EINE FARCE (GUIGNOL)
Er
Da bin ich. Es war wieder ein harter Kampf.
Sie
Gleich sagt er wieder, dass ich ihn lieben muss…
Er hängt ein Plakat auf.
Das habe ich für dich entworfen.
Auf dem Plakat steht: »All meine Liebe, all meine Treue gilt uns!«
Sie
… dass er alles für mich tut…
Er
Die Frau steht wahrhaft im Mittelpunkt: Du! All meine Fürsorge gilt dir. Das ist der reale
Feminismus.
Sie
… wie schlimm die anderen Männer sind…
Er
Wenn du wüsstest, wie die Machos die Frauen unterdrücken. Überall entrechtete, betrogene, unterdrückte Frauen.
Sie
… dass ich bei ihm in Sicherheit bin…
Er
Bei mir genießt du Geborgenheit, eine gesicherte Existenz.
Sie
… wie kalt es draußen ist…
Er
Ich habe sie gesehen: die Frauen ohne Obdach, ohne Schutz, ohne Arbeit…
Sie
… wie ich mich frei entfalten kann…
Er
Hast du eingekauft? Ich habe Hunger.
Sie
… wie anderswo – was?
Er
Ich habe Hunger.
Sie
Ich auch.
Er
Ich habe dich etwas gefragt.
Sie
Ich liebe dich. All meine Liebe, all meine Treue…
Er
Nein! Ja. Gut. Aber hast du eingekauft?
Sie
Ich habe es versucht. Aber seit du mir das andere Bein auch abgeschnitten hast…
Er
Du genießt die vollen Vorzüge meines Gesundheitswesens, umfassende medizinische Betreuung und die Einrichtungen zur Rehabilitation. Die Holzbeine aus der von mir in erfolgreicher Gemeinschaftsarbeit zum Welthöchststand entwickelten Holzbeinproduktion…
Sie
Es funktioniert nicht.
Er
Lass mich bitte ausreden. (Ängstlich) Liebst du mich etwa nicht mehr?
Sie
All meine Liebe, all meine Treue gehören nur dir.
Er
Und nichts verbindet dich mit den bösen, herrschsüchtigen Machos?
Sie
Alles verbindet mich mit dir und nichts verbindet mich mit den bösen, herrschsüchtigen Machos.
Er
Alles für dich, alles durch dich, alles mit dir. Hast du eingekauft?
Sie
Ich bin zu spät gekommen.
Er
Das ist unmöglich. In meinem umfassenden Programm der entwickelten Strategie des Warenerwerbs unter den Bedingungen der verschärften Auseinandersetzung mit den Machos habe ich in schöpferischer Anwendung der Lehren der Klassiker des Feminismus nachgewiesen, dass wir dem Machismo um eine ganze historische Epoche voraus sind.
Sie
Mit einem Holzbein ging es ja auch noch ganz gut, wenn ich mich sehr angestrengt habe, aber…
Er
Wie redest du denn?
Sie
Es gab objektive Schwierigkeiten.
Er
So?
Sie
Die Einsparung des Kniegelenks an dem zweiten Holzbein…
Er
Vertraust du mir etwa nicht?
Sie
Doch aber es funktioniert nicht.
Er
Die Neuentwicklung erfolgte auf streng wissenschaftlicher Grundlage. Planmäßig hättest du die anderen überholen müssen.
Sie
… ohne sie einzuholen. Ich weiß. Aber ich bin gar nicht erst auf die Beine gekommen.
Er
Du hast uns schweren Schaden zugefügt. Bist du dir dessen bewusst?
Sie
Ich kann nicht mehr. Ich kann nicht schneller, Die anderen haben Rollstühle. Außerdem habe ich Hunger.
Er
Eben. Du isst zuviel. Deine Ansprüche übersteigen unsere Möglichkeiten. Jetzt willst du auch noch einen Rollstuhl. Dabei habe ich schier unermessliche Mittel in die Einsparung des Kniegelenkes investiert. Das hat man von seiner Großzügigkeit. Manchmal wünschte ich, ich könnte die Methoden der Machos…
Sie
Ja?
Er
Fressen, fressen; das ist alles, woran du denkst. Fressen und Rollstuhlfahren. Denkst du auch, daran, dass man für Rollstühle dort nicht nur die Beine, sondern die eignen Kinder verkauft? Denkst du auch an die armen Frauen mit den abgeschnittenen Ohren?
Sie
Abgeschnittene Ohren! Das ist schrecklich.
Er
Damit nicht genug. Es gibt welche, denen man den Mund zuklebt, die sich den Gehörgang selbst zustopfen, damit sie nichts mehr hören von all dem Elend. Keiner hört überhaupt auf irgendwen. Es gibt keine Werte. Keine Moral.
Sie
Schrecklich.
Er
Da fahren sie herum, in ihren Rollstühlen: ohne Beine, ohne Ohren, immer auf der Jagd nach Fressen und hören nicht, wenn jemand leidet und um Hilfe schreit.
