Einübungen in Sklavensprache
Im Zeichen der Raute – pardon: des Hashtags – geboren zu sein: herbes Los. Dabei gibt es Lichtblicke. Ich zum Beispiel bevorzuge den (oder das?) Hashtag #stopit. Beiseite: es gibt ihn (oder es) auch mit Doppel-p, #stoppit geschrieben, aber die Zahl der damit erreichbaren Personen fällt um den Faktor zehn gegenüber der Ein-p-Version ab und erweist sich damit in der Praxis als #selbstschuss, auch #knieschuss genannt. Doch selbst solche Schüsse erweisen sich in der Praxis als hörbar. Der schönste je vernommene Knieschuss lautet übrigens #raute, schließlich weiß jeder (oder jede), was sich dahinter verbirgt, man muss es daher nicht eigens hinschreiben. Der (oder das) Hashtag #hashmich zum Beispiel, wechselweise mit oder ohne Zwischen-c geschrieben, ist ein Dauerbrenner. Allerdings hält sich niemand daran und deshalb bleibt aller Einsatz umsonst.
Um zum Thema zu kommen: Wissen Sie, woran man Sklavensprache erkennt? Nein? Gut, dann will ich Ihnen auf die Sprünge helfen. Zuvor will ich mich kurz vorstellen, denn im Netz, da sind wir alle gleich #einsam in unserer erworbenen Haut, sprich: im Mantel unserer Verdienste, und merken gleich, dass sie, auf die Entfernung berechnet, nicht in Betracht kommen, dass sie, im Gegenteil, den Träger unsichtbar machen. Warum? Weil er sich darin sicher wähnt. Der erste Rempler, und der verdienstvolle Mensch liegt gefällt am Boden. Deshalb: #stellen-sie-sich-vor!
Stellen Sie sich vor, Sie würden mich kennen: nein, ich bin nicht der Mann im Mantel mit rotem Schal, der gerade an Ihrer Behausung vorbeiweht, getragen vom Vollgefühl seines Termins beim Zahnarzt um die Ecke, der offenbar, nach langer Absenz, Privattermine abarbeitet, aber vielleicht nächste Woche schon wieder in häuslicher Quarantäne weilt. Ich bin’s nicht. Fast bin ich mir sicher, Sie würden mich selbst dann nicht erkennen, wenn ich mit einem Blatt Papier vor Ihrer Nase herumwedelte, denn ich bin ein schriftlicher Mensch und formuliere alles vor, bevor ich es ins Netz stelle. Gewiss! Das Netz ist das Schubfach, das meine Ergüsse birgt, ein wahres Schatzkästlein, welch Glück, dass keiner hineinschaut. Schauen Sie manchmal ins Netz? Ei ei, wen haben wir denn da? Da muss der Onkel Doktor aber ein paar unangenehme Dinge tun. Sperren Sie den Mund ruhig weiter auf, so ist’s recht, meine Sprechstundenhilfe wird Ihre Zunge jetzt ein wenig fixieren, ansonsten sollten Sie Ihren Rachenraum frei bewegen, nicht dass Sie die Maulsperre bekommen, falls Sie sie nicht schon haben.
Wo waren wir stehengeblieben? Im Netz? Im Netz steht alles, ob es stehenbleibt, weiß kein Mensch, und ob sich je ein Gott darum kümmern wird, ist auch ungewiss. Meine Ergüsse zum Beispiel… Aber ich will nicht von mir reden, das ermüdet die Corona, bloß bei dem Wort Ergüsse wird sie blitzwach und wartet darauf, dass von irgendwoher ein Aufschrei ertönt… Nun, der Aufschrei ist bei mir einkalkuliert, ich liefere ihn auch, bei mangelnder Resonanz, gern selbst. Neulich schrieb ich in einer Runde, in der ich mich ansonsten gut aufgehoben fühle, eine Entgegnung: Sie wissen, was eine Entgegnung ist? Jemand behauptet etwas und ein anderer rückt es in seinem Sinne zurecht. Na und, werden Sie fragen, wo ist das Problem? Da, genau da.
Der Sinn einer Entgegnung besteht, wie bekannt, darin, eine Behauptung, nennen wir sie A, nicht einfach stehenzulassen, als ob es dazu nichts weiter zu sagen gäbe – was, sagen wir, dem Sinn der Sprache zuwiderliefe und sicher auch etwas Ungehöriges hätte –, sondern sich mit ihr zu beschäftigen, sie etwas genauer zu betrachten, womöglich unter einem Vergrößerungsglas, vorsichtig an ihr zu klopfen, ob sie nicht am Ende ein wenig hohl klingt – kommt vor, kommt vor! –, auch braune Flecken wollen erkannt werden, denn da wird in der Regel gebohrt –: das alles macht Sinn. Es macht auch Arbeit, aber diese Arbeit enthält einen Lustfaktor, deshalb drechseln Menschen nichts lieber als eine Entgegnung. Wenn aber der in diesem geselligen Sinn mit Aufmerksamkeit Beehrte sich plötzlich losreißt, nicht etwa die Zunge herausstreckt, was allgemein als menschliche Regung durchgeht, sondern die Zähne fletscht … naja, vielleicht nicht fletscht, sondern zeigt, so dass der Andere weiß, es ist jetzt besser, die K** zu halten – was dann? Was dann, frage ich Sie. Ich weiß es nicht, vielleicht will ich’s auch gar nicht wissen.
