Ich saß einmal mit der genialen Autorin Shubnum Khan auf einem Podium, einer Südafrikanerin mit indischen Wurzeln. Die erste Frage, die ihr gestellt wurde, war: »Was halten Sie von Jacob Zumas außenpolitischen Prioritäten?« Sie versuchte, diese Frage zu beantworten, aber dann mischte ich mich ein. Ich fragte den Moderator, ob er eine deutsche Schriftstellerin, die gerade ein gescheites Buch über die Liebe in unserer Zeit geschrieben hat, bitten würde, zu Frau Merkel Stellung zu nehmen. Die Zuhörer applaudierten, der Moderator lachte, und von da an redeten wir über Bücher. Aber die Szene zeigt ein typisches Denkmuster: nämlich dass afrikanische Schriftsteller im Grunde Soziologen sind, verkleidet als Künstler. Klar, es gibt Autoren – ziemlich nervige –, die gern Polemiken schreiben, andere, die politische Satire und elegante Gesellschaftskritik verfassen. Aber anzunehmen, dass alle afrikanischen Autoren insgeheim Sozialwissenschaftler seien, bedeutet grundsätzlich einen mangelnden Respekt vor den künstlerischen Fähigkeiten dieser Autoren. Letzten Endes heißt das, dass ich, eine afrikanische Schriftstellerin, Bürgerin eines nichtexistenten Afrika, nur über die Gegebenheiten des Afrikanisch-Seins schreibe und mich dementsprechend betätigen sollte. Vergessen wir Familienverhältnisse, Beziehungskatastrophen, intellektuelle Überlegungen – die ganzen menschlichen Aspekte sind zweitrangig im Vergleich zu dem offensichtlichen Afrikanisch- Sein. Was mich bei dieser Frage, die Shubnum gestellt wurde, am meisten kränkt – und auch bei den Fragen, die mir gestellt werden, selbst wenn sie noch so gut gemeint sind –, ist die implizite Unterstellung, dass das, was afrikanische Schriftsteller über ihre Bücher denken, weniger interessant, weniger wertvoll ist als ihre Gedanken über Afrika. Das Problem ist nicht, dass wir so oft gebeten werden, über Politik, Identität und Immigration zu sprechen, sondern dass man uns so viel seltener bittet, über unsere Kunst zu sprechen.

Ich wäre geduldiger angesichts dieser Tendenz in der Kritik und im Journalismus, wenn die Kriterien auf sämtliche Schriftsteller angewandt würden, unabhängig von ihrer Hautfarbe, aber dem ist nicht so. Wenn in den USA ein Schriftsteller weiß ist – und vor allem, wenn er ein Mann ist –, dann bezeichnen wir ihn immer als »Künstler« und konzentrieren uns auf seine Kunst. Wir befassen uns mit seiner unverwechselbaren Stimme, mit den Details seines Stils, mit dem Innenleben seiner Figuren, und dazu stellen wir ihm Fragen. Wenn der Autor schwarz ist – egal ob Ghanaer, Inder, Dominikaner oder noch besser: Immigrant –, ist er für uns ein »Bürger«, ein Repräsentant seiner Art. Wir befassen uns mit den politischen Bedingungen in seinem Land, mit dem Ergebnis des letzten Krieges dort, und wir machen aus ihm ein Musterbeispiel – allerdings nicht für eine künstlerische Herangehensweise, sondern für eine Erfahrung. Dieses Jahr im Mai veröffentlichte Amit Majmudar einen Artikel in der New York Times mit der Überschrift Am I an »Immigrant Writer«? Der Artikel beginnt folgendermaßen: »Neulich habe ich zu meiner großen Verwunderung erfahren, dass ich einen Roman über Immigrationserfahrung geschrieben habe. Ich hatte gedacht, ich hätte einfach über eine Mutter und eine Tochter geschrieben, aber der Klappentext erklärte mir, dass ich ›die Immigrationserfahrung neu beschrieben‹ habe.« Ich musste schallend lachen. Was Majmudar unterstreicht, ist, dass man dem schwarzen Schriftsteller – dem afrikanischen Schriftsteller, dem Immigrantenschriftsteller – das Recht verweigert, über Menschen zu schreiben. The Abundance ist ein genialer Roman über Kochen, Mütter, Tod und Fernsehen – aber für diejenigen, die ihn vermarkten wollen, ist The Abundance ein Roman über Immigration. Es stimmt, Majmudars Figuren sind indische Immigranten in den USA, so wie die Figuren von NoViolet Bulawayo Zimbabwer sind, die von Chimamanda Ngozi Adichie Nigerianer, die von Waclawiak Polen. Aber wenn wir diese Werke als Immigrantenromane klassifizieren, tun wir das, wovor Kweku Sai am meisten Angst hat: Wir lassen zu, dass die große Geschichte die kleineren auffrisst, die menschlichen.