Sie
Das stimmt. Sie hören nichts. Sie sind so schnell an mir vorbeigefahren, dass ich nichts erkennen konnte, und ich bin zu spät gekommen. Niemand hat mich um Hilfe rufen hören.
Er
Ich höre dich immer. Ich höre dich, ich sehe dich, bei mir bist du geborgen. In Sicherheit.
Sie
Ja.
Beischlaf
Er
Du musst jetzt einkaufen gehen. Es ist für uns, für unsere Zukunft, für die gemeinsame Sache, für unser Kind. Es ist eine Frage des Bewusstseins.
Sie
Für unser Kind… Für den Feminismus.
Er
Für uns.
Sie
Für uns.
Sie rappelt sich auf, fällt wieder hin
Er
Das eingesparte Kniegelenk war kein voller Er folg, wie?
Sie
Mit zwei Beinen war ich schneller.
Er
Willst du damit sagen, dass das System falsch ist? Unser System? Willst du unsere Errungenschaften in Frage stellen? Das Gesundheitswesen, das dich keinen Pfennig kostet? Unsere Macht, die uns zur Beherrschung der Natur verholfen hat? Die Rolle der Arbeit bei der Menschwerdung des Affen? Beine! Wir beherrschen die Technik, wir sind der Natur überlegen. Beine! Wo wir fliegen können!
Sie
Zum Einkaufen?
Er
Zum Einkaufen! Jawohl! Sollen sie doch mit ihren Rollstühlen herumfahren, ohne Planung und Leitung. Wenn du nur willst, beweisen wir unsere Überlegenheit. Wir fliegen.
Sie
Fliegen. Das wäre schön.
Er
Wir brauchten überhaupt keine Kniegelenke mehr. Wir könnten sie völlig einsparen.
Sie
Darf ich nicht wenigstens eines behalten?
Er
Wo denkst du hin. Auf diesen Sieg über die Natur werden wir nicht verzichten. Allerdings…
Sie
Ja?
Er
Es gibt da ein Problem…
Sie
Welches?
Er
Die Machos versuchen offensichtlich, sich einen Vorsprung zu verschaffen. Sie arbeiten an der Reduzierung des Luftwiderstandes.
Sie
Des Luftwider…??
Er
Des Luftwiderstandes. Jedes fliegende Objekt hat ihn. Auch du. Wir müssten ihn drastisch herabsetzen. Die abgeschnittenen Beine sind eine großartige Errungenschaft! Sie reduzieren den Energieaufwand für den Flug fast um die Hälfte, aber der Luftwiderstand…
Sie
Was ist damit?
Er
Du hast so schrecklich abstehende Ohren.
Sie
Was?
Er
Damit geht es natürlich nicht.
Sie
Was?
Er
Fliegen. Zum Einkaufen fliegen. Fliegen für unser Kind, für unsere Zukunft.
Sie
Ich verstehe nicht.
Er
Es ist eine Frage des Bewusstseins, der Werte, der Moral. Wir brauchen eine große freiwillige Initiative von dir. Wenn du fliegen willst, müssen wir die Ohren abschneiden. Du willst doch fliegen für uns, zum Einkaufen? So wie du bist, kannst du es nicht schaffen. Mit diesem schrecklichen Luftwiderstand.
Sie
Nein.
Er
Du weigerst dich?
Sie
Ja.
Er
Du stellst dich gegen den Fortschritt?
Sie
Ich habe immer alles getan, was du von mir verlangt hast.
Er
Wir. Was wir von uns verlangt haben. Soll das alles umsonst gewesen sein?
Sie
Ich möchte nur meine Ohren behalten.
Er
Das ist egoistisch, kleinlich, reaktionär.
Er zieht eine Banane heraus, isst
Sie
Woher hast du die Banane?
Er
Hart erarbeitet. Auch du könntest Bananen essen, wenn du mehr Initiative zeigen und es dir nicht auf meine Kosten bequem machen würdest.
Sie
Woher hast du die Banane?
Er
Darüber bin ich dir keine Auskunft und schon gar keine Rechenschaft schuldig. Gerade jetzt, wo du dir jedes Vertrauen verscherzt hast, kann ich dir unmöglich derart wichtige, geheime Informationen geben. Bewähre dich. Lerne fliegen. Dann könntest du die erste beim Einkaufen sein und wir hätten immer Bananen.
Sie
Ich habe Hunger.
Er zieht eine zweite Banane heraus
Er
Ich könnte dir etwas abgeben. Als Vertrauensvorschuss sozusagen.
Er hält ihr die Banane vor die Nase. Sie schnappt danach, er zieht die Banane weg
Er
Natürlich müsstest du etwas guten Willen zeigen.
Sie
Was soll ich tun?
Er
Die erste Etappe der freiwilligen Initiative »Flug zu den Bananen« beginnen. Wenigstens ein Ohr muss fallen.
Sie
Nein. Nein. Nein.
Er
Gut. Damit ist alles klar.
Du hemmst unseren Aufbau. Du stellst alles in Frage. Du machst dich zum Bundesgenossen unseres Gegners. Du weißt, wozu du mich zwingst.
Sie
Ich will doch nur meine Ohren behalten.
