Immo Sennewald: Abend

Realem­pi­ri­sche ge­gen­warts­deut­sche Hy­po­for­men ten­die­ren dazu, sich auf einer Mo­du­la­ti­ons­brei­te (Ver­mitt­lungs-To­le­ranz­brei­te) von Viel­per­so­nen-Um­ge­bun­gen or­tho­episch wie or­tho­gra­fisch ein­zu­pen­deln. Dies dürf­te auch für die künf­ti­ge, selbst­re­gu­la­ti­ve, trans­na­tio­na­le Leit­va­rie­tät des Ge­gen­warts­deut­schen zu­tref­fen. Eine de­kre­tier­te Ka­no­ni­sche Form des Ge­gen­warts­deut­schen ist nicht und war zu kei­ner Zeit der Nor­mal­fall, weder in den schrift­sprach­li­chen noch in den sprech­sprach­lich in­ter­per­so­na­len oder öf­fent­li­chen, mehr­fach­ver­mit­tel­ten, me­di­en­spe­zi­fi­schen Rea­li­sa­ti­ons­wei­sen.

Trans­na­tio­nal­spra­che ist ein me­di­en­rhe­to­risch und pu­bli­zis­tisch ge­präg­ter Ter­mi­nus der sprach­lich-öf­fent­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on, kein his­to­risch-so­zi­al ak­zen­tu­ier­ter, eu­ro­pa­zen­trier­ter oder na­tio­nalphi­lo­lo­gi­scher Be­griff. Deutsch­spra­chi­ge Mut­ter­sprach­ler (Ger­man Na­ti­ve Spea­ker, auch Deutsch-Pri­mär­sprach­ler ge­nannt) und Deutsch-Fremd­sprach­ler, Zweit­sprach­ler und Deutsch-Drittsprach­ler zu­sam­men­ge­nom­men wer­den als Deutsch­spre­chen­de be­zeich­net. Das durch Aus­gangs­part­ner, Ver­mitt­lungs­part­ner, Ziel­part­ner und Re­zi­pi­en­ten un­mit­tel­bar re­prä­sen­tier­te und mehr­fach ver­mit­tel­te glo­bal un­ein­heit­lich si­tu­ier­te Ge­gen­warts­deut­sche um­fasst alle in­ter­per­so­na­len und trans­na­tio­na­len deut­schen Part­ner­ver­samm­lun­gen und Sprach­teil­ha­ber in ihren dis­lo­zier­ten und weit­ver­zweig­ten Ver­brei­tungs­ge­bie­ten und Ge­sprächs­ver­fas­sun­gen. Ge­gen­warts­deutsch bil­det eine em­pi­risch un­ein­heit­li­che Menge an Äu­ße­run­gen, No­ta­tio­nen und Va­rie­tä­ten. Eben­so un­ein­heit­lich fi­xiert er­scheint die Stan­dard-Staf­fe­lung: Nie­der­deutsch, Mit­tel­deutsch, Ober­deutsch, Lëtze­buer­gesch, Schwei­zer Hoch­deutsch, samt Dia­lek­ten, Re­gio­lek­ten, vage ein­grenz­ba­ren Um­gangs­spra­chen und teils floa­ten­den, teils hy­per­kri­tisch ko­di­fi­zier­ten Va­rie­tä­ten, nicht zu ver­ges­sen dem ›rich­ti­gen‹ Be­hör­den­deutsch mit sei­ner de­kre­tier­ten Ko­di­fi­zie­rung: die heu­ti­ge Kanz­lei­spra­che des Ge­gen­warts­deut­schen, eine Min­der­hei­ten-Spra­che. Ko­di­fi­zie­rungs-Etap­pen am Meiß­ni­schen, Pra­ger und oder Han­no­ve­ra­ner Hoch­deutsch kön­nen wir hier nicht er­ör­tern. Das hin­sicht­lich der Pro­so­dik zu­sam­men­hän­gen­der Rede Mo­du­la­ti­ons­brei­te, Gen­re­spe­zi­fik, Text­gram­ma­tik, Wort­schatz-Ent­wick­lung und sym­bol­sprach­li­chen No­ta­ti­ons­kon­ven­tio­nen bis zu einem ge­wis­sen Grad eher asym­me­trisch kom­po­nier­te Glo­bal Ger­man exis­tiert als ad­ap­ti­ves, in­ter­per­so­na­les, na­tür­lich­sprach­li­ches, hu­man­bio­lo­gosch selbst­re­gu­lier­tes Sys­tem: die künf­ti­ge Leit­va­rie­tät des Ge­gen­warts­deut­schen. Des­halb kann in die­sem Zu­sam­men­hang nicht von einer ka­no­ni­schen Form ge­spro­chen wer­den. Ob die wohl­be­kann­ten, nor­ma­tiv-prä­skrip­tiv mo­ti­vier­ten, teils hy­per­pro­fi­lier­ten ka­no­ni­schen Form-Kon­struk­te des Ge­gen­warts­deut­schen so, wie es man­che Du­den-Do­mä­nen­bil­dun­gen und Ex­pli­ka­ti­ons­ver­su­che sug­ge­rie­ren, als Main­stream-Wirk­lich­keit exis­tie­ren, er­scheint frag­wür­dig. Die dazu er­for­der­li­che, brei­te, plu­ra­lis­ti­sche Dis­kus­si­on kann hier nicht knapp ein­ge­passt wer­den. Ich plä­die­re dafür, Hy­po­for­men des Ge­gen­warts­deut­schen stär­ker in For­schung und Lehr­ver­mitt­lung zu be­rück­sich­ti­gen. Von der Hy­po­form, oder von Hy­po­for­men die­ses trans­na­tio­na­len Ge­gen­warts­deut­schen zu spre­chen, lässt sich be­grün­den. Hy­po­for­men des Ge­gen­warts­deut­schen ma­ni­fes­tie­ren sich he­te­ro­gen- at­trak­tiv, kom­ple­men­tär-ko­ope­ra­tiv, in­for­mell, wenn­gleich nicht kon­flikt­frei, be­zo­gen auf un­ter­schied­li­che Level oder Re­prä­sen­ta­ti­ons­ni­veaus sprach­stil- und va­rie­tä­ten­kon­ver­gent in tech­nisch me­dia­ti­sier­ten Foren und Ge­spräch­s­öf­fent­lich­kei­ten bzw. ›Ta­gungs­räu­men‹. Nicht ohne in­for­mel­le Norm­vor­stel­lun­gen ten­die­ren diese Hy­po­for­men dazu, sich auf einer in­halt­lich-se­mio­ti­schen Mo­du­la­ti­ons­brei­te (Ver­mitt­lungs-To­le­ranz­brei­te) von Viel­per­so­nen- Um­ge­bun­gen or­tho­episch wie or­tho­gra­fisch ein­zu­pen­deln.

