Der Durchsetzungswille der SPD

Ausgehend von der Beschlußfassung und vor allem von den Grundsatzreden Willy Brandts und Helmut Schmidts auf dem Dortmunder Parteitag 1966, bestimmte die SPD die Diskussionsthemen in der Deutschland- und Ostpolitik. Willy Brandt zeichnete in seinem Beitrag »Die Lage der Nation« bereits den deutschlandpolitischen Weg der »kleinen Schritte«, die vor allem den Menschen in den beiden Staaten Deutschlands und dem Erhalt der Nation dienen sollten. Helmut Schmidt stellte diese für richtig erkannte Politik in Zusammenhang mit einer neuen Ost- und Entspannungspolitik und einer Sicherheitspolitik, die auf dem westlichen Bündnis beruhte. Für Helmut Schmidt war jedenfalls damals schon klar, daß Fortschritte im Ost-West-Verhältnis – und hier besonders in der Deutschlandpolitik – nur zu erzielen waren, wenn es zu einer umfassenden Rüstungs-Kontroll-Politik kommt.

Diese sozialdemokratischen Vorstellungen haben zu großen Diskussionen in der Bevölkerung geführt. Im Verlauf dieses Meinungsbildungsprozesses bekamen die Sozialdemokraten eine wachsende Zustimmung. Während der Konservatismus, vertreten durch die CDU/CSU, in alten Formen erstarrte – oder, bildlich gesprochen, sich vom »Kalten Krieg« nicht verabschieden wollte oder konnte –, drängten Sozialdemokraten und Liberale darauf, die entstandene weltpolitische Lage – die Entspannungsphase – für die Deutschen zu nutzen. Gleichzeitig wurde der Wunsch der bundesdeutschen Bevölkerung, ihr Verhältnis mit den Völkern in Osteuropa in Ordnung zu bringen, immer lauter und drängender. Das Bewußtsein der Bevölkerung stimmte mehr und mehr mit den ostpolitischen Vorstellungen der Sozialdemokraten und der Liberalen überein.

Im Bundestag hatten zwar manche Abgeordneten der SPD/FPD-Koalition Schwierigkeiten mit den Verträgen, Abkommen und Vereinbarungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Ostblockstaaten. Einige wechselten sogar zur Opposition und sorgten Ende 1972 schließlich für vorgezogene Neuwahlen. Das konnte nichts an der Tatsache ändern, daß die Bewußtseinslage der Bevölkerung exakt das Wahlergebnis widerspiegelte: Die SPD wurde erstmals stärkste Fraktion im Deutschen Bundestag. Insgesamt hatte die SPD/FDP-Koalition eine überzeugende Mehrheit errungen und sie konnte ihre Deutschland- und Ostpolitik fortsetzen.

Das war wichtig, denn seit Beginn der sozial-liberalen Koalition legte die Bundesregierung äußersten Wert darauf, daß alle ihre ostpolitischen Schritte in enger Zusammenarbeit und Abstimmung mit ihren westlichen Verbündeten koordiniert wurden.

Das machte es der CDU/CSU-Opposition besonders schwer, die Ostpolitik der Bundesregierung zu bekämpfen. Der Deutsche Bundestag erlebte in den Ausschüssen, besonders im innerdeutschen Ausschuß, aber auch im Plenum, eine äußerst destruktive Opposition. Abgesehen von einigen Splittergruppen im Parlament der Nachkriegszeit, agierte keine Opposition gegen die Regierungspartei bei wichtigen Grundsatzentscheidungen dermaßen kontraproduktiv, wie die CDU/CSU in diesen Jahren.

Die Sozialdemokraten riskierten in dieser Zeit, zur Durchsetzung ihrer Deutschland- und Ostpolitik, wiederholt ihre Regierungsfähigkeit. Die Härte der Auseinandersetzung, die vielen Abgeordneten in allen Fraktionen des Deutschen Bundestags auch menschlich schwer zu schaffen machte, dauerte noch nach der Unterzeichnung der Schlußakte der KSZE 5 (1.8.1975 in Helsinki) an.

Alle Welt war vom Nutzen dieses Prozesses für eine Zusammenarbeit und für Sicherheit in Europa überzeugt; nur die CDU/CSU in Deutschland glaubte, weiter im »Kalten Krieg« verharren zu müssen. Mit dem gemeinsamen Bekenntnis der 35 Teilnehmerstaaten aus Europa und Nordamerika zur gegenseitigen Achtung, der friedlichen Zusammenarbeit und des friedlichen Zusammenlebens, zur Wahrung der Menschenrechte, zum Ausbau von menschlichen, kulturellen und Informationskontakten, zur Realisierung von vertrauensbildenden Maßnahmen und zur Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft, Technik und Umwelt wurde der Grundstein zur Überwindung der Blöcke gelegt.

Heute kann mit Fug und Recht gesagt werden, daß der Helsinki-Prozeß der Welt ein neues Fundament gegeben hat, d.h. zumindest den Teilnehmerstaaten eine neue Qualität des Zusammenlebens.

Die Nachfolgekonferenzen in der KSZE, einschließlich des Abschlußdokuments in der KVAE in Stockholm (29.09.1986), haben manchmal mit weniger, manchmal mit größerem Erfolg die Menschenrechte, die Freiheit für den einzelnen, die Zusammenarbeit der Völker und die Abrüstung Stück für Stück vorangebracht.

Sozialdemokratische Prinzipien hatten sich durchgesetzt. Mehr noch: Sie wirken fort, bestimmen auch heute noch die deutsche Politik und haben erreicht, daß man wenigstens für Europa feststellen kann: Die Beziehungen der Staaten sind sicherer und stabiler, berechenbarer und intensiver geworden.

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