Er
Meine. Meine. Das ist die Sprache des Feindes.
Sie
Du hast doch selbst gesagt, dass die Machos Ohren abschneiden.
Er
Du vergleichst MICH mit den Machos? Mich, den Befreier vom Machismo?
Er stürzt sich auf sie, schneidet ein Ohr ab, isst es auf, hat einen Orgasmus
Er
Es tut mir leid, aber ich musste diese Maßnahme ergreifen. Das wirst du einsehen. Der Feind ist überall. Mitten in unseren Reihen. In dir. Ich bin über dein Versagen tief betroffen, es schmerzt mich. Nur die tiefe Sorge um dich hat mich bewogen, einzugreifen, denn unsere Errungenschaften müssen geschützt werden. Es lebe das Bündnis von Mann und Frau. Nieder mit dem Machismo!
Sie
Wohin gehst du?
Er
Ich muss mich erholen. Der Feind könnte die kleinste Schwäche auf unserer Seite nutzen. Ich muss stark sein für uns, für unser Kind, für unsere Zukunft.
Er legt ihr Messer und Verbandpäckchen hin
Er
Wir brauchen dich. Auf dich kommt es an. Mach mit! Flug zu den Bananen!
Er verschwindet
Sie
Manchmal möchte ich weglaufen.
Sieht sich ängstlich um
Sie
Einfach weg. Weit, weit weg, egal wohin.
Wenn er das wüsste. Ich glaube, er schlüge mich tot.
Wenn ich Beine hätte. Ja. Oder wenigstens einen Rollstuhl. Aber so; ohne Beine bei den Machos. Ganz allein.
Eine unter vielen, ohne Arbeit, ohne Obdach. Ohne Chance gegen die Machofrauen. Ohne Rollstuhl und mit dem hohen Luftwiderstand.
Jetzt ist er nur noch halb so hoch.
Ich bin schlecht. Ich bin egoistisch. Wir haben so lange zusammen gelebt und ich will alles im Stich lassen: die Sicherheit und Geborgenheit, die er für mich geschaffen hat, meine Arbeit, unsere gemeinsame Zukunft, den Feminismus. Unser Kind.
Ich bin schlecht. Er ist so stark und ich bin so feige.
Sie nimmt das Messer
Trotz allem vertraut er mir.
Für unser Kind, unsere gemeinsame Zukunft.
Flug zu den Bananen!
Sie schneidet das andere Ohr ab.
Er wird von einer jungen schönen Frau hereingerollt, in einem wunderbaren Rollstuhl.
Er
Es ist erreicht! Sie haben mich anerkannt!
Wirft ihr eine Banane zu
Er
Wir rüsten ab. Wirf das Messer weg, oder besser: gib es her.
Sie
Wer ist das?
Er
Das ist das Neue Wesen. Das Neue Wesen in unserem gemeinsamen Haus.
Sie
Sie hat Beine, sie hat Ohren, wer ist sie, wo kommt sie her?
Er
Meine Initiative war erfolgreich, alle haben es erkannt: wir brauchen das Neue Wesen. Schluss mit den Kämpfen, Schluss mit der Unterwerfung der Natur. Gib das Messer her.
Sie
Wo kommt ihr her, woher hast du den Rollstuhl?
Er
Gib sofort das Messer her.
Sie versucht sich auf das neue Wesen zu stürzen. kurzer, hoffnungsloser Kampf; er nimmt ihr das Messer weg, droht ihr
Er
Es wird nicht mehr gekämpft. Spürst du nicht, wie die Luft frischer und leichter wird, wenn das Neue Wesen auftritt?
Er küsst das neue Wesen
Er
Natur! Natur!
Sie
Du warst bei den Machos!
Er
Und sie mussten mich endlich anerkennen. Es waren zähe Verhandlungen. Gefällt dir der Rollstuhl? Es ist das neueste Modell.
Sie
Du hast gesagt, es gibt dort nur Frauen ohne Beine und ohne Ohren.
Er
Die meisten. Ja. Aber jetzt lebt man dort wieder natürlicher. Wir haben uns geeinigt. Keinem wird mehr weh getan. Ohne Grund.
Er streichelt sie, sie stösst ihn weg
Sie
Was wird aus mir, was wird aus unserer gemeinsamen Zukunft, unserem Kind?
Er
Seine Beine sind in guten Händen.
Sie
Du hast es verkauft, für das neueste Modell. An die Machos.
Er
Wir haben jetzt ein GEMEINSAMES HAUS. Bananen für alle, Rollstühle für alle. Irgendwann.
Sie
Es ist noch nicht einmal geboren, und du hast es verkauft.
Er
Es wäre sowieso kein besonders schönes Kind geworden. Von einer Frau ohne Beine, ohne Ohren. Was wäre das schon für eine Zukunft. Die Zukunft gehört dem Neuen Wesen. Wir haben uns geeinigt, alles wird gut.
Sie schreit. Das neue Wesen klebt ihr den Mund zu.
Er
Alles wird gut.
Déjà vu. Anmerkungen zu: Das Bündnis