Hy­po­form-Zu­ord­nung im eu­ro­päi­schen Sprach­re­fe­renz­rah­men

In Kom­pe­tenz und Per­form­anz ent­spre­chen Hy­po­for­men sprach­prag­ma­tisch und zu­ord­nungs­to­le­rant den er­prob­ten Goe­the-Zer­ti­fi­kats­ni­veau­stu­fen für be­ruf­li­ches Deutsch (ZDfB) in fort­ge­schrit­te­nen B2-Be­rei­chen, für Wirt­schafts­deutsch (PWD) und C1, was auch Test­DaF ein­be­zieht. Nicht be­rück­sich­tigt wer­den hier dia­lekt­ba­sier­te, dia­lekt­durch­wirk­te und do­mi­nant dia­lekt­ge­präg­te For­men der Sprach­kom­pe­tenz und Per­form­anz (be­deu­tet keine Ab­wer­tung). Das wun­der­schö­ne C2-Ni­veau, das weit­ge­hend der ka­no­ni­schen Form im Sinne von Du­den-Do­mä­nen ent­spricht, dürf­te ver­nünf­ti­ger­wei­se in der Drittspra­chen-Lehr­ver­mitt­lung ge­ne­rell we­ni­ger häu­fig an­zu­zie­len sein. Die Kom­pe­tenz­er­wei­te­rung und Per­form­anz-Op­ti­mie­rung von C1 zu C2 (GDS) er­folgt er­fah­rungs­ge­mäß lang­sam und zäh, was sich jah­re­lang hin­zie­hen kann. Diese ka­no­ni­sche Form des trans­na­tio­na­len Ge­gen­warts­deut­schen, zu­ord­nungs­fä­hig einem nach­re­cher­chier­bar statt­li­chen, fach­sprach­lich wie sti­lis­tisch pro­fi­lier­ten C2-Ni­veau, stellt eine unter sehr güns­ti­gen, wenn nicht ide­al­ty­pi­schen Be­din­gun­gen nor­ma­tiv-prä­skrip­tiv an­ge­ziel­te Äu­ße­rungs­form dar und ist eben nicht die Nor­mal­form, so­wohl in den schrift­sprach­li­chen wie in den sprech­sprach­lich in­ter­per­so­na­len wie öf­fent­li­chen, mehr­fach­ver­mit­tel­ten Rea­li­sa­ti­ons­wei­sen. Wer Ge­gen­warts­deutsch per­ma­nent in sei­ner ka­no­nisch vor­bild­li­chen Form pro­du­ziert und re­pro­du­ziert – z.B. ohne El­lip­sen, Ana­ko­lu­the oder Em­bola­lia, zudem mit hy­per­ki­ne­ti­scher Ar­ti­ku­la­ti­ons­schär­fe sowie kon­ti­nu­ier­lich mit misch­gram­ma­tisch kor­rek­ten Hy­po­ta­xen und Pa­ra­ta­xen samt rund­for­mu­lier­ter Mor­pho­lo­gie – dis­qua­li­fi­ziert sich als Kom­mu­ni­ka­ti­ons­part­ner.

Die we­sent­li­chen Re­prä­sen­ta­ti­ons­for­men des Ge­gen­warts­deut­schen – Hy­po­form, Ka­no­ni­sche Form, Dia­lekt­form – las­sen sich in For­schung und Lehre ganz brauch­bar ope­ra­tio­na­li­sie­ren und aus­ein­an­der­hal­ten, si­cher­lich mit Un­schär­fen. Zumal auf Con­nec­ted-Speech-Le­vel für au­di­tiv-ap­per­zep­tiv-phä­no­me­na­le Ob­jek­ti­vie­rungs­mo­del­le ge­spro­che­ner Spra­che und rhe­to­ri­scher In­ter­ak­ti­on. In der em­pi­ri­schen For­schung geht es oft um Grob­ein­schät­zun­gen, um ent­spre­chend quan­ti­fi­zie­ren zu kön­nen. In der Aus­spra­che be­sagt Hy­po­form: eine prag­ma­ti­sche, mi­ni­mal­nor­ma­ti­ve Sprech­stu­fen-Klas­si­fi­ka­ti­on in ge­bun­de­ner Rede. Ten­den­zi­ell ist sie nicht hierar­chisch zu in­ter­pre­tie­ren, son­dern ko­exis­ten­ti­ell. Im Kon­trast zum tra­di­tio­nel­len Sys­tem-Bei­spiel der ›rei­nen Hoch­lau­tung‹, wie noch im ›Siebs‹ 1969 pos­tu­liert, lässt sich sagen: diese ka­no­ni­sche Höchst­stu­fe der ›rei­nen Hoch­lau­tung‹ war schon 1969 eine kom­plet­te Il­lu­si­on. Sie fällt also er­satz­los weg. An­knüp­fend an die dort mi­ni­mal­seg­ment-fi­xier­te bis syl­la­bie­rend dar­ge­stell­te ›ge­mä­ßig­te Hoch­lau­tung‹ ein­schlie­ß­lich di­ver­ser Ab­wei­chun­gen – Ko­ar­ti­ku­la­tio­nen, As­si­mi­la­tio­nen, Re­duk­tio­nen sowie gra­du­ell hy­per­bo­li­sier­ter Lau­tun­gen – lässt sich diese ›ge­mä­ßig­te Hoch­lau­tung‹ als Gro­bori­en­tie­rung für die we­ni­ger häu­fig er­reich­te ka­no­ni­sche Form des Ge­gen­warts­deut­schen her­an­hal­ten. Was aus­drück­lich nicht mit der Hy­po­form iden­tisch ist. Beim ana­ly­sie­ren­den und syn­the­ti­sie­ren­den Zu­ord­nen ist zu be­ach­ten, dass die Aus­gangs­da­ten der

Hy­po­for­men nicht pri­mär auf Mi­ni­mal­seg­ment- oder Sil­ben-Ebe­ne aus­ge­wer­tet wer­den. Die an­ge­mes­se­ne Seg­ment-Do­mä­ne ist die ma­kro­seg­men­ta­le Phra­sie­rungs­ein­heit (Nickl 1974/76).

