5.

Mordgeschrei und Sterbeklagen! / Ängstlich Flügelflatterschlagen. – Nie zetert Casanova hemmungsloser, als wenn sich ihm eine Frau aus moralischen Gründen versagt. Diesen Trick hat er den Aufklärern abgeschaut und ins Persönliche gewendet: seine Leidenschaft, seine Begier, das ist der Ruf der Natur, sich ihm zu verweigern ist Unnatur – kalte Berechnung und schnöder Eigennutz im einen, finsterer Aberglaube und kindische Gespensterfurcht im anderen Fall. Im ersten Fall ist die Frau – er wird nicht müde, es zu beteuern – ein Monstrum, aller Verachtung wert, im zweiten ein Opfer, bedauernswert, dunkler Mächte und Verschwörungen: die Jesuiten sind’s, die Antipoden, die der lachende Freimaurer in jedem der vermeintlichen Tugend, das heißt dem Vorurteil abgelisteten Geschlechtsakt übertölpelt – das ist sein Stil, großer Stil, der es ablehnt, mit trügerischen Versprechungen, der es vorzieht, mit handfesten Erfüllungen zu argumentieren. So im Fall der schönen Nichte, der fleischgewordenen Unschuld, der, kaum aus dem klösterlichen Gewahrsam entlassen – auch sie in jesuitischen Händen –, binnen eines halbstündigen Gesprächs am Kaminfeuer, nur halbwegs wissend, wie ihr geschieht, die Ehre widerfährt, den Samen des Unbekannten von ihren Fingern wischen zu dürfen, wenige Schritte von der konversierenden Tante entfernt – sie habe nun, doziert der Aufklärer, eine bestimmte Anschauung von etwas bekommen, das ihr bisher nur als nebelhafte Vorstellung geläufig gewesen sei; »eine sehr bestimmte Anschauung«, antwortet sie und beugt sich zum Feuer, um alsbald den prüfenden Griff des Doktors an ihrem Geschlechtsteil zu spüren: »Sie stand voll Würde auf, setzte sich wieder hin und sagte sanft und mit vielem Gefühl, sie sei ein Mädchen von Stand und glaube Achtung beanspruchen zu dürfen«; dieses Mädchen, Stand hin, Stand her, schreibt ihm wenige Tage später einen Brief, in dem sie ihm die Ehe anträgt, um der Zwangsheirat mit einem Kaufmann zu entgehen, den sie nicht kennt – einen Brief, der ihn rührt, ein Angebot, das er unmöglich ausschlagen könnte, es sei denn, die Umstände zwängen ihn dazu – tatsächlich tun sie’s. »Bleiben Sie ruhig und lassen Sie den Kaufmann nur kommen. Sie können unter allen Umständen auf mich zählen. An dem Tag, für den man die Vertragsunterzeichnung ansetzt, werden Sie nicht mehr im Haus Ihrer Tante sein.« Damit sind die Regeln geklärt, und die Liebenden versinken in Wollust. Die Philosophie – wohlgemerkt: Casanovas – unterbricht nicht das Geschlechterspiel, sondern schmeichelt es seinem Höhepunkt zu; sie vertreibt die Gespenster und schüttelt die Betten auf.