Ralf Willms: Seidentexte

 

als ich Prag wieder sah
wusste ich, was
verloren
ist

 

Wer sich einträgt, trägt etwas aus: einen Gedanken, eine Differenz, eine Verschiedenheit, die im Meinen befangen bleibt, um sich aus ihm zu befreien. Dazu bedarf es nur einer Fläche, einer Freifläche, von überallher einsehbar, und eines Grundes, der trägt, was man ihm anvertraut. Keinem Grund vertrauen - das sagt sich leicht im Vertrauen, das nirgends ausbleibt, und sei es das auf den kleinen hellen Fleck, der den Eintrag ermöglicht und festhält. Die Nötigung, aufzuschreiben, was ist, weist dem Notat-Gedicht seinen Platz an: das flüchtige, dem Tag oder dem Augenblick entwendete Wort, das sich nirgends zur Rede-Wendung verfestigt, trägt sich in Ordnungen ein, die es übersteigen, um in den Hintergrund zu treten.
Seidentexte: ein Fund-Wort, mit dem Archäologen die 1973 in Mawangdui entdeckten Exemplare des Tao te King und des I Ging bezeichnen. Willms’ Einträge 08 finden, so ließe sich sagen, Grund genug in einem Widerspiel, dem ein schmaler Ausschnitt des I Ging und seiner 64 Hexagramme als Fläche genügt: eine Verbeugung vor der Ordnung der Wörter, vor der sich die Ordnung der Dinge nicht ganz verbergen kann.
Nachwort von Ulrich Schödlbauer