Die kom­mu­ni­ka­tor­zen­triert fle­xi­ble und nor­ma­tiv floa­ten­de Hy­po­form des Ge­gen­warts­deut­schen ran­giert als in­ter­per­so­nal und grup­pen­kom­mu­ni­ka­tiv selbst­re­gu­la­ti­ves Va­rie­tä­ten-Sys­tem. Weder von de­kre­tie­ren­den Staats­be­am­ten aus den Re­la­ti­ons­area­len der Kul­tur­ho­heit-der-Län­der, noch von ge­spon­ser­ten, pri­vat ver­an­stal­te­ten Du­den-Edi­to­ren lässt sich die Hy­po­form kon­trol­lie­ren. Trans­na­tio­na­le Me­di­en-Pu­bli­ka und So­ci­al Media sind auf ak­ti­ve wie pas­si­ve, an­ony­me und per­sön­li­che, trans­ver­sal un­ste­te Kom­mu­ni­ka­ti­ons­rol­len mit Rol­len­va­ria­bi­li­tät ihrer Ak­teu­re und Re­zi­pi­en­ten an­ge­wie­sen. Diese sind ter­ri­to­ri­al und volks­grup­pen­re­la­tio­nal zu ver­or­ten, je nach Di­gi­ta­li­sie­rungs­qua­li­tät, Reich­wei­te und wei­te­ren (hier aus­ge­spar­ten) Be­stim­mungs­stü­cken und Kri­te­ri­en der so­zia­len und in­tel­lek­tu­el­len Zeit­kom­mu­ni­ka­ti­on. Prag­ma­tisch wie theo­rie­ge­schicht­lich knüp­fen wir daher an das in­tel­li­gen­te Kon­zept einer na­cio­nes-fö­de­ra­len und ter­ri­to­ri­en-über­grei­fen­den hoch­teut­schen Reichs­spra­che an, das Kas­par von Stie­ler 1691 vor­ge­legt hat. Die Prä­ge­kraft des fak­ti­schen Sprachu­sus ent­schei­det. Es geht nicht ums glo­ba­le ›Framing‹ oder um glo­ba­le ›Kon­tex­te‹ deutsch­spra­chi­ger Part­ner­ver­samm­lun­gen und ihrer Ta­gungs­räu­me, son­dern um die neue trans­na­tio­na­le Me­di­en­wirk­lich­keit einer de­ter­ri­to­ria­li­sier­ten, dis­lo­zier­ten, he­te­ro­ge­nen, pla­ne­tar-bi­zar­ren Sprach­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­mein­schaft. Deren Ge­sprächs­ver­fas­sun­gen, Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ra­tio­na­li­sie­run­gen und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­re­prä­sen­tan­zen kön­nen hier frei­lich weder re­kon­stru­iert noch dar­ge­stellt wer­den. Im cross­me­di­al-trans­na­tio­na­len Kom­mu­ni­ka­ti­ons­raum bil­den Mut­ter­sprach­ler und Fremd­sprach­ler jeg­li­cher Cou­leur als Deutsch­spre­chen­de bzw. Deutsch­spra­chi­ge eine ad­ap­ti­ve, re­pu­bli­ka­nisch ver­fass­te, selbst­re­gu­lie­ren­de Sprach­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­mein­schaft mit fa­cet­ten­reich aus­dif­fe­ren­zier­ten, ten­den­zi­ell frei­heit­lich-de­mo­kra­ti­schen, un­über­sicht­li­chen Tei­l­öf­fent­lich­kei­ten. Plu­ri­di­men­sio­na­li­tät und par­ti­ku­la­ri­sier­te, os­zil­lie­ren­de Re­prä­sen­ta­ti­ons­ni­veaus kenn­zeich­nen sie wei­ter. Als psy­cho­phy­si­sche Kom­mu­ni­ka­ti­ons­part­ner blei­ben nicht nur alle Deutsch­spre­chen­den stets lo­ka­li­sier­bar. Und staats­na­tio­na­le Klas­si­fi­zie­run­gen und Ver­recht­li­chun­gen lösen sich zwar nicht flugs in vir­tu­el­le Me­di­en­rea­li­tä­ten auf. Doch staats­na­tio­na­le Bü­ro­kra­ti­en und in den pro­fes­sio­na­li­sier­ten Me­di­en agie­ren­de, par­tei­po­li­ti­sche oder sonst­wie be­güns­tig­te Bil­dungs­ko­hor­ten und Grup­pen­re­prä­sen­tan­ten kön­nen spä­tes­tens seit Ende des 20. Jahr­hun­derts weder die Ar­ti­ku­la­ti­ons­mo­di und Denk­fi­gu­ren, noch die In­for­ma­ti­ons­flüs­se und Kom­men­tie­rungs­we­ge der sprach­lich-öf­fent­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­on in den in­no­va­ti­ven, tech­no­lo­gisch und wirt­schaft­lich hoch ent­wi­ckel­ten und dicht ver­netz­ten In­dus­trie­staa­ten ef­fek­tiv re­gu­lie­rend und nor­mie­rend be­vor­mun­den. Die Hy­po­form des trans­na­tio­na­len Ge­gen­warts­deut­schen stellt dazu eine Probe aufs Ex­em­pel dar.

