von Thomas Körner
1.
Mein Menschenbild ist das der Literatur.
2.
Das klingt, fürs erste, nach einer Einschränkung und einer Lizenz. Die Einschränkung (›Literatur‹) scheint jenem weitesten Ausblick zu widersprechen, den Herder dem Menschen einst attestierte und der Wissenschaft vom Menschen, der Anthropologie, als Anfang empfahl. Hingegen scheint die Lizenz unmittelbar aus dieser Einschränkung hervorzukommen. Schließlich ist die Literatur, wenn nicht die Mutter, so die Verbreiterin aller Welt- und Menschenbilder. Ohne sie entbehrte die Welt des Lichts und der Wärme: so dachten die Aufklärer, während der eine oder andere Romantiker gerade Zeiten, die ohne sie auskommen mussten, von einem edlen Menschentum bewohnt sein ließ, das durch ihr Auftauchen in ernste Gefahr kommen sollte. Die Differenz verdankt sich weniger dem Bild des Menschen als dem der Literatur, manche sagen, der Schrift, und verweisen in dem Zusammenhang auf die seit Platon durch die Texte geisternde Vorliebe für mündliche Kommunikation, für Oralität, also für eine sprachliche Kommunikationsform, die ohne das Substitut der Schrift und des Aufgeschriebenen auskommt.