In ebendiesem Artikel erinnert Majmudar später an Simic: »Literatur strebt danach, das Universelle durch das Spezifische auszudrücken; die Leser wollen sich mit den Figuren identifizieren, sie wollen sich selbst in ihnen finden.« In den kleinen Geschichten, in den spezifischen Geschichten entdeckt der Leser sein wahres Selbst, denn verborgen zwischen den fremden Details, ist das Menschliche, allen vertraut. Schließlich: Was mich an der Bezeichnung »afrikanische Literatur« besonders stört und ärgert, ist, dass sie suggeriert, die afrikanische Erfahrung stehe außerhalb der Welt des Universellen, ja, wenn afrikanische Figuren – oder Immigranten – als genauso universell zuzuordnen betrachtet würden wie zum Beispiel weiße Mittelschichtfiguren aus den Suburbs, würde man nicht mehr von afrikanischen Romanen sprechen. Wenn wir afrikanische Charaktere und afrikanische Geschichten aufnehmen würden in das »Allgemein Menschliche«, gäbe es nicht mehr viel, woran wir uns festklammern könnten, um das Fremde zu definieren, das angeblich die afrikanische Literatur ausmacht. Es ginge nicht mehr. »Literatur mit afrikanischen Figuren« würde Literatur mit menschlichen Figuren. »Literatur, die in Afrika spielt« würde wegen Joseph Conrad scheitern. Über »Literatur in afrikanischen Sprachen« würde Ngũgĩ wa Thiong’o sich freuen, doch die globale Verbindung, die meiner Meinung nach ein Roman anstrebt, würde dadurch ausgeschlossen. »Literatur, geschrieben von afrikanischen Personen« wäre vielleicht das zweitbeste Kriterium, aber auch hier wird die Sache schnell heikel: Wer ist eine »afrikanische Person«? Jemand, der in Afrika geboren wurde und anderswo aufgewachsen ist? Jemand, der anderswo geboren wurde und in Afrika aufgewachsen ist? Ägypter? Weiße Südafrikaner? Weiße Südafrikaner, die anderswo leben? Und was ist, wenn diese afrikanischen Personen Romane ohne afrikanische Figuren schreiben, wie das zum Beispiel bei Helen Oyeyemis brillantem Roman Mr. Fox der Fall ist? Helen wurde in Nigeria geboren (gut), ist aber in London aufgewachsen (kompliziert); heißt das, Mr. Fox ist ein afrikanischer Roman oder ein englischer? Topé Folarin, der mit mir in Oxford studierte, hat dieses Jahr den Caine Prize for African Writing gewonnen. Topé wurde in den USA geboren und ist auch dort aufgewachsen, seine Geschichte Miracle spielt in Florida. Teju Cole ist in Amerika auf die Welt gekommen (kompliziert), aber in Nigeria aufgewachsen (gut); Julius, sein Protagonist, ist Halbnigerianer und setzt nie einen Fuß auf afrikanischen Boden. Ist Open City ein afrikanischer Roman? Ist Teju ein afrikanischer Schriftsteller? Ich bin in London auf die Welt gekommen (kompliziert) und in Boston aufgewachsen (schlecht); meine nigerianische Mutter wurde in London geboren, mein Vater in Ghana, damals noch Goldküste. Ich spreche keine afrikanische Sprache und habe keinen afrikanischen Pass. Aber die Protagonisten meines Romans wurden in Ghana beziehungsweise Nigeria geboren. Ist Ghana Must Go also deshalb ein afrikanischer Roman, bin ich eine afrikanische Schriftstellerin? Oder kann es sein, dass – bei mir, genau wie bei Helen, Topé und Teju – diese penetrante Fixierung auf die Herkunft letztlich am Wesentlichen vorbeigeht?

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Sie sind essenziell für den Betrieb der Seite (keine Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.