Die ak­tu­ell eu­ro­pa­zen­triert do­mi­nie­ren­de, na­tio­nal­ter­ri­to­ria­le Plu­ri­zen­tri­zi­tät des ge­gen­warts­deut­schen Sprach­sys­tems ent­hält noch jene Do­mi­nanz des mit­tel­eu­ro­pä­isch ge­schlos­se­nen Kern­ge­biets als Cen­tral Eu­ropean Ger­man. Lang­fris­tig dürf­te sie an Ein­fluss ver­lie­ren. Der Be­griff der nor­ma­tiv-prä­skrip­tiv hy­post­asier­ten, zen­tral­eu­ro­pä­isch fi­xier­ten Stan­dard­hier­ar­chie er­üb­rigt sich. Bis­he­ri­ge Stan­dard­va­rie­tä­ten des Neu­hoch­deut­schen ver­wan­deln sich in mu­se­al an­mu­ten­de Sub­sys­te­me. Ähn­lich er­geht es dem vor­mals his­to­risch-so­zi­al ge­präg­ten, schier un­über­wind­li­chen Ter­mi­nus der deut­schen Na­tio­nal­spra­che. Das stran­gu­lie­ren­de Prin­zip cuius regio eius lin­gua lässt sich heute weder eli­tär noch übers Sprach­be­wusst­sein macht­si­che­rungs­dy­na­misch wie im 19. und 20. Jahr­hun­dert durch­set­zen. Die fest­ge­stell­te Ab­lö­sung na­tio­nal­sprach­li­cher Iden­ti­fi­zie­run­gen und Klas­si­fi­zie­run­gen von der in­ne­ren He­te­ro­ge­ni­tät des sprach­li­chen Ge­samt­sys­tems deutsch ['dɔjtʃ] »und der deutsch spre­chen­den Gro­ß­grup­pe« schien lange Zeit die Vor­aus­set­zung dafür ge­we­sen zu sein, »daß dem Deut­schen eine im Ver­gleich zum eben­so ho­mo­gen ge­se­he­nen Fran­zö­si­schen, Eng­li­schen, Ja­pa­ni­schen u.s.w. spe­zi­fi­sche ko­gni­ti­ve Leis­tung zu­ge­schrie­ben« wurde. Dies »auf der Basis idea­lis­ti­scher sprach­phi­lo­so­phi­scher Tra­di­tio­nen seit der Goe­the­zeit bis hin zur Sprach­in­halts­for­schung des 20. Jahr­hun­derts« (Reich­mann: 516). Wor­aus mit pro­se­mi­na­ris­ti­scher Akri­bie ein na­tio­nal in­ter­pre­tier­ba­res In­halts- und Hand­lungs­leit­sys­tem de­stil­liert wurde. Die der­ge­stalt her­ge­lei­te­te, na­tio­nal­kul­tu­rel­le Leit­mo­ti­vik die­ses In­halts- und Hand­lungs­leit­sys­tems stell­te mit all sei­nen Ge­ne­ra­li­sie­run­gen, Dif­fe­ren­zie­run­gen, sowie durch schrift­sprach­li­che Prä­fe­renz er­zeug­ten Be­ob­ach­tungs­feh­lern, Kon­no­ta­tio­nen und in­ad­äqua­ten Ko­di­fi­zie­run­gen so­zu­sa­gen die iden­ti­fi­ka­ti­ons­fä­hi­ge feste Welt-Vor­ga­be und das vor­aus­ge­setz­te Be­din­gungs­ge­fü­ge für jede sprach­lich ver­mit­tel­te Kom­mu­ni­ka­ti­on ge­gen­warts­deut­scher Sprach­teil­ha­ber/innen dar. Eine leicht­fü­ßig pro­pa­gier­te Hy­po­the­se war durch viele Wie­der­ho­lun­gen zur Qua­si-Tat­sa­che idea­lis­ti­scher, sprach­phi­lo­so­phi­scher Tra­di­ti­on ge­wor­den. Eben­so war sie die Vor­aus­set­zung »für Spei­che­rung, Wei­ter­ga­be von Kennt­nis­sen sowie für na­tio­na­les Han­deln« und band die Sprach­be­nut­zer/innen, »vor allem die Ler­nen­den, an das ko­gni­ti­ve Sys­tem­mus­ter oder ›Welt­bild‹ der Spra­che« mit dem Ar­gu­men­ta­ti­ons­ziel »De­ter­mi­na­ti­on der Kul­tur­na­ti­on als Staats­na­ti­on« (Reich­mann: 517). Durch Ho­mo­ge­ni­sie­rung und Re­duk­ti­on rea­ler Kom­ple­xi­tä­ten wurde ein den hu­man­kom­mu­ni­ka­ti­ven Em­pi­ri­en ent­ho­be­ner, fik­tiv ver­ding­lich­ter Ge­gen­stand ge­schaf­fen, eine ver­häng­nis­vol­le Rea­li­täts­kon­struk­ti­on. Dem­ge­gen­über ver­an­schla­gen wir die in­halt­li­chen Ge­mein­sam­kei­ten zwi­schen ei­ni­gen Sub­sys­te­men des Ge­samt­sys­tems Deutsch ge­rin­ger als die in­halt­lich-re­fe­ren­zi­el­len Ge­mein­sam­kei­ten zwi­schen be­stimm­ten (z.B. fach­sprach­li­chen) Sub­sys­te­men des Deut­schen mit ei­ni­gen Sub­sys­te­men an­de­rer glo­bal agie­ren­der, eu­ro­päi­scher Spra­chen und mit dem ers­ten, nicht ma­kel­lo­sen aber frei­en, me­di­en­tech­no­lo­gisch op­ti­mier­ten, trans­na­tio­na­len Ma­kro-Sys­tem un­ter­ein­an­der welt­weit ver­bun­de­ner End­ge­rä­te, Me­di­en­dienst­an­ge­bo­te, Netz­wer­ke und Web-Brow­ser, so­wohl in All­tags­ge­sprä­chen wie in fach­sprach­li­cher und trans­fer­sprach­li­cher Hin­sicht. Die ko­gni­ti­ve Leis­tung wird damit nicht ein­fach aus den Staats­völ­kern und Volks­grup­pen [mit­tel­lat.: na­cio­nes] her­aus­ge­nom­men, son­dern auf den Re­prä­sen­ta­ti­ons­ni­veaus die­ses le­ben­di­gen, pro­duk­ti­ven wie re­pro­duk­ti­ven trans­na­tio­na­len Aprio­ris der ge­gen­warts­deut­schen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­mein­schaft stän­dig neu zur Dis­kus­si­on ge­stellt. Deren Leit­funk­ti­ons­va­rie­tät, über­wie­gend in Ge­stalt plu­ri­zen­tri­scher Hy­po­form und viel we­ni­ger als vor­bild­li­che ka­no­ni­sche Form, muss sich täg­lich neu be­haup­ten, be­wei­sen, kon­fi­gu­rie­ren, re­pro­du­zie­ren und re­spe­zi­fi­zie­ren. Was sich in den Ma­ni­fes­ta­ti­ons­for­men des trans­na­tio­na­len Ge­gen­warts­deutsch er­folg­reich im­ple­men­tiert und im Usus durch­setzt, ist die Norm, wozu es kei­ner Kom­mis­si­on oder Sprach­po­li­zei be­darf.