Der Sklave, wissen Sie, hat keine Sprache. Man hat ihm die Zunge herausgeschnitten, that’s all. Apropos: ein Anglizismus, offenbar unübersetzbar bis auf den primitivsten Stummelausdruck hinunter, ist immer ein gutes Signal. Worüber man nicht in seiner Sprache reden kann, darüber hat man keine Verfügungsgewalt. Sorge dafür, dass die Hauptwörter der gegenwärtigen Kampagne unübersetzt bleibt, und ihr Sog wirkt unwiderstehlich. Eine Parole wie #flattenthecurve zum Beispiel steht jedem auf Hungerdiät gesetzten Luxuskörper quer durch die Seele geschrieben: Werde perfekt, kleine Hungermaus! Schön, dass jetzt die Weltgesellschaft, darunter die unverbesserlichsten Dickhäuter, gerade auf dieses Kommando hört, nachdem die Regierungen sich seine Durchsetzung auf die Fahnen geschrieben haben. Dafür die Polizei ausrücken zu sehen, ist schon Genuss. Die Wörter entstehen ja nicht aus gegebenem Anlass, nur weil plötzlich ein dringender gesellschaftlicher Bedarf besteht. Sie werden, wie die Medikamente, aus anderen Regalen gefischt und ausprobiert – könnte ja sein, dass man etwas damit erreicht. Mit den Wörtern kommt der Effekt: solange die Effekte nicht ausgehen, solange herrscht kein Mangel an Wörtern. Der Satz lässt sich auch umdrehen.
»Lösch mich, aber mach mich nicht an!« schrieb mir einer der Fans, die sich im Netz an meine Fersen geheftet haben, um Aufmerksamkeit gegen sich zu erregen. Der Satz ist bemerkenswert, weil er den Löschtrend, der sich seit einigen Jahren durch das einst als Menschheitsarchiv entworfene Netz zieht, in die eigene Person hinein verlängert. »Ich will nicht, dass man sich mit mir abgibt. Ich will nicht Rede und Antwort stehen. Lieber verschwinde ich. Bitte lass mich verschwinden. Bitte entferne mich aus deinem Universum. Nie war es so einfach: klick! Nur Mut, du kannst es.« Das ist schon mehr als das langweilige Recht auf die eigene Meinung. Das Beste daran ist natürlich, das Verschwindenlassen-Lassen als das heilige Recht auf Privatsphäre zu deklarieren. In den Archiven von Big Data ist alles verwahrt: dort herrscht Privatsphäre pur.
Ein anderer Freund schrieb mir, er sei »im Großen und Ganzen« einverstanden, mit was auch immer. Das ist, als gesellschaftliche Haltung, gewiss erstrebenswert, es entspricht den großen Traditionen des Buddhismus und des Katholizismus nebst einigen anderen, jüngeren. Aber es enthält doch den Denkfehler, dass es dem Briefpartner, in diesem Fall also mir, Abweichlertum unterstellt. Jedenfalls verstand ich so den leisen Tadel, der an der Stelle mitschwang. Ich ein Abweichler? Wer sagt das? Sie mögen kommen! Ich bin bereit, jedem die F** zu p**, was sage ich, ihm die S** im Munde g** zu lassen, der es mit mir in puncto Zuverlässigkeit aufnehmen will. Überhaupt, wer bloß ›im Großen und Ganzen‹ einverstanden zu sein behauptet, der ist doch, unter uns, ein Meckerer und ein Unzufriedener, der es sich nicht heraushängen lassen will. Eigentlich unterstellt er mir, ich sei bloß deshalb im Großen und Ganzen nicht einverstanden, weil es mir so leichter fällt, im Kleinen und im Detail mit von der Partie zu sein. Ich ein Mitläufer? Wie pervers ist das denn? Ich fürchte, die Zeit wird kommen, auch diese Freundschaft, wenn nichts Grundlegendes geschieht, mit einem klick! zu beenden.
Den modernen Sklaven, darin muss ich meinen Klickfreunden Recht geben, erkennt man daran, dass er schon weg ist. In dieser Hinsicht fällt der Sprache, wie so oft, eine entscheidende Rolle zu, da der Mensch, als Körper im Raum, eine träge Größe darstellt, der Einzelne mag sich dazu stellen, wie er will. Da und weg sein kann einer nur in der Sprache. Manche schaffen es, sehr weit weg zu sein, während man mit ihnen redet: diese wenigen sind Lehrmeister des Sklaventums oder sie haben kein Talent dazu. Beides ist denkbar. Überhaupt bleibt die Sprache zweideutig bis in die letzte Wendung. Sklave ist, wer sich die zweite Deutung verbietet. Dem anderen natürlich auch. Das führt zu einer weiteren Definition, ähnlich aussagekräftig wie die erste: Sklave ist, wer weiß, wann er dem anderen aufs Maul schlagen muss, damit die zweite Deutung drin bleibt. Drinbleiben, weil draußen der unsichtbare Feind von Tür zu Tür huscht, ist eine gesellschaftliche Tugend, die nicht nur Menschen, sondern auch Deutungen abverlangt wird. Selbstredend gilt das auch für die Sprache der Regierenden. Manche unter letzteren bringen es in der Kunst des Hintersinns zu solcher Perfektion, dass den Regierten ganz von allein die Kinnlade herunterfällt, wann immer sich der Untertanenmund zu einer Entgegnung öffnet. Es sollen übrigens nicht die schlechtesten Herrscherfiguren sein – wer das Idiom des Unsinns perfekt beherrscht, den zu stürzen macht keinen Sinn. Resistenter als Unsinn ist nichts. Und das – nichts – wollten Sie doch sein, lieber Freund, oder habe ich Sie da missverstanden? Ich gehe jetzt und kl…