«Nach langer, blinder Arbeit untertage erscheint plötzlich Apollo im goldnen Wagen und sammelt mit vollen Händen alles ein, was unterdessen unbemerkt gewachsen ist oder am Wegesrand verstreut war: Und während er es einsammelt, verschmelzen diese Abfälle miteinander, wechseln von der Farbe des Staubs in die Farbe des Lebens, beginnen sich zu bewegen, zum Leben zu erwachen. Ich folge dem Vorgang selbst mit Staunen, aber ich begreife nichts davon. Ich tue so, als sei ich der Autor…
Nachts; Gefühl großer Sinnlosigkeit. Ich weiß nicht, wer der ist, der hier sitzt; ich verstehe nicht, wie er die Tasten meines Computers drücken kann; ich glaube nicht, daß dieses gefühllose Wesen mit jemand identisch ist, dessen Leben ich schleppe.«
Imre Kertész’ Letzte Einkehr rührt noch einmal wie mit letzten inneren Fingern Themen wie Beziehung/Ehe, Liebe, Auschwitz, Reisen, Erfolg, vieles mehr an. Wohltuend die Lebendigkeit, das Lebende in der Sprache, die Beweglichkeit bei den Nuancierungen. Nahezu jeder Absatz enthält so etwas wie eine Kernbotschaft, die ungewöhnlich genug ist, um etwas für sich mit davonzutragen. Auf der Buchrückseite ist von der «Geschichte einer Erkaltung« die Rede. Und auch das ist durchgängig spürbar und darüber hinaus oder damit einhergehend: Ansichten und Einfälle, bei denen der Gedanke aufkommen könnte, dass der Verfasser auf ›merkwürdigen Arten‹ der Verblendung – in unmittelbarer Nachbarschaft von Hellsichtigkeit – besteht. Lässt man hier das Präfix «Ver« weg, hat man es noch mit «Blendung« zu tun, die sich wohl primär von Wunden bzw. Schlussfolgerungen aus ihnen herleiten ließen, die bei dem Verfasser selbst immer wieder in dem Wort «Auschwitz« zusammenlaufen.
Der vorangestellte Passus durchzieht die tagebuchartigen Aufzeichnungen: Eine Gestalt, eine Ungestalt, ein lebender Toter, ein Etwas oder ein Niemand, den Kertész in sich trug und auszutragen hatte, dem bis zum Schluss nicht beizukommen war. Eigentlicher Grund für den Rückzug war und in unheimlicher und scheinbar unsichtbarer Weise sein Dasein durchzog und, neben dem Schöpferischen an sich, ihm die Zeilen zu diktieren schien.
«Ich folge dem Vorgang selbst mit Staunen, aber ich begreife nichts davon. Ich tue so, als sei ich der Autor…«