Web, Wis­sen­schafts­kom­mu­ni­ka­ti­on und Hy­po­form

Die sprach­lich-öf­fent­li­che Sym­bol­kom­mu­ni­ka­ti­on wurde seit den 1990ern von Web-Spra­chen-Nut­zern um­struk­tu­riert und in ihren Wand­lungs­ten­den­zen be­schleu­nigt. Was zu einer Ero­si­on der are­al­lin­gu­is­tisch tra­dier­ten Öf­fent­lich­keits­vor­stel­lun­gen führ­te. Die vir­tu­el­le und die wirk­li­che Welt wurde me­di­en­rhe­to­ri­scher (Nickl 2007; 2011: 279-324). Zur ver­nünf­ti­gen Ein­schät­zung der Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Sprach­wirk­lich­keit ge­hö­ren ge­si­cher­te Kennt­nis­se über die Ver­tei­lung der über­wie­gend ge­spro­che­nen Spra­chen der Erde und ver­läss­li­che In­for­ma­tio­nen über die tat­säch­li­che, ak­tu­el­le, welt­wei­te Sprach­ver­wen­dung von In­ter­net­nut­zern wie So­ci­al Media Ak­teu­ren und Re­zi­pi­en­ten zu­nächst nach ihren Pri­mär­spra­chen/Mut­ter­spra­chen. Wenn auch die Grund­ge­samt­heit deut­scher Mut­ter­sprach­ler mit ca. 96 oder 98 Mill. re­tar­die­rend bzw. leicht rück­läu­fig, den­noch zu knapp an­ge­setzt sein mag (siehe de.​wikipedia.​org/​wiki/​Deutsche_​Sprache), be­haup­tet das di­gi­ta­li­sier­te, in­ter­na­tio­na­le Con­tem­pora­ry Ger­man/Stan­dard Ger­man/Trans­na­tio­nal Ger­man/Glo­bal Ger­man, einen (noch) mitt­le­ren Platz auf der Top-Ten-Ska­la der In­ter­net­spra­chen, d.h. im mo­der­nen, tech­no­lo­gisch ak­tu­el­len web­de­mo­kra­ti­schen Leit­me­di­um. An­ge­sichts über 6900 na­tür­li­cher Spra­chen keine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Deut­sche Pu­bli­ka­tio­nen wer­den welt­weit von einem wohl re­le­van­ten, aber kaum kon­kret zu be­zif­fern­den Teil der Sci­en­ti­fic Com­mu­ni­ty re­zi­piert. In Mün­chen wurde Deutsch als Wis­sen­schafts­spra­che be­reits seit Grün­dung der Baye­ri­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten 1759 »zu Nutz und Ehr« von Kur­fürst Ma­xi­mi­li­an III. Jo­seph ver­wen­det. Heute ist Deutsch als Wis­sen­schafts­spra­che wie­der­um eine Min­der­hei­ten­spra­che. Wie zahl­rei­che Au­to­ren zu­recht mo­nie­ren, steht die Selbst­be­haup­tung des Ge­gen­warts­deut­schen in den Wis­sen­schaf­ten zur De­bat­te, neben der Kon­kur­renz­fä­hig­keit deutsch­spra­chi­ger Wis­sen­schaft­ler. Mit Blick auf das in der Wort­bil­dung fach­sprach­lich ro­ma­ni­sier­te und grä­zi­sier­te, äu­ßerst fle­xi­ble, an­glo­ame­ri­ka­ni­sche English als wort­schatz­reichs­te Welt-Wis­sen­schafts­spra­che und Mis­si­ons­spra­che der Wes­tern Edu­ca­ti­on geht es unter dem Eti­kett ›Glo­ba­li­sie­rung‹ zwar nicht ex­pli­zit um die ex­klu­si­ve He­ge­mo­nie des Su­perna­tio­nal­staats USA, wohl aber um eine kri­tik­wür­di­ge, sprach­po­li­ti­sche He­ge­mo­nie in­ner­halb des welt­wei­ten Hoch­schul- und Wis­sen­schafts­be­triebs. Ei­ner­seits ein ma­ni­fes­tes Er­geb­nis bei­der Welt­krie­ge, an­de­rer­seits ein Er­geb­nis kul­tur­im­pe­ria­ler bis ko­lo­nia­lis­ti­scher Macht­durch­set­zung. Seit der Nach­kriegs­zeit gibt es keine wis­sen­schafts­sprach­po­li­ti­sche Ent­schei­dungs­si­tua­ti­on mit einer nen­nens­wer­ten Wahl­frei­heit mehr. Diese Wis­sen­schafts­sprach­si­tua­ti­on hat Re­ser­vat-Cha­rak­ter, nicht nur ex­klu­siv fürs Ge­gen­warts­deut­sche.

