüpft sind. Die dar­aus re­sul­tie­ren­de Be­son­der­heit der künst­le­ri­schen Tä­tig­keit ist der Ent­ste­hungs­pro­zess der Kunst. Somit ist un­um­strit­ten, dass künst­le­ri­sche Tä­tig­keit nicht mit der ein­fa­chen Be­reit­stel­lung einer Dienst­leis­tung oder einer hand­werk­li­chen Tä­tig­keit zu ver­glei­chen ist. Den­noch scheint es ver­schie­de­ne Mo­ti­ve die­ser Auf­fas­sung zu geben: In einem Künst­ler­fo­rum las ich den Ein­trag eines ame­ri­ka­ni­schen Künst­lers: Sei­ner Mei­nung nach gibt nur zwei Klas­sen von Künst­lern: Den hun­gern­den Künst­ler, der naiv ist und nur Kunst um ihrer selbst wil­len pro­du­ziert und der­je­ni­ge, der Rea­list ist und ver­stan­den hat, das alle Kunst nur ein Busi­ness- und Un­ter­neh­mens­ziel kennt, näm­lich Geld zu ver­die­nen.

Das Deut­sche In­sti­tut für Wirt­schafts­for­schung (DIW) stell­te vor kur­zem in Ber­lin eine Stu­die vor, wo nach Künst­ler zwar arm, aber glück­lich seien. Als Grün­de wur­den ge­nannt, »Künst­ler zie­hen aus der Tä­tig­keit selbst einen viel grö­ße­ren Nut­zen als aus dem Geld, das sie damit ver­die­nen. Man kann je­doch davon aus­ge­hen, dass Künst­ler auch dann glück­lich sind, wenn sie nicht von ihrer Ar­beit leben kön­nen.« In die­sen Ein­schät­zun­gen mag ein Fun­ken Wahr­heit ste­cken, aber es klingt nach ver­harm­lo­sen­der So­zi­al­ro­man­tik, denn die Ver­ar­mung und Ver­ein­sa­mung vie­ler Künst­ler (be­son­ders im Alter), ver­bun­den mit dem Ver­schie­ben der Küns­te in die ge­sell­schaft­li­che Pe­ri­phe­rie, wird immer be­un­ru­hi­gen­der und ist oft ver­hee­rend. Vor die­sem Hin­ter­grund ist es mehr als zy­nisch, dass es Men­schen gibt, die den ›Van Gogh-My­thos‹ der­art pfle­gen, dass sie tat­säch­lich be­haup­ten, Künst­ler müss­ten in pre­kä­ren Exis­tenz­si­tua­tio­nen leben, um wirk­lich gute Kunst zu pro­du­zie­ren.

Wir sehen, die Schat­ten­sei­te der rea­len Le­bens- und Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se von Kunst und Künst­ler/innen fin­den jen­seits der wahn­wit­zi­gen Auk­tio­nen und ihrer Schlag­zei­len auch statt. Auch dort wird gute Kunst pro­du­ziert. Ist diese des­halb we­ni­ger wert oder ist der spe­ku­la­ti­ve Kunst­markt der Maß­stab, der allen Künst­lern und ihren Pro­duk­ten an­ge­legt wer­den soll­te? Eine Ant­wort dar­auf ist aus den Über­le­gun­gen von oben klar ab­zu­lei­ten. Aber neben die­ser Ant­wort for­miert sich eine neue Frage: Be­steht über­haupt eine Aus­sicht auf Än­de­rung die­ser Si­tua­ti­on?

Im neo­li­be­ra­len Zeit­al­ter geht man davon aus, dass der Markt die Dinge von al­lei­ne re­gelt. Die­ser Glau­be war auch für den Ban­ken­crash ver­ant­wort­lich; er hat aus mei­ner Sicht sein Halt­bar­keits­da­tum längst über­schrit­ten und daher dro­hen bei An­wen­dung sehr üble Re­ak­tio­nen, denen wir schon seit Län­ge­rem in­ten­siv aus­ge­setzt sind. Soll­te ich etwas zu Ge­ne­sung ver­schrei­ben dür­fen, dann würde ich die­sem kran­ken Sys­tem genau die Werte ver­schrei­ben, die in der Re­zep­ti­on und in der Pro­duk­ti­on von Kunst be­nö­tigt wer­den. Als da wären: Ver­hal­tens­wei­sen und Emp­fin­dun­gen, die nicht den fi­nan­zi­el­len Er­folg, son­dern den Pro­zess äs­the­ti­scher Kom­mu­ni­ka­ti­on und äs­the­ti­scher Er­fah­rung, sowie die An­eig­nung viel­fäl­ti­ger Arten der Wahr­neh­mung im Auge haben. Aus die­sen Ei­gen­schaf­ten bil­den sich näm­lich jene Werte, die letzt­lich auch in einen Frei­heits- und Ver­ant­wor­tungs­be­griff mün­den. So ge­se­hen, könn­te man an eine Selbst­hei­lung des Sys­tems glau­ben.

So aber wun­dert es nicht, dass der Kunst­markt im Neo­li­be­ra­lis­mus nach den be­währ­ten Mus­tern des Ka­pi­ta­lis­mus han­delt. Was mich le­dig­lich ver­wun­dert ist, »...​wie wenig die Kunst selbst, die Kri­tik und der Be­trieb da­ge­gen Wi­der­stand leis­ten« (Seess­len). Wieso kommt nichts aus den Aka­de­mi­en, nichts aus den Kul­tur­in­sti­tu­tio­nen und Kul­tur­mi­nis­te­ri­en?

Zum Ab­schluss möch­te ich noch ein­mal Georg Seess­len zi­tie­ren. Er ist der Mei­nung:
»Eine Kunst, die sich zum Kon­sum­fe­tisch der Olig­ar­chen des Welt­ka­pi­ta­lis­mus macht, brau­chen wir nicht.
Eine Kunst, die die Sche­re zwi­schen Armen und Rei­chen wei­ter auf­macht, brau­chen wir nicht.
Eine Kunst, die zum wei­te­ren In­stru­ment der Ban­ken wird, brau­chen wir nicht.
Eine Kunst, deren Wert nicht durch den Dis­kurs, son­dern durch den Markt be­stimmt wird, brau­chen wir nicht.
Eine Kunst, die an­stel­le der Frei­heit die Frei­heit des Gel­des in der Post­de­mo­kra­tie aus­drückt, brau­chen wir nicht.«
Und:
»Eine Kunst, die kei­nen Wi­der­stand leis­tet, brau­chen wir auch nicht.«

 

13. Jahrgang 2014

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