von Anne Corvey

Once upon a time

 

Nicht oben nicht unten
noch Nord oder Süd –
schloss sie die Bücher
des fremden Empfindens
ging auf die Straßen
mein lieber Ovid.

Schlug die Nacht sich ums Ohr
der fremden Gespräche
nicht länger zu lauschen
die Bilder zu tauschen
die der Schein einer Lampe
trieb Seite für Seite
lesend hervor.

»Ihr Götter seid gnädig
meinem Beginnen« –
brodelndes Leben
Chaos verheißend
nicht Sonne noch Mond
erhellt die Boulevards.
Erleuchtung aus Innen.

»In neue Gestalten
verwandelte Wesen...«
Mit glitzernden Fäden
in flüstrige Liebe
feurig verstrickt
webt die schlaflose Stadt
beim Schein einer Lampe
ihr Nessusgewand.

 

 


Maßlos das Verlangen nach Schönheit –

 

kopfentsprungen.
Abhanden gedachte.
So das Schwerste leicht nehmend.

Voll erblüht, zeugt der Mitte zu:
dies Strahlen.
Ohne Zerfallszeit
vor verdunkelten Augen.

 

 


Ausgehaucht

 

Die Sehnsucht nach Leben
in einem Zug dem
letzten.
Atemlos

liegst
du jetzt da wachs-
bleich der Tag
nie wieder nirgends

noch
Erinnerung das Wort
der leeren Hülle nun entflohn

zerreißt kein Vorhang nur die Uhr
tickt lauter und nicht mehr im
Takt.

 

 


Schmerzt Trauer tief

 

Frühling, das Wenden aller Qual

Schmerzt Trauer tief
lässt Liebe Tränen ungerührt
nimmt alles seinen Anfang hin zum Ende,
so nenn es wie du willst,
das ruhende Gewähren
der Frucht, die eng den Kern umschließt,
nenn es die Zeit des Überstiegs.

 


O Syrinx

 

Zärtlich klagender Ton,
dem Schilfrohr entlockt,
das ein Pan in stiller Verblendung
begehrend umschlingt.

Verschiedenerlei
Rohr, verbunden
dem schmelzenden Wachs.

Spielt nun der Gott?
Spielt uns der Wind?

 

 


Berliner Bücherschrank

 

Café Rosalind, Kneesebeckstraße.
Wahrheit
versiegelt in gläsernen Dosen.
Augenhell, nah.
Ungreifbar.
Gläserne Särge der Armut
einem Glück versprochen
das abperlt.
Gläserne Tropfen.

 

 


Penthesilea

 

Doch es kehret umsonst nicht
unser Bogen, woher er kam.

Auf rauchenden Rossen aus fernem Land.
Ein Wetterleuchten an der Griechen Himmel.
Verwegen und verwoben in den Mutterspruch.
Sprache der Väter, die ein Zauber hemmt,
dringt Pfeilen gleich in unbemanntes Land.

Helmbusch um Helmbusch kreisend tönt die Weise.
Wer nicht die Regel kennt, hat schon verloren.
Vierfüßig hoch hinauf hinab, der Rhythmus
– Quadriga und Quadrille, im Staub gepaart –
verführt zum Tanz die Schritte.

Süchtig zum selbsterwählten Ende rasend,
trifft sie der Pfeil, wird Tod durchs eigne Wort.
Um zu gewinnen oder umzukommen,
formt sich im Wirbel kreißenden Gefühls
die alle Zeit enthobene Gestalt.

 

 


Rauchzeichen

 

Ohne Beziehung
zur verzweifelten Suche
im wirbelnden Staub

einsilbig wortarm
in versfüßiger Jagd
selbst den Hunden zuwider

Diana Aktäon
das Spiel ist aus
die Denker die Hunde

nicht länger folgen
Propheten dem Grauganszug, nicht sucht
der Rauch das Feuer

nur der Geist schwebt
über dem Wasser, bereit
das Schwimmen zu lernen.

 

 


Gone by the Wind

 

Woher du auch kommst.
Wohin du auch gehst.
Der Wind weht längst
nicht mehr vom Paradies her.

Wort, mit dem er dich trug
ins Land des südlichen Traums
Wort, mit dem er dich schlug
verwildert im innern Gehöft –

es spiegelt in seinen Tränen
ein Salz gewordenes Geschlecht.

 

 


Kassandra

 

Es geschah...
wie es immer geschieht...
Wissend nicht noch unwissend
noch, erlesen vom trüben Sinn,
rüttelt das Gitter am Tor:
Zerbrich mich!

Greift unbegriffen die Hand,
greift inmitten der Lanzen,
greift ins Leere der Nacht, greift
nicht Wachen noch Schlafen.