Ko­di­fi­zie­rungs­fra­gen des mut­ter­sprach­li­chen, zweit- und drittsprach­li­chen Ge­gen­warts­deutsch kön­nen wir hier nur strei­fen. Seit dem »Or­tho­gra­phi­schen Wör­ter­buch der deut­schen Spra­che« von Kon­rad Duden (1880) sind der deut­schen Re­ge­lungs­wut in Sa­chen Recht­schreib­re­form kaum Gren­zen ge­setzt. Die 25. Auf­la­ge des Recht­schreib-Du­dens ist 2009 er­schie­nen, die 26. Mitte 2013. Durch­schnitt­lich alle fünf Jahre neue Or­tho­gra­phie-Kon­ven­tio­nen, meist phi­lo­lo­gisch, manch­mal etwas sprach­prag­ma­tisch, meist schul­meis­ter­lich, haupt­säch­lich aber nor­ma­tiv-prä­skrip­tiv in­dok­tri­nie­rend und frag­los mer­kan­til mo­ti­viert. Ge­gen­warts­deut­sche Misch­gram­ma­ti­ken und Stil­wör­ter­bü­cher sind wei­te­re Ge­bie­te der Aus­ein­an­der­set­zung über nor­ma­ti­ve Gel­tungs­fra­gen. Etap­pen der Aus­spra­che­nor­mie­rung sind seit 1898 »thea­ter­mä­ßig« fi­xiert (›Siebs‹). Und erst seit der 15. Auf­la­ge des ›Siebs‹ (1930: 12 f.) we­nigs­tens teil­wei­se auf af­fekt­neu­tra­le, »ru­hi­ge und ver­stan­des­mä­ßi­ge«, sowie auf af­fek­ti­ve hoch­sprach­li­che Rede au­ßer­halb des Büh­nen­deutsch und der Nor­mie­rung des Vers­dra­mas aus­ge­rich­tet. Etwa seit Mitte der 1960er Jahre be­an­sprucht die im Hör­funk ge­pfleg­te Aus­spra­che eine ge­wis­se Gel­tung (WDA 1964; Krech 2009). Mit dem 1969er ›Siebs‹ er­folg­te zwar die Ab­wen­dung von der büh­nen­deut­schen Aus­rich­tung durch die so­ge­nann­te ›reine und ge­mä­ßig­te Hoch­lau­tung‹, aber viel zu ein­sei­tig mi­ni­mal­seg­ment­be­zo­gen, sil­ben­pho­ne­tisch und wort­pho­ne­tisch-kon­text­frei fehl­kon­zi­piert, nicht etwa an zu­sam­men­hän­gen­der Rede, Sprech­t­ak­ten und ma­kro­seg­men­ta­len Phra­sie­rungs­ein­hei­ten aus­ge­rich­tet. Ge­spro­che­ne deut­sche Ge­gen­warts­spra­che, ›un­sau­be­re lan­gue‹, wurde noch in der phi­lo­lo­gisch do­mi­nier­ten, deutsch­spra­chi­gen Staats­be­am­ten­welt der 1970er Jahre kei­nes­wegs ge­ne­rell als se­riö­ser For­schungs- und Nor­mie­rungs­ge­gen­stand ak­zep­tiert. Mit dem di­gi­ta­li­sier­ten, glo­ba­len Ge­gen­warts­deutsch gro­ßer Web-Reich­wei­ten ist je­doch eine un­über­sicht­lich kom­ple­xe, he­te­ro­ge­ne, me­di­en­kul­tu­rell ver­mit­tel­te, pro­zes­sua­le Netz­struk­tur der trans­lo­ka­len und trans­na­tio­na­len Sprach­kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­mein­schaft ent­stan­den, die dok­tri­nä­re Top-down-Vor­ga­ben zur, wie es selbst­dar­stel­lend on­line heißt: »ma­ß­geb­li­chen In­stanz für alle Fra­gen zur deut­schen Spra­che und Recht­schrei­bung« (DUDEN »über Duden«, www.​duden.​de/​ueber_​duden), nicht mehr blan­ko ak­zep­tiert. Zwar tau­schen sich die Kom­mu­ni­ka­ti­ons­part­ner nach wie vor auch text­pu­bli­zis­tisch und text­gram­ma­tisch mit sym­bol­sprach­lich al­pha­be­ti­sier­ten, ver­schrift­lich­ten Mit­teln und Dar­stel­lungs­misch­for­men aus und pen­deln dabei os­zil­lie­ren­de Ge­brauchs­nor­men ein. Der etwa hun­dert Jahre be­wusst de­ran­gier­te Stel­len­wert au­dio­vi­su­el­ler ge­gen­warts­deut­scher Ge­sprächs­rhe­to­rik tritt mitt­ler­wei­le gleich­ge­wich­tig neben Schrift­deutsch und Schreib­un­ter­richt her­vor. Die prin­zi­pi­ell be­lie­big re­pro­du­zier­ba­ren Aus­gangs­da­ten des Glo­bal Ger­man stel­len zum be­trächt­li­chen Teil eine me­di­en- und web­ver­mit­tel­te Kul­tur der ge­spro­che­nen Spra­che dar. Die 7. Auf­la­ge der Du­den-Gram­ma­tik ent­hält erst­mals ein Schluss­ka­pi­tel über »Ge­spro­che­ne Spra­che«: 2005. In der 8. Auf­la­ge der Du­den-Ge­brauchs­gram­ma­tik wur­den Ver­to­nun­gen (Au­dio­da­tei­en) zu den Buch­ka­pi­teln »In­to­na­ti­on« und »Ge­spro­che­ne Spra­che« on­line an­ge­bo­ten: 2009. Gel­tungs­fra­gen der deutsch­spra­chi­gen Or­tho­epie wer­den an­ge­sichts der mut­ter­sprach­li­chen und fremd­sprach­li­chen Un­gleich­hei­ten struk­tu­rell be­ding­ter eth­ni­scher Schich­tun­gen und so­zia­ler Dis­tan­zen künf­tig in den Vor­der­grund tre­ten, eben­so in der Lehr­ver­mitt­lung in­ter­kul­tu­rel­ler Kom­mu­ni­ka­ti­on. Nor­ma­ti­ve Zu­ord­nun­gen und Mess­bar­keits­fra­gen ma­kro­seg­men­ta­ler sprech­sprach­li­cher und rhe­to­ri­scher Phra­sie­rungs­ein­hei­ten dürf­ten bei der Re­spe­zi­fi­ka­ti­on von Ar­gu­men­ta­ti­ons- und Sinn­zu­sam­men­hän­gen eine weit­aus wich­ti­ge­re Rolle spie­len als Mi­ni­ma­l­er­eig­nis­pho­ne­tik, Sil­ben­pho­ne­tik oder kon­tex­ti­so­lier­te Wort­pho­ne­tik. Pro­so­di­sche To­le­ranz­brei­ten ver­wen­de­ter Sprach­sti­le und Sprech­sti­le wer­den sich in der künf­ti­gen glo­ba­len Leit­va­rie­tät des Ge­gen­warts­deut­schen glei­cher­ma­ßen selbst­re­gu­la­tiv ein­pen­deln.

1. We­ni­ger in der auf­wän­dig ko­di­fi­zier­ten ka­no­ni­schen Form, mehr in der Hy­po­form und mit den Funk­tio­nen trans­fer­sprach­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on spielt das Ge­gen­warts­deut­sche eine er­wäh­nens­wer­te und re­spek­ta­ble Rolle im glo­ba­len Kon­zert der Sprach­kom­mu­ni­ka­ti­on: face-to-face in­ter­per­so­nal, als Trans­mis­si­ons­rie­men in den So­ci­al Media, als spe­zi­el­le Lin­gua fran­ca, sowie als Zweit- und Drittspra­che. Es geht nicht um die Aus­dif­fe­ren­zie­rung einer mu­sea­len Na­tio­nalphi­lo­lo­gie. Als stan­dar­di­sie­rungs­freund­li­ches wie nor­ma­tiv-li­be­ra­li­sie­rungs­fä­hi­ges und ad­ap­ti­ves Selbst­re­gu­lie­rungs­sys­tem lässt sich das Ge­gen­warts­deut­sche hin­sicht­lich wis­sen­schaft­li­cher Me­tho­den­an­wen­dung, be­ob­acht­ba­rer und be­ar­beit­ba­rer Da­ten-Cor­po­ra in­ter­dis­zi­pli­när pas­send in den Kom­mu­ni­ka­ti­ons-, Sprach- und So­zi­al­wis­sen­schaf­ten, oder den Be­ha­vioral Sci­en­ces, an­ge­sichts des ex­pe­ri­men­tel­len, no­n­in­va­si­ven, tech­no­lo­gi­schen Me­tho­den-Fort­schritts auch in den Hu­man­wis­sen­schaf­ten und nicht zu­letzt nahe bei den Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten ver­an­kern. Die ty­pisch mit­tel­eu­ro­pä­isch be­ding­te, präro­ga­ti­ve Si­tu­ie­rung im Rah­men de­skrip­ti­ver Phi­lo­lo­gi­en ist nicht zwin­gend. Ge­ra­de dies könn­te es Hoch­schu­len und Uni­ver­si­tä­ten in Über­see er­leich­tern, trans­na­tio­na­les Deutsch mit mo­dera­ter Nor­mie­rung in­ter­fach­lich zu in­kor­po­rie­ren, an­ge­mes­sen zu si­tu­ie­ren und zu pfle­gen, be­sagt: das Ge­gen­warts­deut­sche als Glo­bal Ger­man in aus­ge­wähl­ten Hy­po­for­men, was in Kom­pe­tenz und Per­form­anz leich­ter zu meis­tern ist und mit den er­prob­ten, plau­si­blen Goe­the-Zer­ti­fi­kats­ni­veau­stu­fen für be­ruf­li­ches Deutsch (B2-Be­rei­che), C1, für Wirt­schafts­deutsch (PWD) und Test­DaF kom­pa­ti­bel er­scheint.

2. Vor­aus­ge­setzt, das glo­ba­le, me­di­en­ver­mit­tel­te Ge­gen­warts­deutsch wird die künf­ti­ge, eklek­tisch kom­po­nier­te Hy­po­form-Leit­va­rie­tät der deut­schen Ge­gen­warts­spra­che, dann wird es nicht mehr mit ›Cen­tral Eu­ropean Stan­dard Ger­man‹ iden­tisch sein. Die pri­mär- wie trans­fer­sprach­li­che Ge­stalt die­ses glo­ba­len Ge­gen­warts­deut­schen wird de­zen­tral und in glo­ba­ler Mo­du­la­ti­ons­brei­te plu­ri­zen­trisch un­ein­heit­lich kon­sti­tu­iert sein. Be­deu­tet, deren nor­ma­ti­ve Gel­tung wird lang­fris­tig nicht ex­klu­siv in Zen­tral­eu­ro­pa be­stimmt. Wis­sen­schaft­li­che Sprach­pfle­ge und Ver­bes­se­rung der Sprach­kul­tur des glo­ba­len Ge­gen­warts­deutsch fin­det von Ade­lai­de über Bar­naul, Kiew, Osaka, Phil­adel­phia bis Wind­huk statt, nicht nur im Drei­eck Ber­lin-Wien-Zü­rich. Und Du­den­re­dak­tio­nen blei­ben wohl auch künf­tig dis­kus­si­ons­star­ke und ein­fluss­rei­che Dreh­schei­ben. Trans­na­tio­na­les Ge­gen­warts­deutsch als fle­xi­bel an­ge­pass­te Zweit- und Drittspra­che und als Lin­gua fran­ca bzw. Trans­fer­spra­che in Bil­dung, Wis­sen­schaft, Wirt­schaft und Tou­ris­mus zu för­dern, al­ler­dings in Mor­pho­lo­gie und Syn­tax kom­ple­xi­täts­re­du­ziert und mit merk­lich bis dras­tisch ab­ge­speck­ter, or­tho­gra­fi­scher Nor­mie­rung. Zu er­war­ten ist eine web­sprach­lich sich de­re­gu­lie­ren­de, ver­ein­fach­te Schreib­kon­ven­ti­on; da­ne­ben me­di­en- und dar­stel­lungs­form­be­zo­ge­ne, part­ner­ver­samm­lungs­ge­rech­te Nut­zung und re­pres­si­ons­freie Wahl­frei­heit zwi­schen al­ter­na­ti­ven, ver­ständ­li­chen, zu­mut­ba­ren Recht­schreib­va­ri­an­ten (Recht­schrei­bungs­de­ri­va­te). Und nach wie vor at­trak­ti­ve krea­ti­ve Wort­bil­dung, die frei­es­te Ver­an­stal­tung im Deut­schen. Die­ses or­tho­gra­fisch-le­xi­ka­lisch wie or­tho­episch-pro­so­disch mo­dera­te Sze­na­ri­um mit plu­ra­lis­ti­scher Ko­di­fi­zie­rung, ef­fek­tiv aus­ge­mit­tel­ter Pho­no­s­ti­lis­tik und Norm-To­le­ranz­brei­te dürf­te für das trans­na­tio­na­le Ge­gen­warts­deutsch aus­sichts­reich sein.