Ein Drittes nur
tritt vertrieben hinzu, von dunklen Gedanken erhellt.

Nicht der Tag, nicht die Nacht,
nicht das Auge, das Licht
die Finsternis leuchtet –
gespenstischer Schein –
das Feuer, die Funken stiebt es hinaus,
den beißenden Rauch zu vertreiben.

Gehetzte Hunde, mit Schaum vorm Gesicht,
quellen die Worte
hervor nicht zurück
zur Qual, entschlossen zu bleiben.  

 

 


Il Paradiso

 

Als sich die Worte versagten,
den Sinn gewendet ins Unverstehen,
hüllten wir uns in Kleider aus Haut.
Die Seele bevölkert vom Traumgetier
warf einen langen Schatten.

Am Abend lockte
der Abgrund hinter der Wolkengestalt
ins Innre der Knochenschale gesenkt
unendlich dehnbar –
schnellte empor und zurück.

Wechselnde Hüllen
im Kommen und Gehen
Tag uns zu geben und Nacht
streiften wir über und ab.
Nur der Tod saß wie angegossen.

 

 


Hermeneutische Zirkel

 

Sinn zu erspüren, dass er nicht entgleite,
finden zusammen sich im schlichten Rund
die Magier, zum Wechseln stets bereite
wortfeile Münze wälzen sie im Mund
umher, von einer auf die andre Seite.

Das Gold der Münze hebt den Wert der Funde,
die sich entäußern durch der Magier Munde.

 

 


Morgengabe

 

Das hohe schwarze Kalt der Bäume
durchstreift von herrenlosem Licht.
Kein Blätterrauschen, das dich zärtlich innert.

Verhangen die Gedanken, wesenlos
senkt sich das Auge in die lichte Frühe..
flirrt erst verheißungsvolles Grün
flüstert der Wind – ein Lippenblütler –
dir alle dreißig Silberlinge zu.

 

 

 


In heißen Sommern

 

Der Zorn verraucht
die Dinge
im Feuer des Gefühls.

In Asche will es sich regen.
Schicht ruht auf Schicht.

Wenn der Pegel sinkt,
tauchen die Türme
versunkener Weiler
aus den Wassern.

 

 

 


Salz und Pfeffer

 

In der schmalen hohen Gasse
die gelbe Lichtlaute spielt
vor dem halb geöffneten Laden
ihre Weise vom Leben.

Hoher Mittag im Fensterkreuz.
Geteiltes Leben paarweis verschränkt
die Arme ungeborgen der Kopf
Hitze ins Innre gewendet.

 

 

 


Pas des deux

 

I

Schwarze Göttin.
Dem Marmor entschlagen.
Steinerner Faltenwurf.

 

II

Erstarrt im Schauen
durchmisst sein Blick
die Jahrhunderte.

 

III

Tausende.
Tag für Tag
lebst du dem einen.

 

 

 


Sternenflug

 

Auf den unbegriffenen Saiten
von Eurydikes kaltem Leib
spielt er des Lebens
Lied vom Tod.

In der Nacht
führt ihm Sehnsucht den Bogen.
Aus Silben und Tönen Schneefall:
das weiße Gewand.

Hülle aus Nichts
im Blick zurück,
die ihm den Atem führt
schmerzlich, zur Rühmung.

Auf den unbegriffenen Saiten
von Eurydikes kaltem Leib
spielt des Lebens
Lied vom Tod.

 

 

 


Nice (Cote d’Azur)

Fallende Blätter
im Fluge erträumt
reihen die Tage
die Nächte.

Schlafauge tränt!

Hinter den Masken
das entblößte Gesicht.

Das Dunkel aller verflossenen Zeit
hebt die trunkene Flut
treibt Bilder empor
von unbezähmbarer Klarheit.  

 

 

 


Sphinx halt

 

So groß allein mit sich
schaust du den mächtigen Stein.
Sein Antlitz starrt ungerührt
auf deinen Schatten im Sand.

Unbegreifliches Wesen.
Keine Berührung bringt es dir nah.
Du spürst nur die Fläche.
Innen ist das Grab.

Die Rose sei Rose.
Stein bleibe Stein.
Kein Geheimnis gibts zu ergründen
an das diese Pranke rührt.

 

 

 


Jener Abend am Tanshui-River

 

Kuan Yin wirft ihr Licht
in die Wellen aufspringend
im Auge der Liebenden,
zahllos das Ufer erträumend,
silbernes Zwitschern, trägt es sie fort.

Eine Brise kühlt dir das Herz,
trägt es über die Wasser hinweg
auf die andere Seite der Welt,
wo runder der Mond erscheint
an jenem Abend am Fluss.