3. Die Pro­gno­se für eine ober­flä­chen­lin­gu­is­tisch hy­per­op­ti­mier­te, gra­phe­ma­tisch ver­kom­pli­zier­te, teils gegen den Usus (ohne aus­rei­chen­de Test­pha­sen und em­pi­risch be­wer­tungs­fä­hi­ge Tri­al-and-Er­ror-Er­fah­run­gen) schul­meis­ter­lich über­ko­di­fi­zier­te und wenig li­be­ra­li­sie­rungs­fä­hi­ge Mut­ter­spra­che mit un­nö­ti­gen Kom­ple­xi­täts­schran­ken dürf­te un­güns­ti­ger aus­fal­len. Das 1998er Recht­schreib­re­gel­werk des Ge­gen­warts­deut­schen samt Än­de­rungs­ka­ta­log von 2006, wie von der Kul­tus­mi­nis­ter­kon­fe­renz und der Mi­nis­ter­prä­si­den­ten­kon­fe­renz be­schlos­sen, mag mit dem nö­ti­gen Res­sour­cen-Auf­wand in mit­tel­eu­ro­päi­schen Amts­stu­ben und Schu­len und bei den über­wie­gend re­gie­rungs­ab­hän­gi­gen, aus­län­di­schen deut­schen Kul­tur-In­sti­tu­tio­nen re­pres­si­ons­ver­däch­tig durch­ge­setzt wer­den, nicht zu­letzt zur Freu­de des Print­me­di­en- und Ver­lags­we­sens. Or­tho­gra­fie ist ein Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ve­hi­kel, eine mehr oder we­ni­ger be­nut­zer­freund­li­che Kul­tur­tech­nik, keine Wis­sen­schaft. Or­tho­gra­fie soll­te von der Mo­du­la­ti­ons­brei­te des Sprach­ge­brauchs und des­sen ob­jek­ti­vier­ba­rem Ge­mein­sam­keits­mi­ni­mum, von mög­lichst ein­fa­chen und sich sel­ber aus­mit­teln­den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ge­pflo­gen­hei­ten, vom Me­di­en- und Web-Usus be­stimmt und her­ge­lei­tet sein. Beim Spre­chen, Lesen und Schrei­ben kommt es auf den Usus an. Das 1998er Recht­schreib­re­gel­werk samt Up­grade-Ver­si­on 2006 stellt einen wei­te­ren Pyr­rhus­sieg der Bü­ro­kra­ten dar. Ist nicht mit lin­gu­is­ti­schem Fort­schritt zu ver­wech­seln.

4. Die fe­mi­nis­tisch über­zo­ge­ne Po­li­ti­sie­rung und über­flüs­si­ge Zu­satz-Nor­mie­rung des Sprach­ge­brauchs mit ab­schre­cken­der Mor­pho­lo­gie (Sub­stan­tivsuf­fix-Ver­kom­pli­zie­rung, Fle­xi­ons­en­dungs­prä­zi­sie- rung) seit den 1980er Jah­ren, die in der ge­sell­schafts­kri­ti­schen Dis­kus­si­on in­zwi­schen aus­ge­blen­det, wenn nicht ein­fach ta­bui­siert wird, hat das Er­ler­nen der deut­schen Ge­gen­warts­spra­che ob­jek­tiv er­schwert, nicht zu­letzt für Aus­län­der. Eine Auf­klä­rungs­kam­pa­gne zur Un­ter­schei­dung von bio­lo­gi­schem und gram­ma­ti­schem Genus wäre aus­rei­chend, an­ge­mes­se­ner und we­sent­lich bil­li­ger ge­we­sen. Deutsch­spra­chi­ge Land­ta­ge, oben­drein der Bun­des­tag, brach­ten de­li­ka­te Sprach­re­ge­lun­gen zur Gleich­be­hand­lung der Ge­schlech­ter (Sti­ckel 1988) zu­stan­de, der­ge­stalt, dass die Se­xus-Un­ter­schei­dung als grund­le­gen­des recht­li­ches Wahr­neh­mungs­kri­te­ri­um in Bun­des- und Lan­des­ge­set­zen sowie in Un­men­gen von Ver­wal­tungs­tex­ten fest­ge­schrie­ben wor­den ist: ein Bä­ren­dienst, eine ab­sur­de Ver­schlimm­bes­se­rung des Ge­gen­warts­deutsch.

5. Das über­ko­di­fi­zier­te Ge­gen­warts­deutsch als ka­no­ni­scher So­zio­lekt ad­mi­nis­tra­ti­ver und li­te­ra­tur­sprach­li­cher Funk­ti­ons­eli­ten wird per­ma­nent um Be­sitz­stands­si­che­rung kämp­fen müs­sen. Mehr Hy­po­form, we­ni­ger ka­no­ni­sche Form und viel we­ni­ger be­am­ten­lin­gu­is­ti­sche Lust an Top-down-Kon­trol­le und prä­skrip­ti­ver Hyper-Re­gu­lie­rung fürs fle­xi­ble, po­ly­zen­tri­sche Ge­gen­warts­deut­sche, das ist aus­sichts­rei­cher. Die trans­na­tio­nal-trans­ver­sa­le Leit­va­rie­tät des Ge­gen­warts­deut­schen wer­den Hy­po­for­men bil­den. Kas­par von Stie­ler († 1707) hätte diese fle­xi­ble Rea­li­sa­ti­ons­form des Kul­tur- und Volks­grup­pen-Na­tio­nen und Ter­ri­to­ri­en über­grei­fen­den Ge­gen­warts­deut­schen höchst­wahr­schein­lich als Neue hoch­teut­sche Reichs­sprache be­zeich­net.

Li­te­ra­tur

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